Behandelter Abschnitt Röm 1,21-23
Wiederum ist bekannt, dass „Göttlichkeit“ (θειότης von θεῖος, göttlich), hier in der Autorisierten Version mit „Gottheit“ übersetzt, eine ganz andere Kraft hat als θεότες (von Θεός, Gott) in Kolosser 2,9. Im letzteren Fall würde es ganz und gar nicht dem Ziel des Apostels entsprechen, der Person Christi Göttlichkeit zuzuschreiben: Die ganze Fülle der Gottheit oder Gottheit im strengsten Sinn, sagt er, wohnt in Ihm leibhaftig. Im ersten Fall wird keine so ausgeprägte Persönlichkeit vorausgesetzt, sondern der allgemeinere Sinn, dass der Mensch von einer nicht kreatürlichen, sondern schöpferischen Natur erfährt, wie sie sich in seinen Werken zeigt, der Frucht seiner Macht. Es ist eine echte, wenn auch die geringste Art von Zeugnis.
Der nächste Grund ist nicht das Erkennbare, sondern das positiv Erkannte: weil sie, Gott kennend, ihn weder als Gott verherrlichten noch ihm Dank darbrachten, sondern in ihren Überlegungen in Torheit verfielen und ihr unverständiges Herz verfinstert wurde. Indem sie sich für Weise ausgaben, sind sie zu Toren geworden und haben die Herrlichkeit des unverweslichen Gottes verwandelt in das Gleichnis6 eines Bildes von einem verweslichen Menschen und von Vögeln und von vierfüßigen und kriechenden Tieren (1,21–23).
Es handelt sich um eine überlieferte Gotteserkenntnis; und wie die Ersteren den Menschen von Anfang an mit Beweisen bedachten, die berechnet und hinreichend waren, um auf eine göttliche erste Ursache hinzuweisen, so war die objektive Gotteserkenntnis, von der hier die Rede ist, auch nach der Sintflut das Teil des Menschen: In der Tat hören wir erst nach diesem gewaltigen Ereignis von Götzendienst. Aber der Mensch war der Aufgabe, das heilige Gut zu bewahren, nicht gewachsen, und zwar wegen seines moralischen Zustands.
Da sie Gott kannten, haben sie ihn weder als Gott verherrlicht, noch waren sie ihm dankbar. Das ließ Raum für eitle Überlegungen, die wieder das Herz verdunkelten, statt es ins Licht zu führen. Es war die Ichbezogenheit und damit die Torheit des Geschöpfes. Denn Licht sieht man nur in Gottes Licht, und der Mensch muss in die Finsternis sinken, wenn er sich nicht moralisch erhebt, indem er zu jemandem über ihm aufschaut. Der demütigende Beweis erschien zu früh; und die Philosophie besiegelte nur das Übel, zu dem die abergläubische Angst den Weg führte. Ein unerkannter Höchster wurde schnell vergessen, und die Herrlichkeit des unbestechlichen Gottes wurde gegen ein Bild des vergänglichen Menschen ausgetauscht, ja, in Objekte, die sich immer weiter reduzieren, bis die Herren der Schöpfung, die nun Opfer dieses entwürdigenden Wahns sind, das ekelhafteste Reptil anbeten, das Staub frisst.
Wie wunderbar widerlegen diese wenigen Worte die Theorie des Fortschritts, der die Möchtegern-Weisen in der Antike und in der Neuzeit nachgegeben haben: eine Theorie, die ihrer eigenen gepriesenen Vernunft ebenso widerspricht wie den Tatsachen. Denn was für ein Wesen könnte Er sein, das sein intelligentes und moralisch verantwortliches Geschöpf, den Menschen, seinen freudlosen, elenden Weg von den Schrecken der Naturanbetung und der Finsternis des Polytheismus zu gerechteren Vorstellungen von sich selbst und seinen Eigenschaften ertasten lassen würde! Wo ist die Weisheit, wo die Liebe, wo die Gerechtigkeit eines solchen Schemas? Der Irrtum besteht darin, vom Fortschritt in den materiellen Dingen oder gar vom intellektuellen Bereich auf den moralischen Zustand zu schließen: Es ist ein Fortschritt, wie ihn die Schrift seit dem Sündenfall zugesteht, was genau das Gegenteil bedeutet. Nein, der Mensch entfernte sich mehr und mehr von Gott bis zur Sintflut; danach gab er die Erkenntnis Gottes für die Anbetung des Geschöpfes auf. Das Menschengeschlecht fiel in immer größeren Irrtum und Böses, bis eine teilweise Offenbarung durch Mose und die vollständige Offenbarung Gottes in Christus die heidnische Welt moralisch richtete und ihren Verfall, nicht ihren Fortschritt, ihre Unempfänglichkeit für die rechte Vernunft und ihr Abweichen von den wahren Traditionen in die Erniedrigung des Götzendienstes bewies.
6 Ὁμοίωμα und εἰκών sind nicht dasselbe und werden beide gebraucht, um den Gedanken des Apostels zu vervollständigen. Das eine bedeutet eine Sache, die ähnlich gemacht wurde, oder ein Ebenbild; das andere ein Repräsentant oder ein Bild, egal ob es äußerlich ähnlich ist oder nicht. Das erklärt, warum die Formen von ὅμοιος nie für den Sohn in Bezug auf den Vater verwendet werden; denn von Ihm, der im Anfang vor der Schöpfung Gott war und doch mit Gott, konnte nicht gesagt werden, dass Er nur wie Gott ist. Aber als Er Fleisch geworden war, konnte Er das Ebenbild des unsichtbaren Gottes sein, und es wird gesagt, dass Er es ist. Andererseits war es keine Abwertung, sondern die höchste Auszeichnung für Gott, vom ersten Adam zu sagen, dass er ihn „in unserem Bild, nach unserem Gleichnis“ (1Mo 1,26) machen würde, das heißt, Ihn hier auf der Erde zu repräsentieren, und zwar sündlos und moralisch so wie Er war. Die Verfolgung der Anwendung sowohl in 1. Mose als auch im Neuen Testament ist höchst interessant und wird beweisen, wie wenig die Väter oder moderne Bücher, die auf ihren Ideen basieren, die vermittelte Wahrheit erfasst haben. Sie verherrlichen den ersten Menschen ebenso ungebührlich, wie sie die Herrlichkeit des zweiten herabsetzen, und zwar durch den Einfluss des Platonismus. Gefallen wie er ist, ist der Mensch immer noch Gottes Ebenbild. Ihn zu verfluchen, bedeutet, jemanden zu verfluchen, der nach seinem Ebenbild geschaffen wurde. In der Auferstehung wird der Gläubige Christus gleich sein und seinem Bild als der „Erstgeborene unter vielen Brüdern“ entsprechen.↩︎