Behandelter Abschnitt Titus 2,11-12
Gottes Evangelium ist eine Frohe Botschaft für die höchste irdische Persönlichkeit nicht weniger als für die niedrigste, obwohl es (in der Regel) den Armen als allein allgemein zugänglich gepredigt wird. Kein König, kein Kaiser, der nicht, wenn das Herz geöffnet ist, der Gnade Gottes unendlich viel zu verdanken hat. Doch auch wenn man sich dagegen sträubt, die Botschaft von der Errettung bleibt dennoch bestehen. Wie unaussprechlich tröstlich also für die, die sich in der schmerzhaften und schwierigen Lage der Sklaverei befinden!
Das war es, was so mächtig auf die Zuneigung des gesegneten Apostels wirkte. Deshalb wird er vom Heiligen Geist in der vollen und schönen Erklärung der Botschaft der Gottes Liebe gebraucht:
Denn die Gnade Gottes ist erschienen, heilbringend für alle Menschen, und unterweist uns, damit wir, die Gottlosigkeit und die weltlichen Begierden verleugnend, besonnen und gerecht und gottselig leben in dem jetzigen Zeitlauf (2,11.12).
Man kann sich keine Aussage vorstellen, die dem Sinn dieses Briefes besser entspricht. Denn obwohl es sich um eine Einschaltung handelt (wie eine weitere in Kapitel 3,4–7), sind beide von jener gegenwärtigen lebendigen Wirklichkeit geprägt, auf die der Apostel in seinen maßgebenden Anweisungen an sein eigenes Kind gemäß dem gemeinsamen Glauben ständig eingeht. Es ist nicht so, dass Gottes eigene ewigen Ratschlüsse unberücksichtigt bleiben, ebenso wenig wie die Hoffnung auf die kommende ewige Herrlichkeit; aber das Ziel ist ganz offensichtlich, dass alles auf das Herz für die praktischen Wege unserer Fremdlingschaft auf der Erde zusammenlaufen soll. Wir lesen auch von keinem Mitarbeiter, der so geeignet wäre, dies in Verwaltung auszuführen, wie Titus sowohl in seiner Lehre als auch in seiner Leitung oder Aufsicht.
Als das Gesetz durch Mose gegeben wurde, wurde es „angeordnet durch Engel in der Hand eines Mittlers“ (Gal 3,19). Allerlei Scheidewände versperrten dem Menschen den Weg; Weihrauchwolken und Vorhänge erhoben sich zwischen dem Israeliten und Gott, dessen Offenbarung nur für einen Mann, der das Volk vertrat, den Hohepriester, für einen flüchtigen Augenblick und mit reichlich Blut, innerhalb des Allerheiligsten war. Denn das Gesetz war die Prüfung des bereits gefallenen Menschen, damit die Sünde in ihren wahren Farben erscheinen konnte. Wenn die Sünde da war, wie sie war, konnte das Gesetz nur Zorn bewirken; denn der Ungehorsam nimmt dann die Gestalt eines offenen Verstoßes oder einer Übertretung an. Deshalb wird gesagt, dass das Gesetz daneben (παρεισῆλθεν) ein kam, damit die Übertretung überströmend würde (Röm 5,20). So muss das Gesetz im Ergebnis sicherlich den Sünder verurteilen. Es kann einen Schuldigen weder rechtfertigen noch retten, da es charakteristisch für den Dienst der Verdammnis und des Todes ist. Wie weise und barmherzig, dass ein solches System moralischer Versuche mit seinen zeitlichen Verheißungen und irdischen Urteilen für eine Weile und auf ein einziges Volk beschränkt war!
Das Evangelium ist ganz anders in seiner Natur und Wirkung, wenn es mit dem Herzen aufgenommen wird. Darin ist die heilbringende Gnade Gottes allen Menschen erschienen; denn alle waren in der größten Not, sie waren verloren. Und wir können an anderer Stelle hinzufügen, dass Gottes Gerechtigkeit darin offenbart wird – die Gerechtigkeit des Glaubens, die rechtfertigt, statt zu verdammen (Röm 1,17); denn ihre Wirksamkeit beruht auf dem vollbrachten und sühnenden Werk Christi. Ihr Charakter als Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes ist also „heilbringend“, und zwar nicht für ein einzelnes Volk wie Israel unter dem Gesetz, sondern „für alle Menschen“. Die Gnade Gottes, die sich in Christus und seiner Erlösung offenbart, ist zu kostbar, um begrenzt zu sein; sie ist in sich selbst unendlich, denn Gott ist Liebe, so sicher wie Er Licht ist; und beides ist in Christus und besonders in seinem Sühnungstod völlig zum Ausdruck gekommen,
Gott ist also nicht nur der Gott der Juden, sondern auch der Nationen, der die Beschnittenen nicht durch das Gesetz, sondern durch den Glauben rechtfertigt, die Unbeschnittenen aber durch ihren tatsächlichen Glauben, wie wir in Römer 3 lesen, wenn sie glauben. Ein gekreuzigter Christus zeigt den Menschen, wer der Mensch wirklich ist. Juden und Heiden werden darin gleichermaßen als schuldig und verloren erwiesen. Aber die Liebe Gottes gilt unterschiedslos „für alle“, sie richtet nicht nach dem Gesetz, sondern rettet aus Gnade. Das ist das Evangelium, wie es hier gezeigt wird. Es ist keine bloße Forderung nach Werken, keine Prüfung des Menschen, sondern gründet sich eindeutig auf das Versöhnungswerk Gottes selbst in Christus, der kam und hier war, um seinen Willen zu tun. Es ist daher eine Offenbarung seiner rettenden Güte für den Menschen, zu glauben: „denn jeder, der irgend den Namen des Herrn anruft, wird errettet werden“; denn „mit dem Herzen wird geglaubt zur Gerechtigkeit, mit dem Mund aber wird bekannt zum Heil“ (Röm 10,13.10).
Doch das ist nicht alles. Während seine Gnade allen Menschen das Heil schenkt, wird auch gesagt, dass sie uns unterweist. Der Wechsel von „alle Menschen“ zu „uns“ ist wichtig und sollte nicht übersehen werden. Das eine ist die universale Botschaft Gottes, die angenommen oder nicht angenommen wird. Das andere ist die deutliche Wirkung, wenn Menschen diese Botschaft im Glauben annehmen. Und zu welchem Ziel führt uns die Gnade Gottes weiter? „Und unterweist uns, damit wir, die Gottlosigkeit und die weltlichen Begierden verleugnend, besonnen und gerecht und gottselig leben in dem jetzigen Zeitlauf“ (V. 12). Es gibt keinen gröberen Fehler, der der Lehre des Apostels widerspricht, als den Christen nach dem Glauben an das Evangelium auf das Gesetz als Lebensregel zu verpflichten. Es ist nicht so. Christus allein bleibt nicht nur der Erlöser, sondern der Weg, die Wahrheit und das Leben. In Ihm und durch Ihn ist die Gnade Gottes erschienen, und seine Gnade allein rettet durch den Glauben. Sie unterweist uns aber auch, nachdem wir die Gottlosigkeit und die weltlichen Lüste verleugnet haben, zu einem nüchternen, gerechten und gottseligen Leben in dem jetzigen Zeitlauf. Denn die Buße ist so echt wie der Glaube; die Folge ist, „Gottlosigkeit und weltliche Begierden“ zu hassen und zu verleugnen, denn beides bewirkt das Verderben der Menschen und entehrt Gott. In denen, die durch den Glauben an Christus ein neues und ewiges Leben haben, muss ein neuer Charakter gebildet werden. Alte Gewohnheiten, die sich einst, als wir unser Leben in Bosheit und Neid führten, ungehindert ausbreiteten, müssen wir von vornherein verleugnen.
Aber das Negative reicht Gott, der sich in seinem Sohn offenbart, nicht aus. Seine Gnade, die weit über das Gesetz hinausgeht, belehrt uns, dass wir in Bezug auf uns selbst besonnen, in Bezug auf andere gerecht und in unserer höchsten Beziehung gottselig leben sollen. Denn der gegenwärtige Zeitlauf oder das Zeitalter ist böse. Christus hat sich selbst für unsere Sünden gegeben, „damit er uns herausnehme aus der gegenwärtigen bösen Welt, nach dem Willen unseres Gottes und Vaters“ (Gal 1,4). Da wir uns hier in dieser Welt und in diesem Zeitalter vorerst eine kleine Weile aufhalten, sind wir deshalb umso mehr zur Wachsamkeit aufgerufen, wenn wir seine Stimme hören. Wir erwarten sein Kommen, damit Er uns in der Höhe in das Haus des Vaters einführt und wir Ihn vom Himmel aus zu begleiten, wenn Er erscheint, um sein Reich sichtbar in Macht und Herrlichkeit aufzurichten.