Denn Gottes Gerechtigkeit wird darin offenbart aus Glauben zu Glauben, wie geschrieben steht: „Der Gerechte aber wird aus Glauben leben“ (1,17).
Dieser Vers ist in sich selbst so wichtig, von so großer Bedeutung für den Brief wie auch für die Lehre des Evangeliums an anderer Stelle, und außerdem so verwirrt durch die widersprüchlichen Gedanken sogar der wahren Gläubigen, ganz zu schweigen von den Theologen aller Schulen, dass er unsere sorgfältige Betrachtung in Abhängigkeit von unserem Gott verlangt und sicherlich belohnen wird.
Das erste, was zu bemerken ist, ist, dass δικαιοσύνη nicht Rechtfertigung bedeutet, sondern hier wenigstens, wie in den meisten Stellen, wo diese Wendung vorkommt, Gerechtigkeit, und diese rechtfertigend. Es wird daher vom Apostel unterschieden von δικαίωσις (Röm 4,25; 5,18), das die Handlung der Rechtfertigung oder die Wirkung – die Rechtfertigung – ausdrückt; denn δικαίωμα stellt die vollendete Gerechtigkeit in der Rechtfertigung oder im Gericht dar, die gerechte Forderung, sei es moralisch oder als Verordnung oder Dekret (Lk 1,6; Röm 1,32; 2,26; 5,16.18; 8,4; Heb 9,1.10; Off 15,4; 19,8). So behält δικαιοσύνη seine reguläre Bedeutung der Gewohnheit oder der Qualität der Gerechtigkeit.
Dann beachte, dass es Θεοῦ, Gottes Gerechtigkeit ist, nicht die des Menschen – göttliche Gerechtigkeit, die im Evangelium offenbart wird, nicht menschliche Gerechtigkeit, die im Gesetz gefordert wird. Es geht hier weder um Zufügung noch um Zurechnung. Was die Zufügung2 betrifft, so ist sie völlig falsch; was die Zurechnung betrifft, so ist es eine kostbare Wahrheit, auf der in Kapitel 4 bestanden wird, wo der Apostel aus dem Fall Abrahams ableitet, dass der Glaube des Gläubigen zur (oder als) Gerechtigkeit angerechnet wird. Denn Gott in seiner Gnade kann es sich leisten, den gottlosen Menschen, der an Ihn glaubt, zu rechtfertigen – kann und rechnet ihm die Gerechtigkeit unabhängig von den Werken zu, wie es in Psalm 32 heißt.
Hier geht der Apostel jedoch nicht auf eine Darlegung des Grundes ein, auf dem Gott in Übereinstimmung mit seinem Charakter einen sündigen Menschen rechtfertigen könnte. Aber wie er erklärt hatte, dass er sich des Evangeliums nicht schämt, weil es Gottes Kraft zur Errettung für jeden gläubigen Juden oder Griechen ist, so erklärt er jetzt, dass es diesen rettenden Charakter hat, weil Gottes Gerechtigkeit darin „aus Glauben“ und folglich „zu Glauben“ offenbart wird.
In Titus 2 schaut der Apostel auf die Quelle des Evangeliums. Es ist die Gnade Gottes. Der verlorene Mensch braucht diese rettende Gnade, die nur in Gott ist und jetzt in Christus Jesus und seiner Erlösung frei und voll erschienen ist. Aber hier in Kapitel 1 liegt die Betonung auf seiner Gerechtigkeit, nicht auf seiner Barmherzigkeit, obwohl sie in der Tat die reichste Barmherzigkeit ist, aber sie ist viel mehr. Im Evangelium wird seine Gerechtigkeit offenbart. Der erweckte Sünder tut Buße, verabscheut seine Sünden, beurteilt sich selbst als ganz und gar böse in Gottes Augen und stützt sich so demütig und dankbar auf Christus. Aber im Evangelium offenbart sich nicht der Sieg des gegen die Sünde kämpfenden Menschen, sondern Gottes gerechte Übereinstimmung mit sich selbst, indem Er dem Gläubigen eine Erlösung offenbart, die völlig außerhalb seiner selbst liegt und daher ἐκ πίστεως, durch oder aus Glauben, aus diesem Prinzip und keinem anderen. Die souveräne Gnade allein hätte es ausdenken oder dem, der nichts anderes verdiente, so frei geben können; aber das Gewissen des vom Geist berührten Sünders konnte keinen Frieden haben, solange eine Anklage der Schuld blieb.
Die Gerechtigkeit Gottes, ohne das Evangelium, hätte mit den Schuldigen kurzen Prozess gemacht und müsste sie sofort und für immer verurteilen. Aber das Evangelium ist die Kraft Gottes zur Erlösung, weil darin seine Gerechtigkeit auf dem Weg des Glaubens offenbart wird. Wäre es durch Werke des Gesetzes, so müsste der Mensch das Leben gewinnen und verdienen, aber es steht ganz im Gegensatz zu einem solchen Schema, und der Mensch, der schuldig und damit verloren ist, verschwindet aus jedem solchen Grund, außer als Gegenstand der Rettung Gottes, die nun in der gesegneten Tatsache triumphiert, dass sie auch seine Gerechtigkeit ist. Daher ist es aus Glauben, damit es nach der Gnade sei, und so zugänglich für jeden Gläubigen; denn wie uns an anderer Stelle gesagt wird: „Das Gesetz ist aber nicht aus dem Glauben“ (Gal 3,12), und es wirkt Zorn (Röm 4). Es ist also klar, dass es eine große Präzision gibt, wie immer in der Sprache der Heiligen Schrift. Menschliche Gerechtigkeit wird ausdrücklich ausgeschlossen, wie es ja auch dem ganzen Zusammenhang widerspräche, der den Menschen als verloren voraussetzt, wenn es nur darum ginge, dass das Evangelium Gottes die Kraft zur Errettung ist: Gleich darauf (V. 18ff.) fährt er damit fort, die Allgemeingültigkeit und Vollständigkeit des Verderbens des Menschen zu beweisen. Das Evangelium ist die Offenbarung der göttlichen Gerechtigkeit.3 Gott ist es, der rechtfertigt, und Er ist gerecht, wenn Er den rechtfertigt, der glaubt.
Es ist von immenser Bedeutung, diese große Wahrheit zu erkennen. Es ist nicht nur eine Gerechtigkeit, die Gott gibt und schenkt, oder die bei Ihm gilt, obwohl beides ganz richtig ist. Die Bedeutung ist, was die Worte sagen – „Gottes Gerechtigkeit“ –, ohne dass wir vorläufig weitergehen. Wer zweifelt an der Kraft der Macht Gottes kurz vorher, oder an Gottes Zorn kurz danach? Warum sollten die Menschen über die ähnliche Formulierung dazwischen stolpern? Kapitel 3,21–26 ist deutlich genug, um zu einem eindeutigen Urteil zu verhelfen.
Ein Grund für die Schwierigkeit liegt darin, dass manche anscheinend nie an Gerechtigkeit ohne Zurechnung denken; und da wir nicht von der Zurechnung der Gerechtigkeit Gottes sprechen können, so ändern sie in ihrem eigenen Denken den Ausdruck der Schrift und ziehen es vor, ihren Gedanken als „zugerechnete Gerechtigkeit Christi“ auszudrücken, was wiederum Raum für andere Konsequenzen lässt. Nun müssen wir grundsätzlich an der Überlegenheit der Schrift und an den Formen festhalten, die die inspirierende Weisheit Gottes seiner eigenen Wahrheit gegeben hat. Dass Christus absolut und vollkommen gerecht war, glaubt jeder Christ; dass die Zurechnung einen höchst wichtigen Platz in der Sache unserer Rechtfertigung hat, ist meiner Meinung nach sowohl unbestreitbar sicher als auch wesentlich für das Evangelium. Dennoch bleibt die Wahrheit, dass dort, wo Gottes Gerechtigkeit in der Heiligen Schrift vorkommt, die Zurechnung nicht verwendet wird. Ich glaube auch nicht, dass sie es sein könnte; denn so wie Gottes Gerechtigkeit nicht inbegriffen sein kann, so hat andererseits die Zurechnung Gerechtigkeit Gottes keine Bedeutung.4 Hier ist es seine Gerechtigkeit, die im Evangelium offenbart wird. Kapitel 3 zeigt, wie dies gerecht sein kann. Da wir nicht nur mangelhafte, sondern schuldige Sünder sind, können wir nicht ohne das Blut Christi gerechtfertigt werden, der zur Sühnung für unsere Sünden gestorben ist. Daher ist die göttliche Gerechtigkeit ganz unabhängig vom Gesetz durch den Glauben an den, der so die Erlösung bewirkt hat, und Gott ist gerecht und rechtfertigt den, der des Glaubens an Jesus ist. Gott aber wurde durch das Kreuz Christi so verherrlicht, dass Er Ihn auferweckt und in Herrlichkeit zu seiner Rechten gesetzt hat – uns nicht nur vergeben, sondern uns in Christus in himmlische Örter gesetzt hat.
Das ist die Gerechtigkeit Gottes, die dem Glauben offenbart wird. Nichts Geringeres ist die Gerechtigkeit, die Christus aufgrund seines Erlösungswerkes zusteht. Es ist der Gegensatz vom Werk des Gesetzes in jeder Hinsicht. Gott ist gerecht, wenn Er nicht nur Christus, sondern auch den Gläubigen in Ihm nach dem Wert der Erlösung in seinen Augen behandelt. Kraft seines Werkes betrachtet Gott uns, die wir glauben, als gerecht; wir werden in Ihm zur Gerechtigkeit Gottes gemacht.
Am Sinai, im Gesetz, wurde die Gerechtigkeit des Menschen gefordert, aber als mangelhaft befunden. Im Evangelium wird Gottes Gerechtigkeit offenbart, vollständig und vollkommen. Vorher versprochen, wurde sie erst offenbart, als alles vollendet war, was ihre Grundlage ist. Da sie offenbart wurde, ist es eine Frage des Glaubens, nicht des Verlassens, des Sieges oder der inneren Kraft, sondern im Gegenteil des Wegschauens von sich selbst auf Gottes Gerechtigkeit in Christus.
Wie die göttliche Gerechtigkeit durch den Glauben offenbart wird (ἐκ πίστεως), so ist sie zum oder für den Glauben (εἰς πίστιν): das eine schließt Gesetzeswerke als den Weg oder das Prinzip aus, auf dem sie offenbart wird; das andere schließt den Glauben ein, wo immer er sein mag und in welchem Maß auch immer. Es ist eigenartig, dass die Authorized Version hier „aus Glauben“ und „durch Glauben“ für denselben Satz im selben Vers angibt. Ersteres scheint mir in diesem Zusammenhang verwerflich zu sein, weil es die Idee eines Wachstums von einem Grad des Glaubens zu einem anderen unterstellt, wie es einige frühere und moderne Menschen erklärt haben. Andererseits, ἐκ π (aus Glauben). zu nehmen mit δ. Θ (Gottes Gerechtigkeit). zu verbinden, ist vielleicht der Schwierigkeit geschuldet, die manche darin sehen, jedem Satz eine eigene Bedeutung zuzuordnen.
Auch muss sich der Leser vor der Vorstellung hüten, die manche von der Gegenwartsform des Verbs ἀποκαλύπτεται gefunden haben, als ob sie die Idee einer allmählich vollständigeren Erkenntnis des Rechtfertigungszustands rechtfertige.5 Ich bezweifle nicht, dass der Glaube wächst und damit auch die Erkenntnis und der Genuss unseres Segens in Christus, aber die Sache, die im Evangelium dem Glauben offenbart wird, ist vollständig: Die göttliche Gerechtigkeit weist jeden anderen Gedanken zurück, was auch immer das Maß sein mag, in dem das Herz sie erfasst.
Nicht einmal ein Jude könnte leugnen, dass der Prophet Habakuk (2,4) denselben Grundsatz bekräftigt; und der geringfügige Unterschied sowohl zum Hebräischen als auch zur Septuaginta bezeugt, wie mir scheint, dass diese Worte für so viel und nicht mehr zitiert werden: „wie geschrieben steht: ,Der Gerechte wird durch den Glauben leben.‘“
Der Apostel fährt danach fort zu zeigen, was es war, das das Evangelium so notwendig für den Menschen und so geeignet für Gott machte. Das Evangelium ist Gottes Kraft zur Errettung und damit eine Offenbarung seiner Gerechtigkeit, ἐκ πίστεως εἰς πίστιν. Als der Mensch offensichtlich keine Gerechtigkeit für Gott hatte oder davon überzeugt war, sie zu haben, offenbarte Er seine eigene im Evangelium, die folglich für den Glauben zugänglich war, wo immer sie existierte, da sie durch Glauben und nicht durch Gesetzeswerke, auf die der Jude Anspruch erhob, gegeben wurde. Für diese Wahrheit gab auch der Prophet Habakuk sein nachdrückliches Zeugnis.
Dass Gott so mit dem Menschen handeln würde, war absolut notwendig, wenn der Mensch Erlösung finden sollte. „Denn Gottes Zorn wird vom Himmel her offenbart über alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit in Ungerechtigkeit besitzen“ (V. 18).
Die Väter und die Kinder Israels waren nicht ohne Erfahrung mit dem göttlichen Zorn auf der Erde. Sie hatten gesehen, wie Er die Städte in der Ebene Sodoms zerstörte. Sie hatten seine wundersamen Züchtigungen auf dem Feld von Zoan kennengelernt, bis die Wasser des Schilfmeers, um ihretwillen getadelt, ihre stolzen Feinde bedeckten, so dass kein einziger mehr übrig war. Sie hatten seine Grenze gespürt, als der Herr etwas Neues schuf, und die Erde öffnete ihren Mund und verschlang schnell Korah, Dathan und Abiram mit ihrer Gesellschaft. Der Mensch, die Menschheit, hatte es in der Tat schon in der Flut bewiesen, die sie alle mit sich riss, außer denen, die in der Arche sicher waren. Aber diese und andere ähnliche Handlungen des Gerichts in der Vergangenheit geschahen in der Vorsehung und waren irdisch. Es gab noch keine Offenbarung des Zorns Gottes vom Himmel her. Diese göttlichen Handlungen waren in ihren Auswirkungen sichtbar, wenn sie die Menschen nicht vor den Augen ihrer Mitmenschen auf der Erde festhielten.
Jetzt, gleichzeitig mit der frohen Botschaft, nicht genau darin, wird der göttliche Zorn vom Himmel her offenbart (V. 18). Dieser ist noch keineswegs vollzogen, aber er wird offenbart; und der Mensch, der sündig ist, wird als völlig offenkundig, untauglich für Gottes Gegenwart gesehen. Gott selbst ist nicht mehr verborgen. Er ist im Fleisch offenbart worden: „der eingeborene Sohn, der im Schoß des Vaters ist, er hat ihn kundgemacht“ (Joh 1,18). Sein so offenbartes Wesen ist absolut unduldsam gegenüber der Sünde, wie es auch gegenüber den Sündern sein muss, wenn nicht seine im Evangelium offenbarte Gerechtigkeit, die den Gläubigen durch den Glauben an Christus rechtfertigt. Dennoch macht derselbe Christus, dessen Sühnung die Grundlage des Evangeliums ist, Gott bekannt, wie Er ist, und nirgends wird mehr bewiesen, dass Er für immer mit dem Bösen Krieg führt, als am Kreuz, wo Jesus, der keine Sünde kannte und doch für uns zur Sünde wurde, nicht nur den Tod, sondern auch die göttliche Verlassenheit schmeckte, damit unsere Sünden nach dem schonungslosen Gericht Gottes behandelt werden konnten. Daher wird zusammen mit dem Evangelium sein Zorn vom Himmel her offenbart, der weit über alle denkbaren zeitlichen Schläge seiner Hand auf der Erde hinausgeht; denn diese (obwohl natürlich ein Zeugnis und soweit sie mit diesem Wesen übereinstimmten) waren nur ein Teil seines Regierungshandelns, nicht der volle Ausdruck seines Wesens, wenn wir zur Sühnung Christi kommen.
Daher richtet sich dieser vom Himmel offenbarte göttliche Zorn gegen jede Art von Gottlosigkeit (πᾶσαν ἀσέβειαν) und besonders die Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit in Ungerechtigkeit besitzen. Es ist nicht mehr ein bestimmtes Volk unter einem Gesetz, das die Übertretungen richtete, obwohl es die Erkenntnis einer sündigen Wurzel darunter gab, während der Rest der Nationen vergleichsweise übersehen wurde. „Hört dieses Wort, das der Herr über euch redet, ihr Kinder Israel – über das ganze Geschlecht, das ich aus dem Land Ägypten heraufgeführt habe –, indem er spricht: Nur euch habe ich von allen Geschlechtern der Erde erkannt; darum werde ich alle eure Ungerechtigkeiten an euch heimsuchen“ (Amos 3,1.2). Der Schleier ist zerrissen; und Gott leuchtet gleichsam umher, erkennt und richtet alles, was mit Ihm selbst unvereinbar ist. Gleichzeitig bietet Er im Evangelium einen freien und vollen Sünderlass jedem an, der glaubt. Während also jede Form des heidnischen Bösen sich moralisch gegen Gottes Natur richtet, wird beim Juden, wenn er ungerecht ist, von vornherein vorausgesetzt, dass er sich in einem noch schrecklicheren Zustand befindet. „Das Heil kommt aus den Juden“ (Joh 4,22). Sie hatten die Verheißungen und das Gesetz, und zumindest teilweise die Wahrheit. Aber die Sprache ist so umfassend, dass sie genauso, wenn nicht sogar noch mehr, auf den bekennenden Christen jetzt mit seinem vergrößerten Licht, der Gnade und der Wahrheit, die in Christus vollständiger offenbart wurde, anwendbar ist. Eine Vermehrung der Vorrechte ist, wenn sie missbraucht wird, nur eine Vermehrung der Verdammnis. Und was ist gerechter, wenn die Feinde Gottes selbst Richter sind und die Sache ihre eigene? So scheint mir, dass „alle“ (πᾶσαν) sich sowohl auf den zweiten Teil der Beschreibung als auch auf den ersten erstreckt und jede Art von Ungerechtigkeit umfasst, wo Menschen die Wahrheit in Ungerechtigkeit besitzen, nicht weniger als jede Art von Gottlosigkeit. Solche Menschen sind zwar nicht im strengen Sinn gottlos, denn sie besitzen die Wahrheit. Doch weil sie ungerecht sind, bewirken sie, dass die Wahrheit und der Name Gottes dadurch gelästert werden.
Einige finden eine Schwierigkeit im letzten Satz und nehmen an, dass besitzen (κατεχόντων), wenn es hier im Sinn von halten verstanden wird, es nur im niedrigsten Grad verstanden werden muss, und streiten für die Bedeutung von zurückhalten oder Zurückhaltung wie in 2. Thessalonicher 2,6.7, was nach ihrer Überzeugung zu unserem Kontext passt. Meine Überzeugung ist, dass κατέχω hier seine übliche Betonung des Besitzes oder Festhaltens beibehält, wenn es um moralische Dinge geht, und dass dies für die ernste Lektion, die hier vermittelt wird, notwendig ist. Denn der Apostel spricht von Gottes Zorn nicht nur gegen alle Gottlosigkeit im Allgemeinen, sondern besonders gegen die Ungerechtigkeit der Menschen, die so hartnäckig die Wahrheit in Ungerechtigkeit festhalten. Gott lässt sich nicht spotten. Sein Geist ist sowohl der Heilige Geist als auch der Geist der Wahrheit. Er muss die Wahrheit in der Gerechtigkeit besitzen, denn sonst ist es nicht Christus, der zweite Mensch, sondern nur der erste Mensch in einer anderen Gestalt, und zwar in einer Gestalt, die Ihm selbst besonders verhasst ist. Wie viele fühlen scharf, streiten heiß und haben in anderen Tagen in tödlichem Kampf um die Wahrheit gestritten, die sie besaßen, deren Werke Gott verleugneten, die abscheulich, ungehorsam und zu jedem guten Werk ungeschickt waren! Die Juden waren damals ein bekanntes Zeugnis dieser gefährlichen Religion: Das Christentum, das Papsttum, der Protestantismus, die wahrhaftigste Dogmatik, die ihr wollt, ist jetzt keinen Deut sicherer, wo der Professor nicht nach der Heiligkeit strebt, ohne die kein Mensch den Herrn sehen wird.
Nichts kann einfacher und sicherer sein als diese Wahrheit, wenn sie einmal ausgesprochen und verstanden ist. Aber wie wertvoll sie ist, geht aus der Tatsache hervor, dass die Väter sie sozusagen, fast, wenn nicht ganz einhellig, übersehen und verleugnet haben. Ihr System, sogar das von frommen und fähigen Männern wie Augustinus, war, dass die Gottlosen, obwohl sie verloren sind, während ihrer ewigen Strafe aufgrund ihrer Taufe eine beträchtliche Erleichterung erfahren würden. Ein höchst fataler und anstößiger Irrtum! Das genaue Gegenteil ist wahr. „Jener Knecht aber, der den Willen seines Herrn kannte und sich nicht bereitet noch nach seinem Willen getan hat, wird mit vielen Schlägen geschlagen werden; wer ihn aber nicht kannte, aber getan hat, was der Schläge wert ist, wird mit wenigen geschlagen werden. Jedem aber, dem viel gegeben ist – viel wird von ihm verlangt werden; und wem man viel anvertraut hat, von dem wird man desto mehr fordern“ (Lk 12,47‒49).
Wiederum ist dieser Vers nicht, wie manche annehmen, als Vorwort zum Beweis der heidnischen Verderbtheit beschränkt. Er ist vielmehr die Kurzthese, die sich im Rest der Kapitel 1‒3 auftut, bis hin zu Vers 21, der die Behandlung der Gerechtigkeit Gottes wieder aufnimmt und die Einzelheiten dessen beginnt, was wir in Kapitel 1,17 hatten. Ich verstehe daher, dass Vers 18 zuerst die allgemeine Beschreibung der menschlichen Gottlosigkeit in jeder Phase gibt, und dann die Ungerechtigkeit, die zu dieser Zeit am auffälligsten bei den Juden war, die mit praktischer Ungerechtigkeit einen hartnäckigen Halt oder Besitz der Wahrheit verbanden: Das Erstere wird bis zum Ende von Kapitel 1 gezeigt; das Letztere (nach dem Übergang von Kapitel 2,1–16) wird von Kapitel 2,17‒3,20 verfolgt. Hätte man diesen zweifachen Aspekt in dem Vers vor uns begriffen, wäre die Wiedergabe der Autorisierten Version nicht für „die Wahrheit durch Ungerechtigkeit zurückhalten“ verworfen worden, was eine Bedeutung ist, die dem Zustand der Heiden entspricht, von denen man annahm, dass sie hier allein im Blick des Apostels waren. Dasselbe Missverständnis hat Unheil angerichtet, indem es den Charakter sowohl der Offenbarung des Zornes Gottes vom Himmel als auch der Wahrheit herabsetzte, um dem Heidentum zu begegnen. Lass den universalen Umfang der moralischen Beschreibung mit einem besonderen Bezug auf die zu, die die Wahrheit in Ungerechtigkeit besitzen, und der Sinn, der sich daraus ergibt, ist ebenso einfach wie überaus wichtig, die passende Einleitung für die gesamte Episode, die folgt, bis der Apostel sein eigentliches Thema aufgreift, Gottes Gerechtigkeit, die im Evangelium offenbart wird.
Danach fährt der Apostel fort, die Beweise für die Schuld der Menschen darzulegen, aufgrund derer der Zorn Gottes auf sie wartet. Und zuerst geht er auf die Gottlosigkeit ein oder das Böse, das die große Mehrheit der Welt charakterisierte, während er sich später an die feinere Ungerechtigkeit wendet, die darin bestand, die Wahrheit zusammen mit praktischer Ungerechtigkeit zu besitzen, die damals unter den Juden wie heute in der Christenheit zu finden ist. Diese Aufteilung des Themas ist, wie man sehen wird, nicht nur näher an der Sprache des Zusammenhangs, sondern bewahrt uns auch vor dem Irrtum derer, die den Heiden grundsätzlich eine Erkenntnis der „Wahrheit“ zuschreiben. In der Tat beginnt Vers 19 mit der früheren der beiden Klassen des Bösen, die wir in Vers 18 unterschieden haben, und das Thema wird bis zum Ende des Kapitels weitergeführt. Es ist eindeutig der heidnische Teil und stellt den moralischen Grund vor, der das schonungslose Gericht Gottes notwendig machte und rechtfertigte.
2 Das ist die römische oder tridentinische Lehre, die zwar von der „Gerechtigkeit Gottes“ spricht, damit aber die vom Geist Gottes im Herzen des Menschen gewirkte Gerechtigkeit meint, ausdrücklich „non qua ipse justus est, sed qua nos justos facit, qua videlicet ab eo donati renovamur spiritu mentis nostrae, et non modo reputamur sed vere justi nominantur et sumus“ und so weiter. So wird die Rechtfertigung, die mit der praktischen Heiligkeit verwechselt wird, wirklich beiseitegeschoben (Can. et Decr. Conc. Trid. Sessio VI., capp. vii. xvi.). Bellarmine ist in diesem Sinn sehr deutlich (De Controv. Tom. IV, de justif. ii. passim.).↩︎
3 Jedem aufmerksamen Leser muss die eigentümlich chaotische Form des Satzes auffallen. Das liegt daran, dass der Apostel den Charakter des Evangeliums beschreibt und noch nicht erklärt, wie Gott so handeln kann (wie er es in Römer 3,24-26 und anderswo tut).↩︎
4 Es mag gut sein, hinzuzufügen, dass einige, die das Gefühl haben, dass es eine praktische Realität in denen gibt und geben muss, die in wahrer Beziehung zu Gott stehen, dieses Thema von Zeit zu Zeit vernebelt haben und auf die eine oder andere Seite der Wahrheit abgerutscht sind; und ich beziehe mich umso mehr darauf, weil es viel Mangel an biblischer Einsicht gibt, wie auch Unwissenheit sogar über Tatsachen, die leicht genug festzustellen sind. So brach in und noch vor 1550 eine ernste Fehde unter den Lutheranern aus, die sich zwar nicht auf den Punkt der göttlichen Gerechtigkeit beschränkte, diesen aber dennoch für eine der ernstesten Streitfragen hielt. Andreas Osiander (Professor der Theologie in Königsberg, ein Mann von mystischer Gesinnung und mit einer Vorliebe für kühne und neuartige Spekulationen) lehrte, dass der Mensch nur durch die ewige und wesentliche Gerechtigkeit, die in Christus als Gott oder in seiner göttlichen Natur, die mit dem Menschen vereint ist, wohnt, Gerechtigkeit erlangt. An dieser göttlichen Gerechtigkeit nimmt er durch den Glauben teil. Dadurch wohnt Christus im Menschen und mit Christus die göttliche Gerechtigkeit: Kraft dieser Gerechtigkeit, die in den Wiedergeborenen vorhanden ist, betrachtet Gott sie, obwohl sie Sünder sind, als gerecht im Namen dieser Gerechtigkeit (siehe J. L. Moshemii Institt. H E. Saec. xvi. Sect. iii. pars ii. § 35). Dies erregte natürlich und mit Recht den Widerstand Melanchtons; aber Osianders Tod beendete das Unheil nicht, denn Stancar (Professor der hebräischen Sprache am selben Ort, und von gleicher Turbulenz wie sein Kollege) fiel in ein entgegengesetztes Extrem und fast ebenso gefährlich. Denn wenn Osiander die Menschlichkeit Christi ausschloss, so schloss sein Antagonist die göttliche Natur von der Erlösung aus. Offensichtlich aber ist Osianders Lehre im Wesentlichen die der Mystiker und verwechselt das Leben oder die neue Natur mit der Rechtfertigung des Gläubigen. Es gibt nicht die geringste Ähnlichkeit zwischen ihr und dem, was im Text dargelegt wurde. Es ist Gottes Gerechtigkeit, die dem Herzen des Gläubigen innewohnt oder eingeflößt wird, nicht im Evangelium offenbart. In der Tat gab es die Aktivität eines Verstandes, der sah, dass der Gläubige an der göttlichen Natur teilhat, dies aber mit der völlig anderen Wahrheit verwechselte, dass er gemäß der Annahme Christi selbst vor Gott für gerecht erklärt wird. Kurz gesagt, Osiander missbrauchte die Wiedergeburt, um die Rechtfertigung oder die Zurechnung der Gerechtigkeit zu leugnen, und verwechselte die Vereinigung mit Christus, wie es heute viele tun, mit beidem. Dies kann man in Calvins Instituten, Buch III, Kapitel 11, § 11 sehen. Der folgende Auszug mag nützlich sein, um zu zeigen, wie weit die, die von Osiander gesprochen haben, entweder seine Lehre verstanden haben oder frei von der Schlinge sind, in die er gefallen ist. „Ridet eos Osiander qui justificari docent esse verbum forense: quia oporteat nos re ipsa esse justos: nihil etiam magis respuit quam nos justificari gratuita imputatione. Agedum si nos Deus non justificat absolvendo et ignoscendo, quid sibi vult illud Pauli? Erat Deus, etc., 2Kor 5,20.21. Primum obtineo justos censeri qui Deo reconciliantur; modus inseritur quod Deus ignoscendo justificet: sicuti alio loco justificatio accusationi opponitur; quae antithesis clare demonstrat sumptam esse loquendi formam à forensi usw.“ Ich zitiere absichtlich Calvins Tadel gegen den Lutheraner wegen seiner Verhöhnung der Zurechnung unter dem Vorwand, dass wir in Wirklichkeit gerecht sein müssen, was in der Tat bedeutet, eine kapitale Wahrheit des Evangeliums zu verhöhnen. Kein Christ bezweifelt dagegen den Wert oder die Notwendigkeit praktischer Gerechtigkeit neben der Rechtfertigung (siehe Phil 1,9-11).↩︎
5 Calvin mag die Gefahr hiervon veranschaulichen. Denn er zieht daraus den Schluss, dass, so wie unser Glaube in dieser Erkenntnis fortschreitet und vorankommt, so wächst zugleich die Gerechtigkeit Gottes in uns. Was kann unbestimmter sein als eine solche Sprache?↩︎