Nicht einmal Paulus könnte so von jeder Versammlung oder jedem Heiligen Gottes sprechen – weit gefehlt. Sein ganzes Erinnern an die Gläubigen in Philippi öffnete die Schleusen der Danksagung an Gott. Und doch war von Anfang an Gebet nötig; und er flehte fortwährend für sie alle, und das mit Freude, und zwar wegen eurer Teilnahme an dem Evangelium vom ersten Tag an bis jetzt (1,5).
Was für eine wunderbare Sache, dass ein Mann, obwohl er der große Apostel der Heiden war, so empfinden konnte, und dass es hier auf der Erde Gläubige gab, von denen er so schreiben konnte! Leider wissen wir in diesen selbstsüchtigen Tagen wenig, was wir verloren haben und wovon wir gefallen sind. Er hat nie für diese Philipper gebetet, außer mit Freude, und doch hat er sie ständig vor Gott getragen. Wäre der Apostel hier gewesen, hätte er so an uns denken können? Doch so wunderbar es auch war, es war die schlichte Wahrheit; und es ist heilsam für uns, uns nach einem solchen Maßstab zu beurteilen.
Ein weiteres Merkmal des Philipperbriefs ist, dass der praktische Zustand des Gläubigen hier vollständiger entwickelt wird als irgendwo sonst; und das nicht so sehr lehrmäßig, sondern im Handeln und in der Erfahrung. Der Apostel legt sowohl seine eigenen Motive als auch seinen Wandel und sogar die Motive Christi offen. Daher wird in diesem Brief das Leben eines Christen besonders deutlich beschrieben. Hier haben wir die Kraft des Geistes Gottes, die im Gläubigen wirkt und ihn befähigt, Christus im Herzen und auf dem Weg hier auf der Erde wirken zu lassen.
Doch wie kam es zu diesem Charakter der Unterweisung? Welche Umstände brachten sie hervor? Die Abwesenheit des Apostels von den Philippern und von seinem gewöhnlichen Dienst, während er in Rom inhaftiert war. Es war nicht so, wie in Korinth, dass seine Abwesenheit ihre prahlerische Eitelkeit, ihren Parteigeist, ihre weltliche Lauheit und ihre Streitereien zum Vorschein brachte. Die Philipper empfanden durch die Abwesenheit des Apostels die Notwendigkeit, immer mehr mit und für und zu Christus hin zu leben. Hier gab es nur das eine, dass jeder auf den Herrn selbst schaute und seinem Bruder half, auf Ihn zu schauen. Da dies die Wirkung war, war der Apostel voller Freude, wenn er an sie dachte. Er war mehrere Jahre fort gewesen, und äußerlich in den trostlosesten Umständen; aber seine Freude war keineswegs getrübt. Im Gegenteil, es gibt keinen anderen Brief, der so voll von tatsächlich erlebtem Glück ist; und doch wurde kein anderer Brief in einer Zeit geschrieben, wo alles auf der Erde so trübe und mit Kummer erfüllt schien. So gründlich ist Christus der eine Umstand, der für den Gläubigen alle anderen bestimmt.
Wenn man umhergeht und sowohl die Ergebenheit der Gläubigen als auch die Sünder sieht, die überall zu Gott gebracht werden, kann man die ständige Freude und das Lob des Apostels verstehen. Aber stellen wir uns vor, dass er jahrelang im Gefängnis saß, angekettet zwischen zwei Soldaten, ausgeschlossen von dem Werk, das er liebte, und dass andere seine Abwesenheit ausnutzten, um ihn zu betrüben, und das Evangelium aus Zank und Streit heraus predigten; und doch war sein Herz so überströmend vor Freude, dass er andere damit erfüllte!
Das ist der Charakter des Briefes an die Philipper. Wenn es ein Zeugnis für die Kraft des Geistes Gottes gibt, der durch menschliche Zuneigung wirkt, durch das Herz eines Gläubigen auf der Erde, inmitten aller Schwachheit und Prüfung, dann ist es hier zu finden. Es ist nicht das Bild eines Mannes, der unter schwierigen Umständen niedergeschlagen ist, denn unter solchen ist er nie, sondern bewusst mehr als ein Überwinder. Nicht, dass er nie gewusst hätte, was es heißt, niedergeschlagen zu sein. Er, der den zweiten Brief an die Korinther schrieb, erlebte all das voll und ganz, was Gott in seiner Gnade zu einer Art moralischer Vorbereitung gebrauchte, um den Trost hervorzubringen, den die Gläubigen damals und zu allen Zeiten benötigten. Aber dieser Brief zeigt uns, dass es nicht ein einziges Anzeichen von Müdigkeit gibt, ebenso wenig wie von Unruhe des Geistes. Man kann daraus nicht erkennen, dass es bei ihm überhaupt Fleisch (= die sündige Natur) gab, obwohl er jemand war, der das Fleisch an anderer Stelle völlig bloßlegte, wie im Römerbrief und in den Korintherbriefen, wo man ein Bild davon hat, wie furchtbar der Zustand des Christen und der Versammlung sein kann.
Im Philipperbrief finden wir weder eine Spur von diesen Dingen, noch das Verweilen bei unseren Vorrechten und Segnungen, wie in Epheser 1. Hier haben wir die Kraft des Geistes Gottes, die den Menschen Tag für Tag genießen ließ und über die Erde erhebt, sogar wenn er auf ihr wandelt; und zwar, indem sie Christus zu allem für sich macht, so dass die Prüfungen nur Gelegenheiten zu tieferer Freude sind, mögen sie noch so zahlreich und schwer sein. Das ist es, was wir als Christen besonders brauchen, um Gott zu verherrlichen. Und das ist es, was der Heilige Geist in uns bewirkt, wenn wir persönlich in unser eigenes christliches Geburtsrecht eingetreten sind, wie im Römerbrief, und unsere Zugehörigkeit zur Versammlung erkennen, wie in den Korintherbriefen, und unsere Segnung in den himmlischen Örtern in Christus, wie im Epheserbrief.
Dann kommt die Frage: Wie genieße ich diese wunderbaren Vorrechte als Heiliger Gottes auf der Erde und wie führe ich sie aus? Anzunehmen, dass dies eine schwierige Frage ist, die uns in die Enge treibt, hieße, die vollkommene Güte Gottes in Frage zu stellen und in eine Schlinge des Teufels zu fallen. Gott wünscht, dass wir noch mehr gesegnet werden, als wir es schon sind. Er möchte uns dadurch noch glücklicher machen. Der Brief an die Philipper erfüllt das Herz mit Freude, wenn man ein Auge für Christus hat. Paulus dankt seinem Gott für die Philipper, für ihre „Gemeinschaft mit dem Evangelium vom ersten Tage an bis jetzt.“ Welch ein Aufbruch des Herzens und welch ein anhaltender Schwung! Es ist jetzt nicht „die Gemeinschaft mit seinem Sohn“, wie in 1. Korinther, was ja unter allen Umständen für einen Christen gelten würde. Wenn Satan es also geschafft hätte, einen Gläubigen wieder zu Torheit und Sünde zu verleiten, könnte der Heilige Geist ihn daran erinnern, dass Gott treu ist, durch den er in die Gemeinschaft seines Sohnes berufen wurde. Und kann Er Gemeinschaft haben mit unfruchtbaren Werken der Finsternis? Das ist der Grund, warum wir zu Gott ernstlich rufen sollten, dass Er, wenn Er jemanden in die Gemeinschaft seines Sohnes berufen hat, nicht zulassen möge, dass der Feind ihn in den Schmutz zieht, sondern das Gewissen auf diese schmerzliche Ungereimtheit aufmerksam machen möge.
Aber da ist noch mehr. Hier geht es um ihre Gemeinschaft mit dem Evangelium, nicht nur als eine gesegnete Botschaft, die sie selbst empfangen hatten, sondern in seinem Fortschritt, seinen Konflikten, Gefahren, Schwierigkeiten und so weiter. Es bedeutet nicht notwendigerweise, dass sie es predigten, sondern, was genauso gut oder sogar noch besser war: Ihre Herzen waren durch und durch in und mit Ihm. Was auch immer die Ehre sein mag, die auf die gelegt wird, die berufen sind, das Evangelium zu verbreiten, so zögere ich nicht, zu sagen, dass der Beitz eines Herzens im Einklang mit dem Evangelium, ein Teil ist, das jedem Dienst als solchem überlegen ist. Die Zuneigung der Philipper war auf diese Weise ganz einfach und von Herzen mit dem Evangelium verbunden; sie machten sich zuerst und zuletzt mit seinem Lauf eins. Das war wirklich Gemeinschaft mit Gott bei der Verbreitung seiner eigenen frohen Botschaft in der Welt. Der Apostel schätzte solche Herzen besonders. Nichts Geringeres als die erhaltende Kraft des Geistes Gottes hatte so in diesen geliebten Philippern gewirkt.