Behandelter Abschnitt Apg 20,14-16
Als er aber in Assos mit uns zusammentraf, nahmen wir ihn auf und kamen nach Mitylene. Und als wir von dort abgesegelt waren, langten wir am folgenden Tag Chios gegenüber an. Am anderen Tag aber legten wir in Samos an, und [nachdem wir in Trogyllion geblieben waren,] kamen wir am folgenden Tag nach Milet; denn Paulus hatte sich entschlossen, an Ephesus vorbeizufahren, damit es ihm nicht widerfahre, in Asien Zeit zu verlieren; denn er eilte, um, wenn es ihm möglich wäre, am Pfingsttag in Jerusalem zu sein (20,14–16).
Es gibt keinen geistlichen Grund, auf die Erinnerungen einzugehen, die Assos oder Mitylene, Chios oder Samos, Trogyllion oder Milet hervorrufen könnten. Sie werden uns hier einfach als die verschiedenen Punkte der apostolischen Reise vor Augen geführt, von denen es uns ablenken würde, wenn wir uns mit historischen Fragen beschäftigen würden, die mit jedem Ort verbunden sein könnten.
Es genügt zu sagen, dass, obwohl Paulus sein Herz mit dem erfüllt hatte, was für die Gläubigen in Ephesus sehr bedeutend war, Milet der Anlaufpunkt war und nicht die Hauptstadt Asiens. Auch hier scheint das Motiv klar zu sein. Wäre er nach Ephesus selbst gegangen, hätte er sie bei seiner starken Zuneigung und den vielen Bindungen, die er mit den zahlreichen Gläubigen dort hatte, nicht ohne eine beträchtliche Verzögerung verlassen können. Er zog es daher vor, an Ephesus vorbeizusegeln, um den Zweck seiner Reise nach Israel nicht zu vereiteln. Wenn jemand, der so bekannt und geliebt war wie er, Ephesus besucht hätte, hätte er einen längeren Aufenthalt bei ihnen nicht vermeiden können. Er machte daher Milet zu seinem Durchgangsort, damit nichts die Erfüllung seines Wunsches, am Pfingsttag in Jerusalem zu sein, behindern würde.
Andererseits war es sehr wichtig, dass die Gläubigen in Ephesus in diesem Augenblick Worte des weisen und gnädigen Rates erhielten. Deshalb wählt der Apostel eine Methode, die keineswegs üblich ist. „Von Milet aber sandte er nach Ephesus und ließ die Ältesten der Versammlung herüberrufen“ (V. 17). Diese Ältesten waren die passende Mittler. Sie hatten die reguläre und verantwortliche geistliche Leitung in dieser Stadt. Nach dem Gesamteindruck des Kapitels können wir kaum bezweifeln, dass sie nicht wenige waren. Da dies nicht den üblichen Gewohnheiten und Gedanken (um nicht zu sagen, dem Egoismus) der Menschen entspricht, hat sich schon in der Antike die Vorstellung eingeschlichen, dass die Ältesten aller umliegenden Versammlungen gemeint sind. Aber eine solche Veränderung des Wortes Gottes darf nicht einen Augenblick lang zugelassen werden. Der Apostel sandte nach Ephesus und berief die Ältesten der dortigen Versammlung zu sich, nicht der Versammlungen ringsum. Es mag viele Versammlungsorte in Ephesus gegeben haben, aber bekanntlich spricht die Schrift nie von den Versammlungen, sondern immer von der Versammlung in einer Stadt. Daher werden sie, wie zahlreich sie auch sein mochten, hier als die Ältesten der Versammlung bezeichnet, und sie kümmerten sich zweifellos um die Belange aller. Während die örtliche Verantwortung auch an ihrem Platz bewahrt wurde, wurde deshalb die Einheit nicht vergessen. Gemeinsames Handeln wäre das natürliche und richtige Ergebnis. So war es in Jerusalem, wie wir aus den offenbarten Berichten über diese Versammlung wissen, die aus vielen Tausenden von Gläubigen bestand; und so sehen wir es hier in Ephesus, obwohl keine Einzelheiten über die Zahlen gegeben werden. Die großen Prinzipien der Versammlung herrschten vor und waren überall dieselben, obwohl anfangs in Jerusalem jüdische Elemente eine Rolle spielten waren, wenn nicht sogar einige davon noch vorhanden waren. Aber diese Einheit war vom und für den Himmel, nicht vom Judentum, da sie in erster Linie vom Heiligen Geist herrührte. „Da ist ein Leib und ein Geist“ (Eph 4,4).
Eine andere Angelegenheit soll hier kurz erwähnt werden, auch wenn sie vielleicht etwas vorweggenommen erscheint. Die Ältesten der Versammlung werden vom Apostel als „Aufseher „bezeichnet: „Habt Acht auf euch selbst und auf die ganze Herde, in der euch der Heilige Geist als Aufseher gesetzt hat, die Versammlung Gottes zu hüten, die er sich erworben hat durch das Blut seines Eigenen“ (V. 28). Diese Identifikation stimmt mit jedem biblischen Hinweis überein, den wir besitzen. Das ist die echte Schlussfolgerung aus 1. Timotheus 3,1-7 wie auch aus 1. Timotheus 5,17-19 und noch deutlicher aus Titus 1,5.6, verglichen mit den Versen 7 und 9, sowie aus Kapitel 11,14‒16.21 und aus 1. Petrus 5 und Jakobus 5, nicht weniger als aus Philipper 1,1. Die große Unterscheidung, die bald in der Christenheit zwischen Aufsehern und Ältesten herrschte, ist dem Wort Gottes gänzlich unbekannt.
Nicht einer, sondern mehrere wurden in jeder Versammlung oder Stadt ernannt, in der überhaupt Aufgaben erteilt wurden. Es gab regelmäßig eine Mehrzahl von Ältesten und Aufsehern. Sie konnten begabte Männer, Lehrer oder Evangelisten sein; aber ihre unerlässliche Aufgabe war es, zu regieren oder vorzustehen. Das war der Zweck ihrer Ernennung, denn ernannt wurden sie sicherlich durch direkte apostolische Autorität oder indirekt, wenn ein Apostel nicht anwesend sein konnte (wie zum Beispiel durch Titus, der vom Apostel Paulus zu diesem Zweck beauftragt wurde; Tit 1,5). Die Gaben hingegen wurden von Christus ohne ein solches Eingreifen gegeben. Ein Hirte, Lehrer oder Evangelist als solcher wurde nie von einem Apostel oder einem apostolischen Beauftragten ernannt.
Die Unterscheidung von Ältesten oder Dienern sollte man sich vor Augen halten. Die „Sieben“ in Jerusalem, die den diakonischen Dienst ausübten, wurden von der Schar der Gläubigen gewählt, bevor sie von den Aposteln eingesetzt wurden (Apg 6,1-6). Dass diese Erwählung durch die Versammlung nicht für Älteste gilt, geht aus jeder Schriftstelle hervor, die von ihrer Einsetzung handelt, die ausschließlich bei den Aposteln oder ihren ausdrücklich ermächtigten Stellvertretern lag. Noch weniger gab es eine Wahl dieser so genannten Gaben durch Menschen: In ihrem Fall wählte Christus. Wie Christus sie gab, so predigten oder lehrten sie in direkter Verantwortung gegenüber Ihm. Wo Christen von ihren Mitteln gaben, durften sie Spender wählen, zu denen sie Vertrauen hatten. Das ist die einheitliche Lehre des Neuen Testaments und die einzige legitime Schlussfolgerung daraus. Das schmerzliche Abweichen der Christenheit, der Nationalisten und der Dissidenten, der Katholiken und der Protestanten, ist so offenkundig, dass man sich nur wundern kann, wie gottesfürchtige Menschen die Tatsachen im Wort übersehen können, die den Willen Gottes offenbaren, oder, wenn sie sie erkennen, wie es eine Gleichgültigkeit gegenüber der Wahrheit und den damit verbundenen unverzichtbaren Pflichten geben kann.