Behandelter Abschnitt 1Joh 3,7-10
Kinder, dass euch niemand verführe! Wer die Gerechtigkeit tut, ist gerecht, wie er gerecht ist. Wer die Sünde tut, ist aus dem Teufel, denn der Teufel sündigt von Anfang an. Hierzu ist der Sohn Gottes offenbart worden, damit er die Werke des Teufels vernichte. Jeder, der aus Gott geboren ist, tut nicht Sünde, denn sein Same bleibt in ihm; und er kann nicht sündigen, weil er aus Gott geboren ist. Hieran sind die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels offenbar. Jeder, der nicht Gerechtigkeit tut, ist nicht aus Gott, und wer nicht seinen Bruder lieb.
Ich ergreife hier die Gelegenheit, kurz noch einmal auf das zurückzukommen, was wir in den vorigen Versen bereits betrachtet haben. Dadurch sehen wir die großen Grundsätze deutlicher und ohne die vielen Einzelheiten. Diese Grundsätze sind nach jeder Seite von unermesslicher Bedeutung, obwohl die Art und Weise, wie der Apostel die zweite dieser beiden Seiten zur Sprache bringt, zunächst eigentümlich erscheint. Doch er tut es entsprechend der Weisheit Gottes. Nur wegen unserer Unwissenheit kommt uns das merkwürdig vor. Wir können völlig überzeugt sein, dass das, was Gott tut oder sagt, immer der beste Weg sein muss.
Wir haben gesehen, dass das Thema unserer Gerechtigkeit erstmalig im letzten Vers von Kapitel 2 in die Betrachtung eingeführt wird, das heißt hier wird zum ersten Mal bezüglich unserer Gerechtigkeit gesagt, was sie dem Grundsatz nach ist und wie sie sich praktisch auswirkt. Vorher (in Kap. 1,9) sahen wir schon dass Gott gerecht ist, und – wie wunderbar! – dass Er „treu und gerecht“ ist, „dass Er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit.“ In der Vorstellung des Menschen würde seine Gerechtigkeit darin bestehen, das Böse streng zu verdammen. Doch Christus hat durch seinen sühnenden Tod für den Gläubigen alles verändert, so dass die Vergebung seiner Sünden jetzt nicht nur eine Angelegenheit der Gnade Gottes, sondern auch seiner Gerechtigkeit ist. Die Grundlage dafür ist Er selbst, Jesus Christus, der Gerechte, und sein Tod für unsere Sünden. Aufgrund seines Werkes kann Gott nicht nur gnädig sein und uns seine unverdiente Gunst erweisen, sondern uns auch gerechterweise die Sünden vergeben, die so beleidigend für Ihn waren, sobald wir aus Gott geboren sind, entsagen wir auch den Sünden. Wir haben verstanden, die Sünde als solche zu verurteilen und auch uns wegen unserer Sündenschuld. Das ist bei einem Gläubigen vom ersten Augenblick an der Fall, da er sich zu Gott wendet. Er verabscheut sich und seine Sünden nun im Licht Gottes. Er weiß noch sehr wenig, doch dies erkennt er persönlich und aufrichtig durch Gottes Belehrung. Wenn das Werk des Herrn Jesus und seine Person in der Kraft des Heiligen Geistes erfasst werden, sieht sogar der jüngste Gläubige die Dinge bereits so klar, wie sie in den Augen Gottes wirklich sind. Nicht nur das, sondern er lernt auch Gott selbst in seinen Empfindungen kennen, die sich in vollkommener Liebe den Seinen gegenüber äußern.
An dieser Stelle wird nun betont, dass unsere Gerechtigkeit unlösbar mit unserer neuen Geburt verknüpft ist. Das macht oft solche, die noch jung im Glauben sind, unruhig, weil sie selbstverständlich sofort den Blick nach innen richten. Sie finden in sich aber keine Grundlage, die ihnen Befriedigung gibt, und können sie ja auch niemals finden. Wir müssen zuallererst in Christus ruhen, der unsere Gerechtigkeit geworden ist; auf Ihn muss der Glaubensblick gerichtet sein. Auf uns selbst zu blicken ist kein Akt des Glaubens; da machen wir nur die Erfahrung, dass wir völlig ohnmächtig sind. Nur wenn Christus das Blickfeld des geistlichen Auges ausfüllt, wird seine Kraft in unserer Schwachheit vollbracht. Das hat dann aber auch wirklich praktische Gerechtigkeit zur Folge.
Dies ist der Aspekt, den der Apostel der ganzen Familie Gottes erneut vor Augen hält. Er stellt dabei den Grundsatz auf: „Wenn ihr wisst, dass er gerecht ist, so erkennt, dass jeder, der die Gerechtigkeit tut, aus Ihm geboren ist“ (2,29). Es wurde schon gesagt, dass Gerechtigkeit in jedem Fall Übereinstimmung mit der jeweiligen Beziehung bedeutet, ob es sich nun um Gottes vollkommene Gerechtigkeit oder um das geringe Maß bei uns handelt, die wir aus Ihm geboren sind. Gerade deshalb scheint der Apostel in den ersten Versen von Kapitel 3 das Thema Gerechtigkeit unvermittelt zu verlassen, obwohl er es im letzten Vers von Kapitel 2 erst begonnen hatte. Er bricht plötzlich in jene wunderbaren Worte aus: „Seht, welch eine Liebe uns der Vater gegeben hat!“ Auf diese Weise bezieht er die gegenwärtige Liebe des Vaters und die zukünftige Herrlichkeit in die alles übersteigende Gunst Gottes seinen Kindern gegenüber mit ein, die darin besteht, dass wir Christus gleich sein werden, „denn wir werden Ihn sehen, wie er ist. Und jeder, der diese Hoffnung zu ihm hat [zu Christus, auf den sie sich gründet], reinigt sich selbst, wie er [Christus] rein ist.“ Natürlich ist der Christ nicht in dem Sinn rein, wie Er rein ist, sonst müsste er nicht aufgefordert werden, sich zu reinigen. Aber da Christus der Maßstab ist und Er absolut rein ist, wird jeder Nachfolger Christi, der Ihn als sein Leben und als seine Gerechtigkeit hat, die eigene Unreinheit als unvereinbar mit seiner Reinheit empfinden. Er wird nicht anders können, als sich von allem, was Christi unwürdig ist, zu reinigen. Denken wir nur an unsere tägliche Unterhaltung! Allzu oft versagen wir dabei. Doch Johannes beschäftigt sich nicht mit den Unzulänglichkeiten des täglichen Wandels, sondern mit dem Grundsatz. Diesen stellt er in seiner ganzen Einfachheit vor, denn dazu war er berechtigt.
Dies ist die einzig richtige Art, einen Grundsatz zu betrachten; von möglichen oder tatsächlichen Abweichungen muss man dabei absehen. Wenn wir dahin kommen, links und rechts und rundherum etwas abzuschneiden, werden wir niemals einen Grundsatz wirklich ganz erfassen können. Es kann leicht dazu kommen, dass wir ihn aus den Augen verlieren, wenn wir auf die Umstände blicken. Ein Grundsatz steht aber über allen Umständen, wenn es ein Grundsatz der Gnade ist, ein Grundsatz der Gnade, der in Christus jetzt schon unser Teil ist, während wir noch auf dieser Erde sind. Hilft uns das nicht zu erkennen, warum Johannes sich der Entfaltung der so überreichen Gnade und Herrlichkeit zuwendet, nachdem er mit der praktischen Gerechtigkeit begonnen hatte? „Seht, welch eine Liebe!“ Warum sagt er das an dieser Stelle? Weil diese ganze Gnade für unsere praktische Gerechtigkeit notwendig ist. Wie könnte diese Gerechtigkeit ohne jene machtvolle Hilfsquelle auf dem Weg von Dauer sein? Wie könnte der Christ hinreichenden Trost finden, trotz der Gefahren der Welt von außen und des Fleisches von innen, mit Freude und Vertrauen den Willen Gottes unbeirrt zu tun, wenn er nicht seiner vollkommenen Liebe gewiss sein dürfte? Seine wunderbare Liebe wird genau im richtigen Augenblick und an der richtigen Stelle eingeführt, obwohl es wie eine merkwürdige Abkehr von dem gerade besprochenen Gegenstand aussieht. Sie dient aber dazu, durch die Liebe des Vaters das darzureichen, was unserer praktischen Gerechtigkeit am besten Kraft verleiht.
Wir werden unsere Pflichten Gott und anderen gegenüber niemals richtig erfüllen, wenn wir nicht durch die Gnade über den Pflichten stehen. Kommen wir unter sie zu liegen, werden wir stets versagen. In diesem Fall wird es zwangsläufig immer etwas geben, das wir nicht fertig bringen. Viele Christen geben sich damit zufrieden, auf einem solchen schwankenden Steg weiterzugehen. Sie sind völlig damit zufrieden, wenn sie die leidlich begründete Hoffnung haben, nicht verlorenzugehen. „Ich habe das bescheidene Vertrauen, dass Gott mich in seiner Barmherzigkeit nicht in die Hölle werfen wird; ich hoffe, um Christi willen in den Himmel zu kommen.“ Mit diesen Gedanken gehen sie beruhigt ihren Weg weiter, als ob das Evangelium nicht mehr zu bieten hätte. Verträgt sich das aber mit der Beziehung, die ein Kind zum Vater hat? Wie erbärmlich gering ist eine solche Hoffnung gegenüber die dem Glauben hier offenbart wird und was den Gläubigen scholl jetzt mit steter Wonne und völliger Freude erfüllen sollte. Denn ein Christ hat auf nichts Geringeres Anspruch. Warum? Weil es um Christus geht! Für den Gläubigen gründet sich alles auf Ihn. Daher wird hier an seinen Glauben appelliert, mit dem er alle Zusagen ergreifen sollte.
Auf keinem anderen Weg können wir jemals irgendeine Segnung von Gott empfangen, seitdem die Sünde in die Welt gekommen ist. Wer hat je ein göttliches Zeugnis erlangt außer durch den Glauben an das, was Gott in Christus ist? In Ihm ist Gott für den Gläubigen ein rettender Gott. Er allein errettet, aber niemals wird Er einwilligen, auf eine andere Weise als durch den Herrn Jesus zu erretten, und der Heilige Geist, der Christus verherrlicht, bewirkt in dem Christen, dass er sich dessen bewusst wird. Ohne die innewohnende Kraft des Heiligen Geistes hätte er die Wahrheit, so kostbar sie auch ist, nicht in sich. Doch wenn jemand in Christus und seinem Erlösungswerk ruht, macht der Heilige Geist aus dem Wissen eine innere Wirklichkeit und verwandelt selbst die härteste Bedrängnis in die größte Freude. Wir müssen nicht annehmen, es sei ein Vorrecht besonders für die ersten Christen gewesen, dass sie mit dem Apostel Paulus Gemeinschaft haben konnten, als er sie aufforderte: „Freut euch in dem Herrn allezeit! Wiederum will ich sagen: Freut euch!“ (Phil 4,4). In unserer Zeit wird diese Freude von den Kindern Gottes wenig genossen. Es ist daher gut, wenn wir an uns selbst die Frage richten, ob wir in diesem Genuss stehen.
Lasst uns danach trachten, dass in uns und in unseren Brüdern durch die Gnade Christi, unseres gemeinsamen Herrn, das, was wir im Wort lesen, auch verwirklicht wird. Wir finden hier, dass diese neue Beziehung zu Gott mit besonderer Wärme hervorgehoben wird, und zu welchem Zweck? Soll damit nur gesagt werden, dass wir Fremde und Pilger sind wie ein Abraham? Nein. Wir sind zwar solche oder sollten es zumindest sein; aber geht unsere Stellung nicht weit über dieses Maß hinaus? Abraham wurde von den Nationen abgesondert, weil diese aus Götzendienern bestanden. Er und seine Familie wurden berufen, abgesondert für Gott zu wandeln. Deswegen brauchten sie einen starken Schutz. Sie mussten Ihn selbst als ihren Schild haben inmitten von Feinden, die sie hassten, weil sie zu seinem Namen hin abgesondert waren. Hätten sie sich wie die anderen Mitbürger mit ihnen verschwägert, hätten sie gemeinsam an ihrem Streben, an ihren Freundschaften und Kriegen teilgenommen, dann wäre alles in Ordnung gewesen.
Auch heute gilt für uns der gleiche Grundsatz. Die Christen haben durch die Verbindung mit der Welt unermesslich viel verloren. Sie haben sich genau wie die Weltmenschen über die Buren und die Deutschen, über die Japaner und die Russen und über viele Ereignisse in dieser Welt ereifert. Was haben wir mit solchen Geschehnissen zu tun? Wären wir nur Angehörige unserer Nation und sonst nichts weiter, würden und müssten wir uns sehr viel mit all diesen Vorgängen abgeben. Als Menschen im Fleisch hätten wir eine natürliche Verpflichtung dazu, wenn man bei sündigen, schuldigen und verlorenen Menschen überhaupt von Verpflichtungen reden kann. Als Gläubige aber gehören wir nicht mehr uns selbst, sondern wir sind um einen Preis erkauft. Wir sind errettet und zu Gott gebracht, um nicht mehr uns selbst, sondern dem zu leben, der für uns starb und auferstanden ist. Wir sind berufen, Gottes Willen zu tun während der kurzen Zeit, die wir hier auf der Erde inmitten einer bösen Welt verbringen. Folglich haben wir eine weit höhere Beziehung.
Abraham brauchte Schutz, und er hatte ihn in dem gesegneten Namen des „Allmächtigen“. Wie treffend war dieser Name für die Beziehung, in der er und die Seinen zu Gott standen! Seine Feinde hielten sich in seiner Nähe auf und umgaben ihn; so konnte es sehr leicht unter ihnen kundwerden, dass seine Nachkommen die Amoriter und die übrigen Nationen einstmals vertreiben würden. Ohne Zweifel hätte mancher Israelit erzählen können, dass Gott das Land Kanaan den Vätern und ihren Nachkommen auf ewig gegeben habe. Jedenfalls muss die Tatsache, dass Abraham in dieses Land kam und sich dort niederließ, für die Kanaaniter und die übrigen Bewohner des Landes ein Hinweis darauf gewesen sein. Deutete es nicht darauf hin, dass sie das Land würden räumen müssen, und war es nicht eine Warnung vor dem kommenden Gericht? Denkt jemand etwa, dass sie das so gelassen hingenommen haben? Das auserwählte Volk war zwar noch nicht in Sicht, es handelte sich erst um wenige Personen. Doch wurde die Wahrheit in dem Maß spürbar, wie sie zahlreicher und stärker wurden, vor allem nach dem gewaltigen Werk der Erlösung Israels aus Ägypten, wo sie sich trotz aller Anstrengungen des boshaften Königs, alle Männlichen umzubringen, so stark vermehrt hatten.
Dann wurden die Kinder Israel zum Sinai gebracht. Ehe sie dort ankamen, eröffnete Gott ihnen in Verbindung mit ihrer Erlösung aus Ägypten – natürlich war es nur eine äußerliche Erlösung –, dass Er im Begriff stand, sich ihnen unter einem neuen Namen kundzutun. Er gab sich dem Volk Israel gegenüber den Namen des Herrn. Die Bezeichnung „Vater“ hätte nicht der Wahrheit entsprochen, denn dieses große Volk bestand zum größten Teil aus unbekehrten Menschen. Es ging auch gar nicht darum, dass sie durch die Gnade erneuert werden sollten. Sie wurden von Gott als Volk zum Herrschen berufen, und das erforderte nicht unbedingt, dass ein solches Volk göttliches Leben in sich hatte. Die Regierung oder Herrschaft dient dazu, das Böse zurückzuhalten; und so nahm Gott den Namen eines göttlichen Herrschers an. Er war der Gott ihrer Väter, aber nun auch der Herr. Am Sinai nahm Israel als sein Volk es auf sich, als Bedingung für ihre Stellung und den Empfang seiner Segnungen seinem Gesetz zu gehorchen. Gott wusste jedoch genau, dass sie Ihm nicht unterwürfig sein, sondern sich in fortschreitendem Maß gegen Ihn auflehnen würden. Leider trägt die fleischliche Gesinnung nur das Prinzip des Eigenwillens in sich und will sich niemals Gott unterordnen. Sie ist im Gegenteil Feindschaft gegen Gott und widersetzt sich seinem Willen. Daher war es von vornherein gewiss – auch Mose war sich dessen bewusst –, dass sich das Volk völlig verderben würde. Es würde den Herrn verlassen und bereitwillig fremden Göttern dienen und daher aus dem herrlichen Land vertrieben werden. Welch eine ernste Warnung für alle Nationen ist dieses Volk, für das Gott einst die mächtigsten Taten vollbrachte und dem Er so viel Güte, zuwandte, das aber dann nicht nur aufsässig, sondern auch abtrünnig wurde! Daher musste es äußerst streng und für die ganze Welt sichtbar gestraft und unter das Joch seiner schlimmsten Feinde, die Werkzeuge seiner Erniedrigung, dahingegeben werden.
Dies alles geschah, solange der Herr sich mit den Juden entsprechend ihrer Beziehung beschäftigte, bis der Sohn Gottes erschien. Bald folgten weitere Gerichte, und es müssen diesbezüglich noch mehr Voraussagen in Erfüllung gehen. Gottes Sohn erschien als Mensch; das war die einzige Möglichkeit, in Gnade und entsprechend seinem Vorsatz zu erscheinen. Es war auch der Weg, der für Sein Kommen zur Erfüllung der Schrift unbedingt erforderlich war. Indem Er die Gestalt annahm, in der der Mensch fortwährend und in jeder Form das Böse vollbracht hatte, kam Er nicht nur, um Gott in diese Welt einzuführen, sondern auch um die Sünde aus ihr zu entfernen. Das konnte natürlich nicht alles zum gleichen Zeitpunkt geschehen. Unterdessen steigerte sich die Bosheit des Unglaubens unter den Juden soweit, dass sie Jesus als den Messias Jahwes verwarfen, obwohl Er ihnen überwältigende Beweise der Wahrheit seiner Sendung geliefert hatte. Dennoch wollte ihr eingefleischter und rebellischer Eigenwille Ihn nicht annehmen. Sie trugen daher am meisten dazu bei, dass Er an das Kreuz kam. Sogar die heidnischen Römer hatten das nicht gewünscht. Unter den römischen Statthaltern galt Pilatus als hart und streng; doch im Vergleich zu dem Hohenpriester, den Ältesten, Schriftgelehrten und übrigen Juden sticht Pilatus noch vorteilhaft ab. Die Volksmengen, ganz gleich welcher Klasse, waren voller Feindschaft und Trotz gegen ihren eigenen Messias und verblendet durch den fleischlichen Eigenwillen. Das nennen die Menschen dieser Welt den „freien Willen“.
Dabei ist es nur der „freie Wille“ Satans und des Sünders. Welches Recht kann der Mensch überhaupt auf einen freien Willen haben? Ist er nicht als intelligentes Geschöpf gehalten, Gott zu dienen? Folglich ist der Anspruch auf die Ausübung eines freien Willens ganz widersinnig. Ist er nicht als gefallener Mensch ein Sklave Satans? Und ist das nicht der Zustand, in dem du und ich und alle anderen Menschen geboren wurden und lebten, bis Gott es uns schenkte, den Platz des Todesurteils anzunehmen? Dort empfingen wir durch den Glauben neues Leben aus Ihm, der vom Himmel kam. Und Er, der Sohn Gottes und zugleich Sohn des Menschen, machte seine Jünger während seines Erdenwandels mit dem neuen Namen bekannt, den Gott den Gläubigen als seinen Kindern offenbart. Es ist derselbe Name, den der Sohn nicht erst seit jenem Zeitpunkt, sondern schon von Ewigkeit her kannte und liebte – der Name des Vaters. Der Sohn hatte ein göttliches Recht, diesen Namen auszusprechen, und auch wir haben es nun durch die unumschränkte Gnade.
Von solcher Art ist die Frucht der Liebe, die unsere einst finsteren Herzen erreicht hat und auf die an dieser Stelle Bezug genommen wird, nämlich, dass uns nicht nur vergeben wurde und wir gerechtfertigt worden sind, sondern dass wir auch Kinder Gottes heißen sollen. Der zweite Vers von Kapitel 3 (wenn nicht schon der erste), sagt aus, dass wir es jetzt schon sind. Diese Bezeichnung wird nicht erst im Himmel oder bei der Auferstehung Wirklichkeit werden. Es heißt: „jetzt sind wir Kinder Gottes“. Es wurde schon darauf hingewiesen, dass der Apostel den Ausdruck „Sohn“ hier nicht auf uns anwendet, sondern das Wort „Kinder“. Unsere Bibelübersetzer waren hervorragende Gelehrte, doch unsere Herzen verlangen danach, dass das Wort schriftgemäß und in ständiger Abhängigkeit von dem Geist übersetzt wird, der der Verfasser des Wortes ist. Hätten sie es mit irgendeinem anderen Buch zu tun gehabt, würden sie es sicher korrekt übersetzt haben; aber bei der Bibel ließen ihre theologischen Vorurteile sie hin und wieder straucheln. Ihre Fehler scheinen hauptsächlich aus ihrer Denkgewohnheit entstanden zu sein. Es war nicht Mangel an Gelehrsamkeit, sondern der Hang zu traditionellem Denken, der sie zu solchen Missgriffen verleitete. Sie hatten festgestellt, dass andere namhafte Persönlichkeiten vor ihnen schon in bestimmtem Sinn übersetzt hatten, und sie folgten den vorgezeichneten Spuren.
Kann es eine engere Beziehung zu Gott geben als „Kinder Gottes“ zu sein? Der Mensch vermag nicht, aus einer fremden Person, die keine Beziehung zu ihm hat, sein Kind zu machen; Gott kann das, und Er hat es getan. Darin besteht schon jetzt die durch die Gnade geprägte Beziehung von Kindern. Nicht nur Christus nannte Gott seinen Vater; sein Vater ist nun auch unser Vater. Er fügte hinzu, dass „sein Gott“ auch „unser Gott“ ist, nachdem Er das Gericht über unsere Sünden getragen, sie gesühnt hatte und aus den Toten auferstanden war. Es ist doch sehr bedeutungsvoll, dass Christus Ihn normalerweise nicht als Gott, sondern als Vater ansprach. Als Er aus den Toten auferstanden war und das Werk der Erlösung vollbracht hatte, sagte Er jedoch nicht nur „euer Vater“, sondern auch „euer Gott“. Diese Worte werden überaus wichtig durch einen Vergleich mit dem Augenblick, als der Herr ausrief: „Mein Gott, mein Gott!“ In den Tagen seines Fleisches, vor diesem Ausruf, sagte Er immer „Vater“, wenn Er zu Ihm oder über Ihn sprach. Als die Schrecken hinter Ihm lagen, zur Sünde gemacht und daher von Gott verlassen zu sein, nannte Er sogar unmittelbar vor seinem Tod Gott wieder „Vater“, um uns wissen zu lassen, dass alles, was gegen uns sprach, beseitigt war. Denn Er hatte sich, mit unseren Sünden beladen lassen, diesem grenzenlos schweren Gericht ausgeliefert und besaß in seinem Geist nun die Gewissheit, dass es beendet und das Werk der Erlösung angenommen war. So konnte Er in dem letzten Augenblick, ehe der Tod eintrat, „Vater“ ausrufen, weil das Gericht tatsächlich vorüber war. Die Auferstehung lieferte den öffentlichen Beweis dafür, dass Frieden gemacht war; doch ehe Er verschied, sagte Er: „Vater, in deine Hände übergebe ich meinen Geist!“ (Lk 23,46). In Übereinstimmung damit wird uns hier das wunderbare Vorrecht gezeigt, dass der Vater uns das Recht gegeben hat, Kinder Gottes zu heißen; das kennzeichnet uns jetzt. Um es noch deutlicher zu machen, dass es sich wirklich um eine Natur handelt, die Er uns verliehen hat, nicht etwa nur um einen Titel, fügt der Apostel hinzu: „Geliebte, jetzt sind wir Kinder Gottes“. Etwas allgemeiner wurde schon vorher bezeugt, dass jeder, der die Gerechtigkeit tut, wie Er gerecht ist, „aus Gott geboren ist“.
Das ist alles überaus wichtig, um eine feste und sichere Grundlage für unsere Gerechtigkeit zu besitzen, denn um die Gerechtigkeit zu erlangen, ist es überhaupt nicht nötig, dass wir bestimmte Pflichten erfüllen. Das war der Boden, auf dem der Israelit einst stand. Das Gesetz legte ihm bestimmte Verpflichtungen auf, die er einhalten musste, um Leben zu erlangen. Er ist ihnen jedoch niemals nachgekommen. Das Gesetz konnte ihn daher nur verdammen. Der Christ steht hingegen auf einer völlig anderen Grundlage. Das wird dadurch deutlich gemacht, dass wir die Bestätigung empfangen, Kinder Gottes zu sein und Ihn zum Vater zu haben in der gleichen Weise, wie Christus Ihn kannte. Er kannte Ihn als Vater aufgrund seiner eigenen göttlichen Person, wir einzig und allein durch die Gnade. Haben wir nun aber keine Pflichten? Wenn ja, welche sind es? Es sind die Pflichten der Kinder Gottes. Wir sind in eine Beziehung gebracht, die hoch über allen Pflichten steht. Was könnten wir im Vergleich zu der erhabenen Stellung, die wir als Kinder Gottes besitzen, durch die Erfüllung von Pflichten noch zusätzlich zustandebringen? Wir stehen daher stets über unseren Pflichten. Wir sind Gott so nahe gebracht worden, wie es durch keine Pflichterfüllung jemals hätte erreicht werden können. Wir empfingen dieses Recht durch unumschränkte Gnade, als wir im völligen Verderben lagen und Kinder des Zorns waren, wie auch die übrigen; da gab Er uns Leben in seinem Sohn.
Viele müssen die gesegnete Wahrheit erst erkennen, dass unsere Pflichten sich aus der zum Vater bestehenden Beziehung ergeben und nicht erst erfüllt werden müssen, um die Beziehung von Kindern zu erlangen. Unsere Pflichterfüllung bringt uns nicht in diese Beziehung. Vielmehr bestimmt unsere Stellung die Art der uns auferlegten Pflichten, die sich für uns geziemen, und die wir erfüllen sollten. Unsere innige und gesegnete Beziehung zum Vater (und es gibt keine innigere) ist das Ergebnis der Tatsache, dass wir jetzt seine Kinder sind. Sie ist eine feststehende Tatsache, die durch nichts verändert werden kann. Eine Ausnahme wäre lediglich, dass jemand, der ein Christ zu sein bekannte, später erkennen lässt, dass keine Spur göttlichen Lebens in ihm ist, indem er Christus den Rücken zukehrt. Ein solcher Zustand würde im Gericht sogar gegen ihn sprechen.
Was über die Pflicht gesagt wurde, ist selbstverständlich ein allgemeiner Grundsatz und kann leicht im Blick auf unsere natürlichen Pflichten verstanden werden. Die Welt ist stets im Unrecht mit ihren ethischen Vorstellungen, weil sie nie die Pflicht auf eine bestehende Beziehung gründet. Im Gegenteil, sie leitet die Pflicht von der vermeintlichen moralischen Kraft des Menschen ab. Sie setzt voraus, dass der Mensch fähig ist, seine Pflicht zu erfüllen, wenn er es nur will. Somit wäre die Pflichterfüllung eines Menschen nichts weiter, als das, was er zu tun vermag, falls er sich dazu entschließt. Es ist eine traurige Tatsache, dass der Mensch in seinen Pflichten Gott gegenüber völlig versagt; doch daran denken die Philosophen kaum. Der Irrtum in dieser Auffassung zeigt deutlich, dass das ganze System der Ethik ihren Ursprung nicht in göttlicher Offenbarung hat, sondern lediglich ein Produkt des gefallenen Menschen ist. Es enthält weder die Wahrheit Gottes noch zeigt es die wahre Natur des Menschen, so wie Gott ihn sieht.
Zur Erläuterung des Gesagten wollen wir ein Elternpaar betrachten. Worauf gründen sich die Pflichten des Kindes den Eltern gegenüber? Auf die Familienbeziehung. Weil es das Kind seines Vaters ist, soll es ihn, der es zeugte, lieben und Ihm gehorsam sein. Niemand anders kann die Stelle des Vaters einnehmen. Würde das Kind anderen Personen, außer seinem Vater, diese innige Beziehung einräumen oder gar erlauben, den Vater aus dieser Stellung zu verdrängen, dann ist es klar, dass alles durcheinander geraten muss. Nehmen wir auch die Beziehung zwischen zwei Eheleuten als Beispiel; da sind die Verpflichtungen noch offensichtlicher. Es ist die Pflicht des Ehemannes, seine Frau zu lieben und keine andere (wenn sie ihn auch manchmal etwas in Übungen bringen mag). Und es ist die Pflicht der Ehefrau, ihrem Mann gehorsam zu sein, obgleich sie zweifellos manches von ihm ertragen muss.
Diese Pflichten sind gänzlich unabhängig von vorübergehend bestehenden Umständen oder vom Willen des Mannes oder der Frau. Welche Gedanken und Empfindungen sie auch haben mögen, die Verpflichtung, ihre Schuldigkeit zu tun, ergibt sich aus der bestehenden Familienbeziehung. Dieses begründet die Verpflichtung und fordert auch ihre Erfüllung, ob man ihr nun nachkommt oder nicht. Auch in einem Dienstverhältnis ist, wenn auch in abgeschwächter Form, etwas von diesem Grundsatz enthalten. Das wird besonders in unserer Zeit deutlich, wo die Bediensteten mehr und mehr ihrer Herren überdrüssig werden, während ihre Herrschaften dazu neigen, sich leicht von ihnen zu trennen, oft aus geringfügigen Anlässen. In sich selbst ist ein solches Dienstverhältnis natürlich nicht bleibend, sondern vorübergehend, wie wir in Johannes 8 lesen. Doch die vorhin erwähnten Familienbeziehungen bleiben für dieses irdische Leben bestehen und können daher besser als Illustration für die Beziehungen dienen, die die Gnade geknüpft hat und die niemals aufhören. Gottes Wort berechtigt uns völlig dazu, dies im Glauben festzuhalten. Doch während wir noch das Fleisch haben, benötigen wir die Gnade (siehe auch Jakobus 4,6: „Er gibt aber größere Gnade“), um unseren Verpflichtungen Gott gegenüber und zwischen uns Brüdern gemäß unseren Beziehungen nachzukommen. Bereits lockere Beziehungen führen zu entsprechenden Verpflichtungen; doch die allerwichtigsten Pflichten ergeben sich aus den erhabenen und souveränen Rechten Gottes.
Darum wird uns Gott in seiner unvergleichlichen Liebe vorgestellt: „Seht, welch eine Liebe uns der Vater gegeben hat“. Sie übersteigt völlig jegliche Zuneigung, die der Mensch sich ausdenken kann. Gott allein vermag so zu lieben, und Er schenkt uns diese Liebe in Verbindung mit seinem Vaternamen. So hat Ihn der Herr Jesus gekannt; und nachdem Er gestorben und auferstanden war, teilte Er seinen Jüngern diesen Namen mit, der uns nun ebenso wirklich gehört wie Ihm. Dies alles menschliche Denken übersteigende gesegnete Teil, das schon jetzt unser ist, gibt uns den Mut und die Kraft, allen Verpflichtungen nachzukommen, die sich aus dieser Beziehung zum Vater ergeben.
Hat diese Beziehung dann nicht sehr viel mit Gerechtigkeit zu tun? Wenn das so ist, dann kann man sofort erkennen, wie angemessen und schön diese Worte sind, um uns besondere Kraft zur Aufrechterhaltung der Gerechtigkeit zu vermitteln, das heißt uns in Übereinstimmung mit unserer Beziehung zu halten. Wenn irgendwo in der Schrift, dann ist hier diese Familienbeziehung in seiner ganzen Wirklichkeit und gegenwärtigen reichen Gnade zum Ausdruck gebracht. Der Abschnitt führt uns bis zur Ankunft des Herrn, wenn wir Ihn sehen werden, wie Er ist, und Ihm gleich sein werden. So wirft die Stelle ein vollständiges, göttliches Licht auf dieses Thema, das in einer ebenso unerwarteten wie notwendigen Art vorgestellt wird und bestimmt und geeignet ist, die nötige Energie zur Ausübung der praktischen Gerechtigkeit darzureichen. Auch soll sie uns zu einer unerschütterlichen Freude und Kraftquelle in allen Umständen dienen.
Denken wir nur an die Gefahren, die sich daraus ergeben, wenn wir das Bewusstsein unserer Beziehungen preisgegeben und zu zweifeln anfangen, ob wir wirklich Kinder Gottes sind; sind wir dann nicht reif für die Einflüsse der Welt und anfällig für die Sünde? Kein Wunder, wenn wir auf böse Wege geraten, weil wir nicht an der gegenwärtigen, lebendigen, ewigwährenden Beziehung zu Gott festhalten. Halten wir aber daran fest, dann haben wir keine Entschuldigung für die Sünde. Wir besitzen dann als Ansporn das neue Leben, das enge Band zum Vater und seine Liebe, eine Liebe von der machtvollsten Art. Die neue Natur in uns kann entweder in Verbindung mit unserer Beziehung zum Vater betrachtet werden oder getrennt von ihr, damit wir sehen, wie sie aus sich selbst wirkt. Doch der beste und richtige Weg ist, sowohl die neue Natur als auch unsere Kindesbeziehung auf unseren Wandel anzuwenden und einwirken zu lassen. Und das tut unser Apostel hier in seiner eigenen bemerkenswerten Art in den drei Versen, die er zwischen den ersten und den nachfolgenden Versen einfügt, die die Frage der Gerechtigkeit behandeln.
Nachdem er so die Liebe des Vaters, unsere Beziehung zu Ihm als Kinder und die damit in Verbindung stehende herrliche Hoffnung in seine Ausführungen einbezogen hat, wendet er sich erneut der moralischen Seite zu und verfolgt die Sünde bis zu ihren Wurzeln, wie er es bisher noch nicht getan hatte. Er bezeichnet die Sünde nicht als „Gesetzesübertretung“, und zwar aus einem sehr wichtigen Grund. Er behandelt sie in weit umfassenderer Weise als in Verbindung mit dem Gesetz oder mit den Juden. Sie hatten sich in gewissem Maß an die Begriffe von Ungerechtigkeit und Gerechtigkeit gewöhnt, obwohl sie, bedingt durch ihren Unglauben, nicht allzu viel davon verstanden. Sie lasen zwar gewohnheitsmäßig davon in ihrer Heiligen Schrift, dem Alten Testament So konnten sie sich nur über die Tiefe der Worte der Gerechtigkeit wundern, die der Herr aussprach, als Er selbst als das wahre Licht in ihrer Mitte leuchtete.
Was wussten aber die Heiden über Gerechtigkeit? Sie hatte keine bewussten Beziehungen zu Gott. Er war für sie ein unbekannter Gott. Die einzige moralische Empfindung, die sie angesichts ihrer selbstgemachten Gegenstände der Verehrung hatten, war Furcht. Sie hatten nicht die geringste Vorstellung davon, dass Gott ein Gott der Liebe ist. Ihre Götter waren Schutzheilige des Lasters und der Gemeinheit, ihr Wesen wuchs nie über die Selbstsucht hinaus. Sollten sie je zum Menschen auf die Erde herniedersteigen, dann vielleicht zu dem Zweck, diesen oder jenen zu ihrem Günstling zu machen, oder auch zu etwas Verwerflichem, denn sie waren tatsächlich schändlich in ihrer Unmoral. Hat der Hellenismus in religiöser Hinsicht jemals mehr hervorgebracht als verächtliche Götter, die keine Spur von Heiligkeit oder Liebe besaßen? Waren sie nicht alle moralisch böse, von Zeus angefangen bis hinunter zu den niedrigsten Göttern? Die Götter der Heiden spiegelten in vergrößertem Maßstab nur das Wesen ihrer Anbeter wider.
Hier aber haben wir die Wahrheit Gottes, wie sie in unumschränkter Gnade wirkt. Sie vermittelt uns den Segen, den wir nicht im Geringsten verdient haben. Der Christ kann nur anerkennen, dass er auf der Grundlage des ersten Menschen völlig verdorben und böse war, jetzt aber in Christus auf dem Boden der vollkommenen Gerechtigkeit und Gnade steht. Alle Tugenden, die wirksame Kraft und aller Segen kommen von Gott, der an alle, die an Christus glauben, willig austeilt. Wie viel Gutes hat unser Gott und Vater doch dem Gläubigen geschenkt, weil er seinem alten Ich entsagte und alle Hindernisse überwand, um Christus als seinen Herrn und Heiland zu bekennen. Er darf sich der gesegneten Nähe und Innigkeit seiner Beziehung zum Vater erfreuen und ein neues, durch die Gnade mitgeteiltes Leben führen.
Dass der Gläubige als ein aus Gott Geborener gerecht ist und jetzt mit Christus den Hass Gottes gegen die Sünde teilt, ist etwas Großes; denn auf das Einssein mit Ihm folgt nun auch der entsprechende Wandel. Jeder, der die Gerechtigkeit tut, ist aus Gott geboren und weiß, dass er in diese innige Beziehung gebracht Ist, weil er ein Gegenstand der göttlichen, vollkommenen Liebe des Vaters ist. So führen die neue Natur und die Beziehung zum Vater zueinander und vereinigen sich, und das setzt uns der Apostel an dieser Stelle auseinander. Nachdem er diese herrliche Seite vorgestellt und auf die gegenwärtige Wirklichkeit und die Überragende Hoffnung hingewiesen hat, fährt er fort, hervorzuheben, dass die Natur Gottes – sei sie in Christus oder in uns – zwangsläufig unvereinbar mit jeder Sünde ist. „Jeder, der die Sünde tut, tut auch die Gesetzlosigkeit, und die Sünde ist die Gesetzlosigkeit“ (V. 4). Hier steht nicht „der die Sünde begeht“; diesen Ausdruck gebraucht man im Allgemeinen für die einzelne Tat. Man sagt zum Beispiel, jemand habe die und die Sünde oder böse Tat begangen. Doch in dem Ausdruck „Sünde tun“ liegt mehr; er bezeichnet sowohl den bösen Grundsatz im Menschen als auch seine fortwährende Ausübung; denn der natürliche Mensch kann nichts anderes, als die Sünde tun, es ist seine Natur. Von wem spricht der Apostel hier? Von jedem natürlichen Menschen, denn jeder Mensch tut in Gottes Augen nichts anderes als Sündigen. Das betrifft nicht nur die Nationen, sondern auch die Juden. In seinem Licht wird klar, dass es keinen Unterschied zwischen den Menschen gibt, wenn sie sich in Ihrem gegenseitigen Hass und ihrer Verachtung auch noch so sehr anfeinden. Hatte der Mensch irgendeine Ursache sich zu rühmen, ehe Gott sich in Christus völlig offenbarte? Dem Menschen gebührt der Platz als Sünder im Staub.
Jeder Mensch ist also ohne Ausnahme in seinem natürlichen Zustand ein Sünder. War das nicht auch mein und dein Zustand, ehe wir Christus kennenlernten? Gott war uns unbekannt, wir empfanden nur eine gewisse Furcht vor Ihm – die Furcht, dass Er uns eines Tages in die Hölle werfen würde. Wenn unser Sinn aber nicht von Gott erfüllt war, so war er es ganz bestimmt von der Sünde. Was ist denn der wahre Charakter der Sünde? Die Gesetzlosigkeit, das Prinzip des Eigenwillens und der vollkommenen Unabhängigkeit von Gott. Es fällt dem Menschen heutzutage nicht leicht, von seinen Mitmenschen unabhängig zu sein; er hat aber keine Hemmung, sich Gott gegenüber völlig gleichgültig zu verhalten. Welch ein unsinniger, böser und schrecklicher Zustand! Für Gott hat er keinen Gedanken übrig, und das ist Sünde.
Betrachten wir das wirkliche Wesen der Sünde, wie sie hier offenbar gemacht wird, so trifft sie auf jeden Menschen zu, sei er Jude oder aus den Nationen. Der Jude erhob einen Anspruch auf Gerechtigkeit, denn er stand unter dem Gesetz. Das hatte zur Folge, dass er im Fall der Versündigung ein ihm bekanntes Gesetz gebrochen hatte – das Gesetz Gottes – und somit als „Übertreter“ eine zusätzliche Schuld auf sich lud. Der Heide konnte kein Übertreter sein, weil er das Gesetz als eine allgemeinverbindliche Vorschrift nicht kannte. Die meisten Heiden werden kaum jemals etwas von seiner Existenz gewusst haben. Daher würde man den Ausdruck „Übertreter“ auf einen Heiden völlig zu Unrecht anwenden. Die Schrift nennt ihn auch nie so, sondern bezeichnet ihn als „gesetzlos“ oder „Sünder aus den Nationen“ wie zum Beispiel in Galater 2,15.
In Bezug auf den Juden lesen wir aber nun von Gesetzlosigkeit. Wenn er nicht an Christus glaubte, war er bei all seinem Rühmen hinsichtlich des Gesetzes ebenfalls gesetzlos, denn sein Sündigen bewies, dass er tatsächlich ohne Gott lebte. Solange der Tempel bestand, konnte er hinaufgehen und seine Opfer darbringen. Jeder Jude wird das wohl getan haben. Der Mensch – und sei es der schlechteste – bekleidet sich gern mit ein wenig Religion. Kains Liebe galt nicht nur dem Weltsystem, wie es durch ihn seinen Anfang nahm, sondern er hatte auch eine weltliche Religion nach den Vorstellungen des Menschen. Er gehörte keineswegs zu denen, die nicht ihre „Kirche“ oder „Kapelle“ haben. Es war ihm darum zu tun, dem Herrn ein Opfer, jedoch nach seinen eigenen Gedanken, darzubringen. Dieses Opfer stellte aber nichts weiter als eine tatsächliche Beleidigung essen dar, der allein bestimmen kann, auf welche Weise wir Ihn anbeten dürfen. So lag in diesem Opfer Kains auch ein absolutes Übergehen und Ignorieren seiner eigenen Sündhaftigkeit. Er brachte die Früchte und Blumen der Erde dar.
Etwas Ähnliches tun die Leute auch heute bei Begräbnissen. Wie wir wissen, haben Blumen dann ihren „großen Tag“; man findet sie sogar am Grab. Etwas Sinnloseres, als Blumen auf den Sarg zu legen, kann man sich kaum vorstellen, wenn man einmal an die grundsätzliche Seite denkt. Der Ernst des Todes und die Folgen, die sich daraus ergeben, werden dadurch völlig verwischt. Für den Gläubigen bedeutet der Tod nichts anderes, als abzuscheiden, um bei Christus zu sein. Aber was ist er für den Sünder? Nichts anderes als die Totenglocke, die ihm das unumgängliche und gerechte Gericht ankündigt. Was haben dann bei dem einen oder bei dem anderen Begräbnis Blumen zu suchen? Ist es verwunderlich, wenn sogar verständige Menschen dieser Welt ihren Freunden Anzeigen mit dem Vermerk „Blumen unerwünscht“ zuschicken? Jedenfalls kann man sich kaum eine gedankenlosere und törichtere Sitte vorstellen, als den Tod mit Blumenspenden zu verbinden. Den Gärtnern mag dies gefallen; es entspricht dem menschlichen Geschmack und mag das Geschäft fördern, ist aber sonst zu nichts nütze. „Jeder, der die Sünde tut, tut auch die Gesetzlosigkeit, und die Sünde ist die Gesetzlosigkeit“ (V. 4). Sünde ist nicht das Brechen des Gesetzes, sondern Gesetzlosigkeit. Das ist der wahre Sinn dieses Wortes, jede andere Übersetzung ist unzulässig. Wer an Gesetzesübertretung denkt, macht einen großen Fehler, indem er das Gesetz anstelle von Christus zur Richtschnur für das Leben des Christen macht. Manche, die die Schrift nicht richtig verstehen, sind diesen Irrtum verfallen. „Und ihr wisst, dass er offenbart worden ist, damit er unsere Sünden wegnehme; und Sünde ist nicht in ihm“ (V. 5). Mit diesem Vers stellt der Apostel sofort den Gegensatz vor unsere Augen. Wohin sollen wir blicken, um jemand zu finden, der völlig frei von Gesetzlosigkeit ist? Es gibt nur einen, und es ist so offensichtlich, wer es ist, dass es unnötig war, seinen Namen zu nennen. Ja, wir wissen, dass es der Herr Jesus ist, der offenbart wurde, um unsere Sünden wegzunehmen. Das konnte nur eine göttliche Person sein, die zugleich wahrer Mensch war. Er verabscheute in der Tat die Sünde, und es wird auch unmittelbar nach der Erwähnung seines Werkes hinzugefügt: „Sünde ist nicht in ihm.“ Das heißt nicht nur, in Ihm „war“ keine Sünde, also vor seinem Kommen auf die Erde, auch nicht, in Ihm „wird keine Sünde sein“, auf die Zeit nach seiner Auferstehung bezogen; sondern es ist eine absolute Wahrheit, dass in Ihm keine Sünde ist. Zu keiner Zeit war Sünde in Ihm, es konnte keine in Ihm sein. Aber gerade diesen Sündlosen machte Gott zur Sünde, damit wir, die wir wirklich Sünder waren, Gottes Gerechtigkeit würden in Ihm.
Der erste Teil von Vers 5 bezieht sich auf das einzigartige Werk und Ziel seines sühnenden Todes, der andere auf den unveränderlichen und heiligen Charakter seines Lebens, das in dieser Welt so außergewöhnlich zur Darstellung gebracht und erprobt wurde. Es offenbarte sich vor aller Augen; nur Blinde oder solche, die nicht richtig sehen wollten, nahmen es nicht wahr. „Jeder, der in ihm bleibt, sündigt nicht“ (V. 6). Es gibt kein anderes Mittel gegen die Sünde, als ständig abhängig und vertrauensvoll in Ihm zu bleiben. Nicht dadurch, dass man einst den Namen des Herrn angerufen hat, ist man nun gegen die Sünde geschützt oder im Besitz eines Bewahrungsmittels. Das war der erste Schritt, um den Glaubensweg zu beginnen. Viele, die heute „Herr, Herr!“ sagen, wird Er an jenem Tag nicht kennen. In Christus zu bleiben, ist der Prüfstein dafür, ob man wirklich einen lebendigen Glauben an Christus hat, der nicht fruchtleer oder vergeblich ist. Er muss sich in Werken der Liebe erweisen, wie auch den Galatern gesagt wurde, die für das Gesetz eiferten: „Ich bin mit Christus gekreuzigt, und nicht mehr lebe ich [das ist der alte Mensch], sondern Christus lebt in mir; was ich aber jetzt lebe im Fleisch, lebe ich durch Glauben, durch den an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat“ (Gal 2,19.20; vgl. 5,6). Er schämt sich nicht, uns Brüder zu nennen. Er hat seine Liebe zu uns bis zum Äußersten unter Beweis gestellt in einer Weise, die weder auf den Vater noch auf den Heiligen Geist angewendet werden kann, aber die den göttlichen Forderungen entsprach. Weder der Vater noch der Geist kamen jemals im Fleisch, um in einem irdischen Leben den absoluten Gehorsam zur Darstellung zu bringen und dann durch den Tod das göttliche Gericht über unsere Sünden zu erdulden. All das tat aber der Sohn. Darin liegt für uns ein überaus starker Ansporn, insbesondere weil Er uns seine gerechte Natur mitgeteilt und uns in eine so innige Beziehung zu Gott gebracht hat, wie sie nur die alles übersteigende Liebe des Vaters erdenken und verleihen konnte.
Wir kommen nun zu den bisher nicht behandelten Versen. „Kinder, dass euch niemand verführe!“ (V. 7). Gibt es ein Thema, das häufiger missverstanden wird? Bei kaum einem anderen neigen die Menschen mehr dazu, nicht nur selbst zu irren, sondern auch andere, die sich auf das Wort stützen, irrezuführen. Vor der Verführung schützt nur, in Christus und seinem Wort und unter der Leitung seines Geistes zu bleiben. Was kann jemandem die Gelehrsamkeit dabei nützen? Sogar Gottesfurcht kann nicht viel ausrichten, wenn wir nicht auch wirklich in Ihm bleiben. „Außer mir könnt ihr nichts tun“, sagte der Herr einst (Joh 15,5). Wenn wir so in Ihm bleiben, kann uns der Böse nicht schaden, wenn wir auch ständig seinen Listen ausgesetzt sind. Doch seine Absichten sind uns ja nicht unbekannt. Nicht uns fürchtet er, sondern Christus, der ihn besiegt hat.
Unser Glaube und unser Bleiben in Christus stellen Ihn zwischen uns und den Teufel, der dann durch diesen Widerstand gezwungen wird, von uns zu weichen. Unsere alte Natur, das Fleisch, wird durch die Gnade und Wahrheit nicht in eine gute Natur verwandelt. Das Fleisch, die Gesinnung des Fleisches, ist unverbesserlich böse. An diesem Fleisch hat Gott für uns, die wir an Christus als das Opfer für die Sünde glauben, das Gericht vollzogen. Nachdem Er gestorben und auferstanden war, teilte Er uns sein Auferstehungsleben mit. So sind wir jetzt eine neue Schöpfung; die alte wurde nicht verbessert, sondern am Kreuz Christi gerichtet und für immer beseitigt.
Wie ist sein Leben beschaffen? Wurde es durch eine einzige Sünde befleckt, oder wurde Er je im Geringsten verunreinigt? Das aber ist das Leben, das wir nun besitzen, und daher ruhen das Wohlgefallen und die Liebe des Vaters auf uns als seinen Kindern – den Kindern Gottes, des Vaters. Wir haben somit zunächst die neue gerechte Natur erhalten und sind dadurch befähigt, nun die Gerechtigkeit zu tun. Diese Natur kann nur die Gerechtigkeit tun; alle Ungerechtigkeit ist ihr zuwider.
Das Gesetz richtete sich an den Israeliten als einen Menschen mit einer sündigen Natur. Es setzte bei ihm die sündigen Triebe voraus; daher musste er nach jeder Seite von Verboten umgeben werden. Er sollte weder falsche Götter anerkennen noch sich ein Bildnis von dem wahren Gott machen. Sein Gottesdienst galt ausschließlich dem unsichtbaren, jedoch allein wahren Gott, der Israel aus Ägypten herausführte und dessen Name nicht missbraucht werden durfte. Der Israelit durfte sich nicht an dem Eigentum eines anderen vergreifen, auch sogar nicht begehren, was seinem Nächsten gehörte. Er musste den Sabbat am siebten Wochentag halten und seine Eltern ehren. So gab es für alles die strengsten Vorschriften. Warum wohl? Weil er in seiner Natur durch den Widerwillen gegen Gottes Willen ungerecht war. Das Gesetz hielt für ihn Leben und Tod bereit – Leben, wenn er gehorsam war, Tod im Fall des Ungehorsams. Es hieß: „Verflucht sei, wer nicht aufrechterhält die Worte dieses Gesetzes, sie zu tun! Und das ganze Volk sage: Amen!“ (5Mo 27,26). Dementsprechend war das Volk schon seit langem dem Tod verfallen. Doch der Tag wird kommen, an dem auch sie leben werden, und dann werden auch sie Gerechtigkeit tun.
Wer Gerechtigkeit tut und liebt, hat neues Leben in Christus; Gott schenkt es in seiner Gnade, ohne dass wir etwas dazu beitragen könnten. Durch die Wirksamkeit seines Geistes in uns tun wir Buße und glauben an das Evangelium. Mit dem neuen Leben beginnt auch die neue christliche Verantwortung. Wir sind berufen, in Übereinstimmung mit Christus zu wandeln, dessen gerechtes Leben uns geschenkt worden ist. „Wer die Gerechtigkeit tut, ist gerecht, wie er gerecht ist“ (V. 7). Das bewirkt seine Natur in uns, während der gefallene Mensch nichts als sündigen kann.
Nun wird Johannes wesentlich schärfer, indem er auf die Quelle des Verderbens hinweist: „Wer die Sünde tut, ist aus dem Teufel“ (V. 8a). Er hatte die Quelle des Segens gezeigt; jetzt blickt er auf die Urquelle der Sünde. Er geht nicht nur auf das zurück, was Adam und Eva taten, sondern was die Schlange ihren Herzen einflößte. Wie gelang es doch dem Teufel seit eh und je, bei jedem Angehörigen des Menschengeschlechts zu der ersten Sünde immer wieder neue Ungerechtigkeit hinzuzufügen! Hier wird es klar gesagt, dass jeder, der die Sünde tut, aus dem Teufel ist. Er ist der Anführer, dem die Menschen willig Folge leisten. Der Mensch mag sich seiner Vorfahren rühmen. Doch da ist ein anderer, Satan, der zwar nicht buchstäblich sein Vater ist, den der gefallene Mensch aber praktisch zu seinem Gott gemacht hat. So nennt ihn auch die Schrift den „Gott dieses Zeitlaufs“ und den „Fürst dieser Welt“.
Wie wahr ist es doch, dass jeder, der die Sünde tut, aus dem Teufel ist! Das ist keine unbedachte, menschliche Behauptung, sondern es ist die Wahrheit Gottes. Wer die Sünde tut, ist nicht nur ein Sünder, sondern ist „aus dem Teufel“. „Denn der Teufel sündigt von Anfang an“, das heißt von der Zeit an, da es ihm nicht mehr genügte, ein Engel Gottes zu sein, sondern er sich in seinem Hochmut gegen Gott auflehnte. Von diesem Augenblick an war er der Teufel. Hier sehen wir übrigens wieder, dass „von Anfang an“ nicht dasselbe bedeutet wie „im Anfang“. Letzteres wird vom „Wort“, von dem Sohn gesagt und bedeutet von Ewigkeit her, ehe die Schöpfung war. In 1. Mose 1,1, weist der Ausdruck „im Anfang“ auf den Beginn des Handelns Gottes hin, jedoch nicht etwa auf einen Anfang seiner Existenz hin. „Von Anfang an“ bedeutet überall, wo es vorkommt, von der Zeit an, als die Person, von der jeweils die Rede ist, sich offenbar machte. Bezüglich Christus heißt „von Anfang an“ seit dem Augenblick, als Er sich offenbarte. Beim Teufel ist „von Anfang an“ nicht die Zeit, als er sein Dasein als Engel begann, sondern der Augenblick, als seine Überheblichkeit Gott gegenüber und damit dann seine Bosheit in Erscheinung trat, die auch bei den Menschen das Resultat des Hochmuts ist. „Hierzu ist der Sohn Gottes offenbart worden, damit er die Werke des Teufels vernichte“ (V. 8b). Das scheint nicht genau dasselbe zu sein wie das Wegnehmen unserer Sünden. Es kann aber nicht bezweifelt werden, dass dieses große Ereignis auf denselben Zeitpunkt hinweist. Wir müssen uns daran erinnern, dass der Tod Christi viel mehr bewirkte, als nur unsere Sünden wegzunehmen. Für uns ist dies natürlich das Wichtigste. Man kann auch sagen, dass jedenfalls alles, was die Gnade Gottes für uns bereitet hat, praktisch seinen Anfang in dem Werk hat, das unsere Sünden wegnahm. Aber Er wurde auch der Knecht Gottes und damit sein Genosse im Kampf gegen den Satan, den unaufhörlichen Widersacher Gottes und des Menschen. Christus wurde nicht nur offenbart, um uns mit Gott zu versöhnen, sondern um alles zu vernichten, was Satan in seinem ganzen verruchten Dasein zustandegebracht hat. Und das wird Christus ebenfalls ausführen.
Satans Anteil an Kriegen, Hungersnöten, Erdbeben, Seuchen und so weiter ist riesengroß, wie wir aus dem ersten Teil des Buches Hiob und aus anderen Stellen wissen. Gott behält aber die Oberhand und wendet das Böse, das Satan anrichtet, zum Guten, obwohl Satan rastlos bemüht ist, Unheil zu stiften, denn er trägt dieses Unheil allezeit in sich. Dem steht die nie endende Liebe Gottes gegenüber. Sie wendet alles zum Besten bei denen, die auf Ihn und auf das, was Er über den Herrn Jesus offenbart, hören. „Jeder, der aus Gott geboren ist, tut nicht Sünde“ (V. 9). Die Gerechtigkeit ist sein Leben, das sich in der Praxis und in wahrer Gottesfurcht erweist. Der Gläubige ist durch das neue Leben gekennzeichnet, das nicht sündigt. Versetzen wir uns in die Zeit der Sklaverei und stellen wir uns vor, dass ein Mann von Geburt an ein Sklave war. Eines Tages kommt ein gütiger Mann, tritt ins Mittel und kauft ihn von seinem Besitzer frei. Nach den Gesetzen des Landes ist der Sklave nun sofort ein freier Mann – eine ganz unerwartete Wohltat für ihn. Wenn er nach diesem Ereignis an sich denkt oder von sich spricht, wird er sich wohl immer noch als Sklave sehen? Keineswegs, er denkt sicher nicht im Entferntesten daran. Er war einmal ein Sklave, aber jetzt ist er ein freier Mann. Man mag nun einwenden, dass in dem Gläubigen immer noch der alte Mensch vorhanden ist. Die Antwort darauf lautet, dass Gott den Gläubigen durch den Tod Christi von ihm befreit hat. Diese Illustration enthält somit genügend zutreffende Tatsachen, um ihre Anwendung auf unseren Gegenstand zu rechtfertigen. Geistliche Unterweisungen sind jedoch nicht so leicht zu verstehen und zu empfinden wie menschliche Argumente. „Jeder, der aus Gott geboren ist, tut nicht Sünde“ (V. 9a). Aus Gott geboren zu sein ist der wirkliche Ausgangspunkt – nicht seiner Gedanken in den ewigen Ratschlüssen, sondern – seines praktischen Werkes in dem Gläubigen. Johannes spricht hier nicht von dem anderen, alten Leben, sondern unmissverständlich von jedem, der mit einer Natur geboren worden ist, die niemals sündigt. Unsere Aufgabe ist es, die alte Natur nicht in Erscheinung treten zu lassen, sondern sie unter der Macht des Todes Christi zu halten und alles zu töten, was ihr angehört. Gestärkt durch die Gnade dürfen wir ihr nie erlauben, in Tätigkeit zu treten. Wir mögen straucheln, und das kommt durch unsere Schuld leider vor. Da aber der Geist in uns wohnt, um dem Fleisch zu widerstehen, sind wir stets ohne Entschuldigung, wenn wir so zu Fall kommen. Doch von Anfang an ist die Gerechtigkeit unser Prinzip, und es ist eine gesegnete Tatsache, dass wir sie als unsere neue Natur besitzen. Wir erwarten sie nicht als eine Belohnung, die wie bei dem Israeliten noch in der Zukunft liegt. Durch unumschränkte Gnade ist die Gerechtigkeit bereits unser Teil, nicht nur für uns zur Rechtfertigung, wie der Apostel Paulus es sagt, sondern auch in uns als eine neue Natur, wie wir hier sehen. Da Gott uns diese Segnung gegeben hat, müssen wir auch in Übereinstimmung mit ihr handeln, indem wir dabei auf Gott, ihre Quelle, und auf den Herrn Jesus blicken, durch den wir sie empfangen haben. Dadurch werden wir in Ihm bleiben und auf unserem ganzen Lebensweg viel Frucht zur Verherrlichung des Vaters bringen. „Jeder, der aus Gott geboren ist, tut nicht Sünde, denn sein Same bleibt in ihm“. Gottes Wort sagt hier nicht, dass der aus Gott Geborene nicht Sünde tun sollte, sondern es heißt klar, dass er sie nicht tut. Jedes Geschöpf handelt gemäß seiner Natur, und die neue Natur des Christen ist so beschaffen, dass er nicht sündigen kann. Die neue Natur verurteilt die Sünde, und sie sündigt niemals. Sünde tun bedeutet ein bedauerliches Abweichen von der neuen Natur, indem man der verderbten alten Natur erlaubt, wieder tätig zu werden. Das widerspricht ganz klar dem Willen Gottes, der will, dass die alte Natur im Tod Christi gehalten wird. Sind wir ihr nicht bereits gestorben in dem Augenblick, als wir vom Tod in das Leben übergingen? Gab nicht unsere Taufe Zeugnis davon? Alles Unreine und Tote sollte aus unserem Blickfeld verschwunden, ja, aus unserem Leben vollständig verbannt sein. „Und er kann nicht sündigen, weil er aus Gott geboren ist.“ Es ist klar, dass das neue Leben die Kraft dazu verleiht, nicht zu sündigen, daher kann der Apostel dies so bestimmt sagen. „Hieran sind offenbar die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels. Jeder, der nicht Gerechtigkeit tut, ist nicht aus Gott“. Es gibt jedoch noch einen Prüfstein, ob jemand aus Gott geboren ist, und das ist die Liebe; deshalb fügt der Apostel hinzu: „und wer nicht seinen Bruder liebt“ (V. 10). Wer in seinem Wesen diese Liebe vermissen lässt, der zeigt, dass er niemals die neue Natur empfangen hat, die die Gerechtigkeit liebt und sie auch auslebt. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die außerordentliche Entschiedenheit des Apostels hinweisen, mit der er die Menschen in diese beiden Gruppen einteilt.
Manche ausgezeichneten Christen bestreiten nämlich das Recht der Gläubigen, derartige Beurteilungen vorzunehmen. Sie berufen sich dabei auf das Verbot unseres Herrn in Matthäus 7,1.2: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet; denn mit welchem Urteil ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden, und mit welchem Maß ihr messt, wird euch zugemessen werden.“ In der Anwendung dieser Stelle sind sie jedoch nicht sehr weise. Der Herr tadelt mit diesen Worten überhaupt nicht die geistliche Beurteilung von Personen oder Dingen. Das ist im Gegenteil ein klares und bedeutsames Vorrecht des Gläubigen sowohl zur eigenen Orientierung als auch dazu, anderen eine Hilfe zu sein und sie zu warnen. So stellt auch der Apostel Paulus in 1. Korinther 2,15 fest, dass der geistliche Mensch (im Gegensatz zum natürlichen) alles beurteilt oder einer Prüfung unterzieht, er selbst aber von niemand beurteilt wird. Wovor der Herr seine Jünger warnte, ist die böse Kritiksucht, der Richtgeist, die so oft dazu führen, dass wir andere Personen ohne Grund und in liebloser Weise böser Motive verdächtigen.
Durch den Gedanken, dass wir nicht beurteilen dürften, wer ein Kind Gottes ist, würde die Liebe im Gegenteil unterdrückt werden. Wenn es uns untersagt wäre, die Kinder Gottes als solche zu erkennen, wie könnten wir sie dann lieben? Gerade die nachfolgenden Worte des Herrn an dieser Stelle beweisen, dass wir fähig sind zu urteilen und auch dazu aufgefordert werden. Der Herr hält es nicht nur für wünschenswert, sondern für richtig und notwendig, wenn Er sagt: „Gebt nicht das Heilige den Hunden; werft auch nicht eure Perlen vor die Schweine“ (Mt 7,6). Wenn wir also derart verpflichtet werden, die Unreinen zu erkennen, wie viel mehr ist es dann unser Vorrecht, die Schafe und Lämmer der Herde Gottes ausfindig zu machen und ihnen, soweit es uns möglich ist, liebevoll in ihrer Not beizustehen.
Wir brauchen aber gar nicht über unseren Vers hinauszugehen, um die Wahrheit zu finden, die darin enthalten ist. „Hieran sind die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels offenbar.“ Der Apostel stellt den Unterschied so einfach wie möglich dar. Wie gewöhnlich ist es ihm um eindeutige, klare und praktische Beweise zu tun. Dabei verfolgt er sein Ziel, ohne sich mit der Behandlung von Heuchlern aufzuhalten, die sich eventuell eine Zeit lang der Entdeckung entziehen könnten. Er stellt der Familie Gottes mit allem Ernst das vor, worauf sie achten muss, und was fortwährend von Wichtigkeit und Interesse für alle Kinder Gottes ist. Es ist überhaupt nicht schwer, unter denen, deren Wandel uns bekannt ist, zu einem gesunden Urteil darüber zu kommen, ob sie in der Gerechtigkeit oder in der Ungerechtigkeit wandeln. Es ist natürlich unverantwortlich, ein verborgenes Übel da zu vermuten, wo sich keins offenkundig gezeigt hat. Ebenso wenig wäre es zu rechtfertigen, jemandem ein Verdienst zuzuschreiben, das man sich nur einbildet. Ein gerechtes Urteil bildet sich nur auf einer Grundlage, die kein aufrichtiger und in der Gnade gefestigter Christ anfechten kann, besonders wenn es sich um so allgemeine Fälle handelt.
Das Leben des Weltmenschen ist voller Ungewissheit und hohlem Schein. Der Christ dagegen sollte nicht so wandeln. Aus einer Beziehung zu Gott und zu seinen Brüdern ergeben sich für ihn klare Verpflichtungen, nach denen er handeln muss. Er hat tagtäglich mit Menschen zu tun, die entweder Kinder Gottes oder Kinder des Teufels sind. Die in ihm wirkende göttliche Liebe kann weder der einen noch der anderen Klasse von Menschen gegenüber gleichgültig bleiben. Sie äußert sich jedoch ganz unterschiedlich, je nachdem, ob es sich um Weltmenschen oder um Gläubige handelt. Für den Apostel gab es diesbezüglich keine Hindernisse. Er ermuntert daher den Gläubigen, sowohl für Gott als auch zugunsten der Kinder Gottes tätig zu sein. Er möchte ihn auch davor bewahren, sich aufgrund von unklaren und ungewissen Überlegungen ein vorschnelles Urteil zu bilden. „Hieran sind die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels offenbar.“ Gerechtigkeit und Liebe haben Auswirkungen, die jeder sehen kann. Beide offenbaren sich in den Kindern Gottes. Aber es ist ebenso offenkundig, dass sie in den Kindern des Teufels nicht zu finden sind; bei diesen zeigt sich eher das genaue Gegenteil.
Es ist schmerzlich zu sehen, wie es dazu kommt, dass Gläubige in einen so bedenklichen Fehler verfallen und Schriftstellen verdrehen oder einfach übergehen. Wie oft setzt Gott in seinem Wort als selbstverständlich voraus, dass sogar die einfachsten Gläubigen ihre Brüder erkennen und lieben. Ebenso sollen sie ihre Verpflichtung empfinden, die Sorglosen aus ihrer verhängnisvollen Verblendung herauszuführen und die Verächter und Spötter vor ihrem Schicksal zu warnen. Es liegt an dem Niedergang des christlichen Bekenntnisses, dass über die Pflichten eines Christen heutzutage so verderbliche Ansichten herrschen. Die Welt ist teilweise religiös und verkirchlicht, aber die Kirche ist weit mehr verweltlicht. Daher trägt der gegenwärtige Zustand der Gläubigen den Stempel der Verwirrung. Sie haben sich mit denen vermengt, die keinerlei geistliche Güter besitzen und folglich die Gläubigen, die ungehindert und frei dem Herrn zur Verfügung stehen sollten, in ihre Finsternis hinabziehen. Es wird wohl niemand bezweifeln, dass kein Gläubiger seinen unbekehrten Mitmenschen in die Gemeinschaft mit Gottes Gedanken einzuführen vermag. Ist es nicht völlig gewiss und natürlich, dass bei einem ungleichen Joch der natürliche Mensch den geistlichen durch sein weltliches Übergewicht immer mehr hinunterzieht, bis dieser sich schließlich kaum noch in seinen Gedanken und Wegen von seinem schlechten Vorbild unterscheidet?