Es ist gut, auf die unterschiedliche Art und Weise zu achten, in der der Heilige Geist die Freiheit vorstellt, die der Gläubige jetzt genießt. In Johannes 8,32-36 wird sie dem Sohn zugeschrieben und der Sohn Gottes handelt durch die Wahrheit; und beide Gesichtspunkte bilden einen Gegensatz zum Gesetz. Das ganze Kapitel ist in dieser Hinsicht in der Tat sehr auffällig. Denn wir haben den Fall einer Frau, die im Ehebruch ergriffen wurde, auf frischer Tat; und der Mensch hat keine Skrupel, dies für selbstsüchtige Zwecke zu nutzen: und zwar der religiöse Mensch! Er stellt sich, wie er meinen könnte, auf Gottes Seite, um die schwerste, deutlichste, positivste Schuld zu richten, und das ohne Gnade und ohne Selbstgericht. Nein, mehr noch: Er dreht den Fall der Sünde und Schande des Menschen und des Gesetzes Gottes um, nicht nur um sich selbst zu erhöhen und eine Gerechtigkeit zu beanspruchen, die er nicht hat, sondern um Gottes Sohn zu entehren. Das ist nun die Lehre des Kapitels, das die Herrlichkeit Christi triumphal herausgestellt hat. Denn Er kam nicht, um das Gesetz zu besudeln. Aber dann gab es eine Herrlichkeit, die das Gesetz übertraf, und sie war gekommen, eine Herrlichkeit, vor der die Würde des Gesetzes verblasste; und Christus zeigte sie am deutlichsten. Nicht, dass Er auch nur ein Wort gesagt hätte, um das Gesetz herabzusetzen, das konnte ja nicht von Gott sein. Aber dennoch bewies Er die völlige Ohnmacht des Gesetzes, dem Fall des Sünders zu begegnen, außer auf dem Weg einer Zerstörung, die viel weitergeht, als die, die es anwenden, erwarten. Das Gesetz zerstört die schuldige Hand, die es ausübt, ebenso wie den, gegen den es gerichtet ist. Es ist zweischneidig in seinem Charakter, wenn Christus spricht; und diejenigen waren gezwungen, seine Schärfe am meisten zu empfinden, die es gegen die beschämte Ehebrecherin gebrauchten. Nicht die Ehebrecherin, sondern ihre Ankläger zogen sich in völliger Verwirrung aus der Gegenwart Christi zurück. Doch beachte: nicht von Christus, der das Gesetz anwendet, sondern von Christus, als dem göttlichen Licht, der mit dem Gewissen handelt. Dennoch entlarvte Er die Torheit und Sünde ihres Rückgriffs auf das Gesetz auf das Vollkommenste. Er zeigte, dass nur jemand, der ohne Sünde ist, rechtmäßig den ersten Stein werfen kann. Das Gesetz hatte nie eine solche Frage aufgeworfen. Aber Christus bringt eine Kraft und Ausführlichkeit und einen durchdringenden Charakter ein, die nie zuvor geleuchtet hatten und die jetzt nur in und durch Ihn zu sehen sind. Das Gesetz sagte einfach: Du sollst das nicht tun. Das bedeutet aber nicht, dass jemand ohne Sünde ist. Und wer war der Sündlose? Er allein, der nicht gekommen war, um zu verurteilen. Das Gesetz mochte anprangern, aber es war keiner da, der es vollstreckte. Denn wenn sein Gericht vollstreckt worden wäre, wären sie alle tote Menschen – alle gleichermaßen unter der Strafe, wenn auch aus verschiedenen „Gründen“. Sie ziehen sich in hoffnungsloser Verwirrung zurück; und die Frau wurde in der Gegenwart des Sohnes zurückgelassen, der mit dem Wort Gottes als Licht auf sie leuchtet.
In dem ganzen Kapitel werden sie, die auf dem Gesetz bestanden, als Sklaven der Sünde dargestellt. Sie konnten sich rühmen, Kinder Abrahams zu sein, aber sie taten nicht seine Werke. Und gewiss, Abraham, der nicht einmal das Gesetz kannte, dessen sie sich rühmten, kannte den Tag Christi. Er hatte das Licht Gottes gesehen und freute sich, diesen Tag zu sehen. Hier also, wo der stolze, schuldige Mensch aus seiner Gegenwart verbannt wird, begegnet er einem, der äußerlich noch schuldiger war, mit nichts als Barmherzigkeit. Dies ergibt sich aus seinen göttlichen Rechten als Sohn Gottes, indem Er das Wort Gottes und nicht das Gesetz benutzt. Das Gesetz hingegen verurteilt und tötet immer und kann einen Menschen nur fesseln. Aber es ist einzig und allein das Vorrecht Christi, die wahre Freiheit zu geben. Es ist der Sohn, der frei macht. Die Freiheit, die wir bekommen, fließt aus seinem Wort. Daher ist sie durch den Glauben; denn der Glaube ist „aus der Verkündigung, die Verkündigung aber durch Gottes Wort“ (Röm 10,17). Diese Dinge gehören immer zusammen – der Sohn Gottes wirkt durch das Wort, und das wird durch den Glauben aufgenommen.
Aber es gibt noch einen anderen Gesichtspunkt, den vor allem der Apostel Paulus hervorhebt: Christus hat ein Werk vollbracht, durch das auch die, die unter dem Gesetz waren, ganz aus seinem Bereich herausgeholt werden. Und die, die vorher nicht unter dem Gesetz waren, das heißt die Heiden, erweisen sich als Sünder gegen ihre eigene Barmherzigkeit, wenn sie auf irgendeine Weise unter sein Joch kommen. Darauf kommt der Apostel Paulus in unserem Brief zu sprechen:
Für die Freiheit hat Christus uns freigemacht; steht nun fest und lasst euch nicht wieder unter einem Joch der Knechtschaft halten (5,1).
Bedenke, dass bei den Galatern der Charakter der Knechtschaft nicht so sehr das war, was man das moralische Gesetz nennt, sondern das zeremonielle. Ich bin mir bewusst, dass viele das Letztere für viel schwerwiegender als das Erstere halten würden. Aber im Gegenteil, die Unterwerfung des Christen unter das moralische Gesetz spricht für ein viel tieferes Abweichen von der Wahrheit, als wenn es das zeremonielle wäre; denn das zeremonielle Gesetz, so muss jeder Christ empfinden, leitet seine ganze Bedeutung und seinen Wert davon ab, dass es ein Bild von Christus ist. Nicht so die Zehn Gebote, die kein Bild Christi sind, sondern die direkte Forderung an die Kraft und Gerechtigkeit des Menschen, wenn er sie denn hat. Und deshalb kann man verstehen, dass sich ein Christ in Bilder und Schatten verstrickt. Ein denkender Verstand könnte sagen: „Ist es möglich zu glauben, dass die Beschneidung, auf die Gott bei Israel so sehr bestanden hat, jetzt aufgegeben werden soll? Wenn sie keinen Wert hätte, warum wurde sie dann Abrahams Nachkommen auferlegt? Und wenn sie damals so bedeutsam und verpflichtend war, warum nicht jetzt? Außerdem, lehrt Christus nicht, dass es nicht von Mose, sondern von den Vätern war?“