Behandelter Abschnitt Heb 1,1-2a
Einleitung
Wegen des Fehlens einer Anrede ist bezweifelt worden, dass es sich um einen Brief handelt. Das Schlusskapitel ist jedoch, mit nicht wenigen ausgeprägten Bestätigungen, ein eindeutiger Beweis dafür, dass es sich um einen echten Brief handelt, wenn auch, wie der Brief an die Gläubigen in Rom, in gewisser Weise auch eine Abhandlung darstellt. Sein Inhalt beweist unzweifelhaft, dass der vorliegende Brief an Juden gerichtet war, die sich zum Namen des Herrn Jesus bekannten. Denn alles wäre wahrhaftig zutreffend, wenn nicht Heiden in dieser Zeit zum Glauben aufgerufen würden. Über alle anderen Bücher des Neuen Testaments hinaus ist er in jedem Punkt der Lehre und sogar der Ermahnung auf die alten Schriften gegründet, die nur dem von früher her auserwählten Volk vertraut waren. Und der gläubige Überrest der Juden als das wahre „Volk“ wird uns in Hebräer 2,17; 4,9 (wie das alte Volk in Heb 5,3; 7,5.11.27); 8,10; 9,7 (9,29‒10,30; 11,25; 13,12) wie auch in 1. Petrus 2,9.10 (2Pet 2,1; Jud 5) auffallend vor Augen gehalten. So ist es auch bei dem Apostel Paulus (Röm 9,25; 10,21; 11,1.2; 15,10 [15,21 Mehrzahl]; 1Kor 10,7; 14,21; 2Kor 6,16). Die einzige Ausnahme ist Titus 2,14, wo „Volk“ moralisch verwendet wird.
Dies verleiht ihm einen Charakter, der sich, wer auch immer der Schreiber sein mag, von allen anderen unterscheidet. Er beruft sich von Anfang bis Ende auf das Alte Testament wie kein anderer Brief. Doch das Gesetz, die Psalmen und die Propheten werden gleichsam mit neuen Sprachen gesprochen. Sie alle geben ein eindeutiges, einheitliches und herrliches Zeugnis, einst irdisch im Buchstaben, jetzt himmlisch im Geist, vom Herrn, der zur Rechten Gottes sitzt, seiner eigentlichen Stellung für den Christen. Den gläubigen Juden dazu zu bringen, Christus dort zu erkennen und zu genießen, wo Er ist, Ihn anzubeten und in diesem Glauben zu wandeln, ist der Hauptzweck des strahlenden, leuchtenden, hochinteressanten und lehrreichen Briefes, der unsere Aufmerksamkeit fordert.
Es handelt sich also eher um die inspirierte Ausübung der Gabe des Lehrers als um den Apostel und Propheten, der absolut neue Offenbarungen verkündet. Es gibt hier keine Formulierung wie „... denn ich will nicht, Brüder, dass euch dieses Geheimnis unbekannt sei“, wie in Römer 11,25. Hier steht kein Wort über seine Apostelschaft, wie in den beiden Korintherbriefen, kein Wort über das Geheimnis Christi, wie bei den Ephesern und Kolossern, und nicht einmal „dieses sagen wir euch im Wort des Herrn“, wie bei den Thessalonichern. Der Schreiber spricht von anderen als solchen, „die es gehört haben“ (Kap. 2,3). Er selbst ist hier ein „Lehrer“ der Israeliten „im Glauben und in der Wahrheit“. Er zitiert und begründet einfach die alten Aussprüche und Begebenheiten; er wendet Prophezeiungen an und erklärt die Vorbilder des Gesetzes, aber selten, wenn überhaupt, enthüllt er die herrlichen Szenen des letzten Tages, wenn Israel unter dem Messias und dem neuen Bund gesegnet sein wird und die Nationen auch in einem Kreis, der zwar einen Mittelpunkt hat, aber nicht so eng ist. Er schreibt in aller Ausführlichkeit von der Erhöhung Christi in die Höhe im Hinblick auf die himmlische Berufung und die, die jetzt schon vor jenem Tag daran teilhaben. In Hebräer 4,9 berührt er die allgemeine Tatsache des „Sabbats“, der dem Volk Gottes bleibt, wenn die Wüste vorüber ist, wenn wir, die wir jetzt glauben, unser „besseres“ Teil in der Höhe haben, allerdings ohne Einzelheiten. Wir können auch Hebräer 12 vergleichen, wo der Kreis der zukünftigen Herrlichkeit, irdisch und himmlisch, als der geordnet wird, zu dem wir durch den Glauben bereits gekommen sind, der aber erst bei der Erscheinung des Herrn feststehen und offenbart wird.
Niemals wird von Christus als dem Haupt gesprochen, und folglich auch nicht von dem einen Leib, in dem die früheren Unterschiede verschwinden, noch von dem neuen Menschen, in dem weder Grieche noch Jude, weder Beschneidung noch Vorhaut, weder Barbar noch Skythe, weder Sklave noch Freier ist, sondern Christus alles und in allem (Kol 3,11). Die größte Annäherung an die Einheit ist, dass „der, der heiligt, als auch die, die geheiligt werden, alle von einem sind“ (2,11). Die Versammlung besteht aus Erstgeborenen, die als eine Ansammlung von Individuen und nicht als der Leib Christi betrachtet werden. Diejenigen, die sie bildeten, waren Erben Gottes und Miterben Christi; aber es wird hier nicht gesagt, dass sie mit dem Herrn als ein Geist verbunden sind und seinem Leib angehören.
Dies mag von einigen so aufgefasst werden, als sei es von einer anderen Hand als der des Paulus. Aber die Schlussfolgerung ist unbegründet. Denn obwohl er allein das Geheimnis „Christus und die Versammlung“ entfaltet, geschieht dies nur in den Briefen an die Epheser und an die Kolosser, im ersten Brief an die Korinther praktisch und in dem an die Römer andeutungsweise. In den übrigen Briefen finden wir „den Leib“ nur in dem an die Hebräer, und zwar ebenso deutlich in der Anordnung des Heiligen Geistes wie in denen, die ihn vollständig enthalten. Unsere individuellen Beziehungen sind nicht weniger wichtig als unsere gemeinschaftlichen. Der göttliche Plan regelt sowohl die eingeführten Themen als auch deren angemessene Behandlung. Jeder Brief oder jedes andere Buch der Heiligen Schrift ist vollkommen für den Zweck geeignet, den Gott im Auge hatte, als er den jeweiligen Schreiber inspirierte. Da der Hauptgegenstand des Hebräerbriefs das Priestertum Christi mit seiner notwendigen Grundlage, den gebührenden Zusätzen und den geeigneten Ergebnissen ist, und da dies für die einzelnen Gläubigen gilt, könnte der eine Leib Christi nicht angemessen in seinen Geltungsbereich fallen, wenn er ein göttlich inspiriertes Werk wäre, sei es von Paulus oder einem anderen. Seine zentrale Lehre ist, dass nicht wir mit ihm als Glieder seines Leibes eins sind, sondern dass Er vor dem Angesicht Gottes für uns erscheint. Da Er in Ewigkeit bleibt und sein Priestertum unwandelbar ist, kann Er die, die durch Ihn Gott nahen, bis ins Letzte erretten, da Er immerdar lebt, um sich für sie zu verwenden. Dieselben Personen bilden den Leib Christi; aber die Beziehungen sind völlig verschieden und nur durch die Fülle Christi vereinbar.
Manche haben sich gefragt, warum Paulus, wenn er der Schreiber ist, seinen Namen nicht am Anfang genannt hat. Diese Besonderheit trifft auf jeden Schriftsteller mindestens ebenso zu. Bei einem, der keinen anderen Brief geschrieben hat, wäre sie sogar noch merkwürdiger. Wenn der große Apostel geschrieben hat, findet sich die Entsprechung im ersten Brief des Johannes, der dort seinen Namen nicht voranstellt, obwohl er sich in den beiden letzteren in einem unverkennbar eigenen Stil „Ältester“ nennt. In der Offenbarung, wo die Unterschiedlichkeit des Themas eine völlig andere Schreibweise als im Evangelium oder in den Briefen erfordert, erscheint sein Name sowohl in der Vorrede als auch im Schluss. Ist es nicht selbstverständlich, dass dies so ist?
Wenn man nun annimmt, dass Paulus den Hebräerbrief geschrieben hat, ist es nicht schwer, wichtige Motive dafür zu finden, dass er nicht seinen eigenen Namen und seine apostolische Autorität, sondern eine solche Behandlung der alttestamentlichen Schriften vorbringt, die allen, die sie vor Gott abwägen, göttliches Licht und eine feste Überzeugung bringen muss. Dass die hebräischen Christen schon in der Frühzeit voreingenommen und streitsüchtig waren, steht außer Frage, wenn man Apostelgeschichte 11; 15 und 21 liest, um nichts anderes zu zitieren. Sie konnten nicht umhin zu spüren, dass die Lehre des Apostels eine Tiefe und Höhe und einen Umfang hatte, die es für solche, die so lange in jüdische Bande gehüllt waren, zu einer Belastung machten, ihm zu folgen. Er war der Apostel der Vorhaut, was für gewöhnliche Gemüter ihrer Prägung eine nicht geringe Prüfung darstellte, wie wir sicher auch von den Aposteln Petrus und Barnabas schließen können, die von Gott persönlich den Heiden gegenüber begünstigt worden waren. Deshalb nähert sich der Schreiber, wenn wir annehmen, dass er Paulus ist, ihnen mit dem größten Feingefühl und Takt, wie es seine brennende Liebe zu seinen Brüdern – in zweifachem Sinn Brüdern, sowohl nach dem Fleisch als auch jetzt nach dem Geist – gebietet. Er wird wie ein Jude, um die Juden zu gewinnen; denen, die unter dem Gesetz sind, wie unter dem Gesetz, obwohl er selbst nicht unter dem Gesetz ist, um die unter dem Gesetz zu gewinnen (1Kor 9). Das Fehlen seines Namens hatte also von Anfang an in seinem Fall eine besondere Berechtigung, die über die jedes anderen Menschen hinausging.
Ein weiterer Grund für das Weglassen des Namens ergibt sich aus der ungewöhnlichen Aufgabe, vor der er stand. Die Kraft des Appells lag darin, dass er von Anfang an und durchgängig mit der Autorität Gottes kam; und für Judenchristen konnte dies auf keine so aussagekräftige Weise geschehen wie auf die hier verwendete. „Nachdem Gott vielfältig und auf vielerlei Weise ehemals zu den Vätern geredet hat in den Propheten, hat er am Ende dieser Tage zu uns geredet im Sohn, den er gesetzt hat zum Erben aller Dinge, durch den er auch die Welten gemacht hat“ (Heb 1,1.2). Wie entmutigend wäre es gewesen, wenn sich der Apostel in diesem Zusammenhang selbst vorgestellt hätte! Selbst wir, die wir zu den Heiden gehören, und die wir zur Versammlung gehören, würden es in beiden Fällen als unpassend empfinden, im einen Fall ästhetisch, im anderen geistlich. Für den hebräischen Christen gab es keine so beeindruckende, willkommene und maßgebliche Methode. Es war das wahre Ende der Kontroverse. Es war unmöglich, sich dem zu entziehen oder zu widersprechen, was in sich selbst den Beweis für Gottes Gedanken trug, die in seinem Wort offenbart wurden – zumindest für einen Gläubigen.
Daher bewegt sich alles auf der Grundlage dessen, was als göttlich bekannt ist; und die Autorität eines lebenden Menschen, wie wahrhaftig von Gott verliehen und von den Gläubigen anerkannt, würde eher als störend empfunden werden, als dass sie angebracht wäre. Deshalb hören wir in Hebräer 2 von dem Wort, das, nachdem es seinen Anfang genommen hatte, indem es „durch den Herrn“ geredet wurde, uns von denen bestätigt wurde, die es hörten, und so bezeugte Gott auch sowohl durch Zeichen und Wunderwerke, als auch durch mancherlei Wunderwerke und Austeilungen des Heiligen Geistes nach seinem eigenen Willen. In ebenso schöner Übereinstimmung wird Jesus in Hebräer 3 sowohl als Apostel als auch als Hoherpriester unseres Bekenntnisses vorgestellt. Es ist daher äußerst oberflächlich, Hebräer 2,3.4 als Beweis gegen die Urheberschaft des Paulus anzuführen. Diejenigen, die vom Herrn auf der Erde zu Aposteln ernannt wurden, sind lediglich die, „die es gehört haben“; und da Saulus damals nur ein Ungläubiger Israels war wie die Masse, reiht er sich gnädigerweise als „zu uns“ unter die übrigen ein. So konnte er, lange nachdem er zum Apostel berufen worden war, bei einer Gelegenheit sagen: „Ich bin ein jüdischer Mann, geboren in Tarsus in Zilizien“ (Apg 22,3), und sogar: „Ich bin ein Pharisäer, ein Sohn von Pharisäern“ (Apg 23,6), und dass er „nach der strengsten Sekte unserer Religion, als Pharisäer, lebte“ (Apg 26,5). Es wäre Selbstgefälligkeit und nicht gnädige Weisheit gewesen, wenn er an dieser Stelle seine Apostelschaft behauptet hätte, da er durch den Willen und die Eingebung Gottes schrieb, aber offensichtlich außerhalb seines speziellen Bereichs der Nationen, wie es in Galater 2,7-9 und anderswo dargelegt ist. Es war eine letzte Warnung an die christlichen Juden; und wer passte in der Liebe nicht weniger als in allem anderen zu ihm als der, der zuvor den Christen in Rom bezeugt hatte, dass er das alte Volk so sehr liebte wie Mose, als er den Herrn bat, ihn aus seinem Buch zu tilgen, wenn er ihnen ihre Sünde nicht vergeben würde? Wie der Apostel der Beschneidung und nicht Paulus eingesetzt worden war, um den Heiden das Reich der Himmel zu öffnen (Apg 10), so setzte der allein weise Gott den Apostel der Vorhaut und nicht Petrus ein, um zum letzten Mal die Hebräerchristen aufzurufen, deren Anhänglichkeit an das alte und irdische System er so lange ertragen hatte, aber nicht mehr ertragen wollte.
Zweifellos gab es nicht wenige, die etwas Besseres gelernt hatten als die Vermischung, die bis dahin in Jerusalem unter den Getauften geherrscht hatte. Aber die Zeit war gekommen, und das geeignetste Werkzeug, das je auf der Erde gegeben wurde, um einen Zustand zu beenden, der für das geistliche Auge nicht normal und für die fleischlichen Menschen gefährlich ist: die, auch wenn sie den Herrn im Grunde lieben, zu Schwankungen neigen und eher geneigt sind, natürliche und erzieherische Neigungen zu beschönigen und zu fördern, als sie nach dem Wort zu beurteilen. Jerusalem war im Begriff, mit dem Tempel, dem Gottesdienst und dem Priestertum zusehends zu verschwinden. Es war von großer Bedeutung, dass die Gläubigen in Israel, bevor der äußere Schlag des Gerichts fiel, lernten, was sie zu langsam begriffen hatten. Jesus ist nicht nur der Erlöser und der Herr, sondern auch der große Hohepriester, der durch die Himmel gegangen ist, und zu diesem Zweck sowohl Sohn Gottes im höchsten Sinn, als auch Gott und der Herr von dem, der Gott und der Herr ist, und somit sowohl göttlich als auch menschlich in einer Person, die zur Rechten Gottes auf seinem Thron sitzt, auf dem kein Geschöpf jemals gesessen hat oder sitzen kann.
Daher beginnt der Brief mit Christus in diesem herrlichen Zustand; und wir wissen, wer es war, der diesen großartigen Anblick zu seiner Bekehrung vom Judentum wie auch von der Sünde sah – wer es ist, der vor allen anderen, sogar vor den inspirierten Menschen, die große Wahrheit eines nicht mehr nach dem Fleisch bekannten, sondern gestorbenen, auferstandenen und im Himmel erhöhten Christus zu erfassen und zu predigen und dauerhaft niederzuschreiben befähigt war; der dementsprechend den Tod auf alles, was Fleisch und sogar religiöses Fleisch verherrlichte, schreibt, damit er und wir Leben, Gerechtigkeit, Weisheit, Heiligung und Erlösung finden, mit einem Wort, alles, was wir, und alles, was Gott will, dass wir in Christus zu seiner Rechten besitzen. Wir sind also himmlisch, wie der Himmlische; und wir haben die Gewissheit der sicheren Bewahrung und des endgültigen Triumphs über jeden Feind; denn wie wir das Bild des Irdischen (Adams) getragen haben, so werden wir auch das Bild des Himmlischen (Christi) tragen (1Kor 15,49).
Dies war der große Dienst des Apostels an der Versammlung, und so wurde er durch den Heiligen Geist befähigt, das Wort Gottes zu vollenden, auch die Lücke, die für die Offenbarung des Geheimnisses gelassen wurde, das von allen Zeiten und Generationen verborgen worden war. Es ist hier zweifellos so umschrieben, wie es wegen des kindlichen Zustands der gläubigen Juden notwendig war, die kaum ahnten, dass ihr Festhalten an den alten Dingen und ihre Vermischung mit den neuen den Fortschritt mehr behinderte als alles andere. Daher ist es das Ziel des Briefes, die Substanz, die Kraft und die Vollkommenheit aller alten Formen in der Wahrheit der Person und des Amtes, des Werkes und der Stellung Christi aufzuzeigen, um so die gläubigen Juden im Glauben, in der Zuneigung, in der Anbetung, im Dienst und in der Hoffnung zum Himmel zu erheben und es ihnen leicht und sie sogar glücklich zu machen, dass der alte Bund vergeht, das aaronitische Priestertum einem besseren Platz macht und die irdischen Opfer ohne Bedeutung sind, ja von größter Gefahr, wenn sie zu Rivalen jenes vollendeten Werkes werden, durch das die Gläubigen geheiligt wurden und werden und in Ewigkeit vollendet sind, so sicher wie Christus sich in Ewigkeit zur Rechten Gottes gesetzt hat.
So ist auch „das Lager“, der einst so bevorzugte Ort des Volkes Gottes, ein Ort, den der christliche Jude verlassen muss. Denn das Blut der Versöhnung ist für uns in das Heiligtum getragen worden, und Er, der es vergossen hat, hat „außerhalb des Tores“ gelitten. Unser Platz ist also jetzt innerhalb des Allerheiligsten vor Gott und außerhalb des Lagers vor den Menschen; denn er ist tatsächlich und soll nur mit Christus in beiden sein. „Da wir nun, Brüder, Freimütigkeit haben zum Eintritt in das Heiligtum durch das Blut Jesu, auf dem neuen und lebendigen Weg, den er uns eingeweiht hat durch den Vorhang hin, das ist sein Fleisch, und einen großen Priester haben über das Haus Gottes, so lasst uns hinzutreten mit wahrhaftigem Herzen, in voller Gewissheit des Glaubens, die Herzen besprengt und so gereinigt vom bösen Gewissen und den Leib gewaschen mit reinem Wasser“ (10,19–22). Vergessen wir aber nicht die andere Seite und die gegenwärtige Aufgabe: „Deshalb lasst uns zu ihm hinausgehen, außerhalb des Lagers, seine Schmach tragend. Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir“ (13,13.14).
Es ist unmöglich, sich etwas vorzustellen, das diesem Brief gleichkommt, sei es in der höchst gewinnenden Annäherung an die Judenchristen, wo sie sich befanden, oder in der nicht weniger bewundernswerten Befreiung vom kultischen Joch durch den Beweis aus Gottes Wort, dass das Christentum allein den wahren und beabsichtigten und vollständigen Sinn all dessen umfasst, was sie in dem Letzeren beinahe vergöttert hatten.
Es sollte niemanden überraschen, dass die Schrift die Urheberschaft des Briefes geklärt hat; und dies nicht durch Menschen, die über den Hinweis auf die Gefangenschaft und die Freilassung in Italien und die Beziehung zu Timotheus nachdenken, sondern durch eine hinreichend bestimmte Aussage des Petrus in seinem zweiten Brief, der, wie wir wissen, an die auserwählten Juden in der Zerstreuung gerichtet ist (vgl. 1Pet 1,1.2; 2Pet 3,1), so wie der Hebräerbrief an die im Land denkt. In beiden Fällen geht es um gläubige Juden. Was kann also deutlicher sein als das Wort des Apostels Petrus? „Wie auch unser geliebter Bruder Paulus nach der ihm gegebenen Weisheit euch geschrieben hat, wie auch in allen Briefen, wenn er in ihnen von diesen Dingen redet“ (2Pet 3,15.16).
Nun ist in diesem Brief wiederholt vom Tag des Herrn die Rede, wobei einige Dinge, wie üblich, besonders für jüdische Gemüter schwer zu verstehen sind, wie in Kapitel 9; 10 und 12. Es ist also sicher, dass sowohl Paulus als auch Petrus an die hebräischen Christen geschrieben haben; und dass in den folgenden Worten ausdrücklich von „Schriften“ die Rede ist. Entweder ist der Hebräerbrief also das, was Paulus an sie geschrieben hat – oder dieser Teil der „Schriften“ ist verloren. Es wurde bereits gezeigt, dass der Geltungsbereich der Wahrheit in erster Linie der des Paulus ist; und die Besonderheit seiner Aufgabe würde in den Augen jedes nachdenklichen Verstandes ohne weiteres eine ausgefeilte Handhabung von Bildern erklären, die für Juden höchst wünschenswert, aber in seinem Schreiben an heidnische Gläubige fehl am Platz ist.
Der Inhalt und der Zusammenhang des Briefes sind klar definiert; er ist von seiner Natur her weniger mit persönlichen Hinweisen gefärbt als die anderen Briefe des Autors. Die persönliche Herrlichkeit des Herrn Jesus ist die Grundlage von allem, Hebräer 1 der Sohn Gottes, Hebräer 2 der Sohn des Menschen. Daraus folgt in Hebräer 3 die Überlegenheit des Apostels und Hohenpriesters des christlichen Bekenntnisses gegenüber Mose und Aaron. Er war der göttliche Baumeister von allem, Sohn über das Haus Gottes, während Mose nur ein dienender Knecht war, wenn auch ein treuer. Und damit wird die Wüste als der Szene eingeführt, in der wir geprüft werden, mit der Verheißung, bei der Wiederkunft Christi in Gottes Ruhe – Herrlichkeit – einzugehen. Daher brauchen wir nicht nur das Wort Gottes, sondern auch einen großen Hohepriester, der mit unseren Schwachheiten mitfühlen kann, wie in Hebräer 4. Das führt in Hebräer 5 zum Gegensatz des Priestertums Christi, des Sohnes Gottes nach der Ordnung Melchisedeks, zu dem des Aaron, der aus der Mitte der Menschen genommen wurde und fähig war, Nachsicht mit den Unwissenden und Irrenden zu üben, da er selbst mit Schwachheit behaftet und verpflichtet war, für die Sünden zu opfern, wie für das Volk, so auch für sich selbst.
Aber hier wendet sich der Apostel, wie es seine Art ist, ab, um das Hindernis durch jüdische Elemente aufzudecken, an denen es noch hartnäckig festhält, die aber unvereinbar sind mit den ewigen und himmlischen Dingen, die unserer Beziehung zu dem großen Hohenpriester entsprechen, der durch die Himmel gegangen und sich auf einen so herrlichen Sitz gesetzt hat. Das Wort vom Anfang Christi, so gut es auch sein mag, ist völlig unzureichend; und der Christ muss weitergehen, um voll zu wachsen (Heb 6); denn wie es an anderer Stelle heißt, sind wir nicht mehr unter dem Gesetz, das dem Menschen im Fleisch angemessen und gegeben war, sondern unter der Gnade, wie es sich von selbst verstehen sollte. Wie könnten wir sonst himmlisch sein, wie es der Himmel ist? Allein die souveräne Gnade, die durch die Gerechtigkeit regiert, macht es möglich. Und daher die Gefahr, von den himmlischen Vorrechten, die jetzt offenbart sind, auf jene Elemente zurückzugreifen, die ans Kreuz genagelt und dem Glauben an das Licht Christi in der Höhe entschwunden sind: eine Gefahr, der niemand so ausgesetzt war wie die Hebräer. Deshalb wünscht er, dass jeder mit Eifer an der vollen Gewissheit der Hoffnung bis zum Ende festhält, da er sowohl Gottes Eid als auch sein Wort mit einem Vorläufer in Christus innerhalb des Vorhangs hat.
Hebräer 7 beweist, wie unermesslich und in jeder Hinsicht das Priestertum Jesu, des Sohnes Gottes, das Priestertum Aarons übertrifft, das mit dem Gesetz verbunden war, das nichts vollkommen machte. Die alten Aussprüche, die darauf vollständig vorbereiten, weisen auch auf einen neuen und besseren Bund hin (Heb 8), vor dem der erste veraltet und bereit ist, zu verschwinden, anstatt jene Unveränderlichkeit zu besitzen, mit der rabbinischer Stolz und Einbildung ihn bekleideten. Und das führt zu der großen Wahrheit des Opfers nach Gottes Gedanken und Willen (Heb 9 und 10), die allein im Blut Christi ihre angemessene Kraft gefunden hat, der sich durch den ewigen Geist Gott ohne Flecken geopfert hat. Deshalb wird auf ihrer Einheit bestanden, da ihre Vollständigkeit dadurch bezeugt wird, dass Er auf ewig zur Rechten Gottes sitzt, das Werk vollendet ist und die Geheiligten durch dieses eine Opfer nicht nur für immer, sondern auch beständig und ohne Unterbrechung vollendet sind. Auch hier wird ernstlich davor gewarnt, wegen der Sünde auf ein solches Opfer zu verzichten, und es wird eingeräumt wird, dass wir Ausharren im Glauben brauchen, bis Jesus kommt.
Darauf folgt (Heb 11) die eindrucksvolle Aufzählung der Würdenträger Gottes, die alle wegen ihres Glaubens bezeugt werden, vor dem Gesetz und während des Gesetzes, gipfelnd in Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, der unendlich viel mehr und anders gelitten hat als alle anderen und jetzt allein in entsprechender Herrlichkeit zur Rechten des Thrones Gottes ist (Heb 12). Und hier wird auf wunderbare Weise gezeigt, dass das Leiden für die Gläubigen aus seiner Liebe als dem Vater unserer Geister und nicht mehr eines Volkes hervorkommt. Wir stehen in seiner Gnade, nicht im Gesetz vom Sinai; und wir kommen im Glauben zu den herrlichen Ergebnissen, die für Himmel und Erde erwartet werden, wie das Reich zeigen wird, wenn Er bei seinem Erscheinen nicht nur die Erde, sondern auch den Himmel erschüttern und erbeben lassen wird.
Bruderliebe, Gastfreundschaft und Barmherzigkeit werden betont, ebenso wie die Heiligkeit der Ehe und die Freiheit von der Geldliebe durch Vertrauen auf den Herrn (Heb 13). Man soll der verstorbenen Führer gedenken, während man den lebenden gehorchen soll. Jesus bleibt derselbe. Der Dienst an der Stiftshütte hat keinen Wert mehr: Alles ist in Ihm, seinem Werk und seinen Ämtern zu finden. „Deshalb lasst uns zu ihm hinausgehen, außerhalb des Lagers, seine Schmach tragend“ (13,13). Das ist das Christentum, wie es hier anhand von göttlich gehandhabten jüdischen Vorbildern und alttestamentlicher Lehre gezeigt wird. Es wird um Gebet für den Schreiber und die, die bei ihm sind, gebeten, während er den Herrn um Frieden für sie bittet und alle ihre Führer und alle Heiligen grüßt.
Kapitel 1
Die einleitenden Worte sind des großen Themas würdig. In Christus allein ist die Vollkommenheit all dessen, worauf Israel stolz war. Jede andere Person und jedes andere Amt, jeder andere Weg oder Gegenstand, der in Gottes lebendigen Aussprüchen geehrt wird, galt vor allem im Blick auf die Vorbereitung des Weges für Ihn. Er ist das einzige umfassende Ziel des Heiligen Geistes, das in der ganzen Schrift, offen oder unverstanden, positiv oder negativ im Gegensatz dazu steht.
Hier wird das, was früher verhältnismäßig dunkel war, ins Licht gestellt; denn Christus ist das wahre Licht. Er ist es, der, einst undeutlich erkannt, nun voll und ganz offenbart wird und so erhellt, was einst dunkel schien, was ohne Ihn in der Tat noch dunkel ist und sein muss. So ist die ganze Schrift zu einem Ganzen zusammengefügt. Es gibt das Alte Testament; es gibt auch das, was man das Neue Testament nennt, auch wenn der Geist es vermeidet, es so zu bezeichnen. Zusammen bilden sie die Bibel, deren Einheit sich auf Christus konzentriert, der einst verheißen wurde, nun gekommen ist und, nachdem Er sein Werk auf der Erde vollbracht hat, zur Rechten Gottes im Himmel erhöht wurde. Es ist vor allem Gott, offenbart im Sohn.
Es wird daher klar sein, warum dieser Brief nicht das Geheimnis Christi enthüllt; denn das würde bedeuten, dass etwas eingeführt würde, was Israel absolut unbekannt war, ja, was damals von Gott nicht offenbart wurde. Die Offenbarung des Geheimnisses setzt die Verwerfung des Volkes Gottes voraus, um einer völlig neuen und anderen Bestimmung Platz zu machen, in der ein Jude als solcher nicht mehr ist als ein Heide; und die Versammlung Gottes wird zum aufnehmenden Ort des Wirkens des Heiligen Geistes unter dem derzeitigen Ausschluss Israels. Die Versammlung in ihrem vollen Charakter bedeutet daher einen Bruch in Gottes Handeln mit seinem alten Volk, nicht nur wegen des Götzendienstes, der die „Zeiten der Nationen“ (Lk 21,24) einleitete, sondern wegen der Verwerfung und des Kreuzes des Messias, seines eingeborenen Sohnes, wodurch die neue und himmlische Bestimmung Gottes in der Versammlung, dem Leib Christi, eingeleitet wurde.
Hier ist es vielmehr die Beständigkeit des göttlichen Zeugnisses, das in Christus seien Höhepunkt findet, der in seinem Blut und Tod die unveränderliche Grundlage für den ewigen Segen gelegt hat und dessen Charakter in seinem eigenen Sitzen als Mensch auf dem Thron der Majestät in den Himmeln den herrlichsten Ausdruck gibt. Aus diesem Grund werden vom ersten bis zum letzten Kapitel des Hebräerbriefs das Gesetz, die Psalmen und die Propheten ausführlicher zitiert als in irgendeinem anderen Teil des Neuen Testaments. Auch die rituellen Dienste, die Gefäße und die heiligen Stätten werden ausführlich behandelt, und die Personen, die der Heilige Geist von Anfang an einsetzen konnte, werden entweder in Einzelheiten oder im Überblick aufgeführt (Heb 11), bis wir zu Christus, der Krone und Fülle von allem, kommen. Damit werden die Einzelheiten übereinstimmen, die wir nun betrachten wollen.
Nachdem Gott vielfältig und auf vielerlei Weise ehemals zu den Vätern geredet hat in den Propheten, hat er am Ende dieser Tage zu uns geredet im Sohn (1,1.2a).
Die Worte, aus denen sich diese große Einleitung zusammensetzt, sind nicht nur von großer Bedeutung, sondern auch von unbestreitbarer Wahrheit. Sie geben kurz und doch deutlich den Charakter der alttestamentlichen Mitteilungen wieder. Es lag nicht in ihrer Natur, vollständig oder endgültig zu sein. Sie waren im Wesentlichen bruchstückhaft. Ohne Zweifel wirkte Gott durch die Propheten „vielfältig und auf vielerlei Weise“.
Keine der beiden Formulierungen der Authorized Version vermittelt die Kraft von πολυμερῶς καὶ πολυτρόπως. Die übliche Übersetzung ist der Genfer Version von 1539 entlehnt. Wiclif hatte darin, nicht getreu der Vulgata, die ersten Worte ganz weggelassen, obwohl er zu Recht „auf vielerlei Weise“ gab. Tyndale und Cranmer vereinen „diversly and many wayes“, wie auch der Rhemish mit einem Zufall in der Reihenfolge. „In time past“ oder „of old“, πάλαι, ist der einzige Ausdruck für die Zeit. Es war derselbe Gott und derselbe Christus; und doch geht es darum, eine gewaltige Veränderung seines Handelns zu beweisen: Gott spricht im Sohn, nachdem Er zu den Vätern durch die Propheten gesprochen hat; auch Christus ist nicht mehr mit der Erde verbunden, sondern in himmlischer Herrlichkeit. Dann redete Er „vielfältig“. Sein Wort war nur bruchstückhaft, vollkommen in seinem Gegenstand, aber keineswegs in der Fülle, die Er zu geben beabsichtigte, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen war. So wie eine Vielzahl von Personen an diesem Werk beteiligt war, so „viele Wege“ oder Methoden der Offenbarung, wie offenes Reden zu Mose, aber auch Visionen und Träume im Allgemeinen. „Und ich habe zu den Propheten geredet, ja, ich habe Gesichte vermehrt und durch die Propheten in Gleichnissen geredet. … Und der Herr führte Israel durch einen Propheten aus Ägypten herauf, und durch einen Propheten wurde es gehütet“ (Hos 12,11.14).
Wie gewaltig ist nun der Fortschritt! Gott, auch wenn Er sich hier nicht in der Höhe und Vertrautheit des Vaters offenbart, „hat er am Ende dieser Tage zu uns geredet im Sohn“ (V. 2). Der Apostel distanziert sich keineswegs von dem auserwählten Volk, obwohl er durchweg darauf achtet zu zeigen, dass nur das Israel Gottes, der wahre gläubige Überrest, einen gültigen Anspruch hat. Aber indem er an die schreibt, die nicht in der Lage waren, das absolut Neue und über dieser Schöpfung Stehende zu erkennen, räumt er allen früheren Offenbarungen volles Gewicht ein, auch wenn sie unvollständig waren und hinter dem zurückblieben, was jetzt gekommen war. „In diesen letzten Jahren“ (wie Tyndale begann, gefolgt von allen protestantischen Engländern) ist eine zu ungenaue Wiedergabe und kann mit den unterschiedlichen Formulierungen in 2. Petrus 3, Judas 18 oder sogar den entfernteren Formulierungen in 1. Timotheus 4 und in 2. Timotheus 3. Noch verwerflicher ist der rheinische Text, der der Vulgata folgt. Wiclif kommt der Sache näher: „am Ende in diesen Tagen“, obwohl er nicht ganz richtig ist. „Am Ende“ oder „am Ende dieser Tage“ ist die wörtliche und wahre Bedeutung, das Ende dieser Tage des Zeitalters unter dem Gesetz, wenn der Messias kommt.
Gott, der in den vergangenen Tagen zu den Vätern sprach, sprach zu uns am Ende dieser Tage im Sohn. Die Auslassung des Artikels hat weder mit der vorangestellten Präposition noch mit der betonten Stellung zu tun, wie viele Gelehrte sagen. Die Absicht ist offensichtlich, denn ἐν τοῖς προφ. würde natürlich ἐν τῳ υἱῳ bedeuten. Doch die Formulierung ist ohne Artikel gebraucht, stellt also nicht die Person als Objekt vor Augen, sondern stellt den Charakter in den Vordergrund. Die Propheten waren, wie Mose, nur Diener; der, in dem Gott am Ende dieser Tage sprach, war der Sohn (vgl. Heb 5,8 usw.). So war die Qualität, so war die Beziehung zu sich selbst bei dem, in dem Er jetzt sprach. Unsere Sprache verträgt das Fehlen des Artikels nicht so gut; aber im Griechischen ist das üblich und zugleich die eindringlichste und genaueste Form, um den Charakter auszudrücken, und das ist genau das, was hier gewollt war. Nicht mehr in den Propheten, auch nicht mehr in Engelsgestalt, wie oft, sondern Er sprach jetzt als Sohn Gottes.
Dies fügt einen neuen Grund hinzu, warum der Name eines Menschen, wie gesegnet oder in welcher Stellung auch immer, unpassend wäre; und wir haben bereits Gründe aufgezeigt, warum der Verfasser es in göttlich gegebener Weisheit und Gnade vorzog, gerade seinen Namen nicht zu nennen, obwohl der Charakter der Wahrheit und die abschließenden Hinweise keinen Zweifel daran lassen sollten, wer er war, ohne jeden äußeren Beleg, ob inspiriert oder nicht. Dies wird durch Kapitel 2,3.4 bestätigt, wo unser Herr selbst vorgestellt wird, der Prophet, der kommen sollte und kam, obwohl Er der Sohn ist. Die Apostel selbst, die Zwölf, waren nur seine Hörer, und Gott begleitete die Bezeugung „sowohl durch Zeichen als durch Wunder und mancherlei Wunderwerke und Austeilungen des Heiligen Geistes nach seinem Willen.“ Wie unpassend wäre es da gewesen, seine eigene Apostelschaft vorzustellen! Der Sohn Gottes, der Christus, hatte sich dazu herabgelassen, der Apostel unseres Bekenntnisses zu sein (Heb 3,1).
Sollte dies die Liebe zu und die Ehrfurcht vor dem Alten Testament schmälern? Im Gegenteil, das Alte Testament bestätigt es und verlangt es sogar, um seine eigene Wahrheit zu besiegeln. Denn Gesetz und Propheten bezeugen übereinstimmend, dass einer kommen würde, ein Prophet wie Mose, nur größer, wie er selbst bezeugt; der in Gottes Namen reden würde, aber so, dass der, der nicht hören würde, die Strafe von Gott tragen musste. Dann sollte von Seiten Gottes ein neuer Bund geschlossen werden, nicht nach dem früheren, als sie aus Ägypten herausgeführt wurden – ein Bund, den sie nicht weniger brachen, als sie ihn vergötterten; sondern ein neuer, der durch Gottes Gnade und Macht gekennzeichnet war, wie der frühere durch die Verantwortung und das völlige Versagen des Menschen.
Dieser Brief beweist, dass der Segensspender gekommen ist, wenn auch noch nicht der ganze Segen, und er beginnt passenderweise mit dem Reden Gottes im Sohn. Sein Schweigen nach Maleachi machte es umso eindrucksvoller, als dieser letzte Bote des Herrn den Kanon des Alten Testaments abschloss. Dann wird die Zeitspanne von vierhundert Jahren, nicht ohne deutliche und vielfältige Vorzeichen, von einem Propheten und mehr als einem Propheten in Johannes dem Täufer beendet, der sich weigerte, mehr als eine „Stimme“ zu sein, und doch jemanden verkündete, der in ihrer Mitte stand, den sie nicht kannten, dessen Schuhriemen er nicht würdig war, zu lösen, das Lamm Gottes, das mit dem Heiligen Geist tauft, „dass dieser der Sohn Gottes ist“ (Joh 1,34).
Mit der gleichen Wahrheit beginnen wir hier. Dass Gott sprach, war nichts Neues, denn Er hatte es vielfältig und auf vielerlei Weisen getan. Jetzt gab es keine Grenze; denn es war im eingeborenen Sohn, voller Gnade und Wahrheit. Es handelte sich also nicht um eine bloße Ansammlung von Offenbarungen Gottes, die zwar göttlich, aber stückweise und den Instrumenten und Umständen angepasst waren; es war Gott, der sich selbst offenbarte. Sein Sohn war der Einzige, der für diesen Zweck geeignet war. Am Anfang des Briefes ist es Gott, der so spricht, als Er auf der Erde war; gegen Ende ist es Er, der vom Himmel her spricht (Heb 12,25). Überall ist es Gott, der sich offenbart und nicht nur Mitteilungen über sich gibt. Dies verleiht daher letztlich jedem Thema, das behandelt wird, die größte Kraft, Eindringlichkeit und Autorität, besonders aber dem Wandel, und es ist das Hauptziel des Briefes, das bekanntzumachen. „Denn wenn das Priestertum geändert wird, so findet notwendigerweise auch eine Änderung des Gesetzes statt“ (Heb 7,12).
Die unermessliche Überlegenheit Christi und damit des Christentums tritt in dieser Hinsicht gleich zu Beginn zutage, und zwar umso deutlicher, als kein Christ die göttliche Inspiration aller alten Aussprüche in Frage stellt. Dennoch empfindet jeder wahre Christ den unterschiedlichen und überragenden Charakter nicht nur der Worte Christi in den Evangelien, sondern auch der apostolischen Schriften und des gesamten Neuen Testaments. Es ist wahrhaftig Christus, der in ihnen allen spricht; es ist Gott, der sich in Ihm als Sohn offenbart, mit einer Vertrautheit, die Ihm allein und in ihrer ganzen Vollkommenheit eigen ist. Und diese Überlegenheit zieht sich durch den ganzen Brief. Er steht über allen Menschen und Engeln. Er ist Gott und der Herr und sitzt als Mensch dort, wo kein Geschöpf sein kann. Er ist der wahre Anführer des Errettung, nicht Josua. Er steht weit über Mose, dem Apostel des jüdischen Bekenntnisses, weit über Aaron, dem levitischen Hohenpriester, und füllt auch das wunderbare Vorbild Melchisedeks mehr als aus. Und das ist kein Wunder, denn Mose und Aaron waren nur Diener in dem Haus, dessen Erbauer Er war, wie überhaupt aller Dinge. Sie wurden alle durch Ihn ins Leben gerufen, und ohne Ihn wurde nichts des geschaffenen Universums ins Leben gerufen (Joh 1,1-3).
Auch sehen wir Jesus nicht nur über allen Personen und Ämtern, sondern Er allein gibt jeder Einrichtung, die Gott in Israel eingesetzt hat, eine vollere und göttlichere Bedeutung. Man denke an den Bund in Hebräer 8 und an das Heiligtum, die Opfer und die Darbringung in Hebräer 9 und 10. Überall ist seine unbestreitbare Überlegenheit nicht weniger offensichtlich, so dass Er im Christentum wenigstens den Weg für ihr Vergehen als Schatten und Zeichen des Stoffes bereitet, der jetzt in seiner ganzen Kostbarkeit für Gott und in seiner ganzen Wirksamkeit für den Gläubigen bestehen bleibt.
Wenn wir auf den Glauben blicken, auf den das Neue Testament in jeder Hinsicht die größte Betonung legt, können andere Frühere seine schön gebrochenen Farben zeigen und tun es auch; aber fern von einer so großen Wolke von Zeugen müssen wir fest auf Jesus schauen, wenn wir den Anfänger und Vollender des Glaubens sehen wollen. Er ist das volle und reine Licht von allem. Deshalb kommen wir im Geist schon jetzt zu einer solchen Ansammlung von Herrlichkeiten (Kap. 12,18–24), die die irdischen und furchteinflößenden Begleiterscheinungen vom Sinai nicht nur in den Schatten stellt, sondern im Gegensatz dazu steht, woher die nationale Auszeichnung Israels als Gottes Volk auf der Grundlage des Gesetzes stammt. Uns ist es gegeben, ein Reich zu empfangen, das nicht erschüttert werden kann, Gnade zu haben, wodurch wir mit Ehrfurcht und Gottesfurcht auf eine wohlgefällige Weise dienen können. Andere, an die wir uns erinnern und die wir in ihrem Glauben nachahmen sollen, gehen dahin; aber eine andere gesegnete Überlegenheit ist, dass Jesus Christus, Gott und Mensch, jetzt verherrlicht, derselbe ist gestern und heute und in Ewigkeit (Kap. 13,8). Und Er bestimmt unseren Platz bei Ihm sowohl vor Gott als auch vor den Menschen: innerhalb des Vorhangs durch sein Blut, außerhalb des Lagers, indem wir seine Schmach tragen. Was Gott zusammengefügt hat, darf der Unglaube und die Selbstsucht des Menschen nicht trennen. Für den Judenchristen hatte dies eine ungeheure Kraft: Verwirklichen wir nun beides und auf unseren Wegen?
Es ist die Stimme Christi durch und durch, ob auf der Erde, um das Ohr des Überrestes zu gewinnen und sie an sich selbst zu binden, an Gott im Sohn; im Himmel, um sich von allen irdischen Elementen des Judentums zu lösen, die für die Ungläubigen ihr Schlimmstes getan hatten, indem sie durch Satans List zu einem Rivalen wurden, ihr Bestes, indem sie seinen Namen buchstabierten, der alles und in allen ist, die glauben. Und hier ist eine weitere Überlegenheit, die wir im Einzelnen nachzeichnen werden, dass das, was Er uns gibt, in jedem Fall als „ewig“ erklärt wird, im Gegensatz zu den vorübergehenden Gütern Israels. Er ist der Urheber des „ewigen Heils“ (Heb 5,9). Er hat eine „ewige Erlösung“ erfunden, und wir erhalten die Verheißung des „ewigen Erbes“ (Heb 9), so wie Er sich selbst durch den „ewigen Geist“ ohne Flecken Gott dargebracht hat und der Bund daher „ewig“ ist (Heb 13).
Die persönliche Herrlichkeit Christi, des Sohnes Gottes, und sein Werk, so groß wie seine Würde, ist für alle von hohem Wert, wenn wir sehen, wie Er Gott offenbart und seine Gnade über alles menschliche Denken hinaus zur Wirkung bringt. Dies würde, wenn überhaupt, die Juden vom Judentum lösen, wenn sie bereit wären, durch die Erkenntnis Gottes zu wachsen. Und wir werden feststellen, dass dies der praktische Kern unseres Briefes ist, von der ersten bis zur letzten Zeile. Keiner war für dieses Werk so geeignet wie Saulus von Tarsus, und keine Zeit war so günstig wie die Zeit, bevor Jerusalem zerstört wurde und der Tempel mit seinem Priestertum und seinen Opfern ein öffentliches Ende fand, da er bereits schon ersetzt war.