Behandelter Abschnitt Apg 21,17-20
Als wir aber in Jerusalem angekommen waren, nahmen uns die Brüder freudig auf.
Am folgenden Tag aber ging Paulus mit uns zu Jakobus, und alle Ältesten kamen dahin. Und als er sie begrüßt hatte, erzählte er eins nach dem anderen, was Gott unter den Nationen durch seinen Dienst getan hatte. Sie aber, als sie es gehört hatten, verherrlichten Gott und sprachen zu ihm: Du siehst, Bruder, wie viele Tausende es unter den Juden gibt, die gläubig geworden sind, und alle sind Eiferer für das Gesetz (21,17–20).
Hier sehen wir in vollem Umfang die Liebe und Ehre, die unter den Gläubigen herrschte. Nicht, dass es in jenen Tagen keine Prüfungen und besonderen Anfechtungen gab: Es konnte nicht anders sein. In dieser Welt konnte kein Unterschied religiösen Charakters so tief sein wie der, der Juden und Heiden voneinander trennte. Gott selbst hatte unter dem Gesetz die Trennung zwischen ihnen bis zum Äußersten aufrechterhalten, wie es unser Herr bis zum Kreuz tat. Damit wurde die alte Ordnung beendet, um die neue einzuführen – die Ordnung der Gnade und der neuen Schöpfung in Christus, die der vom Himmel herabgesandte Heilige Geist in Kraft und Freude und Einsicht vollbrachte. Von nun an wird Christus alles, und in der Tat ist Er würdig; wie Er alles ist, so ist Er in allen; und die Unterscheidung von Jude und Grieche, Beschnittenem und Unbeschnittenem, Barbar, Skythe, Sklave und Freier, verschwindet in Ihm vor Gott.
Und doch gibt es nichts, was Christen so schwer zu begreifen und zu genießen und zu praktizieren finden wie das Christentum. Dennoch ist der Geist, der jedem Christen gegeben ist, kein Geist der Furcht noch der Knechtschaft, sondern ein Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit, indem er Christus vor Augen hat. Der Weg mag schwierig sein, aber wie er wahr ist, so ist er auch die Ausübung der Liebe. Es ist alles eine Frage der Wertschätzung Christi und der Anwendung der Wahrheit in einem Geist der Gnade. Wie das Gesetz durch Mose gegeben wurde, so sind Gnade und Wahrheit durch Jesus Christus geworden. Wir haben nur zu glauben, nicht den Menschen zu fürchten, ebenso wenig wie unseren eigenen Gedanken nachzugehen.
Das Wort Gottes wird nun als eine vollständige Antwort auf Christus offenbart, und durch den Geist kann jede Schwierigkeit im Einzelnen gelöst werden. An keinem Ort jedoch waren die Schwierigkeiten größer als in Jerusalem, dem natürlichen Brennpunkt extremer jüdischer Gefühle. Dorthin war der Apostel gekommen, beseelt von starken Empfindungen der Liebe und des Mitempfindens für sein Volk, wie er selbst in Kapitel 24,17 erklärt: „Nach mehreren Jahren aber kam ich her, um Almosen für meine Nation und Opfer darzubringen.“ Das war kaum seine eigentliche Berufung, obwohl die Liebe, die dazu führte, immer mächtig in seinem Herzen wirkte, wie wir aus Galater 2 und anderen Schriften wissen.
Aber es gab noch einen anderen Grund, der seine Anwesenheit in Jerusalem für den Apostel kritisch machte. Sein zugewiesener Bereich war den Nationen zugewandt (vgl. Gal 2,7-9); und sicherlich hatte der Heilige Geist durch Propheten viele Warnungen auf dem Weg vor Gefahren in dieser Stadt gegeben. Kein Mensch, auch kein Apostel, ist stark, außer in Abhängigkeit vom Herrn, wie er selbst sagte: „denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark“ (2Kor 12,10). Denn Christi Stärke wird in der Schwachheit vollendet. Und vor allem Paulus konnte sagen: „Daher will ich mich am allerliebsten viel mehr meiner Schwachheiten rühmen, damit die Kraft des Christus über mir wohne“ (2Kor 12,9). Aber es ist lehrreich zu sehen, dass Antiochien sich für Petrus als ein gefährlicher Ort erwies, wie es Jerusalem sogar für Paulus war. Der Herr wirkte mächtig in Petrus, doch es war hauptsächlich und auffallend für das Apostelamt der Beschneidung. Er wirkte mit Sicherheit auch durch Paulus unter den Nationen, wenn Er jemals durch einen Menschen auf der Erde mächtig gewirkt hat.
Aber wir nehmen es vorweg. Die Ankunft des Paulus und seiner Gruppe
in Jerusalem wurde von den Brüdern herzlich begrüßt. Es scheint, dass
das Haus des Jakobus der bekannte Ort für eine besondere Versammlung der
Ältesten war; denn wir hörten von einer Versammlung zum Gebet im Haus
der Maria, der Mutter des Johannes Markus (Apg 12,12). Es heißt: „Am
folgenden Tag also ging Paulus mit uns zu Jakobus, und alle Ältesten
kamen dahin“ (V. 18); Es muss sehr viele Gruppen von christlichen Juden
in Jerusalem gegeben haben, wo ihre Zahl nun in die Tausende ging. Große
Gebäude, die für die Versammlung bestimmt waren, waren anscheinend noch
unbekannt. Der vorliegende Anlass war jedoch nicht für die Versammlung,
nur die Ältesten waren anwesend. Sie kamen zweifellos aus diesen vielen
Gruppen, und ihre Zusammenkunft als Älteste würde kraftvoll dazu
beitragen, Ordnung und Einheit aufrechtzuerhalten, ohne im geringsten
Maß die Verantwortung der Versammlung zu überlagern, während die
Wahrheit im Geist der Gnade regierte. Wir können ohne weiteres
verstehen, dass das Haus des Jakobus ein geeigneter Ort für solche
Zusammenkünfte war. Der Vers vermittelt uns nicht den Eindruck einer
Versammlung nur zu diesem Anlass, obwohl es sehr wahrscheinlich war,
dass die Nachricht vom Kommen des Paulus die Anwesenheit „aller
Ältesten“ zu dieser Zeit erklären könnte. Es gibt ständige Bedürfnisse,
die normalerweise ein Treffen der Ältesten erfordern würden; aber dieser
Anlass hatte natürlich das außergewöhnliche Element der Anwesenheit von
Paulus. „Und als er sie begrüßt hatte, erzählte er eins nach dem anderen, was
Gott unter den Nationen durch seinen Dienst getan hatte“ (V. 19). Es gab
eine völlige Offenheit von seiner Seite. Keine Anstrengung, das, was
Gott unter den Juden oder in den Synagogen gewirkt hatte, in den
Vordergrund zu stellen. Er breitete vor ihnen besonders aus, was ihm
gegeben worden war, unter den Nationen zu tun. Zweifellos war dies vom
Herrn beabsichtigt, um ihre Herzen zu weit zu machen. Sie waren es
gewohnt, in Jerusalem nur wenig von ihren heidnischen Brüdern zu sehen
oder zu hören. Der Apostel legte es vorsichtig vor; und als sie es
hörten, verherrlichten sie Gott – denn das scheint die richtige
Lesart zu sein, und nicht den Herrn.
Der Apostel konnte sagen: „Wenn jemand euch etwas als Evangelium verkündigt außer dem, was ihr empfangen habt: Er sei verflucht!“ (Gal 1,9). Ein anderes Evangelium ist kein anderes. Es ist die Abkehr von dem, was Paulus gepredigt hat, oder ein menschlicher Ersatz dafür. Man mag sich fragen, ob irgendein anderer Apostel so absolut sprechen konnte. Paulus predigte, was sie predigten, aber man kann mit Recht bezweifeln, dass sie alles predigten, was Paulus predigte. Wenn wir uns die besondere Art seiner Bekehrung und die darin offenbarte Wahrheit vor Augen halten, hilft uns das, dies zu verstehen. Er begann mit einem Heiland in der Herrlichkeit, und ihm wurde von Anfang an die wundersame Wahrheit mitgeteilt, dass Christus und der Christ eins sind: „Saul, Saul, warum verfolgst du mich?“ Ein Gläubiger ist nun auch ein Glied des Leibes Christi. Das lernten die anderen; aber dem Apostel Paulus wurde es von Anfang an offenbart, und er war das besondere Werkzeug des Herrn, um es in der Welt zu verkündigen. Es war nicht nur „das Evangelium Gottes“, so reich dieser Ausdruck auch ist, sondern „das Evangelium der Herrlichkeit Christi“.
Es war Christus, nicht mehr nach dem Fleisch bekannt, sondern auferstanden und verherrlicht. Die heidnische Finsternis und das jüdische Gesetz wurden hinter sich gelassen, und sogar die Verheißung wurde von einer weit darüber hinausgehenden Helligkeit verfinstert. Es war die Gnade in ihrer vollsten Ausübung und höchsten Pracht in der Person Christi, mit dem wir in der engsten Beziehung verbunden sind – Christus ist das Haupt über alle Dinge, aber auch das Haupt, das der Versammlung gegeben ist, die sein Leib ist. Die Versammlung gehört nicht zu „allen Dingen“, sondern ist mit dem verbunden, der über allen Dingen ist, die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt. Deshalb predigte der Apostel das Evangelium von der Herrlichkeit Christi wie kein anderer, von dem berichtet wird. Das tritt sehr deutlich in 2. Korinther 3-5 hervor. Inhaltlich kommt es in den Briefen an die Epheser und Kolosser vor; aber dort wird es eher das Geheimnis des Evangeliums genannt. „Dieses Geheimnis ist groß“, sagt er, „ich sage es aber in Bezug von Christus und von der Versammlung“ (Eph 5,32). Er ist das erhabene Haupt, sie ist sein Leib und seine Braut, die Versammlung ist schon jetzt eins mit Ihm. Für die Versammlung hat Er sich selbst dahingegeben, um sie zu heiligen, nachdem Er sie durch das Wort mit Wasser gewaschen hat, damit Er die Versammlung sich selbst herrlich darstelle, ohne Flecken oder Runzeln oder dergleichen, sondern dass sie heilig und tadellos sei.
Die Herrlichkeit Christi in der Höhe ist die Antwort auf seine Erniedrigung hier auf der Erde, was auch immer sonst folgen mag. Es gibt auch kein so helles Zeugnis dafür. Deshalb spricht der Apostel von „meinem Evangelium“ und „unserem Evangelium“, wo er seine Begleiter ebenfalls erwähnt. Das Evangelium von der Herrlichkeit Christi wurde ihm gegeben, um es in seiner ganzen Erhabenheit der Glückseligkeit zu verkündigen; und daher die Gefahr, es entgleiten zu lassen, wenn sogar jemand, der es einmal kannte, anfängt, die Gnade nur auf einer niedrigeren Ebene zu predigen, so wahr sie auch sein mag. Nichts erhebt sich so vollständig über die Tradition und die Gedanken der Menschen.