Behandelter Abschnitt Apg 19,8-12
Nachdem der recht eigentümliche, aber lehrreiche Fall der zwölf Jünger in Ephesus geschildert wurde, sieht man den Apostel danach seinen Dienst unter den Juden in ihrer Synagoge wieder aufnehmen (vgl. Apg 18,19-21). Er war dort gemäß seinem Versprechen.
Er ging aber in die Synagoge und sprach freimütig drei Monate lang, indem er sich unterredete und sie von den Dingen des Reiches Gottes überzeugte. Als aber einige sich verhärteten und nicht glaubten und vor der Menge schlecht redeten von dem Weg, trennte er sich von ihnen und sonderte die Jünger ab, indem er sich täglich in der Schule des Tyrannus unterredete. Dies aber geschah zwei Jahre lang, so dass alle, die in Asien wohnten, sowohl Juden als auch Griechen, das Wort des Herrn hörten. Und außergewöhnliche Wunderwerke tat Gott durch die Hände des Paulus, so dass man sogar Schweißtücher oder Schürzen von seinem Leib weg auf die Kranken legte und die Krankheiten von ihnen wichen und die bösen Geister ausfuhren (19,8–12).
Die geduldige Ausdauer des Apostels war groß. Drei Monate lang redete er freimütig in dem begrenzten Bereich der Synagoge, wobei er sie „von den Dingen des Reich Gottes überzeugte“ (V. 8), die das Thema seiner Rede und Überzeugung waren, wie wir uns leicht vorstellen können, dass dies von allen Themen das geeignetste für die fragenden Juden war, die das Gesetz und die Propheten kannten. Die Gottesfürchtigen, wie wir von Joseph von Arimathia hören, suchten das Reich Gottes (Lk 23,50.51). Dazu gehörte, dass er ihnen die Leiden Christi und die Herrlichkeiten danach eröffnete. Es kam ihm nie in den Sinn, dieses Reich herabzusetzen, noch weniger, es zu leugnen, wegen der höheren Besitztümer und der reicheren Gnade in dem großen Geheimnis in Bezug auf Christus und in Bezug auf die Versammlung (Eph 5,32), das inzwischen für den Christen offenbart wurde. Sogar die Erlösung, wie sie jetzt im Evangelium der Gnade Gottes verkündigt wird, hat Tiefen, die über das Königreich hinausgehen. Aber die Juden waren aufgrund der Tradition mit ihren verdunkelnden Wirkungen und aufgrund des Unglaubens, der die tiefste Bedeutung der Schrift übersieht, geneigt, sich von Jesus als dem Christus abzuwenden, und wurden so von dem Licht geblendet, das, wenn es beachtet worden wäre, alles offenbart hätte. Nur durch das göttliche Licht in Ihm werden alle Dinge in ihrem wahren Charakter enthüllt, und seine Gnade befreit uns nicht nur von aller Furcht vor den entsprechenden Folgen, sondern ermutigt uns, es als den sicheren Segen für uns zur Ehre Gottes zu begehren. Es gab einige, die im Glauben weitergingen und schmeckten, dass der Herr gut ist; andere stolperten über das Wort und waren ungehorsam. „Als aber einige sich verhärteten und nicht glaubten und vor der Menge schlecht redeten von dem Weg49,trennte er sich von ihnen und sonderte die Jünger ab, indem er sich täglich in der Schule des Tyrannus unterredete“ (V. 9).Die Wahrheit, die in der Synagoge gepredigt worden war, hatte nun mit aller Deutlichkeit die hervorgebracht, die die Liebe zu ihr empfingen, damit sie gerettet würden, und mit mindestens ebenso großer Deutlichkeit die, deren harte Ablehnung sie dazu brachte, in Gegenwart der Menge schlecht über den Weg zu reden. Länger fortzufahren hätte keinen guten Zweck erfüllt; es hätte zu bitterem Streit und Verunglimpfung durch die Widersacher geführt. Sich an diesem Punkt von ihnen zurückzuziehen, war eindeutig von Gott. So wurden die Jünger in der Hauptstadt der Provinz, dem religiösen Zentrum eines noch viel größeren Gebietes, getrennt. Da die Synagoge kein geeigneter Ort mehr war, stand nicht nur den Jüngern, sondern auch dem Zeugnis ein angemessener Raum zur Verfügung, und der Apostel setzte seine tägliche Arbeit in der Schule eines Rhetorikers oder Philosophen fort, soweit wir das beurteilen können.
Welch ein Gegensatz in jener Schule, zweifellos zu verschiedenen Stunden des Tages, zwischen dem christlichen Lehrer und dem Heiden! Der eine war erfüllt von der Gnade und Wahrheit, die als offenbartes Ganzes durch Jesus und in seiner Person ins Dasein trat, die aus der Liebe Gottes zu den Menschen floss und mit nicht weniger göttlicher Autorität als das Gesetz, das mehr als fünfzehn Jahrhunderte zuvor am Sinai verkündet worden war, und die nicht zuletzt durch den vom Himmel herabgesandten Heiligen Geist in Herz und Gewissen gebracht wurde, nicht ein Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit; der andere, dem es vielleicht nicht an phantasievollem Denken in eindrucksvoller Sprache fehlte, gab Spekulationen von sich, da er völlig ohne Gewissheit über all das war, was Gott und den Menschen am tiefsten betrifft, unwissend über alle Mittel seiner Versöhnung mit Gott auf einer gerechten Grundlage oder der Bildung naher und heiliger Beziehungen zu Ihm, ohne gegenwärtige Gewissheit über seinen Willen und Zuneigung für den täglichen Genuss und Gehorsam und noch weniger fähig, den Schleier zu heben, der das Unsichtbare und Ewige verbirgt. Und doch wandte sich hier jeder von ihnen an seine Zuhörer, Paulus, wenn nicht Tyrannus, Tag für Tag; der eine präsentierte ein Kunstwerk, das Raum für die Exzellenz der Rede und die Anmaßung, aber nicht die Wirklichkeit der Weisheit gab; der andere ein einfaches und doch tiefes Zeugnis, abhängig vom Heiligen Geist, für den, der sich selbst als Lösegeld für alle gab, das Zeugnis in seiner eigenen Zeit, denn Gott erfreut sich der Gnade.
Deshalb ist der Ort des Zeugnisses nicht von Bedeutung: Der ganze Wert, die Tugend, die Wahrheit, die Gnade und die Herrlichkeit, die wir rühmen, ist in dem, der gepredigt wird. Die heilige Stätte, oder das Allerheiligste, war nichts mehr, nur noch Jesus. War Er nicht vom Volk Gottes verstoßen worden, von ihren Schriftgelehrten und Doktoren, von Leviten und Priestern und Hohepriestern? Und als sie Ihn durch die Hand gesetzloser Menschen töteten, hatte Gott es nicht selbst bezeugt, indem Er den Vorhang von oben bis unten zerriss? Die irdische Heiligkeit wurde völlig entweiht. Der Tempel ist also nichts, noch Jerusalem, noch der Berg des Segens in Samaria. Ein Opfer hat alle anderen ersetzt und ist allein wirksam. Alles dreht sich um den gekreuzigten, aber erhöhten Jesus in der Höhe, wo das wahre Zelt der Zusammenkunft ist, die der Herr errichtet hat, nicht der Mensch; wo der große Priester ist, eben Jesus selbst.
Daher konnte dasselbe Gebäude, das der Mensch zur Eitelkeit missbrauchte, der Glaube zur Verherrlichung des Namens des Herrn verwenden. Die Weihe eines Gebäudes seit der Himmelfahrt Christi ist eine Rückkehr zum Judentum und eines der armseligen Elemente der Welt; und je größer das Gebäude ist, desto krasser ist seine Unvereinbarkeit mit dem Kreuz. Das Papsttum ist in alledem konsequent, aber ungeheuerlich falsch, in Rebellion gegen Gott und die Wahrheit, indem es alles wiederbelebt, was durch den Tod Christi den Todesstoß erhalten hat; denn es rühmt sich seiner Tempel, seiner Priester und seiner Opfer für die Lebenden und die Toten. Aber wo ist die Konsequenz des Anglikaners, der das eine Opfer als bereits vollendet und angenommen anerkennt und für irdische Priester wie auch für heilige Stätten eintritt? Wo ist die des Dissenters, der ein irdisches Priestertum verwirft und sich an die Täuschung und den Stolz seines Tempels, seiner Kapelle oder seiner falsch genannten Kirche klammert?
Die Praxis der frühen Kirche stimmte mit diesem Prinzip überein und bestätigt es. Für diejenigen, die die Freimütigkeit hatten, durch das Blut Jesu, des Hohenpriesters über das Haus Gottes, in das Heiligtum einzutreten, welche Rolle spielte da der bloße Ort der Versammlung? Ach, dass ein Ort irdischer Pracht die Wahrheit und moralische Herrlichkeit des Kreuzes trüben muss! Ein oberer Raum, ein privates Haus, wie dunkel auch immer das Viertel sein mochte, oder (wenn es die Gelegenheit erforderte, wie hier) „die Schule des Tyrannus“, jeder Ort, klein oder groß, je nach den Erfordernissen der Zeit, genügte für die Versammlung. Wenn die Zahl in einer großen Stadt wuchs, konnten sie sich der Bequemlichkeit halber in vielen Räumen versammeln, aber niemals so, dass die charakteristische Wahrheit, dass es „die Versammlung“ und nicht „die Versammlungen“ in dieser Stadt war, in Frage gestellt wurde. Wo die Einheit aufgegeben wird, außer für die Fundamente, ist es nicht mehr die Versammlung Gottes, sondern ist es lediglich die Versammlung des Menschen. In Ephesus, als die Dinge noch in den Kinderschuhen steckten, wurden die Jünger abgesondert (d.h. von den Juden, die an der Synagoge festhielten), und in „der Schule des Tyrannus“ redete der Apostel täglich. „Dies aber geschah zwei Jahre lang, so dass alle, die in Asien wohnten, sowohl Juden als auch Griechen, das Wort des Herrn hörten“ (V. 10).Eine große und wirksame Tür des Zeugnisses stand ihm offen, auch wenn es viele Widersacher gab. Das prokonsularische Asien hatte das Evangelium vor sich. Viele haben vielleicht nicht mehr als einmal zugehört, denn unter den Griechen herrschte eine Neugier, die, wenn sie leicht angezogen wird, nicht weniger leicht gestillt wird. Aber wenn es jemals ein attraktives Zentrum für asiatische Griechen gab, dann war es in Ephesus. Es war auch eine Zeit, in der die Menschen, der anmaßenden Philosophie und der geistigen und moralischen Schrecken des Heidentums überdrüssig, sich nach etwas Sicherem, Festem und Gutem sehnten, wenn sie auch nicht wussten, was sie in der Synagoge nur teilweise gefunden hatten.
Sie wollten, in der Sprache Hiobs, „einen Ausleger, einen aus tausend, um dem Menschen seine Geradheit kundzutun, so wird er sich seiner erbarmen und sprechen: Erlöse ihn, dass er nicht in die Grube hinabfahre; ich habe eine Sühnung gefunden“ (Hiob 33,23.24). Und in dem Apostel hatten sie einen der seltensten Ausleger, und mehr als das, einen, der über alle Menschen hinaus mit Juden und Griechen mitfühlen konnte; denn kein Jude hatte in seinem Unglauben Jesus je bitterer gehasst als er, kein Grieche war stolzer, als er diesen Namen verachtete. Und wer hatte so sehr den Reichtum der Gnade Gottes in Christus empfunden oder dargelegt? Zwei Jahre lang hörten alle, die dort wohnten, nicht nur in der Stadt, sondern auch in der Provinz (wo die sieben Versammlungen von Offenbarung 2 und 3 und andere, wie man später weiß, versammelt waren), das Wort des Herrn von jemandem, der so eifrig und in jeder Hinsicht kompetent war, es zu verkünden und zu entfalten und anzuwenden. Er begnügte sich damit, umherzugehen und das Königreich zu predigen; noch genügte es ihm, die Verlorenen zur Umkehr zu Gott und zum Glauben an unseren Herrn Jesus Christus aufzufordern. Er bezeugte zwar das Evangelium von der Gnade Gottes; aber er scheute sich nicht, den ganzen Ratschluss Gottes zu verkünden. Nirgends sehen wir eine Stelle, die so begünstigt ist; nirgends hat dieser weise Baumeister ein so breites, tiefes und festes Fundament gelegt, obwohl es in der Tat kein anderes war als das einzige, das gelegt ist, welches Jesus Christus ist. Aber wer hat es so gut gelegt wie Paulus in Ephesus, nach der Gnade Gottes, die ihm gegeben war?
Zu gegebener Zeit tritt das Gebäude Gottes in Ephesus in wunderbarem Glanz und einer Fülle vor uns, nicht nur in dem Buch, das uns jetzt beschäftigt, sondern auch in dem apostolischen Brief an die Gläubigen, die dort waren, die Gläubigen in Christus Jesus. Keiner Versammlung anderswo bringt der Heilige Geist das Geheimnis Christi, das in anderen Geschlechtern den Menschenkindern nicht kundgetan worden war, so frei heraus, wie es jetzt seinen heiligen Aposteln und Propheten im Geist offenbart worden ist. Von keinem wurde es so offenbart wie vom Apostel Paulus und keinem Gläubigen so mitgeteilt wie denen, die in diesem Brief angesprochen werden. Und doch ist die Versammlung in Ephesus in den Augen der Überlieferung von geringem Wert im Vergleich zu der in Antiochien oder in Alexandria, ganz zu schweigen von Rom oder Konstantinopel danach. Aber Gottes Wege sind höher als die Wege der Menschen und seine Gedanken als die der Menschenkinder. Es gibt keinen demütigenderen Beweis für das Abweichen des christlichen Bekenntnisses von der göttlichen Wertschätzung als die Kirchengeschichte mit ihrer immer größer werdenden Huldigung an den Geist der Welt.
Aber wir dürfen die Ehre bemerken, die Gott zu dieser Zeit dem apostolischen Zeugnis für den Herrn Jesus und das Evangelium in der neuen Sphäre zukommen ließ: „Und außergewöhnliche Wunderwerke tat Gott durch die Hände des Paulus, so dass man sogar Schweißtücher oder Schürzen von seinem Leib weg auf die Kranken legte und die Krankheiten von ihnen wichen und die bösen Geister ausfuhren“ (V. 11.12). Die segensreiche Macht Gottes im Menschen und für den Menschen wurde so bezeugt. Sie wird nach und nach im Reich triumphieren, wo alles in die Hände des verherrlichten Sohnes des Menschen gelegt werden soll. Er ist aber schon verherrlicht, obwohl wir Ihm noch nicht alle Dinge unterstellt sehen. In der Zwischenzeit ist der Geist hier auf der Erde, um von Ihm und seinem in Gerechtigkeit errungenen Sieg über Satan Zeugnis abzulegen. Das ist das Prinzip jener frühen Kundgebungen göttlicher Energie im Menschen. Sie waren Zeugnisse seines Sieges über den Teufel zu Gunsten des Menschen, „Wunderwerke deszukünftigen Zeitalters“ (Heb 6,5), wenn auch natürlich nur Proben dessen, was dann allgemein geschehen wird. Sicherlich hat weder die Versammlung noch irgendein einzelner Gläubiger über lange Jahrhunderte Grund, sich in dieser Hinsicht zu rühmen. Aber Gott hat wunderbar gewirkt, nicht nur durch Paulus, sondern auch in der Versammlung, wie wir sogar in Korinth sehen, zur Ehre Jesu, damit der Mensch auf allen Seiten und auf jede Weise die befreiende Kraft in seinen Händen erfährt, nicht nur über menschliche Schwachheit, sondern über alle Macht des Feindes.
Durch den Apostel wurde diese siegreiche Macht hier mit nicht wenig Glanz entfaltet. Der Gott, der seinen Sohn gab und sandte, um sowohl Mensch als auch Sühnung für unsere Sünden zu werden, ist nicht gleichgültig gegenüber dem Elend der Menschen oder der bösartigen Begierde Satans an Rebellion und Verderben. Und diese frühen Tage des Sieges des aufgestiegenen Christus wurden mit glänzenden Offenbarungen erhellt, dass alle Macht im Himmel und auf der Erde in Ihm gehört, der zur Rechten Gottes ist und der auf den Glauben antwortet, der seinen Namen angerufen hat.
Es geschah auch nicht nur in der Gegenwart oder auf das Wort des Apostels hin: Was seine Person berührt hatte, blieb nicht aus an den Kranken, die nicht zu ihm hinkommen konnten. Der Glaube, der ihnen Schweißtücher oder Schürzen von ihm brachte, hatte seinen Lohn: Die Krankheiten wichen von ihnen, und die bösen Geister (eine eigene Klasse) fuhren aus. Wahrlich, es war eine befreiende Macht zur Ehre des Herrn im und für den Menschen; und es konnte nicht anders sein, als die tief zu beeindrucken, die sensibel genug für ihre Interessen und Empfindungen in diesem Leben sind. Aber was ist das schon im Vergleich zu der noch größeren Herrlichkeit des Sohnes des Menschen, als Gott darin verherrlicht wurde, dass Er für die Sünde starb, damit auch dort die Gerechtigkeit zur Geltung käme und für immer auf der Seite des Menschen stünde, des gläubigen Menschen eindeutig und absolut?
49 In apostolischen Tagen scheint der christliche Glaube den Namen „der Weg“ angenommen zu haben (siehe Kap. 9,2; 19,9.23; 22,4; 24,14.22). Petrus verwendet den Ausdruck „der Weg der Wahrheit“ (2Pet 2,2).↩︎