Behandelter Abschnitt Heb 2,10-15
Sicherlich wird der Tod Christi hier nicht mit dem Gesetz Gottes in Verbindung gebracht. Welchen Segen konnte das Gesetz für die Schuldigen bringen? Für solche kann es weder Segen noch Vergebung bringen, sondern nur Fluch, und das in gerechter Weise (vgl. 5Mo 27; Röm 4,15; 1Kor 15,56; Gal 3,10; 1Tim 1,9). Aber hier ist es Gnade, Gottes Gnade; und durch sie hat Christus den Tod für alle geschmeckt, wenn nicht sogar für „alles“. Vergleiche die Verse davor. Wie viel mehr drückt es die überragende Barmherzigkeit aus, mit herrlichen Folgen für das Universum, ausgehend von seiner persönlichen Herrlichkeit, der sich so herabließ, durch Gottes Gnade zu sterben! Gott konnte nicht anders, als würdige Absichten der Güte zu haben, um den Sieg über die Sünde und das Verderben durch einen solchen Tod zu vollenden. Wo die Sünde den ersten Menschen und sein Geschlecht hinbrachte, stieg der zweite Mensch durch Gottes Gnade hinab. Dadurch hat Er den Tod geschmeckt; und das geschah für alles.
Denn es geziemte ihm, um dessentwillen alle Dinge und durch den alle Dinge sind, indem er viele Söhne zur Herrlichkeit brachte, den Urheber ihrer Errettung durch Leiden vollkommen zu machen. Denn sowohl der, der heiligt, als auch die, die geheiligt werden, sind alle von einem; um welcher Ursache willen er sich nicht schämt, sie Brüder zu nennen, indem er spricht: „Ich will deinen Namen meinen Brüdern kundtun; inmitten der Versammlung will ich dir lobsingen.“Und wiederum: „Ich will mein Vertrauen auf ihn setzen.“ Und wiederum: „Siehe, ich und die Kinder, die Gott mir gegeben hat.“ Weil nun die Kinder Blutes und Fleisches teilhaftig sind, hat auch er in gleicher Weise daran teilgenommen, damit er durch den Tod den zunichtemachte, der die Macht des Todes hat, das ist den Teufel, und alle die befreite, die durch Todesfurcht das ganze Leben hindurch der Knechtschaft unterworfen waren (2,10–15).
Die große Wahrheit, die uns zuerst vor Augen gestellt wird, ist zu Recht die, dass es Gott geziemt, dem, für den und durch den das Universum ist, als Er (nicht alle, sondern) „viele Söhne“ zur Herrlichkeit brachte, den Urheber ihrer Erretter durch Leiden vollkommen zu machen. Wo Sünde ist, da müssen in Gottes gerechter Regierung auch Leiden folgen. Zweifellos gab es in Christus keine Sünde, nicht nur keine begangene Sünde, sondern auch keine in Ihm selbst. Aber Er wurde der verantwortliche Mensch, um die Ehre Gottes wiederherzustellen, die überall von dem Geschöpf oben und unten verletzt worden war. Satan und seine Engel hatten ihren ersten Zustand verlassen. Der Mensch war ungehorsam. Alles war Verderben. Der Sohn des Menschen steigt im Gehorsam hinab und trägt alle Folgen, verherrlicht Gott unendlich, auch was die Sünde betrifft, und erträgt auf dem Weg Leiden in jeder Form und Art, wie es kein anderer könnte, gemäß seiner sittlichen Vollkommenheit und persönlichen Herrlichkeit, bis sich alles im Kreuz erschöpft hat, so dass es der Gerechtigkeit Gottes entsprach, Ihn wie jetzt in Herrlichkeit zu erhöhen. So wurde sein Weg vollendet, damit Er in der Herrlichkeit „viele Söhne“ zur Herrlichkeit bringen würde. Doch dieser Weg führte durch Leiden. So wurde Er vollendet: nicht, dass Er nicht schon immer der Vollkommene gewesen wäre, sondern dass es nur so sein konnte, wenn Gott gerechtfertigt werden und Er selbst der Urheber der Errettung für die vielen Söhne werden sollte, die an dieser himmlischen Herrlichkeit teilhaben sollten. Das Werk ist vollbracht, das Ihm durch die Erlösung ein Anrecht auf „alles“ gibt, wie Er auch die Rechte als Schöpfer hatte. Er starb, indem Er durch das Blut seines Kreuzes Frieden gemacht hat, um alle Dinge zu versöhnen, seien es die Dinge auf der Erde oder die Dinge in den Himmeln. Doch Er entsprach ganz dem gnädigen Plan Gottes, der auch „viele Söhne“ versöhnt haben wollte, damit sie die Herrlichkeit mit Ihm zu teilen, und deshalb nahm Er alle Leiden auf sich, die die notwendige Bedingung waren. Das Gericht hätte die Tür für alle Menschen und Engel, die gesündigt haben, unwiderruflich schließen müssen. Doch wo wäre dann die Gnade geblieben? Die Leiden Christi waren die gerechte Grundlage, viele Söhne in der gleichen Herrlichkeit wie Er sie selbst hat, zu haben, wodurch sie die Herrlichkeit Gottes nicht schmälerten, sondern vergrößerten und ihr eine neue, größere und höhere Form als je zuvor gaben. Wo wäre sonst das Gericht gewesen? Was haben die „Söhne“ verdient? „Denn sowohl der, der heiligt, als auch die, die geheiligt werden, sind alle von einem“ (V. 11). Kein Gedanke widerspricht der Wahrheit mehr, als diese gesegnete Vereinigung der Gläubigen und die Menschwerdung zu verwechseln, als die ganze Menschheit miteinzubeziehen. Unbestritten ist, dass sie ohne die Menschwerdung nicht möglich ist; doch ihre Vereinigung gründet sich auf seinen Tod und zeigt sich in seiner Auferstehung. Die Menschwerdung bedeutet nicht die Vereinigung Christi mit dem ganzen Menschengeschlecht, auch nicht die Vereinigung der Gläubigen mit Ihm, sondern (was für die Erlösung als Grundlage dieser Vereinigung wesentlich war) die Vereinigung der Gottheit mit der Menschheit in dem fleischgewordenen Wort. Anders konnte der sündige Mensch nicht geheiligt werden. Die Menschwerdung war nun der Zustand seiner Person: Gott und Mensch waren fortan untrennbar miteinander verbunden, damit Er einmal für die Sünden leiden konnte, wie Er es am Kreuz sühnend tat; aber als Auferstandener und Verherrlichter wird Er als „vollkommen gemacht“ bezeichnet und als Urheber ewigen Heils für alle, die ihm gehorchen (Heb 5,9).
Christus sondert uns also tatsächlich für Gott ab. Er ist es, der heiligt, und Er und die Geheiligten sind alle von einem. Der Brief erhebt sich nicht zu der Einheit, von der wir in den Briefen an die Epheser und Kolosser oder sogar in 1. Korinther lesen. Er und sie werden hier nicht als eins bezeichnet, sondern „von einem“. Es gibt eine wirksame und gesegnete Verbindung, aber die Einheit des Leibes Christi ist nicht die Wahrheit, die hier behandelt wird, sondern vielmehr die himmlische Berufung, wie wir in Hebräer 3,1 lesen. Man kann sich nichts Dümmeres, Pietätloseres und Kindlicheres vorstellen, als dieses Ziel zu missachten. Kein Brief ist mehr als dieser an die Hebräer geeignet, den Herrn zu verherrlichen oder die erneuerte Zuneigung der Gläubigen wachzurufen. Soweit der Brief nicht jüdisch ist, ist er das letzte Wort, um die langsam lernenden Jünger von irdischen Gedanken und fleischlichen Hoffnungen und weltlicher Religion zu Christus im Himmel zu führen.
Aber es ist falsch, dass Er und die Menschheit „alle von einem“ sind; nur Er und die Geheiligten sind es.4 Und Heiligung ist nicht Vereinigung, sondern Absonderung zu Gott hin. Deshalb spricht unser Herr in Johannes 17 von sich selbst, nicht von der Heiligung anderer, dass Er sich selbst heiligt. Dies tat Er keineswegs im moralischen Sinn (denn Er war immer der Heilige Gottes, und sogar die Dämonen bekannten Ihn so), sondern indem Er sich selbst im Himmel zum Vorbild machte als der verherrlichte Mensch, um uns jetzt durch den vom Himmel herabgesandten Heiligen Geist zu formen und zu gestalten; und dies ausdrücklich in absoluter Trennung von der Welt, von der wir nicht sind, wie Er nicht von ihr ist und nicht war. Es war Gnade gegenüber dem Geschlecht in aller Vollkommenheit. Gott war in Christus, die Welt mit sich selbst versöhnend (2Kor 5,19). Aber die Welt erwies sich als unversöhnlich, obwohl Er sich über die Sünde, den Egoismus und das Elend der Menschen erhob und „ihnen ihre Übertretungen nicht zurechnend“. Aber sie verachteten die Versöhnung und verwarfen sich damit selbst. In seiner Verwerfung am Kreuz machte Gott Ihn zur Sünde – legte die schrecklichen Folgen auf Ihn –, damit der Gläubige in Ihm Gottes Gerechtigkeit würde. So sind sowohl der, der heiligt, als auch die, die geheiligt werde, alle eins. Sie sind eine Einheit, die für Gott abgesondert ist.
Diese Wahrheit, die so oft von einigen bestritten und von anderen untergraben wird, wird durch treffende Zitate aus dem Alten Testament dargelegt, die mit den Worten eingeleitet werden: „um welcher Ursache er sich nicht schämt, sie Brüder zu nennen“ (V. 11b). Wie Gott sich nicht schämte, der Gott der Väter genannt zu werden (Heb 11,16), so schämt sich auch Christus nicht, uns, die Kinder (ich sage nicht Bruder, sondern), Brüder zu nennen. Es ist seine Beziehung, die er nirgends auf den Menschen, wie er ist, ausdehnt, nicht einmal auf seine eigenen Jünger, obwohl sie aus Gott geboren waren, bis Er von den Toten auferstanden ist. Davor war das Äußerste, was Er sagte, ganz und gar undeutlich: „Siehe da, meine Mutter und meine Brüder; denn wer irgend den Willen meines Vaters tut, der in den Himmeln ist, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter“ (Mt 12,49.50). Als Auferstandener sendet Er die neue Botschaft: „Geh aber hin zu meinen Brüdern und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater und meinem Gott und eurem Gott“ (Joh 20,17), gefolgt am Abend desselben Tages von seiner charakteristischen Handlung des Einhauchens mit den Worten: „Empfangt den Heiligen Geist“ (V. 22). Von nun an hatten sie Leben in der Kraft der Auferstehung, Leben in Fülle, wie Er es verheißen hatte.
Doch Psalm 22,23 deutet noch mehr an. Die Zeit für das Lob Gottes in der „großen Versammlung“ durch den Messias und Juda und Ephraim in ihrer zwölfstämmigen Fülle (Apg 26) war noch nicht gekommen (V. 26). Dann werden sich auch alle Enden der Erde an den Herrn erinnern und sich Ihm zuwenden werden, und alle Geschlechter der Nationen vor Ihm anbeten werden. Vers 23 ist deutlich anders und wird jetzt vom Geist angewendet, der den Hebräerbrief inspiriert hat. In der Tat wurde die Wahrheit dieses Verses an jenem Abend deutlich, als Jesus kam (obwohl die Türen aus Furcht vor den Juden verschlossen waren) und inmitten der versammelten Jünger stand und sagte: „Friede euch“, wobei Er ihnen seine Hände und seine Seite zeigte, die Zeichen jenes Todes, in dem Er zum Opfer für die Sünde gemacht wurde. Der Psalm zeigt nicht die Verkündigung des Friedens wie im Evangelium, sondern das gemeinsame Lob der Versammlung, das Jesus selbst in ihrer Mitte anführt. Und wie tief und weit und wahrhaftig nach dem Wohlgefallen Gottes ist das Lob, das Jesus besingt! Wie ungläubig, daran zu zweifeln, dass wir, da Er in der Mitte ist, wo zwei oder drei zu seinem Namen versammelt sind, auf seine Leitung des Lobgesangs zählen dürfen (Mt 18,20)! Mögen wir nicht ungläubig, sondern gläubig sein!
Ist das eine Herabsetzung des Herrn? Es sollte uns in der Gnade stärken, die in Ihm ist, und den Beweis erbringen, wie wahrhaftig der, der heiligt, und die Geheiligten alle von einem sind. Weiter lesen wir: „Und wiederum: ,Ich will mein Vertrauen auf ihn setzen.‘ Und wiederum: ,Siehe, ich und die Kinder, die Gott mir gegeben hat‘“ (V. 13). Die erste dieser Wahrheiten kommt im Alten Testament wiederholt vor, aber es scheint so, dass sie mit einer geeigneten Änderung aus derselben Prophezeiung zitiert wird, aus der die zweite stammt: Jesaja 8,14.18. Der ursprüngliche Abschnitt ist sehr interessant und bietet eine auffallend hilfreiche Anwendung auf die christlichen Hebräer. Denn der Sohn Davids war kurz zuvor als von einer Jungfrau geboren angekündigt worden, jedoch Immanuel genannt (Jes 7) und als ein Kind der Juden angesehen (Jes 8), jedoch als mächtiger Gott, ewiger Vater, Friedefürst, zweifellos der Messias (Jes 9). Vor dem Tag, an dem Er das Volk vermehrt und den Stab des Unterdrückers zerbricht, heißt es: „Und er wird zum Heiligtum sein, aber zum Stein des Anstoßes und zum Fels des Strauchelns den beiden Häusern Israels, zur Schlinge und zum Fallstrick den Bewohnern von Jerusalem. Und viele unter ihnen werden straucheln und fallen und werden zerschmettert und verstrickt und gefangen werden“ (Jes 8,14.15). Es folgen noch weitere bemerkenswerte Worte. „Binde das Zeugnis zu, versiegle das Gesetz unter meinen Jüngern. Und ich will auf den Herrn harren, der sein Angesicht verbirgt vor dem Haus Jakob, und will auf ihn hoffen. Siehe, ich und die Kinder, die der Herr mir gegeben hat, wir sind zu Zeichen und zu Wundern in Israel vor dem Herrn der Heerscharen, der auf dem Berg Zion wohnt“ (Jes 8,16‒18).
Dies hat sich buchstäblich erfüllt. Der Tag wird kommen, an dem sich seine Macht und Herrlichkeit bei der Befreiung Israels zeigen wird. Inzwischen steht nur noch ein Überrest von ihnen in Beziehung zu Ihm; und sie sind geistlich mehr denn je begünstigt. Das Zeugnis ist gebunden, das Gesetz oder die Lehre versiegelt unter seinen Jüngern, für die Er ein Heiligtum ist, während sein Angesicht vor dem Haus Jakob im Allgemeinen verborgen ist. So sind Er und die Kinder, die Ihm vom Herrn gegeben sind, der, der heiligt, und die Geheiligten, Zeichen und Wunder, während Er für beide Häuser Israels ein Stein des Anstoßes ist. Es ist gerade die Stelle dessen, der Mensch wurde, um inzwischen auf den Herrn zu vertrauen, und derjenigen, die Ihm vom Herrn aus den Juden gegeben wurden, was im Prinzip für alle Christen gilt. Er war so wahrhaftig Mensch wie der Herr; und wir, die wir Ihm gegeben sind, ernten den Segen beider Tatsachen, die in seiner Person vereint sind. Der abhängige Mensch war der Herr, der Gott Israels, das Heiligtum des Überrests, als die Nation über den Stolperstein strauchelte.
Hier ist die Schlussfolgerung. „Weil nun die Kinder Blutes und Fleisches teilhaftig sind [κεκοινώνηκεν], hat auch er in gleicher Weise daran teilgenommen, damit er durch den Tod den zunichtemachte, der die Macht des Todes hat, das ist den Teufel, und alle die befreite, die durch Todesfurcht das ganze Leben hindurch der Knechtschaft unterworfen waren“ (V. 14.15).
Der Sohn Gottes wurde Mensch, wie die Kinder Menschen waren, um Satan in seiner letzten Festung, dem Tod, zu begegnen und so durch seinen Tod seine Macht für die einzusetzen, die unter dem Gesetz standen und ihr ganzes Leben lang von der Angst in ihrem Gewissen bedrängt wurden. Es ist klar, dass der Feind hier im Blick ist, wie Gott in Vers 10, und wie die Leiden Christi Gottes heiliges Wesen und seinen Charakter rechtfertigten und seine Liebe wirken ließ, um uns zu retten und zur Herrlichkeit zu bringen, so hat sein Tod die Macht Satans gebrochen und die beunruhigten Gläubigen von der Furcht befreit, die fortan in Frieden leben, denn Er wurde zu ihrer Rechtfertigung auferweckt. Satan ist für den Gläubigen nicht mehr der König des Schreckens. Christus hat den Feind entwaffnet, indem Er sich dem Tod unterwarf, und seine Macht ist für die Seinen für immer vernichtet. Seine Auferstehung hat bewiesen, dass das Siegel des Todes für uns gebrochen ist, denn Er ist für uns gestorben; und unsere Auferstehung wird der Beweis seiner Wahrheit sein, nicht für uns, die wir glauben und in uns selbst das Zeugnis seiner Gnade und Herrlichkeit haben, sondern für alle, die ungläubig sind und Christus und das Evangelium verwerfen.
Hier in den Versen 14 und 15 wird die Tat die Menschwerdung deutlicher als irgendwo sonst in diesem Brief oder vielleicht in irgendeinem anderen dargelegt. Hier sollten also diejenigen, die ihre Theologie auf diese unermessliche und uns am meisten berührende Wahrheit gründen und darüber nachdenken, wer der war, der auf diese Weise Fleisch geworden ist, ihre Schlussfolgerungen mit den offenbarten Gedanken Gottes vergleichen. Der Heilige Geist stellt uns seine wahren Ziele und seinen wahren Plan vor Augen. Es liegt dem Herzen fern, seinen Geltungsbereich einschränken zu wollen. Möge man andere Schriftstellen hinzuziehen und keinen Strahl des himmlischen Lichts dabei ausschließen. Nur möge es die göttliche Wahrheit sein und nicht menschliche Spekulation; denn niemand kennt den Sohn vollkommen als nur der Vater. So liegt es an uns, zu hören und anzubeten.
Offensichtlich sind also „die Kinder“ unmittelbar im Blick, und nicht ein undeutlicher und eitler Gedanke an die gesamte Menschheit. Wie sie Blut und Fleisch zu ihrem gemeinsamen Anteil hatten, so hatte auch Er in gleicher Weise daran teilgenommen. Das ist ein gesegneter Beweis dafür, dass Gottes Wohlgefallen nicht den Engeln gilt, auch wenn sie Ihm nahe und an sich herrlich sind, sondern den Menschen, die zwar schwach, ja durch die Sünde wertlos und elend sind, auf die Er aber sein Auge zum Guten richtet und sein Herz in Barmherzigkeit auf sie richtet, und das um so mehr, als sie von einem mächtigen und unerbittlichen Feind in die Irre geführt und unterdrückt werden. Aber es ist kein unwirksames Zeugnis, das wir hören. Jesus war in Gnaden gekommen, oder, wie es an anderer Stelle heißt: „Jesus, den von Nazareth, wie Gott ihn mit Heiligem Geist und mit Kraft gesalbt hat, der umherging, wohltuend und alle heilend, die von dem Teufel überwältigt waren; denn Gott war mit ihm“ (Apg 10,38). Aber die Menschen wollten nichts von Ihm wissen, auch wenn Er noch so willkommen war; am allerwenigsten sein eigenes Volk. Juden und Heiden verschworen sich, Ihn zu verwerfen, bis hin zum Tod am Kreuz. In diesem Tod brach Gott die Macht des Teufels, vollbrachte die Befreiung der Seinen und legte eine sühnende und ewige Grundlage, um nicht nur den schlimmsten Sünder auf der Erde zu begegnen, sondern durch den Glauben zu retten. Nichts anderes als der Tod Christi konnte den zunichtemachen, der die Macht des Todes hatte; nichts anderes konnte all jene befreien, die aus Furcht vor dem Tod ihr ganzes Leben hindurch der Knechtschaft unterworfen waren.
Die Menschwerdung ist eine gesegnete Wahrheit, aber sie ist nur das Mittel zum Zweck, der hier genannt wird – und wenn sie missbraucht wird, wie es oft der Fall ist, verdunkelt und verschließt sie den Tod, der den Feind besiegt und die Gefangenen befreit, als den wahren Grund der Gerechtigkeit Gottes, weil nur dort die Sünde endgültig und in Gnade gegenüber den Schuldigen gerichtet wurde. Der Unglaube leugnet Gott und seinen Christus ganz und gar: Seine Gottheit und seine Menschwerdung sind für sie nichts, da Gott in keinem ihrer Gedanken vorkommt. Aber in der gefallenen Christenheit wird gewöhnlich darüber gestritten, ob sich die Erlösung auf einen lebendigen Christus auf der Erde bezieht oder auf einen gestorbenen und auferstandenen, in den Himmel erhobenen Christus. Tradition und Humanismus bejahen das Erstere. Die Heilige Schrift allein erklärt die Wahrheit, denn sie allein erklärt die Menschwerdung in vollem Umfang und lässt Raum für die Gerechtigkeit Gottes und die Vernichtung Satans, für das Gericht über die Sünde und die Befreiung des Gläubigen sowie für die Verherrlichung Christi.
4 Es mag gut sein, zu beachten, wie das οἱ ἁγιαζόμενοι hier nicht den ablaufenden Prozess bezeichnet, obwohl der Satz an sich durchaus zu einer solchen Kraft fähig ist. Das Präsens im Griechischen – wie auch in anderen Sprachen – kann den Charakter unabhängig von der Zeit ausdrücken, wie jeder Gelehrte weiß und jeder intelligente Mensch bei der Betrachtung feststellen muss. Dies wird für „die Geheiligten“ hier durch den Vergleich mit Hebräer 10,10.14 gewiss, was nicht gleichzeitig gesagt werden könnte, wenn die Heiligung hier nur als ein Prozess betrachtet würde. Mit anderen Worten, wenn wir nur im Begriff wären, geheiligt zu werden, könnte man nicht auch sagen, dass wir jetzt geheiligt sind (ἡγιασμένοι), als eine eindeutige und dauerhafte Tatsache, und ferner, dass Er ohne Unterbrechung (τετελείωκεν εἰς τὸ διηνεκὲς) τοὺς ἁγαζομὲνους vollendet hat. Es ist nicht wahr, wie Dekan Alford sagte, dass das Perfekt die Absicht Gottes in Bezug auf diese Gegenstände ausdrückt. Es ist im Gegenteil die Gegenwart, das tatsächliche Ergebnis einer vergangenen Handlung.↩︎