Dieser Grundsatz ist sehr wichtig; denn du wirst feststellen, dass es immer wieder ein Mittel der Unwissenheit ist, zu sagen: „Nun, wir alle halten bis zu einem gewissen Grad dasselbe; der einzige Unterschied ist, dass ich etwas mehr glaube als du.“ Ja, aber dieses „etwas mehr“ ist, den Glauben auszulöschen und den Wert Christi aufzuheben. Vor allem, was auch immer wir hinzufügen, das von uns notwendigerweise getan werden muss, um „vor Gott gerechtfertigt zu werden“, warnt der Apostel: Christus wird euch nichts nützen. Nein, seht euch die Beschneidung an, die Gott einst mit besonderem Ernst einführte und denjenigen mit dem Tod bedrohte, der sich ihr nicht unterwarf. Und nun seht, wie derselbe Gott, nachdem Er Christus gegeben hat, allem ein Ende setzt. Die Beschneidung hatte ihren Dienst getan; und diese jetzt wieder einzuführen, würde bedeuten, das Werk Christi zu verdunkeln, zu entehren und sogar zu zerstören. Gott hatte durch sie in einem Bild gezeigt, dass der alte Mensch als etwas Niederträchtiges und Totes behandelt werden sollte. Aber Christus ist gekommen; und es gibt jetzt nicht nur einen bloßen disziplinarischen Prozess am alten Menschen, sondern eine „neue Schöpfung“; und die Vorstellung, etwas, das am alten Menschen ausgeführt wurde, mit dem neuen zu vermischen, als ein Mittel zur Rechtfertigung, ist für den Geist Gottes höchst anstößig.
Ich bezeuge aber wiederum jedem Menschen, der beschnitten wird, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist (5,3).
Ihr mögt unterscheiden zwischen dem zeremoniellen Teil, der eine solch gesegnete Bedeutung hatte, und dem moralischen Teil, durch den, wie ihr zugesteht, der Mensch nicht gerechtfertigt werden kann; aber ihr wisst nicht, was ihr tut. Ihr könnt die Beschneidung nicht vom Gesetz trennen. Gott hat diesen Ritus so förmlich in das ganze Gefüge des Gesetzes eingebettet, dass er, obwohl er schon vorher existierte, seitdem ein integraler Bestandteil geworden ist und von nun an so innig mit ihm verschmilzt, dass man den Ritus nicht von dem ganzen System trennen kann. Wenn wir irgendeinen Teil des Ritus als denjenigen anerkennen, unter dem wir uns befinden, sind wir für das gesamte Rechtsforderung verantwortlich; wir sind Schuldner aller seiner Forderungen. Und ich möchte unsere Aufmerksamkeit feierlich darauf lenken, „dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist“.
Ist denn nicht jeder Christ solch ein Schuldner? Gott bewahre uns vor dem Gedanken! Das ist ein Irrglaube. Wenn er das wäre, wäre er ein verlorener Mensch. Ich bin mir bewusst, dass es solche gibt, die das nicht verstehen; sie denken, dass Christus, außer dass Er Vergebung bringt, einfach ein Mittel ist, um sie zu stärken, das Gesetz zu halten. Aber das ist eine traurige und grundlegende Unkenntnis des Christentums. Ist denn ein Christ frei, das Gesetz zu brechen? Noch lauter rufe ich: Gott bewahre und davor! Es ist eine Sache, dass man verpflichtet ist, das ganze Gesetz zu tun, und eine andere, dass Gott jede Übertretung des Gesetzes auf die leichte Schulter nehmen kann. Ist denn zwischen diesen beiden Zuständen – Schuld gegenüber dem Gesetz und Freiheit, es zu brechen – nichts möglich? Beides besteht bei einem Christen nicht. Wer frei ist, seinen eigenen Willen zu tun, ist ein gesetzloser, böser Mensch. Wer unter dem Gesetz steht, um es zu tun, beschreibt den eigentlichen Zustand des Juden und keinen anderen. Der Christ steht auf einem ganz anderen Boden. Er ist aus Gnade errettet und dazu berufen, in der Gnade zu wandeln; und der Charakter der Gerechtigkeit, den Gott in ihm sucht, ist von ganz anderer Art; wie es im Brief an die Philipper heißt, „erfüllt mit der Frucht der Gerechtigkeit, die [nicht durch das Gesetz, sondern] durch Jesus Christus ist, zur Herrlichkeit und zum Preise Gottes“ (Phil 1,11) – durch Christus unter der Gnade und nicht unter dem Gesetz. Und dies ist nicht nur eine Frage der Rechtfertigung. Ich spreche jetzt über den Lebenswandel, über die Verantwortung des Christen, den Willen Gottes zu tun; und ich sage, dass Christus, nicht das Gesetz, das Maß des Lebenswandels des Christen ist; was den ganzen Unterschied möglich macht.
Es mag gesagt werden: War Christus nicht unter dem Gesetz? Ja, gewiss, aber Er war auch darüber. Ein Christ aus den Nationen war nie darunter; und da er in Christus ist, steht er jetzt, da er glaubt, auf einem anderen Boden, auf den das Gesetz nicht anwendbar ist. Aus diesem Grund wird jeder Christ von Gott als lebend aus den Toten angesehen, um Gott Frucht zu bringen(vgl. Röm 7,4). Das Gesetz befasst sich nur mit einem Menschen, solange er lebt; niemals nachdem er gestorben ist: „denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit dem Christus in Gott“ (Kol 3,3). Und es ist bemerkenswert, dass dies ist überhaupt nicht von uns gesagt wird, nach einer „zweiten Segnung“, einer Sterbesalbung oder irgendeinem anderen Schritt der eingebildeten Vollkommenheit. Wir beginnen damit, und unsere Taufe verkündet es. Was sie verkündet, ist Christi Tod und Auferstehung. Und wenn es irgendeine Bedeutung für mich hat, sagt es, dass ich mit dem gestorbenen und auferstandenen Christus einsgemacht bin. Es ist nicht mehr das Gesetz, das sich mit mir beschäftigt, um zu versuchen, ob es etwas Gutes aus mir hervorgebracht werden kann. Ich habe alles aufgegeben, indem ich Christus angenommen habe, und ich stelle mich auf Christus, der gestorben und auferstanden ist, und ich lasse mich auf seinen Namen taufen, als der, der aus den Toten auferstanden ist, um mich Gott zu übergeben.
Dies ist auch keine sonderbare Lehre, die eine tiefe Vertrautheit mit dem Wort Gottes voraussetzen würde. Sie ist nicht in irgendeiner Redewendung oder einem Bild eines schweren Buches versteckt, sondern wird im Römerbrief klar dargelegt, und das ist die unveränderliche Lehre. Wo immer wir also hinschauen, dies ist die Grundwahrheit des Christentums, dass Gott mit dem bloßen Umgang mit dem Fleisch abgeschlossen hat. Er hat einen anderen Menschen, sogar einen neuen Menschen, Christus, der von den Toten auferstanden ist; und der Christ hat Ihn empfangen. Das ist praktisch das, was Gott im Herzen des Christen bewirkt hat. „Wandelt in ihm.“ Ein junger Christ mag niedergeschlagen sein, nachdem er Christus empfangen hat, durch das Empfinden des Bösen, das er in sich selbst findet. Er fragt sich, wie das sein kann. Er weiß, wie sehr Christus es verdient, dass man Ihm dient, und ist sich bewusst, wie wenig er Ihm so dient, wie er es sollte: Er ist von Kummer über sich selbst erfüllt und beginnt vielleicht zu zweifeln, ob er überhaupt ein Christ ist. Er hat seine Lektion noch nicht gelernt. Er hat nicht einmal erfasst, was seine Taufe dargelegt hat, nämlich den Wert, einen gestorbenen und auferstandenen Heiland zu haben. Er ist noch mit etwas vom alten Menschen beschäftigt; er schaut darauf und erwartet, dass es besser wird, und hofft, dass sein Herz nicht so viele schlechte Gedanken und dergleichen, wie er früher hatte; während die einzige Stärke des Christen darin besteht, mit Christus erfüllt zu sein, mit allem, was an Ihm vor Gott wohlgefällig ist.
In dem Maß, wie der Gläubige sich an Christus erfreut, lebt er über sich selbst hinaus. Da ist die Ausübung dessen, von dem man sagt, dass der Christ gestorben und auferstanden ist – das neue Leben, das der Heilige Geist allen vermittelt, die glauben. Nur der Gläubige empfindet, was Christus nicht entspricht; aber er ruht in dem, was Christus für Gott ist, und das macht ihn glücklich. Wenn er sich mit dem beschäftigt, was in ihm vorgeht, wird er niedergeschlagen. Es ist nicht so, dass er sich selbst nicht für das, was Christus zuwider ist, verurteilt, sondern er soll es als gemein und schlecht behandeln, als das, was aus dem Menschen und nicht aus Christus hervorkommt; und dann, nachdem er es Gott bekannt hat, soll er sich entschlossen davon abwenden und dem Heiland zuwenden.
Der Gläubige hat in Christus das Anrecht erworben, sich nicht niederwerfen zu lassen wegen dessen, was er in sich findet; nicht entmutigt zu sein, weil in seinem Fleisch nichts Gutes wohnt. Ist es nicht das, was das offenbarte Wort Gottes ihm beständig sagt? Und doch, wie viele gehen Monate und Jahre weiter und erwarten, dass irgendetwas Gutes hervorkommt! Ich meine natürlich nicht, dass sie nicht aus Gott geboren sind; aber sie stehen so sehr unter dem Einfluss alter Gedanken und Vorstellungen, die sie durch Katechismen, theologische Bücher und Predigten erworben haben, dass sie nicht in die volle Freiheit eintreten, mit der Christus frei macht.
Nichts kann deutlicher sein als die Entscheidung des Heiligen Geistes in dieser Angelegenheit. Er zeigt, dass das kleinste Beharren auf dem Gesetz, in welcher Form auch immer, dich in die Schuld bringt, das ganze Gesetz zu tun schuldig ist; und wenn das so ist, wo bist du vor Gott? Du bist verloren und hoffnungslos, wenn du ein Gewissen hast. Die Frage des Gesetzes kommt nun allgemein im Zusammenhang mit der Heiligung auf. Im Fall der Galater kam es stark in der Frage der Rechtfertigung zum Vorschein. Aber der Christ hat nicht mehr in der einen oder anderen Form damit zu tun. In den Versen 1–4 ist sie mit der Rechtfertigung verbunden. Im letzten Teil des Kapitels ist sie mit der Heiligung verbunden, und das ist die Verbindung, und die einzige Verbindung, in Römer 6, wo die Rechtfertigung nicht berührt wird, sondern nur der Wandel des Gläubigen. Was diesen betrifft, so ist er nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade. Was für eine gesegnete Sache ist es, in dieser wahren Gnade Gottes zu stehen!