Aber es gibt noch eine weitere und äußerst notwendige Gabe der Barmherzigkeit, zu der sich Gott im neuen Bund verpflichtet hat. Der Apostel versäumt nicht, auch diese zu erwähnen, wie sie jetzt auf den Gläubigen angewandt wird; obwohl sie für den Israeliten an letzter Stelle steht, während der Christ sie als Ausgangspunkt genießt, wie wir in der Apostelgeschichte sehen können.
Denn ich werde ihren Ungerechtigkeiten gnädig sein, und ihrer Sünden [und ihrer Gesetzlosigkeiten] werde ich nie mehr gedenken (8,12).
Wie anders sind die Bedingungen des ersten Bundes, als Mose zum zweiten Mal auf den Berg stieg und nicht die Herrlichkeit des Herrn, sondern seine Güte vor sich vorüberziehen sah und Ihn ausrufen hörte: „Der Herr ist langsam zum Zorn und groß an Güte, der Ungerechtigkeit und Übertretung vergibt – aber keineswegs hält er für schuldlos den Schuldigen –, der die Ungerechtigkeit der Väter heimsucht an den Kindern an der dritten und an der vierten Generation“ (4Mo 14,18). Nun ist es gerade die Reinigung des Gewissens oder der Schuld, nach der sich die erwachte Seele sehnt und die sie von Gott erbittet; und was das Gesetz nicht tun konnte, das tut Gott im Evangelium in der Kraft Christi, der für uns zur Sünde gemacht wurde. So sprach und handelte unser Herr mit Zachäus, dem Oberzöllner, der in den Augen der Pharisäer so anstößig war. Aber der verworfene Messias, der Sohn des Menschen, ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist. Sein Kommen und sein Sühnungswerk stellen einen unendlichen Reichtum an Barmherzigkeit gegenüber den Schuldigen dar, den Gott im Evangelium dazu benutzt, alle, die glauben, zu reinigen und zu rechtfertigen. „Barmherzig“ bedeutet hier nicht nur Mitleid, sondern „wohlwollend“. Zweifellos sind Ungerechtigkeiten in Gottes Augen abscheulich und seinem Wesen zuwider; so werden sie auch für jemanden wirksam, der wiedergeboren wird. Denn wie das, was aus dem Fleisch geboren ist, Fleisch ist, so ist das, was aus dem Geist geboren ist, Geist, wie unser Herr sagte (Joh 3). Die alte Natur wird nicht neu, sondern bleibt böse und darf nie zugestanden werden. Aber es wird eine neue gegeben, die im Tod und in der Auferstehung des Erlösers nicht nur Erleichterung oder gar Vergebung, sondern Erlösung findet. Hier gehen wir über die Begriffe und Vorstellungen des neuen Bundes hinaus, die nicht weiter reichen als die Barmherzigkeit Gottes in der Vergebung, und Er wird sich der Sünde überhaupt nicht mehr erinnern. Das hat der Christ, aber in einer viel höheren Art und Weise. Denn er hat das Recht, wie wir aus anderen Schriftstellen erfahren, zu wissen, dass er mit Christus der Sünde gestorben ist, wie es auch in seiner Taufe zum Ausdruck kommt; dass er mit Christus auferstanden ist und in Ihm in himmlischen Örtern sitzt. Aber da dieser überragende Aspekt der gegenwärtigen Segnung des Gläubigen nicht im Entferntesten in den Verheißungen des neuen Bundes enthalten ist, erscheint er auch nirgends im Hebräerbrief. Und das mit Recht; denn der Heilige Geist bezieht sich darin auf die Kraft des Alten Testaments, und höchstens das, was darin verborgen war, anstatt zu der völlig unverhüllten Fülle sowohl Christi als Haupt, der Versammlung als seinem Leib und auch unserer individuellen christlichen Stellung vorzudringen.