Behandelter Abschnitt Apg 22,1-5
Im früheren Teil dieses Buches hatten wir die Geschichte der Bekehrung des Apostels in ihrer historischen Reihenfolge, die den Fortschritt des Evangeliums und die Offenbarung der christlichen Wahrheit zutiefst beeinflusst. Hier haben wir den Bericht darüber als Teil seiner Verteidigung vor den Menschen in Israel. Er hat also einen besonderen Gegenstand, der durch den Gebrauch der hebräischen Sprache gekennzeichnet ist, was auch seine anderen Besonderheiten erklärt. Eine Unstimmigkeit gibt es eigentlich keine, genauso wenig wie in anderen Teilen der Schrift. Der Anschein einer solchen Unstimmigkeit ist allein auf die unterschiedliche Gestaltung zurückzuführen, die hier am offensichtlichsten ist, wie sie auch später in diesem Buch unbestreitbar ist.
In Kapitel 26 haben wir einen kurzen Bericht, der durch die Tatsache verändert wird, dass er sowohl an den König, Herodes Agrippa den Jüngeren, als auch an den römischen Statthalter gerichtet war. Welche Besonderheiten auch immer beobachtet wurden, sie sind auf die gleiche Ursache zurückzuführen. Dasselbe Prinzip gilt in der Tat für die Behandlung jedes Gegenstandes unter einsichtigen Menschen. Die Heilige Schrift macht sich nur dieselbe Regel zu eigen, aber in einer Vollkommenheit, der die Menschen nicht gewachsen sind. Unser Platz als Gläubige ist es, durch das zu lernen, was den Unglauben gegen alle Vernunft beleidigt.
Brüder und Väter, hört jetzt meine Verteidigung vor euch! Als sie aber hörten, dass er sie in hebräischer Mundart anredete, waren sie umso ruhiger. Und er spricht: Ich bin ein jüdischer Mann, geboren in Tarsus in Zilizien; aber auferzogen in dieser Stadt, zu den Füßen Gamaliels, unterwiesen nach der Strenge des väterlichen Gesetzes, war ich, wie ihr alle heute seid, ein Eiferer für Gott; der ich diesen Weg verfolgt habe bis zum Tod, indem ich sowohl Männer als auch Frauen band und in die Gefängnisse überlieferte, wie auch der Hohepriester mir Zeugnis gibt und die ganze Ältestenschaft, von denen ich auch Briefe an die Brüder empfing und nach Damaskus reiste, um auch diejenigen, die dort waren, gebunden nach Jerusalem zu führen, damit sie bestraft würden (22,1–5).
Es gab im Fall des Apostels durch die Vorsehung eine Ausbildung wie bei anderen, aber auffallend deutlich bei ihm, der ein Jude und kein heidnischer Proselyt war. Er wurde in Tarsus geboren, einem berühmten Zentrum der Schriftstellerei und Philosophie zu jener Zeit. Aber er wurde in Jerusalem zu den Füßen des berühmtesten Rabbiners seiner Zeit erzogen. Doch wenn Gamaliel auch gelehrt und streng wie ein orthodoxer Pharisäer war, so haben wir doch, ganz unabhängig vom Apostel, einen bemerkenswerten Beweis für seine einzigartige Mäßigung, als die Sadduzäer begannen, den Glauben zu verfolgen. Es kommt nicht oft vor, dass gelehrte Männer auch für Klugheit bekannt sind, noch weniger für die Weisheit, die Gott mit einbezog, nicht formell, sondern mit dem Gewissen; und Gott benutzte sie völlig, um das Synedrium von ihren ungläubigen und gemeingefährlichen Gedanken abzuwenden (Apg 5,34-40). Zu Gamaliels Füßen wurde der erzogen, der der Zeuge des Heiligen Geistes für die Gnade Gottes in unserem Herrn Jesus sein sollte, wie kein anderer Mensch seit Anbeginn der Welt.
Seine frühe Ausbildung in Jerusalem hätte sterblichen Augen keine solche Vorahnung vermittelt: Er wurde nach der Strenge des Gesetzes der Väter unterrichtet. Wenn die Pharisäer von Jerusalem über alle anderen hinaus eifrig waren, so war er es noch mehr; aber in Wahrheit konnte er, als der Glaube kam, umso besser den vollständigen Wechsel vom Gesetz zur Gnade erkennen. Solche, die nie unter die Oberfläche des einen durchgedrungen sind, können das andere nicht schätzen; sie sind geneigt, die beiden zu vermischen – der große Fluch des Christentums, wodurch das Gesetz nicht mehr Gesetz und die Gnade nicht mehr Gnade ist.
Das Gesetz ist die Forderung der menschlichen Gerechtigkeit. Die Gnade hat nun die Gerechtigkeit Gottes offenbart, und diese allein bezeichnet der Apostel als die Gerechtigkeit, die aus dem Glauben kommt; denn Christus ist das Ende des Gesetzes zur Gerechtigkeit für jeden, der glaubt. Es geht nicht um die Anstrengung des Menschen, noch weniger um seine Leistung. Er ist nicht berufen, in den Himmel hinaufzusteigen, ebenso wenig wie er in den Abgrund hinabsteigen soll. Es war Christus, der hinabgestiegen ist, so wie Christus, der von den Toten auferstanden ist, hinaufgestiegen ist, und wir werden in Ihm Gottes Gerechtigkeit. Die Erlösung ist ganz und gar von Christus, sie ist das, was Gott gern tut – Er kann nicht anders, als es in Übereinstimmung mit seinem Charakter aufgrund des Werkes Christi zu tun. „Das Wort ist dir nahe, in deinem Mund und in deinem Herzen“, nicht das Wort, das der Mensch Gott bereitet, sondern das Wort, das Gott sendet, damit es gepredigt wird: „wenn du mit deinem Mund Jesus als Herrn bekennst und in deinem Herzen glaubst, dass Gott ihn aus den Toten auferweckt hat, du errettet werden wirst. Denn mit dem Herzen wird geglaubt zur Gerechtigkeit, mit dem Mund aber wird bekannt zum Heil“ (Röm 10,8-10). So hat Gott tatsächlich mit Sündern gehandelt und Er kann es tun, so mit ihnen zu handeln. Es ist seine Gnade, aber es ist auch seine Gerechtigkeit.
Je mehr Saulus nun, als er erweckt wurde, das Gesetz studierte und in seine gerechten, unerbittlichen Ansprüche an den Menschen eindrang, desto mehr wurden ihm die Augen für die Unmöglichkeit der Errettung unter dem Gesetz geöffnet. Es war schwach durch das Fleisch und musste Knechtschaft sein, bittere Ausweglosigkeit konnte nur entstehen, wenn das Gewissen erleuchtet wurde. Denn die Erlösung ist ganz und gar eine Frage Gottes, der seinen eigenen Sohn in Gestalt des sündigen Fleisches und als Opfer für die Sünde sandte, um die Sünde im Fleisch zu verurteilen. Nur so konnte es Erlösung geben. Das Gesetz konnte nichts anderes tun, als den Sünder zu verdammen. Das Evangelium verkündet das Gericht der Sünde in ihrer Wurzel und ihrer Frucht, und der Gläubige wird gerettet und frei gemacht, um nicht nach dem Fleisch, sondern nach dem Geist zu wandeln.
Genau deshalb war er ein solcher Eiferer des Gesetzes, der, als sein Herz durch die Gnade geöffnet wurde, die Entfesselung des Evangeliums in vollem Umfang sehen und schätzen konnte. Dasselbe Prinzip gilt auch heute noch, obwohl es zweifellos einen unabsehbaren Abstand zwischen dem Apostel und anderen Gläubigen gibt, egal wie gesegnet sie in unserer oder einer anderen Zeit sind. Dennoch sind die Menschen, die sich am meisten freuen und am besten geeignet sind, das Evangelium zu verkünden, oft die, die in den Tagen ihrer Unwissenheit tief an Gesetz und Verordnungen hingen, die notwendigerweise ein Geschlecht der Knechtschaft sind, wo es ein geübtes Gewissen gibt.
Und das muss auf die Juden, die die Verkündigung des Apostels hörten, mächtig gewirkt haben. Der Apostel war nie ein sorgloser, leichtfertiger Israelit. So wie seine Ausbildung äußerst streng war, so war auch sein persönlicher Eifer gründlich. In der Tat hatte er den vollsten Beweis dafür geliefert, denn er verfolgte diesen Weg bis zum Tod. Niemand war wie Saulus von Tarsus, der so aktiv war, Männer und Frauen zu binden und in Gefängnisse zu liefern! Er war nur ein Beispiel im höchsten Grad derer, die einen Eifer für Gott haben, aber nicht nach Erkenntnis. Wer konnte daher wie er aus eigener Erfahrung zu Menschen sprechen, die Gottes Gerechtigkeit ignorieren und ihre eigene aufzurichten suchen? Umso mehr unterwarf er sich nun der Gerechtigkeit Gottes.