Behandelter Abschnitt 2Kor 12,19-21
Man kann sich nichts Unwahreres vorstellen als die Eindrücke, die die Korinther von dem empfangen hatten, in dessen tiefer Schuld sie standen; und das aus der Rivalität der Männer, die sich viel rühmten, und wie üblich wenig oder nichts wirklich zu rühmen hatten. So war es auch in diesen frühen Tagen, die in der oberflächlichen Einschätzung so oft glückliche Tage waren, es sei denn für noch oberflächlichere Augen, die, nur von der Theorie irregeführt, nach Fortschritt in der Christenheit suchen und die Vergangenheit herabwürdigen, um die Gegenwart zu erhöhen und über die Zukunft zu spekulieren. Positive und gewichtige und sogar notorische Tatsachen standen der falschen Darstellung seiner Gegner völlig entgegen; und niemand hätte besser wissen müssen als die Korinther, wie unbegründet all diese Verleumdungen waren. Es wäre unverständlich, wenn man nicht die natürliche Schwachheit der Masse kennen würde, auf hochtrabende Worte hereinzufallen, und die ausgeklügelte Tätigkeit des Feindes, das Fleisch auszunutzen, um die Versammlung zu verderben und sie zu einem Werkzeug zur Schande des Herrn zu machen, statt zu einem Zeugnis in Gnade zu seiner Herrlichkeit. Deshalb beugte der Apostel sich, um diesen erbärmlichen Schmutz zu widerlegen. Aber er war eifersüchtig darauf, dass auch dies nicht missverstanden werden sollte, und er fährt als Nächstes fort, sogar diese kurze Notiz über seine Verleumder zu schützen.
Seit langem seid ihr der Meinung, dass wir uns vor euch verantworten. Wir reden vor Gott in Christus, alles aber, Geliebte, zu eurer Auferbauung. Denn ich fürchte, dass, wenn ich komme, ich euch etwa nicht als solche finde, wie ich will, und dass ich von euch als solcher befunden werde, wie ihr nicht wollt: dass etwa Streit, Neid, Zorn, Zänkereien, Verleumdungen, Ohrenbläsereien, Aufgeblasenheit, Unordnungen vorhanden seien; dass, wenn ich wieder komme, mein Gott mich euretwegen demütige und ich über viele trauern müsse, die zuvor gesündigt und nicht Buße getan haben über die Unreinheit und Hurerei und Ausschweifung, die sie getrieben haben (12,19–21).
Wenn andere die Selbstrechtfertigung suchten, so nicht der Apostel, was auch immer ihre Vermutungen sein mögen. Denn diejenigen, die sich nicht mit Christus beschäftigen, denken sich leicht in andere hinein, was ihr eigenes Denken erfüllt. Er, den sie verkannt haben, wendet sich der Gegenwart Gottes zu und spricht vor seinen Augen in Christus. Seine Rede war nicht nur im Bewusstsein der göttlichen Gegenwart, sondern von Christus geprägt, nicht vom natürlichen Menschen. In seinem Namen scheint der Gedanke nicht, und doch entspricht er seiner Lehre. Er stand bewusst vor dem höchsten Tribunal und sprach dementsprechend in Christus, nicht im Fleisch; wie er so jede Selbstgefälligkeit von ihrer Seite, ihn zu verurteilen, beseitigte, so verwirft er ebenso sorgfältig jeden Gedanken an Eigennutz oder Furcht: „alles aber, Geliebte, zu eurer Erbauung“ (V. 19). Die Liebe versagt nie, und sie baut auf. Dafür hat er geredet und sich geplagt und gelitten.
Und das umso mehr, als er nicht umhin konnte, die schlimmsten Befürchtungen über nicht wenige in Korinth zu haben, ungeachtet seiner tröstlichen Hoffnungen für die übrigen. „Denn ich fürchte, dass, wenn ich komme, ich euch etwa nicht als solche finde, wie ich will, und dass ich von euch als solcher befunden werde, wie ihr nicht wollt“ (V. 20). Es war die Furcht vor ihrem Zustand und den Folgen für sie selbst und sein eigenes Herz, die ihn daran gehindert hatte, zu gehen, als er es beabsichtigt hatte; und die Verzögerung hatte ihn längst bösen Zungen ausgesetzt. Und er fürchtete noch immer, dass das Werk der wiederherstellenden Gnade inzwischen nicht so vollständig war, sondern dass vieles, was im Argen lag, bei vielen nur schwach oder gar nicht beurteilt wurde. Denn lieber wollte er in Liebe und einem Geist der Sanftmut kommen, als mit einer Rute, die ihr Zustand verlangen könnte. Wenn er irgendwelche Versäumnisse nicht nur in der Gnade, sondern auch in der Gerechtigkeit fand, mussten diejenigen, die dem Herrn auf diese Weise Schande bereiteten, seinen Dienern ebenso unwillkommen sein, wie er sich ihnen gegenüber zur Rechtfertigung seines Namens erweisen musste. Die Übel, auf die er hinweist, dass sie immer noch wirken, sind die, die er in seinem ersten Brief so schonungslos getadelt hatte: Streit und Neid, Zorn, Zänkereien, offene Verleumdungen und heimliche Einflüsterungen, Offenbarungen stolzer Anmaßung und offene Unruhen. Es ist eine lange Liste von traurigen Übeln; aber wie bald könnten diese wahre Gläubige charakterisieren, wo es eine Partei oder Parteien gibt, die das Wort der Führer aufgreifen und verbreiten und in die Tat umsetzen!
Manche sehen es als schwierig an, die warmen Ausdrücke liebevoller Zuversicht, die man an anderer Stelle, besonders im Mittelteil des Briefes, findet, mit diesen Vorahnungen in Einklang zu bringen. Sie wagen sogar die Vermutung, dass der letzte Teil von 2. Korinther 10 ein weiterer Brief war, der zu einer anderen Zeit und unter Umständen geschrieben wurde, die sich stark von denen unterscheiden, die im vorhergehenden Teil angenommen wurden; oder dass zumindest eine beträchtliche Zeitspanne zwischen der Abfassung des ersten und des letzten Teils verstrichen ist. Aber es gibt wirklich keine besondere Schwierigkeit, da der Apostel hier nicht von allen, sondern von vielen spricht; und der aufmerksame Leser wird es nicht versäumen, selbst in den frühesten Kapiteln des ersten Teils genug zu entdecken, um ihn auf die ernstlichen Ängste vorzubereiten, die auf den Geist des Apostels drücken, bevor er den Brief mit seinen Abschiedsappellen schließt.
In der Tat ist gerade von diesem Kapitel mit Recht gesagt worden, dass es die auffälligsten Gegensätze unter denen enthält, die den Namen des Herrn tragen. Da ist auf der einen Seite der Mensch in Christus, der in einem außerordentlichen Maß die Vorrechte eines Christen genießt; da ist auf der anderen Seite die erschütterndste Darstellung des schlimmstmöglichen Zustands der Gläubigen, praktisch sowohl in Gewalt als auch in Verderbnis; und da ist zwischen diesen Extremen der Weg des Gläubigen, indem er zu nichts gemacht wird, damit die Kraft Christi auf ihm ruht. So gibt es wirklich keine Schwierigkeit für die, die Gottes Wort in Einfalt annehmen; und die intellektuelle Tätigkeit, die Einwände erhebt, ist geistlich ebenso schwach und uneinsichtig, wie sie auch den Herrn entehrt.
Vers 21 scheint von Natur aus mit der Vorstellung eines zweiten Besuchs unvereinbar zu sein, obwohl allseits zugegeben wird, dass der Apostel schon vorher die Absicht hatte, diesen zu machen. „Wieder“ geht mit „kommen“, nicht mit „demütig“, obwohl manche es vorziehen, es dem ganzen Satz zu geben. Welch ein Ausdruck von Liebe steckt in den Worten des Apostels! Die Gläubigen so in der Sünde zu finden, war eine Beleidigung Gottes in ihrer Gegenwart, nicht sie in seiner, wie es in der Tat aussah. Aber er fühlte, wie er „in Christus“ sprach. Es war Gott, der ihn über den bösen Zustand seiner Heiligen demütigte, und was das notwendig machte. Und was sagt er, wenn er an die gröbsten Formen davon denkt? „Und ich über viele trauern müsse, die zuvor gesündigt und nicht Buße getan haben über die Unreinheit und Hurerei und Ausschweifung, die sie getrieben haben“ (V. 21). Es ist nicht so, dass seine Hand versagen würde, die Rute zu schwingen, aber es war sicherlich mit einem verwundeten Herzen, das wegen der schamlosen Bosheit unter denen blutete, die den Namen des Herrn anriefen. Zweifellos waren die Verderbtheiten charakteristisch für das heidnische Korinth; und alte Gewohnheiten leben bald wieder auf, sogar bei Jungbekehrten, wenn sich das Herz von Christus abwendet und anderen Dingen zuwendet. Aber was für ein Märchen wird von schwachem Glauben erzählt? Denn der Glaube ist es, der überwindet; und sie wurden vom Bösen überwunden, statt dieses mit dem Guten zu überwinden. Die Natur ist eine wichtige Tatsache für den Feind; aber der Heilige Geist erhebt sich über alle Hindernisse und formt, übt und stärkt das neue Leben, das wir in Christus, unserem Herrn, haben.