Behandelter Abschnitt Heb 10,11-14
So hat er den Willen Gottes erfüllt: „Durch diesen Willen sind wir geheiligt durch das ein für alle Mal geschehene Opfer des Leibes Jesu Christi“ (V. 10). Einst sonderte Gott Israel für sich selbst ab, und zwar nach einer fleischlichen Art, die nichts Geistliches beinhaltete, wenn auch in der Gestalt der Abtötung des Fleisches. Die Christen, ob Juden oder Heiden, wurden und werden durch den ein für alle Mal geopferten Leib abgesondert; und es ist kraft des Willens Gottes durch den geopferten Jesus, dass wir so geheiligt werden. Der Mensch als solcher „war und ist erwiesenermaßen völlig sündig“. Später im Brief werden wir zur praktischen Heiligkeit ermahnt, zu der Heiligkeit, ohne die niemand den Herrn sehen wird (Kap. 12,14). Aber hier handelt es sich um ein göttliches Werk, das im Christen bereits vollbracht ist und dessen Wirkung bestehen bleibt; denn es ist ein für alle Mal, wie das Opfer, das alle anderen übertrifft und niemals wiederholt werden kann. Gott ruht in seiner ganzen Vollständigkeit und Vollkommenheit und heiligt uns dementsprechend als einen festen Dauerzustand. Die Theologie nimmt diese große Wohltat nicht an und bekennt sie auch nicht, ebenso wenig wie die Heiligung jedes Gläubigen durch den Geist in einem neuen Leben, wie es in 1. Petrus 1,2 gegeben wird. Beides ist verschieden von und die große Grundlage für jene Heiligkeit in der Praxis, die fortschreitend sein sollte und auf die der Herr wie hier in Hebräer 12,14 besteht.
Aber es gibt noch mehr, was einen weiteren Gegensatz zum Judentum darstellt.
Und jeder Priester steht täglich da, verrichtet den Dienst und bringt oft dieselben Schlachtopfer dar, die niemals Sünden wegnehmen können. Er aber, nachdem er ein Schlachtopfer für Sünden dargebracht hat, hat sich auf immerdar gesetzt zur Rechten Gottes, fortan wartend, bis seine Feinde hingelegt sind als Schemel seiner Füße. Denn mit einem Opfer hat er auf immerdar die vollkommen gemacht, die geheiligt werden (10,11–14).
Die unermessliche Überlegenheit des Opfers Christi wird hier auf die deutlichste Weise vorgestellt. Der jüdische Priester „steht“ und wird notwendigerweise zu ständiger Dienstbereitschaft von Tag zu Tag aufgerufen und bringt oft dieselben Opfer dar, weil sie von Natur aus unwirksam sind und gewohnheitsmäßig wiederholt werden müssen. Nicht so der Heiland: Sein einziges Opfer für die Sünden ist so wirksam, dass Er auf ewig seinen Platz zur Rechten Gottes einnimmt. „Es ist vollbracht“ (Joh 19,30). Der Wille Gottes ist in diesem Punkt erfüllt. Christus hat sich selbst geopfert, Gott hat es angenommen, der Gläubige ist dadurch vollkommen gesegnet. Es ist ein für alle Mal vollbracht und wird durch sein ununterbrochenes Sitzen zur Rechten Gottes bezeugt, von wo aus Er sich nach und nach erheben wird, um das Gericht zu vollstrecken, wenn Gott Ihn auffordert, seine Feinde zu richten. Dort sitzt Er inzwischen, nachdem Er alles für seine Freunde getan und erlitten hat, die einst seine Feinde waren, jetzt aber an Ihn glauben. Und der Grund, der für sein beständiges Sitzen dort angegeben ist, ist voller Segen für uns: „Denn mit einem Opfer hat er auf immerdar die vollkommen gemacht, die geheiligt werden“ (V. 13).12
Es reicht also nicht aus, dem Christen zu versichern, dass er durch das wirksame Opfer Christi ein für alle Mal geheiligt oder abgesondert worden ist, obwohl dies an sich sicherlich unermesslich ist. Durch dasselbe eine Opfer hat er die Geheiligten in Ewigkeit vollendet. Aber εἰς τὸ διηνεκὲς ist nicht dasselbe wie ἅπαξ oder ἐφάπαξ, wie M. Stuart sagt. „Einmal“ oder „ein für alle Mal“ könnte mit προσενέγκας θυσίαν verbunden worden sein, nicht aber „in Ewigkeit“, das mit ἐκάθισεν, „setzte sich“, einhergehen muss. Dort trifft der Sinn voll und ganz zu; wohingegen durch die oberflächliche Wiedergabe „in Ewigkeit“, gefolgt von einem Komma wie in der Autorisierten Version und der Revised Version, die wahre Kraft verlorengeht, und der Falschheit einer ewig andauernden Messe Vorschub geleistet wird, obwohl dies προσφέρων erfordern würde, um es zu berichtigen. Als Auferstandener und Verherrlichter hat Er die für Gott Auserwählten vollendet. Sowohl die Vervollkommnung hier als auch die Heiligung in Vers 10 sind abgeschlossene Handlungen, deren Wirkung nicht vergeht. Solche, die lehren, dass beides ein laufender Prozess ist, irren sich. Beide sind gesegnete Wirkungen des Opfers Christi, denen nichts zu ihrer Vollendung hinzugefügt werden kann. Dies wird auch nicht, wie manche behaupten, durch die Form „die Geheiligten“ in Vers 14 abgeschwächt; denn dies drückt die Klasse abstrakt aus, keineswegs in Bezug auf die Zeit: Wenn dies der Fall wäre, würde es der Form der Aussage in Vers 10 widersprechen, die die Zeit ausdrückt und erklärt, dass wir uns des festen Ergebnisses erfreuen, dass Gott uns so abgesondert hat. Ein solcher Widerspruch steht nicht im inspirierten Wort und könnte auch nicht darin stehen. Unsere Leiber warten natürlich auf die herrliche Veränderung bei der Wiederkunft Christi. In der Zwischenzeit sind wir selbst, unsere Seelen, durch das Werk, das Christus für uns vollbracht hat, ununterbrochen vollkommen gemacht. Der Vater und der Sohn konnten nicht mehr für unsere Sünden tun, als durch das Opfer Jesu bereits vollbracht und unserem Glauben im geschriebenen Wort offenbart wurde.
Es gibt Wachstum, es sollte Fortschritte geben, und es kann Rückschritte in der Heiligkeit geben; aber das ist hier nicht die Frage, die sich mit der Stellung des Christen durch das Opfer Christi befasst. Und diese lässt keine Abstufungen zu. Sie ist immer vollkommen für jeden Gläubigen. Aber die praktische Heiligkeit ist etwas ganz anderes, sie ist sogar bei den Frommsten unvollkommen und muss fortschreiten. Das ist nicht die Frage und auch nicht die Bedeutung in diesem Zusammenhang.
12 Es ist eigenartig, dass ein Gläubiger nicht sieht, dass τοὺς ἁγιαζομένους hier „die Geheiligten“ als eine von der Zeit losgelöste Klasse sein müssen, denn dieselben Personen werden in Vers 10 als bereits ἡγιασμένοι erklärt. Denn das bedeutet, dass sie jetzt schon geheiligt waren, es war also kein beständiger Prozess. Beides könnte nicht wahr sein, wenn ἁγιαζομένους in seinem zeitlichen Gebrauch verstanden würde. Aber beide sind zweifellos wahr, wenn man die abstrakte Kraft der Gegenwart betrachtet, wie jeder Gelehrte wissen sollte.↩︎