sofern ihr in dem Glauben gegründet und festbleibt und nicht abbewegt werdet von der Hoffnung des Evangeliums, das ihr gehört habt, das gepredigt worden ist in der ganzen Schöpfung, die unter dem Himmel ist, dessen Diener ich, Paulus, geworden bin (1,23).
Nun verstehe ich dieses Wort „sofern“ ausdrücklich als eine Bedingung und nichts anderes. Es ist ganz anders als in Kapitel 3: „Wenn ihr nun mit Christus auferstanden seid“ und so weiter. Es ist das gleiche Wort, aber man sollte immer den Zusammenhang beachten. Hier, glaube ich, ist eine Bedingung enthalten, während Kolosser 3 einfach aus einer zugelassenen Tatsache heraus begründet und ermahnt. Das würde in Kolosser 1 keinen Sinn ergeben.
Unter normalen Umständen neigt so gut wie jeder Mensch vor seiner Bekehrung dazu, ein Arminianer zu sein (d. h. auf seine eigene Gerechtigkeit zu bauen); aber wenn er sich selbst als untauglich erkennt, und durch den Glauben an Gottes reine Gnade in Christus gerechtfertigt ist, gibt es oft eine Tendenz, gewaltsam in das entgegengesetzte Extrem umzuschwenken. Wenn er in der Wahrheit reifer wird, geht es nicht mehr um verschiedene Ansichten, sondern um das, was unendlich größer ist, nämlich um Gottes Gedanken, wie sie in seinem Wort offenbart sind. Alles, was an keine Bedingung geknüpft ist, sollte völlig bedingungslos angenommen werden, und alles, was mit einer Bedingung verbunden ist, soll in seiner ganzen Kraft auf uns wirken.
Der Apostel sagt nicht, dass unsere Rechtfertigung an eine Bedingung geknüpft ist. Die Gnade rechtfertigt den Gottlosen; eine Bedingung ist damit nicht verbunden. Das wäre eine Leugnung der Gnade. Dennoch gibt es unbestreitbare Bedingungen; aber inwiefern? Gott lässt uns nicht sicher wissen, wer unter denen, die den Namen Jesu bekennen, wirklich an Ihn glauben. Einige gab es schon in jenen frühen Tagen, die der Wahrheit eine Zeit lang folgten und sie dann aufgaben. Andere haben allmählich das reine Evangelium zugunsten der Philosophie und Verordnungen vernachlässigt oder waren zumindest geneigt, sie hinzuzufügen. Deshalb sagt der Apostel: „sofern ihr im Glauben gegründet seid.“ Da warnt er die aus Gott Geborenen, dass sie im Glauben bleiben sollen; aber daneben sind noch andere Dinge zu bedenken. Dürfen wahre Kinder Gottes nicht wanken und sogar eine Zeit lang in den Irrtum abgleiten? Nun kann ich von keinem, der den Glauben verlässt, sagen, dass er heilig und untadelig vor Gott sei. Man kann vielleicht aus früheren Tatsachen eine Hoffnung haben; aber solange ein Mensch so vom Feind von der grundlegenden Wahrheit weggeführt wird, kann und sollte ich nicht allzu zuversichtlich von ihm als Gott gehörend sprechen. Es wäre eine Verharmlosung des Unglaubens und die Person würde in noch größere Gefahr gebracht, wenn wir ein solches Abweichen auf die leichte Schulter nähmen. Deshalb sagt der Apostel: „sofern ihr im Glauben … festbleibt.“ Ein ähnliches Prinzip gilt für den, der unter einer Wolke von nicht gerichteter Sünde lebt.
So sehen wir in 1. Korinther 5, dass ein Mensch, der sich einer groben Sünde schuldig gemacht hat und deshalb unter Zucht gestellt wird, als „Böser“ zu behandeln ist, obwohl der Heilige Geist im selben Kapitel von dem Ziel spricht, dass sein Geist gerettet werden soll und so weiter. Und der zweite Brief beweist, dass er trotz allem ein wahrer Gläubiger war und nach seiner Umkehr wieder in die Gemeinschaft aufgenommen werden sollte. Der Heilige Geist weiß es natürlich ganz genau, aber wir können nur das beurteilen, was Gott zulässt, dass es uns deutlich vor Augen geführt wird. Das ist von praktischem Wert für uns, denn es ist oft schwierig, sich einem Menschen gegenüber, der nicht in Gemeinschaft ist, richtig zu verhalten. Wir neigen dazu, solche Fälle zu geringzuachten, und was ist die Wirkung, wenn wir sie so behandeln? Sie ziehen sich zurück. Es gibt eine schwache innere Kraft der Wiederherstellung. Die Sünde wird oberflächlich beurteilt. Wenn wir sie gründlich empfinden, wünschen wir uns ernsthaft, die Person zurückzugewinnen. Es sollte ein Schmerz, ein tiefer Kummer sein, wenn Menschen vom Tisch des Herrn abgewiesen werden. Dann wäre es unser beständiger Wunsch, zu erkennen, dass die Person Selbstgericht geübt hat und wiederhergestellt ist.
Es heißt nicht: „sofern ihr in dem Glauben bleibt“, sondern „im Glauben gegründet und festbleibt“. Wenn Paulus über den gemeinsamen Glauben spricht, meint er das, was geglaubt wird. Wenn er also von dem „einen Glauben“ spricht, bezieht er sich nicht auf die Realität unseres Glaubens, sondern auf die objektiv empfangene Wahrheit. Ob es sich nun um echte Gläubige handelt oder nicht, wenn sie dem Glauben abschwören, wie könnten sie dann als solche anerkannt werden? Die modernen Zeiten verweist die Menschen sehr auf das, was innerlich oder subjektiv ist; während „der Glaube“ die Offenbarung ist, die dem Glauben angeboten wird, außerhalb des Menschen. Es ist eine große Gnade, dass in diesen letzten Tagen der Wahrheit, der Wahrheit in der Person Christi, eine große Bedeutung beigemessen wird. Man kann nicht absolut über den Glauben eines Menschen urteilen; aber wir können den Glauben beurteilen, den er besitzt, und sagen, ob das, was er bekennt, die Wahrheit ist oder nicht. Die Liebe würde annehmen, wenn ein Mensch den Glauben bekennt und in seinen Worten und seinem Verhalten nichts rein Gegenteiliges zu finden ist, dass es ein echter Glaube ist. Ein Mensch mag aufrichtig sein in dem, was falsch ist, oder unaufrichtig in dem, was richtig ist; aber die Wahrheit ist ein unbeugsamer Maßstab. Wenn man auf Grund des Herzens eines Menschen urteilen würde, könnte man überhaupt nicht sprechen; denn wer außer Gott kann darüber urteilen? Wenn man auf dem Boden des Glaubens handelt, sind wir in dem Augenblick, in dem ein Mensch gegen die Wahrheit verstößt und das aufgibt, was er bekennt, verpflichtet, ihn zu verurteilen und die Frage nach dem Glauben seines Herzens in Gottes Hand zu lassen.
Der Apostel mahnt auch: „und nicht abbewegt werdet von der Hoffnung des Evangeliums“. Die Gläubigen in Kolossä standen in Gefahr, abzugleiten; denn sie strebten danach, sich durch Askese oder andere Anstrengungen heiliger zu machen, statt sich vor Christus im Selbstgericht zu prüfen. Aber nein, sagt der Apostel; ihr werdet in dem Leib seines Fleisches durch den Tod, heilig und untadelig dargestellt, wenn ihr im Glauben bleibt und so weiter, und euch nicht von der Hoffnung des Evangeliums, das ihr gehört habt, nicht abbewegt werdet.
Was ist „die Hoffnung des Evangeliums“? Sie gründet sich auf einen himmlischen Christus, der für uns gestorben ist und uns die Gewissheit gibt, dort bei Ihm zu sein. Die Hoffnung Israels (man kann kaum sagen des Gesetzes) war auf der Erde; diese „Hoffnung des Evangeliums“ ist droben. Die Kolosser waren völlig unbewusst, aber praktisch dabei, ihre himmlische Hoffnung aus den Augen zu verlieren, denn der Gedanke, Christus Philosophie oder Verordnungen hinzuzufügen, neigt dazu, jemandem Christus rauben. Er nennt es das Evangelium, das sie gehört hatten; ein anderes wollte er nicht zulassen. Es war das, was „gepredigt worden ist in der ganzen Schöpfung, die unter dem Himmel ist, dessen Diener ich, Paulus, geworden bin“. Wie stellt der Apostel das vor, was manche damals wie heute abwerten – ein Diener des Evangeliums zu sein! Er achtet nicht darauf, was ihn in den Augen der Möchtegern-Bekenner erhöhen würde, sondern was Gott und seiner Gnade in Christus die Ehre gibt. Entsprechend liegt hier eine Betonung auf „ich“.
Ich denke, dass das Evangelium von einigen derer, die in Kolossä einen schlechten Einfluss ausübten, geringgeschätzt wurde. Sie mögen es an seiner Stelle für gut gehalten haben, weil es die Unbekehrten erweckte; aber was hatten die Christen damit zu tun? Der Apostel beharrt nicht nur auf der Würde, sondern auch auf der Tiefe des Evangeliums. Zweifellos braucht es ein Christ nicht in gleicher Weise wie der Unbekehrte; denn er ist der, der Ruhe gefunden hat, Sündenvergebung, Rechtfertigung, Sohnschaft und dergleichen, während der andere keine wirkliche Verbindung mit Gott hat. Ein Christ hört also nicht auf das Evangelium, als ob es ein unbekannter Klang wäre, oder als ob er es nicht sicher empfangen hätte. Sondern er freut sich immer noch daran und bewundert mit wachsender Inbrunst die unvergleichliche Darstellung der Gnade Gottes darin. Deshalb gibt sich der Apostel besondere Mühe zu sagen, dass er, Paulus, zum Diener des Evangeliums gemacht wurde. Er betrachtete es nicht als eine Sache, die mit seinem Apostelamt verschmolzen war, sondern erklärte sich mit Nachdruck zum Diener nicht nur der Versammlung, sondern der frohen Botschaft an alle Kreaturen unter dem Himmel. Es war also offensichtlich, dass der Apostel nicht mit solchen Gefühlen sympathisierte, wenn jemand in Kolossä veranlasst worden war, diese Botschaft als eine Sache zu betrachten, die für die Gläubigen zu elementar war, um sich damit zu beschäftigen. Er diente dem Evangelium und verherrlichte es.