wo nicht ist Grieche und Jude, Beschneidung und Vorhaut, Barbar, Skythe, Sklave, Freier, sondern Christus alles und in allen (3,11).
Wie schön zeigt sich hierin das christliche Motiv, dass wir nicht lügen sollen und so weiter, nicht nur, weil es Gott entehrt, sondern weil wir den alten Menschen abgelegt und den neuen Menschen angezogen haben! Das erscheint in einem auffallend charakteristischen Licht. Gott versäumt es in seinen Anweisungen an uns nicht, uns hier an unseren Segen zu erinnern. Wenn wir also aufgerufen werden, Zorn, Wut und diese Dinge abzulegen, dann deshalb, weil wir gestorben sind. Wenn wir aufgefordert werden, nicht mehr in Unreinheit zu wandeln, dann deshalb, weil wir, obwohl wir einst in alledem gelebt haben, jetzt dafür tot und in Christus lebendig sind. Wenn wir ermahnt werden, die Wahrheit zu reden, dann deshalb, weil wir den alten Menschen abgelegt und den neuen Menschen angezogen haben, der erneuert wird zur Erkenntnis nach dem Bild dessen, der ihn geschaffen hat. In Ihm ist überhaupt keine Finsternis. Er ist das wahre Licht, das jetzt leuchtet.
Es ist für uns als Christen zwingend notwendig, Christus allein wertzuschätzen. Ich spreche einfach von unserer Stellung als Christen, die alles umfasst. Wie Christus alles und in allem ist, so müssen wir danach streben, immer danach zu handeln, indem wir nur das aneinander schätzen, was von Ihm ist. Wenn ich Christus liebe und schätze, so wird dies mein Empfinden gegenüber anderen Christen sein, so wie ich auch möchte, dass wir als Christen gemeinsam empfinden, dass Christus das Einzige ist, was unserer Gedanken, Zuneigung, Arbeit und unsers Leben wert ist. Der Christ ist stets in Gefahr, sich gedanklich in den natürlichen Eigenschaften zu verlieren, die den Menschen attraktiv machen. Das Ziel des Glaubens ist es, sich über all das zu erheben. „Lasst euer Licht leuchten“ (Mt 5,16). Wo man nicht ständig an Christus als Ziel und Motiv festhält, wird unsere Natur in ihrer Schlechtigkeit durchbrechen. Doch vor Gott und im Glauben habe ich das Recht, sie als tot zu betrachten; und ich schulde es dem, der für mich gestorben und auferstanden ist, nach der großen Wahrheit zu handeln, dass Gott den alten Menschen gerichtet hat. Zu diesem Zweck muss ich mit meinem auf Christus gerichteten Auge Selbstgericht üben. Sonst werde ich Ihn auf alle Weise mit Versagen entehren. Wer sein Auge auf Christus gerichtet hält, wird niemals inkonsequent wandeln. Dann empfinde ich nicht nur meine eigene Schwachheit, sondern habe auch das Bewusstsein, dass der alte Mensch gerichtet und vor Gott weggetan ist. Wie gesegnet ist der Stand des Christen! Die alttestamentlichen Gläubigen wurden vor der Sünde bewahrt, indem sie Christus erwarteten und begehrten; aber wir schauen jetzt auf Christus, da wir gestorben und auferstanden sind mit Ihm, der bereits alles für uns getan hat. Ist das nicht ein höchst erhabene Stellung? Und es gibt einen Unterschied, der ebenso deutlich ist wie diese Stellung, aber darauf gehe ich jetzt nicht ein.
Im Epheserbrief ist der Grund dafür, dass wir einander nicht belügen, weil wir Glieder voneinander sind. Hier wird es als unvereinbar betrachtet, da wir den alten Menschen abgelegt und den neuen Menschen angezogen haben. Es ist also ein offensichtlicher Widerspruch zu der neuen Natur, wie auch zu der gerichteten und beiseitegesetzten alten Natur. Das Gericht hat sich zweifellos an Christus vollzogen; dann aber setzt der Glaube an Ihn voraus, dass sein Gericht auf uns angewandt worden ist, und dass wir durch Ihn im Blick auf uns selbst entsagen, ja den alten Menschen mit seinen Handlungen ausgezogen und den neuen angezogen haben. Der alte Mensch ist für die Lüge verantwortlich; der alte Mensch ist verdorben und voller Betrug.
Im natürlichen Mensch gibt es nichts Wahrhaftiges. Wir sehen das von Anfang an; Adam war unmittelbar unwahr, als er sündigte. Auch Kain war unwahr. Es mag andere Übel geben, wie zum Beispiel Gewalttätigkeit, die sich bei einigen zeigen und bei anderen nicht; aber alle sind unwahr – Lüge sieht man bei allen. Die gewöhnlichen Formen des gesellschaftlichen Umgangs beruhen im gegenwärtigen Zustand der Welt mehr oder weniger auf Betrug. Die Menschen sagen, was den anderen angenehm ist, ohne nachzudenken. Die Menschen übernehmen Formen, besonders in der Religion, von denen niemand erwartet, dass sie auch daran glauben, die besten Menschen leider am wenigsten von allen. Das alles zeigt, dass Unaufrichtigkeit ein beständiger Begleiter des alten Menschen ist – hier handelt es sich um Christen, und dementsprechend geht es um den neuen Menschen.
Im Epheserbrief geht es um die Glieder des Leibes; hier geht es um die Natur. Auch im Epheserbrief soll der alte Mensch abgelegt und der neue angezogen werden. Hier aber heißt es: „der erneuert wird zur Erkenntnis nach dem Bild dessen, der ihn geschaffen hat“ (V. 10). Im Epheserbrief ist es eine frische Sache, die sie vorher nicht hatten, ohne irgendeinen Hinweis auf die Erneuerung; es ist absolut neuerschaffen. Hier empfangen die Kolosser einen frischen Segen, aber gleichzeitig gibt es eine Erneuerung. Beide Begriffe kommen in beiden Briefen vor, aber sie werden so formuliert, dass klar wird, dass beide sich einander ergänzen. Im Epheserbrief heißt es, dass der neue Mensch nach Gott geschaffen ist in wahrhaftiger Gerechtigkeit und Heiligkeit. Was ist der Unterschied zwischen diesen beiden? Gerechtigkeit stellt den Aspekt der Autorität vor; sie setzt eine Antwort auf eine gerechte Forderung voraus; sei es ein Mensch, der sie erfüllt, oder Gott. Der Gerechtigkeit liegt zugrunde, dass ein Recht eingefordert wird. Heiligkeit ist Gottes Wesen an sich, und Er ist unduldsam gegenüber dem Bösen. Heiligkeit hat in sich selbst nichts mit dem Anspruch der Gerechtigkeit zu tun. Dem Gläubigen ist Christus zur Gerechtigkeit gemacht, die sich auf Gottes Gericht gründet, auch wenn es völlig zu unseren Gunsten entschieden ist; die Heiligkeit ist hingegen unabhängig von der Frage nach seiner Autorität; sie ist das entscheidende Wesen und der Charakter.
Von den Engeln wird gesagt, dass sie heilig sind, aber niemals, dass sie rechtschaffen oder gerecht sind. Der neue Mensch erfreut sich an beidem. Da ist die völlige Annahme der Autorität Gottes und die Freude darüber, dass das Gericht Gottes an Christus so erfüllt worden ist, dass Er mehr als je zuvor verherrlicht wird. Daneben gibt es die moralische Natur, die mit Gott empfindet. Gerechtigkeit ist mehr ein Niederbeugen vor Gott, Heiligkeit ist das Eingehen in seine eigenen Empfindungen über Gut und Böse. Wir haben oft kein klares Empfinden darüber. Gerechtigkeit ist die richtige Ausgewogenheit, das Bewahren dessen, was in allen Beziehungen recht ist. Zum Beispiel ist es für ein Kind richtig, seinen Eltern zu gehorchen; es ist nicht nur heilig, sondern recht, dies zu tun. Das eine gehört zur Natur, völlig getrennt von Beziehung oder irgendeiner Pflicht – mit Ausnahme einer echten Verpflichtung, wobei es um die Gerechtigkeit geht.
Wir sehen also, dass die Rationalisten den Wert der Heiligkeit anerkennen, aber sie sprechen selten von Gerechtigkeit; denn Gerechtigkeit setzt ein Urteil voraus. Gerechtigkeit ist ein schreckliches Wort für einen Menschen, solange er Christus nicht ergriffen hat. Gerechtigkeit, ich wiederhole, verkündet die Autorität Gottes. Gott war heilig, bevor die Sünde in die Welt kam; aber wer konnte von seiner Gerechtigkeit sprechen, bevor es das Gericht des Bösen gab, trotz des Gewissens und gegen seine ausdrückliche Autorität? Unter dem Gesetz, das die formale Behauptung dieser Autorität im Umgang mit den Menschen im Fleisch war, wird der Herr daher ständig als ein gerechter Gott dargestellt. „Gerecht ist der Herr, Gerechtigkeiten liebt er“ (Ps 11,7). In Adam gab es weder Gerechtigkeit noch Heiligkeit, bevor er fiel. Wir haben beides und werden in Christus Gerechtigkeit und Heiligkeit. Adam wurde aufrichtig geschaffen (Pred 7,29), aber das ist nicht dasselbe wie gerecht oder heilig zu sein; es war die Abwesenheit des Bösen; er war nicht gefallen und daher unschuldig.
Gott beschreibt einen Christen als gerecht und heilig. Adam wusste vor dem Sündenfall nichts vom Bösen, noch gab es irgendeine Frage von Gottes gerechten Anforderungen an ihn, außer insofern, als die verbotene Frucht seinen Gehorsam prüfte; dennoch gab es keine Grenze, dies zu tun und zu leben, sondern eher, es nicht zu tun, um nicht zu sterben. Adam befand sich an einem Ort des Vorrechts, und es ging einfach darum, es im Gehorsam gegenüber Gott zu genießen, und unter Todesstrafe gestellt zu sein, wenn er ungehorsam war. Wir befinden uns in einer ganz anderen Stellung, da wir uns inmitten des Bösen befinden und von einem Guten außerhalb und über uns beeinflusst werden. Daher heißt es, dass wir durch Herrlichkeit und die Tugend berufen sind; „durch Herrlichkeit“ als der Gegenstand, der Zustand, in dem sich Christus befindet, und „durch Tugend“ als Einschränkung auf uns und die praktische Übereinstimmung mit Christus (2Pet 1,3).