Behandelter Abschnitt 1Kor 11,7-16
In den folgenden Versen wird der Boden in Bezug auf Mann und Frau noch erweitert:
Denn der Mann freilich soll nicht das Haupt bedecken, da er Gottes Bild und Herrlichkeit ist; die Frau aber ist des Mannes Herrlichkeit. Denn der Mann ist nicht von der Frau, sondern die Frau vom Mann; denn der Mann wurde auch nicht um der Frau willen geschaffen, sondern die Frau um des Mannes willen. Darum soll die Frau eine Macht auf dem Haupt haben um der Engel willen. Dennoch ist weder die Frau ohne den Mann noch der Mann ohne die Frau im Herrn. Denn so wie die Frau vom Mann ist, so ist auch der Mann durch die Frau; alles aber von Gott. Urteilt bei euch selbst: Ist es anständig, dass eine Frau unbedeckt zu Gott betet? Lehrt euch nicht auch die Natur selbst, dass, wenn ein Mann langes Haar hat, es eine Unehre für ihn ist, wenn aber eine Frau langes Haar hat, es eine Ehre für sie ist, weil das Haar ihr anstatt eines Schleiers gegeben ist? Wenn es aber jemand für gut hält, streitsüchtig zu sein, so haben wir solch eine Gewohnheit nicht, noch die Versammlungen Gottes (11,7–16).
Damit weist der Apostel auf die unmittelbare Stellung des Mannes als Gottes Ebenbild und Herrlichkeit hin: Die Frau ist die Herrlichkeit des Mannes und hat keinen solchen Platz der öffentlichen Repräsentation für Gott. Was immer sie relativ hat, ist wesentlich vermittelt und abgeleitet. Die Schöpfung ist der Beweis, natürlich nicht der gewöhnliche Lauf der Dinge seither. Es ist daher unmöglich, eine richtige Einschätzung vorzunehmen, ohne auf den Anfang zu schauen. Wenn sich Vers 7 also auf die Entstehung des Mannes beziehungsweise der Frau bezieht, so wird in Vers 8 die Erschaffung der Frau für den Mann und anschließend für den Mann als Begründung für die Unterordnung der Frau unter den Mann angeführt. Es ist leicht zu erkennen, dass dort, wo die Schöpfung geleugnet oder sogar ignoriert wird, die Männer natürlich denken und für ihre Gleichheit kämpfen. Aber es gibt noch eine andere Überlegung, die nur der Glaube zulassen kann – das Zeugnis der göttlichen Ordnung, das Mann und Frau gegenüber jenen geistigen Wesen ablegen sollten, von denen die Schrift erklärt, dass sie die innigste Verbindung mit den Erben des Heils haben (vgl. 1Kor 4,9; Eph 3). „Darum soll die Frau eine Macht auf dem Haupt haben um der Engel willen“ (V. 19) – ein Gedanke, der von den meisten Auslegern völlig übersehen wird, die sich teils in erniedrigende Gedanken über böse Engel, teils in eine Herabsetzung des Wortes auf den Sinn der Gerechten selbst, der christlichen Propheten, der Vorsteher der Versammlungen, der nuntii desponsationum oder der zur Bewirkung von Verlobungen abgeordneten Personen oder der von den Ungläubigen dorthin gesandten bloßen Spione verirrt haben.
So hat auch der Ausdruck „Macht auf dem Haupt“ Anlass zu endlosen Diskussionen gegeben. Autorität auf dem Haupt zu haben, bedeutet zweifellos, das entsprechende Zeichen einer Bedeckung oder einen Schleier zu tragen. Andererseits ist der Apostel in den Versen 11 und 12 darauf bedacht, die Gegenseitigkeit von Mann und Frau vorzustellen, indem er ihre Unabhängigkeit voneinander leugnet und Gott als die Quelle der beiden und aller Dinge bekräftigt.
Außerdem appelliert er an das Empfinden für Angemessenheit, das in der Unterschiedlichkeit von Mann und Frau begründet ist. „Urteilt bei euch selbst: Ist es anständig, dass eine Frau unbedeckt zu Gott betet? Lehrt euch nicht auch die Natur selbst“ (V. 13.14). Wenn es für den Mann so natürlich ist, kurzes Haar zu haben, wie für die Frau, langes zu haben, ist es dann nicht eine Auflehnung gegen die Natur eines jeden, dies in der Praxis umzukehren? Gottes Schöpfung muss regieren, wo das Wort seiner Gnade nicht zu Höherem aufruft, und das konnte hier nicht behauptet werden.
Schließlich ist der gewohnte Brauch der Versammlungen, wie er durch apostolische Weisheit geregelt ist, nicht leicht zu stören, und das sagt der Apostel mit großer moralischer Kraft. „Wenn es aber jemand für gut hält, streitsüchtig zu sein, so haben wir solch eine Gewohnheit nicht, noch die Versammlungen Gottes“ (V. 16).
Es ist eine verachtenswerte Art von Unabhängigkeit, die sich nicht nur gegen das geistliche Empfinden aller öffentlichen Zeugen in den Versammlungen Gottes erhebt, sondern auch über die, die mit himmlischer Weisheit ausgestattet sind, um alles zu leiten. Es ist weder Gewissen noch Geistlichkeit, sondern eine fleischliche Liebe, sich von anderen zu unterscheiden, und im Grunde schiere Eitelkeit. Der „Brauch“, der verneint wurde, war die Neuerung in Korinth, die Gottes Ordnung in der Natur durcheinanderbrachte, nicht die Streitsucht, wie viele Alte und Moderne seltsamerweise schließen.
Der Apostel hatte den Punkt der sittsamen Ordnung in Bezug auf die Frauen geklärt. Jetzt wendet er sich einer noch schwerwiegenderen Sache zu, nämlich der Meinung des Herrn über sein Abendmahl. Davon waren die Korinther an dieser Stelle traurig abgewichen und in die gröbsten Übel abgeglitten, wie wir sehen werden.
Doch ist es wichtig zu beachten, bevor wir in Einzelheiten gehen, dass nach der modernen Art, das Sakrament zu verwalten, eine solche Unordnung unmöglich war. Der Grund dafür ist über alle Maßen schwerwiegend. Die Christenheit hat das Abendmahl radikal verändert – ein ernsterer Zustand als selbst die peinliche und unmoralische Leichtfertigkeit, die damals die Versammlung in Korinth entehrte. Letzteres konnte gerichtet und berichtigt werden. Ersteres erfordert eine Rückkehr zu den ersten Grundsätzen, die völlig aufgegeben worden sind, nicht nur in Bezug auf die Institution selbst, sondern auch in Bezug auf das Wesen des Amtes und der Versammlung und ihre gegenseitigen Beziehungen.
Was Anlass zu der schmerzlichen Unangemessenheit der Versammlung in ihrem damaligen niedrigen und nachlässigen Zustand gab, war offenbar die Verwechslung des Liebesmahls mit dem Abendmahl des Herrn. Das Liebesmahl (oder agape) war ein Mahl, an dem die frühen Christen gemeinsam teilnahmen, mit dem Ziel, den sozialen Umgang unter denen zu pflegen, die als Fremde und Pilger berufen sind, auf der Erde zu leiden und die Ewigkeit gemeinsam in der Herrlichkeit mit dem Herrn zu verbringen. Die Korinther aber hatten den Sinn für die christliche Pilgerschaft verloren, und wie sie von der Welt die Rivalität der Schulen im Eifer für Lieblingslehrer hereingelassen hatten, so degradierten sie sogar die agape, indem sie an Klassenunterschieden festhielten, wobei die Reichen sich an ihren eigenen Beiträgen zum Mahl labten, während die, die nichts zu geben hatten, ihre Armut scharf zu spüren bekamen. So wurde das Prinzip der christlichen Gemeinschaft gerade bei dem Mahl zerstört, das es in der Praxis hätte zeigen sollen; und da sie auf diese Weise selbstsüchtig vergaßen, warum sie zusammenkamen, gab Gott sie der tieferen Sünde preis, das Abendmahl des Herrn, das zur gleichen Zeit eingenommen wurde, durch die Auswirkungen ihrer Zügellosigkeit beim Essen und Trinken zu entwürdigen.