Die Broad-Church5 redet von Heiligkeit, sie mag keine Gerechtigkeit. Diese Voreingenommenheit des Geistes neigte immer dazu, sie aus der Schrift wegzuerklären. So pflegte Grotius zu sagen, dass die Gerechtigkeit Gottes seine Barmherzigkeit bedeutet – eine Idee, die in ihrer Art ebenso schrecklich ist wie der verbreitete Irrtum, dass die Gerechtigkeit Gottes das erfüllte Gesetz bedeutet. Solche leugnen völlig die Stellung des Gläubigen; denn das Gesetz wurde nicht für die Gerechten, sondern für die Gottlosen gegeben. So werden Theologen von einem doppelten Irrtum angesteckt, entweder von dem, die Gerechtigkeit Gottes mit der Gerechtigkeit des Gesetzes zu verwechseln und diese sowohl zum Stand als auch zur Regel des Christen zu machen, oder von dem, alle Gerechtigkeit in irgendeiner Form zu leugnen, indem man sie nur als göttliche Barmherzigkeit ansieht. Beides ist ganz falsch, und ein Irrtum führt zum anderen; wie die Wahrheit zusammenhängt, so auch der Irrtum. „Die Gnade herrsche durch Gerechtigkeit zum ewigen Leben durch Jesus Christus, unseren Herrn“ (Röm 5,21) – „bezeugend, dass dies die wahre Gnade Gottes ist, in der ihr stehen sollt“ (1Pet 5,12).
Verharrt im Gebet und wacht darin mit Danksagung (4,2).
Die Gewohnheit, die ausdauernde Gewohnheit des Gebets, ist von größer Bedeutung. Und wie in Lukas 18, so wird es auch in diesem Kapitel stark betont, obwohl der Apostel keinen so weitreichenden und gründlichen Geist des Flehens erwartet wie in Epheser 6. Der Zustand der Kolosser erlaubte weder eine so tiefe Sehnsucht noch eine so große Zuneigung für alle Gläubigen in den Empfindungen Christi. Gesetzlichkeit, Satzungen, Philosophie, entsprechen dem Geschmack des Geschöpfes und stimmen nicht mit dem wahren erkannten Gott überein; sie sind nicht Christus gemäß und reichen bei weitem nicht aus, um alles zu erfassen, was zu Christus gehört. Nichtsdestoweniger rechnet er damit, dass hier und da ein wacher Geist ist, der in allen Umständen der Schwierigkeit oder des Segens, der Freude oder des Kummers, der alles als ein Anliegen vor Gott ausbreitet; und dies nicht in einem murrenden, besorgten Geist der, sondern in dankbarer Anerkennung seiner Güte und des Vertrauens auf Ihn.
Wie gesegnet ist es, dass sogar das Seufzen des Geistes im Gläubigen eine Befreiung voraussetzt und nicht nur ein selbstsüchtiges Empfinden des Bösen! Natürlich nicht, dass die Befreiung vollständig ist oder dass das Böse durch eine Kraft aus der Höhe niedergeschlagen und tatsächlich von der Bildfläche verschwunden ist. Aber wir kennen den Sieg, der im Tod und in der Auferstehung Christi errungen wurde, und da wir das Unterpfand des Geistes haben, empfinden wir den Gegensatz der gegenwärtigen Dinge zu jener Herrlichkeit, von der aus Er uns die Gesinnung in dem jetzt erhöhten Christus gibt, die Hoffnung für alle Gläubigen bei seinem Kommen.
5 „Ein Begriff, der ursprünglich auf die Mitglieder der Kirche von England in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts angewandt wurde, die, ohne eine organisierte Partei zu haben, darin übereinstimmten, die religiösen Formeln des Anglikanismus in ihrem weitesten Sinne zu interpretieren, um Männern mit unterschiedlichen religiösen Ansichten eine weitere Mitgliedschaft in der Kirche zu ermöglichen. Thomas Arnold (1795–1842), klassischer Gelehrter und berühmter Schulleiter von Rugby, hatte einen starken Einfluss auf die Entstehung dieser Denkschule. Die Broad Churchmen betonten die moralische Rechtschaffenheit und die Toleranz gegenüber heterodoxen Ansichten, lehnten aber die hierarchische Organisation und den Ritualismus als unbedeutend ab. Sie akzeptierten uneingeschränkt alles, was die Wissenschaft über Religion und Bibel zu sagen hatte. Letztere betrachteten sie eher als Quelle für die Lehre von der Rechtschaffenheit denn als Anleitung zum Glauben. Die Veröffentlichung von Essays and Reviews (1860) durch sieben Autoren machte solche Ansichten weithin bekannt und löste einen allgemeinen Aufschrei in der etablierten Kirche aus. Das Buch wurde offiziell verurteilt und zwei der Autoren wurden bestraft. Ihre Nachfolger im 20. Jahrhundert werden allgemein als Modernisten bezeichnet, aber viele von ihnen sind eher als Mitglieder der Modern Churchmenʼs Union zu erkennen, die 1898 zur Förderung des theologischen Liberalismus in der Kirche von England gegründet wurde. Sie setzen sich für eine kontinuierliche Neuformulierung der anglikanischen Überzeugungen ein, wie es die Erfordernisse der Zeit zu verlangen scheinen, selbst wenn dies die Aufgabe von Überzeugungen bedeutet, die gewöhnlich als grundlegend für das Christentum angesehen werden [entnommen aus https://www.encyclopedia.com/philosophy-and-religion/christianity/protestant-denominations/broad-church].↩︎