Behandelter Abschnitt Heb 10,1-4
Der große Unterschied zwischen der Haushaltung des Gesetzes und dem Christentum wurde in Hebräer 9 mit den Tatsachen, die den Gegensatz deutlich machen, und vor allem mit seiner Person, seinem Werk und seinem Ort, der das eine abschließt und das andere einführt, erhellend dargelegt. In der ersten Hälfte von Hebräer 10 wird die Wahrheit triumphierend auf das Gewissen angewandt, damit wir die Gegenwart Gottes genießen können, nachdem Christus hingegangen ist.
Denn da das Gesetz einen Schatten der zukünftigen Güter, nicht der Dinge Ebenbild selbst hat, so kann es niemals mit denselben Schlachtopfern, die sie alljährlich ununterbrochen darbringen, die Hinzunahenden vollkommen machen. Denn würde sonst nicht ihre Darbringung aufgehört haben, weil die den Gottesdienst Ausübenden, einmal gereinigt, kein Gewissen von Sünden mehr gehabt hätten? Doch in jenen Opfern ist alljährlich ein Erinnern an die Sünden; denn unmöglich kann Blut von Stieren und Böcken Sünden wegnehmen (10,1–4).
Das Gesetz hatte einen Schatten, und nur einen Schatten der zukünftigen Güter, nicht das Bild selbst. Es gibt sogar einen Gegensatz in dem, was am meisten charakteristisch ist. Das Gesetz brachte nichts zur Vollkommenheit. Das Werk Christi, wie es jetzt bekannt gemacht wird, macht den Gläubigen vollkommen, natürlich nicht in seinem Zustand oder Verhalten, sondern in seiner Stellung vor Gott. Unter dem Gesetz war das nie so. Menschen oder Einzelpersonen erhielten nur eine vorübergehende Erleichterung. Es gab für sie keine Endgültigkeit. Sie mussten immer die gleichen Opfer darbringen: das größte Jahr für Jahr, das kleinere, je nach Bedarf von Tag zu Tag, ohne eine Unterbrechung. Es war nur vorläufig, bestenfalls ein Zeugnis der zukünftigen Güter. Doch nun ist in Christus und seinem Werk das Beste gekommen. Der zweite Mensch ist der letzte Adam. Keiner kann mit Ihm verglichen werden, geschweige denn an seine Stelle treten; und die Wirksamkeit seines Werkes entspricht der Vollkommenheit seiner Person. Die ständige Wiederholung der alten Opfer zeugt von ihrer eigentlichen Unzulänglichkeit. Das Opfer Christi selbst bezeugt seinen ewigen Wert. Früher verlangten erneute Sünden ein erneutes Opfer. Wo aber eine Vergebung der Sünden ist, gibt es nicht mehr ein Opfer die Sünde; und das ist nur der Fall, nachdem Christus einmal geopfert worden ist. Er hat die ewige Erlösung bewirkt: Was das betrifft, so wartet der Gläubige nicht wie Israel auf den Tag seines Erscheinens. Während Er noch in der Höhe ist, wird der Heilige Geist herabgesandt, und wer an das Evangelium glaubt, wird in seinem Gewissen vor Ihm gereinigt und sieht Ihn zur Rechten Gottes sitzen. Es ist nicht nötig, dass Er sich noch einmal opfert; sonst müsste Er oft leiden. Aber das wäre eine Beleidigung für Christus und für Gott, was für den Geist unerträglich ist. Wo der Glaube ist, sieht Gott nicht die Sünden des Gläubigen, sondern das Blut, das sie für immer auslöscht. Es gibt keine Erneuerung, denn der Gläubige ist einmal gereinigt worden und hat kein Gewisses von Sünden mehr.
Aber die Menschen in der Christenheit haben sich so sehr vom Evangelium der Erlösung entfernt und sind zu einem gemischten System, das zur Hälfte aus dem Gesetz und zur Hälfte aus dem Evangelium besteht, so dass wir diese Wahrheit nur noch selten verkündet hören oder dieses Vorrecht genießen. Sogar Gläubige auf beiden Seiten wundern sich darüber. Sie wissen sehr wohl, dass der Geist bei der Erweckung durch das Wort gewirkt und ihre Sünden schwer auf ihr Gewissen gelegt hat; und sie haben in ihrer Seelenverzweiflung zu Gott geschrien und den Herrn angerufen – gewiss nicht vergeblich. Dennoch war ihre Erfahrung sehr ähnlich wie die der früheren Gläubigen, die in jeder neuen Notlage wieder Zuflucht zu seinem Blut suchten. Um es mit der Wahrheit zu sagen: Sie haben immer noch ein Gewissen von Sünden. Sie glauben an Christus, aber sie begreifen nicht die Wirksamkeit seines Werkes. Früher konnte es nicht anders sein, denn es war noch nicht vollbracht. Sogar dem evangelischsten aller Propheten, wie er genannt wird, war es nicht gegeben, mehr zu sagen als: „meine Rettung ist bereit zu kommen, und meine Gerechtigkeit, offenbart zu werden“ (Jes 56,1).
Jetzt, im Evangelium, ist Gottes Rettung gekommen, seine Gerechtigkeit ist offenbart (Röm 1,17); und die Gläubigen empfangen das Ziel ihres Glaubens, die Errettung der Seele; noch nicht der Leiber, doch der Seelen durch ein göttlich vollkommenes Werk, das die vollkommen macht, die Ihm nahen. Wie könnte es anders sein? Gott selbst könnte der Vollkommenheit des Blutes Christi nichts hinzufügen. „Wovon ihr durch das Gesetz Moses nicht gerechtfertigt werden konntet, wird durch diesen jeder Glaubende gerechtfertigt“ (Apg 13,39). Die Gläubigen werden es im Himmel besser erkennen und völlig genießen; aber Gott wird es nie höher für uns einschätzen, als Er es bereits erklärt hat; und der Glaube ruht jetzt auf seinem Wort. Ohne das Blut Christi wäre es eine unbußfertige und verstockte Anmaßung, zu behaupten, kein Gewissen von Sünden mehr zu haben. Aber es ist eine Schande für sein Werk, wenn jemand, der an Ihn glaubt, daran zweifelt, dass Gott Ihn in dem Blut gewaschen sieht, das von jeder Sünde reinigt. Der einzig wahre Anspruch, zu glauben, dass alle Sünden ausgelöscht sind, sollte jemandem versichern, dass alle weg sind.
Wie traurig ist es, dass diejenigen in der Christenheit, die am wenigsten Mitleid mit den armen, schuldigen Juden haben, in ihrem Glauben selbst eher Juden als Christen sind! Sie sollen sich an dieser überaus wichtigen Wahrheit des Evangeliums messen. Treten sie herzu als Anbeter, die einmal gereinigt sind und kein Gewissen von Sünden mehr haben? Ist dies der Grund, auf dem sie privat und öffentlich, in ihren Gebeten und in ihrem Lob leben? Glauben sie, dass ihre Schuld durch das Opfer Christi ganz und für immer getilgt ist? Lies, wie der inspirierende Geist das völlige Versagen der levitischen Opfer aufdeckt: „Doch in jenen Opfern ist alljährlich ein Erinnern an die Sünden“ (V. 3); und der Grund dafür ist nicht weniger offensichtlich: „denn unmöglich kann Blut von Stieren und Böcken Sünden wegnehmen“ (V. 4). Das Werk Christi ist das Eingreifen Gottes, um die Schuld des Gläubigen zu tilgen. Dies hat Er ein für alle Mal getan. Jede falsche Tat, jedes falsche Wort und jede falsche Empfindung verlangt vom Christen Demütigung, wie andere Schriften zeigen; aber keine Schriftstelle schmälert die Wirksamkeit des Opfers Christi für den, der glaubt. Daran zu zweifeln ist eine Sünde, die andere und alle Sünden zur Folge hat, denn sie kann im völligen Verderben enden und beweisen, dass der Zweifler nie aus Gott geboren war.