Wir haben gesehen, dass der kostbare Grundsatz, dass die, die in Christus Jesus sind, nicht verdammt werden, mit noch größerer Kraft und Absolutheit bekräftigt wird, als er in der letzten Hälfte von Kapitel 5 zum ersten Mal eingeführt wurde. Diese sind nicht nur nicht verdammt, sondern es gibt für sie auch keine Verdammnis. Sie sind in Christus, und dorthin kann keine mögliche Verdammnis gelangen. Zweifellos sind sie gerechtfertigt; aber was gesagt wird, geht weiter als die Rechtfertigung durch das Blut. Die Rechtfertigung des Lebens wird vorausgesetzt; aber es gibt noch mehr, wie wir gleich sehen werden.
Denn das Gesetz des Geistes des Lebens in Christus Jesus hat mich freigemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes (8,2).
Es sind hier Fragen über „das Gesetz“ aufgeworfen worden, das am Anfang und am Ende dieses Satzes verwendet wird. Es gibt weder eine wirkliche Schwierigkeit noch einen Grund zum Zweifel. Der Apostel hat uns bereits zu verstehen gegeben, dass er den Begriff für ein bestimmtes, einheitlich wirkendes Prinzip verwendet, so wenn er vom „Gesetz des Glaubens“ (Röm 3,27) im Gegensatz zum „Gesetz der Werke“ spricht; und später noch „Gesetz in meinen Gliedern“ oder „der Sünde“, dort im Gegensatz zum „Gesetz meines Geistes“.
Gemeint ist also der Geist des Lebens in Christus Jesus, der ständig auf ein bestimmtes Ziel hin wirkt. Zweifellos ist dies erst seit der Verkündigung des Evangeliums der Fall, aber es bedeutet deshalb nicht das Evangelium. Der Apostel sagt auch nicht nur Leben, sondern „den Geist des Lebens in Christus Jesus“. In dem quälenden Konflikt unter dem Gesetz, der im letzten Teil von Kapitel 7 beschrieben wird, gab es Leben, sonst hätte es Unempfindlichkeit gegenüber der Sünde gegeben, aber nicht die Kraft des Geistes, der in und mit ihm wirkt, sonst hätte es Freiheit gegeben und nicht die Knechtschaft, die es damals gab.
Johannes 20,22 mag den Ausdruck illustrieren. Der Geist ist nicht getrennt von der Belebung eines Menschen; aber hier war mehr. Es war Leben im Überfluss, Leben in der Auferstehung. Der auferstandene Jesus hauchte in die Jünger, die bereits Leben hatten, und sagte: „Empfangt [den] Heiligen Geist.“ Es war nicht nur Bekehrung; noch weniger war es die Berufung in ein Amt oder die Verleihung einer Gabe (χάρισμα). Es war ein Leben gemäß der Stellung des nun auferstandenen und nicht mehr unter dem Gesetz stehenden Jesus, und damit ist der Geist eindeutig verbunden. Die entsprechende Frucht sehen wir fortan bei den Jüngern. Es ist nicht so, dass sie keine Fehler in Gedanken, Worten oder Taten machen würden; aber wir sehen danach eine Freiheit, Freude und Einsicht, die vorher unbekannt war. Hier also „hat mich freigemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes“.
Zum letzten Mal in dieser Darlegung wird von mir gesprochen. War die Bedrängnis persönlich, so ist es auch die Befreiung; hatte er den Fall eines unter dem Gesetz Gebundenen durchdacht und in seiner Anwendung auf sich selbst übertragen, so übertrug er nun die Anwendung der genossenen Freiheit auf sich selbst. Sünde und Tod waren nicht länger ein beherrschendes Prinzip, und dies durch die einfache Tatsache des Lebens in Christus, das er durch den Geist hatte. Es ist nicht, wie Theodore von Mopsuestia (a. a. O. S. 67, ed. Fritzsche) meint, und viele seither, dass er die Auferstehung oder den zukünftigen Zustand vorwegnimmt, sondern es geht um den tatsächliche Zustand des Christen. Die Freiheit wurde ihm durch den Heiligen Geist zuteil, wenn er aufhörte, den Sieg über das ihm innewohnende Böse durch Anstrengungen unter dem Gesetz zu suchen, wenn er bereit war, sich selbst als ohnmächtig für das von ihm gewünschte Gute aufzugeben und sich der Gerechtigkeit Gottes zu unterwerfen. Dann erwies sich der Geist, der in dem gegebenen Leben wirkte, nicht als Schwachheit, sondern als Kraft, Liebe und gesundem Verstand.
So ist es klar, dass die Auferstehung Christi, die die Quelle des Lebens ist, wie wir es in Ihm haben, das Bindeglied zwischen unserer Rechtfertigung und der praktischen Heiligkeit ist, die Gott im Christen sucht und bewirkt. Es ist falsch, diesen Vers, oder sogar den ersten, als eine bloße Zusammenfassung der Rechtfertigung zu behandeln. Calvin ist näher am Ziel als solche wie Haldane und Hodge, die ihn so einschränken. Dennoch, so wie ich nicht glaube, dass der Leiter von Genf berechtigt ist, so über die Sprache des Apostels zu reden, so scheint es mir, dass er seine eigene mangelhafte Bekanntschaft mit dem Evangelium in demselben Satz verrät. „Mit dem Gesetz des Geistes bezeichnet er fälschlich den Geist Gottes, der unsere Seelen mit dem Blut Christi besprengt, nicht nur um uns von dem Flecken der Sünde in Bezug auf die Schuld zu reinigen, sondern um uns zu wahrer Reinheit zu heiligen.“ Der Fehler liegt ausschließlich beim Kommentator, der die tiefe und genau ausgedrückte Weisheit des Apostels nicht begriffen hat. Es wäre bescheidener gewesen, seine eigene Unwissenheit einzugestehen, als er sich selbst überfordert sah, als eine Sprache zu verwenden, die mit einem angemessenen Sinn für Gottes Wort schwer zu vereinbaren ist. Nennt Er die Dinge unpassend? Soweit Calvins Kühnheit, die umso krasser ist, als sie im Folgenden Unwissenheit verrät. Denn wir haben es hier nicht mit dem Blut Christi zu tun, das die Menschen besprengt, sondern mit dem Geist, der mit der Festigkeit eines Gesetzes in dem Leben wirkt, das in Christus das unsere ist – ein Leben, das in Auferstehungskraft steht und uns daher von der Macht der Sünde und des Todes befreit hat: Sonst müssten Sünde und Tod regiert haben. Es geht hier nicht um Vergebung, sondern um die Freiheit vom ständigen Wirken der Sünde und ihres Lohnes. Unser eigenes Leben, jetzt, wo der Geist gegeben ist, erklärt und beweist uns als befreit.
Das „Gesetz der Sünde und des Todes“ bedeutet nicht das Gesetz Gottes, wie einige Geistliche merkwürdigerweise meinten, indem sie „das Gesetz des Geistes“ zum Evangelium machten; es bedeutet einfach das einheitliche Prinzip des Fleisches im moralischen Charakter und im Ergebnis. Die Kraft liegt im Geist, der uns unseren Platz in Christus gezeigt hat und uns als lebendig für Gott in Ihm befreit hat. So wird gezeigt, dass der gemeinsame Platz der Nicht-Verdammnis für die, die in Christus sind, untrennbar mit einem neuen Leben in der Kraft des Geistes in dem auferstandenen Christus verbunden ist, der uns von Sünde und Tod als Gesetz befreit hat; und dies wird intensiv persönlich ausgedrückt: „Denn das Gesetz des Geistes des Lebens in Christus Jesus hat mich freigemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes.“ Die nächsten beiden Verse erklären, wie Gott dies in seiner Gnade bewirkt hat, ohne seine heilige Verdammnis des Bösen – unseres Bösen – zu entkräften, ja, auf keine andere Weise so gut aufrechtzuerhalten.
Offensichtlich sind also die Auferstehung, der Tod und die Auferstehung Jesu, die Grundlage dieser ganzen Lehre. Sie wurde am Ende von Kapitel 4 als das Siegel der Erlösung angesehen. Denn Er wurde für unsere Übertretungen hingegeben und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt. Aber es steckt noch viel mehr in seiner Auferstehung. Sie ist eine Quelle des Lebens, und dies auch in der Offenbarung des Sieges über alle Folgen der Sünde und des Todes. Das ist die Kraft der Auferstehung Christi auch jetzt für den Gläubigen, soweit es die Seele betrifft. Und hierin liegt die wahre und mächtige Verbindung zwischen Rechtfertigung und praktischer Heiligkeit. Der Christ ist nicht nur durch das Blut gerechtfertigt worden, sondern er hat die Rechtfertigung des Lebens in Christus; ja, das Leben dessen, der von den Toten auferstanden ist, wenn alle Anklagen und das Gericht ihren Lauf genommen haben, die Sünde weggetan und Gott verherrlicht worden ist. Wo diese Wahrheit nicht gesehen wird, kann ein gottesfürchtiger Mensch wohl Befürchtungen, wenn nicht gar Ängste haben, was den Ausgang betrifft. Wo sie aber einfach und vollständig gesehen wird, muss es – es sollte – Vertrauen in dem durch den Glauben gereinigten Herzen geben. Nicht, dass es hier auf der Erde nicht die Notwendigkeit eines beständigen Selbstgerichts gäbe; aber daneben hat man das Recht, im Blick auf den gestorbenen und auferstandenen Christus ebenso sicher zu sein über den Charakter seines Lebens wie über die Wirksamkeit seines Blutes. In beidem findet der Gläubige seine Glückseligkeit. Aber einige, das muss zu ihrer Schande gesagt werden, sind unwissend über den wahren Charakter Gottes und die Befreiung in und durch Christus, den Herrn. Die Befreiung vom Gesetz der Sünde und des Todes ist, wie der Apostel erklärt, die Wirkung des Gesetzes des Geistes des Lebens im Heiland. Der moralische Grund dafür auf Seiten Gottes wird in Vers 3 gezeigt, das praktische Ergebnis auf unserer Seite in Vers 4.