Behandelter Abschnitt Röm 11,25-27
So können und sollten wir alle deutlich den Unterschied zwischen der Verantwortung des Geschöpfs, ob in Israel oder in der Christenheit sehen, und der Sicherheit der Auserwählten, die durch Gnade gerettet werden. Die Rettung ist von dem, der reich an Barmherzigkeit ist, möglich, wenn auch nur dem Gläubigen völlig und frei gegeben, kraft der Erlösung. Aber das hindert nicht die jetzige Prüfung, wie die Israels in der Vergangenheit. Das offenbarte Ergebnis ist der Abfall; aber die Gnade wird die Gläubigen auferwecken oder verwandeln, um dem Herrn bei seinem Kommen zu begegnen, wie sein Tag mit schonungslosen Gerichten über seine Feinde und am schwersten auf die fallen wird, die die besten und größten Vorrechte auf die schlimmste Weise missbrauchen. Das Ausschneiden des abgefallenen heidnischen Bekenntnisses wird den Weg für die Annahme Israels frei machen.
Der Apostel hatte gegen die Vorstellung argumentiert, dass Gott sein Volk verstoßen habe; erstens von dem Überrest gemäß der Auswahl der Gnade, von dem er selbst ein Beispiel war; und zweitens von dem offenbarten Ziel Gottes bei der Berufung der Heiden, Israel zur Eifersucht zu reizen, was die schöne und lehrreiche Zwischenzeit ihres eigenen Ölbaums einbrachte, die noch immer in eine ähnliche Richtung deutet. Doch jetzt kommen wir zu einem Grund, der definitiver und schlüssiger ist. Das Wort Gottes hat ausdrücklich seine Absicht bezeugt, Israel in souveräner Barmherzigkeit nach und trotz all ihrer Sünden zurückzurufen, ihnen schließlich ein gründliche Buße zu geben und ihr Herz ihrem so lange verworfenen Messias zuzuwenden.
Denn ich will nicht, Brüder, dass euch dieses Geheimnis unbekannt sei, damit ihr nicht euch selbst für klug haltet: dass Israel zum Teil Verhärtung widerfahren ist, bis die Vollzahl der Nationen eingegangen ist; und so wird ganz Israel errettet werden, wie geschrieben steht: „Aus Zion wird der Erretter kommen, er wird die Gottlosigkeiten von Jakob abwenden; und dies ist für sie der Bund von mir, wenn ich ihre Sünden wegnehmen werde“ (11,25–27).
Wenn der Apostel die Septuaginta-Version von zwei Stellen in Jesaja (Jes 59,20; 27,9; vgl. auch Jer 31) gebraucht, so lautet im griechischen Text, so wie er jetzt steht, die Formulierung weder zu Zion, wie im Hebräischen, noch aus Zion, wie im Brief, sondern um [ἕνεκεν], außer in zwei Kopien, auf die Holmes und Parsons in ihrer großen Ausgabe der LXX hinweisen, von denen eine sicher eine Korrektur ist, die andere wahrscheinlich. Dass Origenes, Chrysostomus und Theodoret nach dem Neuen Testament zitieren, entscheidet nichts gegen den gemeinsamen Text der Siebzig. Und dies wird durch die schlichte Tatsache bestätigt, dass Origenes, der den Propheten bei der Auslegung von Psalm 14 nach der Weise des Apostels zitiert hatte, in seiner Hexapla den Text der LXX so wiedergibt, wie er jetzt dort steht, während wir Aquila und Symmachus sehen, die sich genau an den hebräischen Text halten. Es ist für mich offensichtlich, dass die letzten Verse von Psalm 16 und Psalm 52 den Apostel vollständig und wörtlich rechtfertigen, der vom Heiligen Geist angewiesen wurde, das Alte Testament in einer Weise zu verwenden, die für die Eiligen, Unvorsichtigen oder Ungläubigen, die zu sehr geneigt sind, einen inspirierten Mann wie sich selbst zu betrachten, oberflächlich aussieht, aber in Wirklichkeit mit der umfassendsten Weisheit und der schönsten Genauigkeit, um den Gedanken Gottes zu vermitteln, wie er in seinem Wort enthalten ist, nicht in einem einzigen Text, sondern aus vielen, die zu einem einzigen verwoben sind. Der Erlöser wird nach Zion kommen, von wo aus Er später den Stab seiner Macht zur vollständigen Befreiung seines Volkes senden wird, an dem Tag, an dem Er die Gottlosigkeit von Jakob abwenden und ihn für immer unter den neuen Bund stellen wird.
Wenn also die Verstockung Israels (wenn auch, Gott sei Dank, nur zum Teil) damals wahr war und immer noch andauert, lange bevor sie angekündigt wurde, so nehmen derselbe Prophet und, wie wir hinzufügen dürfen, die übrigen Propheten den strahlenden Tag für die Erde vorweg, an dem ganz Israel als solches gerettet werden wird. Die πλήρωμα, die Fülle oder volle Ergänzung der Heiden, die jetzt glauben, wird hineingekommen sein; und so wird sich das lange schuldige und gezüchtigte Volk des Herrn dem Herrn zuwenden und Ihn in dem gekreuzigten Nazarener als ihren Herrn und Gott anerkennen; so wie Thomas, der sie hierin vertritt, Ihn sah und glaubte (Joh 20,28).
Es gibt keinen Kommentar im Neuen Testament, der wichtiger ist, um die richtige Bedeutung der alttestamentlichen Prophezeiung zu bestimmen. Die versinnbilchende Schule der Alten von Origenes bis hin zu den Modernen unserer Tage ist in diesem Punkt weit von der Wahrheit Gottes entfernt. In der Tat ist sie als System eine bloße Belanglosigkeit und ihre Wurzel Unglaube, da ihre dogmatische Wirkung darin besteht, das Vertrauen in das klare geschriebene Wort zu erschüttern, und ihr praktisches Ergebnis ist nicht nur, das alte Volk Gottes seiner Hoffnung zu berauben, sondern unsere eigene herabzusetzen und zu verdunkeln, indem sie die irdische Stellung Israels (verwirrt und verdorben durch einen sogenannten Spiritualismus) an die Stelle der Trennung von und der Vereinigung mit Christus im Himmel, dem wahren Ort des Christen und der Versammlung, setzt. Es wird einige meiner Leser in Erstaunen versetzen, zu erfahren, dass Origenes, zweifellos einer der fähigsten und gelehrtesten der frühen griechischen Väter, in diesem Zusammenhang von Zion als Repräsentant des Vaters spricht! Andere mögen nüchterner sein; aber sie verstanden die Wahrheit nicht besser als er, wenn sie sich nicht zu solch wilden Phantasieflügen hinreißen ließen. Wenn einige von Theodoret, wie Chrysostomus, Besseres gehofft haben mögen, so bin ich gezwungen, zu beweisen, wie unsicher die Lehre ist, die, nachdem sie wahrhaftig gesagt hat, dass die Juden glauben werden, nach Abschluss des Werkes, von dem unter den Heiden gesprochen wird, uns sagt, dass „ganz Israel“ die bezeichnet, die glauben, ob von Juden oder von Heiden. Sogar diese dürftige Erwartung des Segens am Ende für Israel wird von Hieronymus (Comm. Esai. xi.), der alles vom ersten Kommen verstanden haben will, kühn bestritten!
Auch die Reformatoren haben sich nicht von der Unwissenheit und dem Vorurteil der Väter befreit, zum Teil durch ihre Furcht vor der Gewalt der Täufer und dem Fanatismus in ihren Träumen von einem fünften Reich, Träumen, die doch den Theorien Roms und der Väter viel ähnlicher sind als den heiligen und himmlischen Hoffnungen, die im geschriebenen Wort gegeben sind. Denn es wird zu beobachten sein, dass solche Seher ein eigenes Zion auf der Erde suchen, so wie in abgewandeltem Sinn ihre Gegner die Propheten der Kirche auslegen. Alle waren im Irrtum, wenn auch in verschiedenen Richtungen; so müssen alle sein, die den Anteil der Versammlung nicht als einen himmlischen mit Christus bei seinem Kommen sehen, der sein Volk wieder in den Genuss aller verheißenen Segnungen und Herrlichkeiten auf der Erde bringen wird, wobei die Nationen dann nur als Ganzes, wenn auch untergeordnet, gesegnet werden. Aber die auferstandenen Gläubigen werden mit Christus über die Erde herrschen. Wir sind in Ihm in himmlischen Örtern gesegnet.
Daher können wir das Schwanken Luthers verstehen. Aber Calvin hat sich immer geirrt, als Beispiel dafür mag seine Auslegung dieser Stelle genügen, wo er ganz Israel zur Gesamtheit der Geretteten macht, wobei die Juden nur den übergeordneten Platz als die Erstgeborenen haben.22
Viel richtiger haben Beza auf der protestantischen und Estius auf der katholischen Seite den Vers ausgelegt und den Gegensatz von πᾶς Ἰσραήλ in der zukünftigen Verstockung ἀπὸ μέρους gezeigt, was streng genommen zum Teil bedeutet, nicht eine bloße Qualifizierung einer strengen Erklärung, wobei bis auch den Zeitpunkt angibt, an dem die große Veränderung stattfindet. Mit Calvin zu sagen, dass bis (ἄχρις οὗ) dies nicht kennzeichnet, sondern nur gleichbedeutend mit dass ist, zeigt die starke Voreingenommenheit eines guten Mannes, dessen Kenntnis der Sprache unvollkommen war und der die Pointe des vor ihm liegenden Kapitels weitgehend verfehlte, durch jene Weisheit in der eigenen Einbildung, vor der der Apostel die Heiden warnt. Dass „Vollzahl der Nationen“ nicht die allgemeine Bekehrung der Welt zu Christus bedeuten kann, ist völlig sicher, wenn es nur aus der vorhergehenden Argumentation des Apostels im mittleren Teil des Kapitels ginge, wo er fragt, wenn die Fall der Juden der Reichtum der Welt waren, wie viel mehr ihre Vollzahl? Auch zeigt er, wie er sie zur Eifersucht reizte, um einige zu retten; denn wenn ihre Verwerfung die Versöhnung der Welt ist, was ist dann ihre Annahme anderes als Leben aus den Toten? Und das stimmt, wie schon gezeigt, mit dem ständigen Zeugnis des Gesetzes und der Psalmen und der Propheten überein, die immer den Segen Israels als Schöpfung zur Bedingung und unter Gott zum Mittel des Segens der ganzen Erde machen – ein neuer Zustand der Dinge, nicht das Evangelium oder die Versammlung, wie wir sie jetzt kennen, die beide damit unvereinbar sind, sondern das Reich in seiner Offenbarung der Herrlichkeit, wenn im weitesten Sinn alles Fleisch das Heil Gottes sehen wird. Hier sind die Kommentatoren, wie ich sagen muss, schmerzlich mangelhaft. Der Versuch einiger Alten und Moderner wie Grotius und Hammond, die Vollendung in den apostolischen Zeiten zu finden, ist von allen Schemata die gröbste Absurdität und der direkteste Gegensatz zum kommentierten Text.
Es kann hinzugefügt werden, dass, obwohl Dekan Alford den Begriff Israel in seinem eigentlichen Sinn verstand, er wie die anderen viel von der Kraft der Wahrheit verdirbt, indem er mit der Behauptung endet, dass die Sache, die hier behandelt wird, ihre Annahme in die Versammlung Gottes ist. Dem ist nicht so. Die Frage des Ölbaums steht völlig getrennt von der Versammlung, obwohl es seit Pfingsten zweifellos Zweige im Ölbaum gibt, die auch Glieder des Leibes Christi, der Versammlung Gottes, sind. Aber der Ölbaum ist ein ganz anderer Gedanke und umfasst das Handeln Gottes auf der Grundlage der Verheißung seit Abraham durch das Israel der Vorzeit, die Berufung der Nationen jetzt und das Israel wieder im Tausendjährigen Reich, nicht nur Gläubige, sondern Verantwortung gemäß den gegebenen Vorrechten, mit dem Gericht, das an den ungläubigen jüdischen Zweigen des Baumes vollstreckt wird, um die Heiden hineinzulassen, wie es an den ungehorsamen Heiden vollstreckt werden wird, wenn Gott Israel Buße und Vergebung der Sünden bei der Erscheinung Christi und seines Reiches geben wird.
Daher fährt der Apostel fort, etwas zu bekräftigen, was ganz anders ist als das Evangelium und der Kirchenstaat.
22 „Multi accipiunt de populo Judaico, acsi Paulus diceret instaurandum adhuc in eo religionem ut prius; sed ego Israelis nomen ad totum Dei populum extendo, hoc sensu: Quum Gentes ingressae fuerint, simul et Judaei ex defectione se ad fidei obedientiam recipient: atque ita complebitur salus totius Israelis Dei, quem ex utrisque colligi oportet: sic tamen ut priorem locum Judaei obtineant, ceu in familia Dei primogeniti“ (Comm. in loc.). Auch ist seine Begründung nicht stichhaltiger als seine Schlussfolgerung; denn er hält den geheimnisvollen Sinn für besser geeignet, weil Paulus hier die Vollendung des Reiches Christi aufzeigen wollte, „quae in Judaeis minime terminatur sed totum orbem comprehendit.“ Das Argument bestätigt eigentlich, was geleugnet wird; denn die Versammlung ist im Wesentlichen eine Auserwählung aus Juden und Heiden und kann niemals die ganze Welt umfassen; wohingegen die Errettung Israels bei der Ankunft Christi zur Herrschaft sein Reich über die ganze Erde einleitet und kennzeichnet (vgl. Sach 12 und 14).↩︎