Behandelter Abschnitt Apg 26,1-8
Lukas stellt die Begebenheit anschaulich vor uns dar. Der König, dessen Meinung der Statthalter hören wollte, und der selbst begierig war, sie zu hören, lässt ihn höflich gewähren, und der Gefangene tritt mit ausgestreckter Hand in seine Verteidigung ein. Zweifellos benutzten Redner dieselbe Handlung, um das Ohr ihrer Landsleute zu erregen, Rhetoriker in ihren Schulen; aber das Herz des Paulus ging so in der Sehnsucht nach Menschen aus, die im Begriff waren, jene Botschaft von Gott zu hören, die, auf welche Weise auch immer, der Wendepunkt von Errettung oder Verderben für alle ist, die mit ihr in Berührung kommen. Zweifellos ist der Mensch für jeden angesichts solcher ewig währenden Angelegenheiten über jeden Preis erhaben. Und doch war es auch für den Apostel keine leichte Sache, die Großen der Erde mit allem, was ihre Gepränge anschwellen ließ, zu konfrontieren, ohne dass er es suchte, sondern auf ihren eigenen Wunsch hin.
Agrippa aber sprach zu Paulus: Es ist dir erlaubt, für dich selbst zu reden. Da streckte Paulus die Hand aus und verantwortete sich: Ich schätze mich glücklich, König Agrippa, dass ich mich über alles, wessen ich von den Juden angeklagt werde, heute vor dir verantworten kann; besonders weil du von allen Gebräuchen und Streitfragen unter den Juden Kenntnis hast; darum bitte ich, mich langmütig anzuhören. Mein Lebenswandel nun von Jugend auf, der von früher her unter meiner Nation und in Jerusalem gewesen ist, ist allen Juden bekannt, die mich von Anfang an kennen – wenn sie es bezeugen wollen –, dass ich nach der strengsten Sekte unserer Religion, als Pharisäer, lebte. Und nun stehe ich vor Gericht wegen der Hoffnung auf die von Gott an unsere Väter ergangene Verheißung, zu der unser zwölfstämmiges Volk, unablässig Nacht und Tag Gott dienend, hinzugelangen hofft; wegen dieser Hoffnung, o König, werde ich von den Juden angeklagt. Warum wird es bei euch für unglaubhaft gehalten, wenn Gott Tote auferweckt? (26,1–8).
Es mag eine Kleinigkeit sein, dennoch ist es gut, den Fehler zu vermeiden, die Handlung des Apostels hier mit dem zu verwechseln, was er in der Synagoge in Antiochien in Pisidien tat (Apg 13,16), oder was Alexander in der tumultartigen Versammlung in Ephesus tat (Apg 19,33). Das war ein „Winken mit der Hand“, ganz anders im Charakter und Ziel als das Ausstrecken, auch hier mit einer Kette. Welch ein Zeugnis für die Feindschaft der Welt gegenüber Gottes unendlicher Gnade in Christus! Denn, ganz zu schweigen von seinem liebevollen Wirken, worin hatte sein Diener Unrecht getan? Er hatte Anteil an den Leiden Christi.
Man wird bemerken, dass der Apostel gnädig über die verschiedenen Verleumdungen der Juden hinweggeht, die von ihrem käuflichen Redner und den skrupellosen Männern, die seine Anklagen unterstützten, vorgebracht worden waren. Er drückt seine Genugtuung darüber aus, vor einem so außerordentlich kompetenten Mann wie dem König in allen Dingen und Streitigkeiten der Juden sprechen zu dürfen, denn er versäumt es nicht, selbst in dieser Anerkennung eine Anspielung darauf voranzustellen, dass solche Anschuldigungen von Juden, nicht von den Juden stammen.
In diesem Zusammenhang gibt es keinen Artikel im Text der Verse 2 und 3, wie es auch keinen in den Versen 4 und 7 geben sollte, obwohl es in Vers 4 einen großen Konflikt zwischen den Handschriften gibt (sogar die besten Unzialen), und nur Lachmann, und Alford, Tregelles, mit Westcott und Hort, folgen BCpm. E, und andere, hier, gegen den Rest beim Weglassen des Artikels. Es ist auch nicht verwunderlich, dass Tischendorf, der ihn in seinen späteren Ausgaben bis zur siebten weggelassen hatte, in seiner achten zu dem seiner früheren Ausgaben von 1841 und den beiden von 1842 zurückkehrte. Tatsache ist, dass der hier geforderte Sinn dieses Satzes ohne Beispiel im Neuen Testament zu sein scheint, wo in anderen Fällen πάντες οἱ Ἰουδῖιοι die richtige Form ist, und der Artikel, soweit ich bemerkt habe, nicht ohne Schaden weggelassen werden konnte. Hier liegt eine deutliche und ungewöhnliche Besonderheit vor; denn es sind nicht alle Juden gemeint, sondern alle Juden, die Paulus von vornherein kannten. Dies erfordert demnach πάντες Ἰουδαῖοι προγινῶσκωντές με ἄνωθεν.
Alle Studenten des Griechischen Testaments kennen natürlich die Anmerkung des verstorbenen Dekans Alford zu Vers 2, die ein langjähriger Vorwurf an die Gelehrten zu sein scheint und weit und breit hätte zurückgewiesen werden müssen: Denn ich kann nicht bezweifeln, dass es außer dem verstorbenen Bischof von Durham nicht wenige geben muss, die sich des Irrtums bewusst sind. Die Beobachtung Meyers, dass Paulus durch den Artikel vor Ἰουδαίων zum Ausdruck bringen will, dass die Anklagen von einigen, nicht von allen Juden erhoben wurden, ist nicht stichhaltig. Diese Auslassung ist die von den deutschen Kritikern (z. B. Stier auch hier) so oft übersehene, nach einer Präposition. Siehe Middl. ch. vi. § 1, und vergleiche κατὰ Ἰουδαιόυς im nächsten Vers, von dem das Obige nicht gesagt werden kann“ (Greek Test. ii. 276, 5. Ed. 1865).
Nun wird zugegeben, dass die Bemerkung des berühmten deutschen Auslegers unvollkommen ist, obwohl sie in vielen Fällen richtig ist. Die Auslassung des Artikels ist hier und überall darauf zurückzuführen, dass das Wort oder die Wortkombination charakteristisch dargestellt wird, während der Gebrauch des Artikels es als Objekt vor dem Geist präsentiert. Es mag einige wenige Ausnahmen geben, aber diese beweisen nur, dass die Regel ansonsten universell ist. Und die Präpositionen sind in keiner Weise eine Ausnahme, obwohl sie ohne weiteres dazu dienen können, die charakteristische Gestaltung der anarchischen Konstruktion zu definieren, was von den englischen Gelehrten vielleicht ebenso übersehen wurde wie von den deutschen. Dies ist genau einer der großen Mängel von Bischof Middletons fähiger Abhandlung, die zur Folge hat, dass imaginäre Ausnahmen so zahlreich wie die Regel sind. Dies hätte an sich schon auf ein Versagen bei der Verallgemeinerung hinweisen müssen. Johannes 4,9 ist eine klare Illustration des Prinzips: nicht nur πῶς σὺ Ἰουδαῖος ὤν, das jeder sieht, sondern Ἰυοδαῖοι Σαμαρείταις, wo der Artikel für „beide“ fehl am Platz wäre, wenn es darum ginge, wie es sicherlich der Fall ist, beide charakteristisch zu kennzeichnen.
Von „einigen“ ist hier nicht die Rede. Und der Artikel hätte in Wahrheit beiden vorangestellt werden können; aber der Sinn wäre verändert worden. Die beiden Völker stünden dann als Objekt gegenüber, nicht charakteristisch, wie es jetzt der Fall ist (vgl. hierzu eine Auswahl aus Kap. 5–7.9–11; 11,19; 14,1.5.19; 18,4; 19,10.17; 20,21; 25,10). Auch hier kann jede einsichtige Untersuchung des griechischen Testaments nicht umhin, zu überzeugen, dass die Präposition keinen Unterschied macht. Der Artikel wird wie jedes andere Wort mit dem betreffenden Wort verwendet oder nicht, je nachdem, ob er eingefügt oder weggelassen wird.
So geht es in Matthäus 28,15 um den Charakter, und deshalb ist es παρὰ Ιουδαίοις. In Johannes 4,22 sind die Juden der Gegenstand, und deshalb heißt es ἐκ τῶν Ἰουδαίων; so in Johannes 10,19 und Johannes 11,54, ἐν τοίς Ἰουδαιονς; in Johannes 11,19, ἐκτῶν Ἰουδαίων; in Johannes 18,38, πρὸς τοὺς Ἰουδαοίυς. Es ist wirklich eine völlige Verkennung der schönen Schattierungen des Denkens in der griechischen Sprache, sich vorzustellen, dass es die geringste Oberflächlichkeit oder Ausnahme nach Präpositionen gibt. Vielleicht ist die Vorstellung auf die Schwierigkeit zurückzuführen, die Unterscheidung im Englischen immer darzustellen, was uns manchmal dazu zwingt, unseren bestimmten Artikel zu verwenden, wo es im Griechischen keinen gibt. Aber das ist kein wirklicher Grund, zu leugnen, dass es immer einen beabsichtigten Unterschied gibt. Erwägen wir Kapitel 23,8, wo wir Σαδδουκαῖοι und Φαριοαῖοι ohne den Artikel haben, obwohl es keine Präposition gibt. Wäre οἱ jeweils vorangestellt, wäre es richtig; aber das Fehlen des Artikels macht sie charakteristisch, so schwer es auch im Englischen auszudrücken sein mag.
Und es gibt einen analogen Unterschied in den Fällen, die wir vor uns haben, egal ob mit oder ohne Präpositionen. „Wessen Ich von Juden angeklagt werde“ in den Versen 2 und 7 ist viel eindringlicher, als wenn der Artikel eingefügt worden wäre. Es ist weder Agrippa noch Festus noch den Juden entgangen, die es gehört haben. Ausgerechnet die Juden waren die letzten, die Paulus anklagten, weil er in Jesus die Auferstehung aus den Toten verkündete. Der Sadduzäismus hatte leider ihren alten Glauben verdorren lassen. Eine Tatsache, die auch Meyer und Stier ins Gewicht fallen mag, ist, dass die Pharisäer in Kapitel 23 von der dominierenden Fraktion, die Paulus verfolgte, abwichen. Die Präposition gibt eindeutig keinen Freibrief, (ὑπό) dass Juden, nicht die Juden, sind gemeint. Auch bei κατὰ Ιουδαίους ist es nicht anders, wie auch immer zuversichtlich behauptet wird. Zweifellos wäre „nach den Juden“ in der Tat zutreffend gewesen, aber es wird bezeichnenderweise gesagt, und da auch hier wieder „Juden“, nicht „die Juden“ gemeint ist, zeigt sich einmal mehr, dass die Präposition die Frage nicht wirklich beeinflusst. Der Artikel wird bei Präpositionen aus eigenem Prinzip eingefügt oder weggelassen. Schließlich müsste, um korrekt zu sein, πάντες οἱ Ἰουδαῖοι οἱ προγινώσκοντές das Subjekt qualifizieren, πάντες Ἰουδαῖοι προγινώσκοντές ist richtig, wie es gegeben ist; denn es bezeichnet nur solche Juden, die Paulus von Anfang an kannten. Mit einem Wort, es ist charakteristisch und daher anarchisch. Nicht nur ist πάντες οἱ Ἰουδαῖοι der üblichere Ausdruck, sondern auch ganz anders im Sinn; denn er bezeichnet das ganze jüdische Volk als ein bekanntes, bestimmtes und vollständiges Objekt, während der Ausdruck hier alle Juden bezeichnet, die durch das besondere und beschriebene Wissen des Paulus qualifiziert sind.
Wenn wir von diesem Exkurs zurückkehren, können wir feststellen, dass der Apostel um eine geduldige Anhörung von einem so kompetenten Mann wie Agrippa bittet, und er verweilt (V. 4.5) bei seinem bekannten früheren Leben unter dem strengen pharisäischen Glauben und der pharisäischen Disziplin „unter meiner Nation und in Jerusalem“, wie alle Juden, die von Anfang an Bescheid wussten, bezeugen könnten, wenn sie wollten.
Aber die Frage, darauf besteht er, für die er vor Gericht stand, war „wegen der Hoffnung auf die von Gott an unsere Väter ergangene Verheißung“ (V. 6), „zu der unser zwölfstämmiges Volk, unablässig Nacht und Tag Gott dienend, hinzugelangen hofft“ (V. 7). Wie seltsam und abscheulich, dass ausgerechnet die Juden ihn wegen dieser Hoffnung anklagen! Gewiss schwächte sein Bekenntnis zum auferstandenen Jesus nicht den Glauben an die Verheißung des Messias oder an die Auferstehung der Toten. Doch die ganze Nation bezeugte in ihrem öffentlichen und ernsten Dienst an Gott Tag und Nacht ihre Hoffnung, diese Verheißung zu erlangen. „Warum wird es bei euch für unglaubhaft gehalten, wenn Gott Tote auferweckt? (V. 8). Der Gefangene glaubte gewiss, was der Dienst des auserwählten Volkes Tag und Nacht bekannte. Waren die Juden also Verleumder ihres eigenen rühmlichen Glaubens?