Behandelter Abschnitt Apg 5,34-39
Da gefiel es dem Gott, der soeben durch seinen Engel seine gefährdeten
Diener aus dem Gefängnis geholt hatte, sie vor diesen zunehmend
schuldigen Mördern zu schützen, und Er wirkte nach einer anderen Art der
Vorsehung, die nicht mehr durch Engel geschah, sondern menschlich war.
Die Herzen aller sind in seiner Obhut.
Es stand aber einer auf im Rat, ein Pharisäer mit Namen Gamaliel, ein Schriftgelehrter, in Ehren bei dem ganzen Volk, und befahl, die Männer [oder, Apostel] eine kleine Weile hinauszuschicken, und sprach zu ihnen: Ihr Männer Israels [oder, Israeliten], nehmt euch in Acht vor diesen Männern, was ihr tun wollt. Denn vor diesen Tagen erhob sich Theudas, der sagte, er sei selbst einer, mit dem eine Anzahl Männer, etwa vierhundert, Partei ergriffen; der wurde getötet, und alle, die ihm gehorchten, wurden zerstreut und kamen um. Nach ihm (diesem) erhob sich Judas, der Galiläer, in den Tagen der Volkszählung und zog das Volk in Aufruhr hinter sich her, und er kam um, und alle, die ihm gehorchten, wurden zerstreut und kamen um. Und nun sage ich euch: Haltet euch von diesen Männern fern und lasst sie in Ruhe; denn wenn dieser Rat oder dieses Werk von Menschen ist, so wird es umgestürzt werden; wenn es aber von Gott ist, so werdet ihr nicht imstande sein, sie umzustürzen, damit ihr nicht ertappt werdet, dass ihr gegen Gott streitet (5,34–39).
Aus einem solchen Viertel waren diese Worte der Nüchternheit, im Gegensatz zur sadduzäischen Gewalt, unwiderstehlich. Es scheint keinen berechtigten Grund zu geben, daran zu zweifeln, dass Gamaliel derselbe berühmte Mann ist, Sohn von Rabbi Simeon, Enkel des einst berühmten Hillel; er stand dem Synedrium während der Regierungszeiten von Tiberius, Caligula und Claudius vor; sein Sohn folgte auf denselben Chefposten und kam bei der Belagerung Jerusalems um. Unter Gamaliel, so erfahren wir in Kapitel 22,3, studierte Paulus das Gesetz, dessen „Herrlichkeit“ er genannt wurde, da er der erste war, der den Titel Rabban (jüdischer Titel) trug. Dass er öffentlich oder gar heimlich Christ war, ist nur die Behauptung skrupelloser Legendenerzähler. Die Schrift gibt uns nicht nur einen vollkommen zuverlässigen, sondern auch einen sehr anschaulichen Bericht über den Mann und seinen Charakter sowie über die Art und Weise, wie er in diesem kritischen Augenblick von der Vorsehung benutzt wurde.
Denn sein Eingreifen passt ganz in den Gesamtzusammenhang, wo Gott zu unserer Belehrung kundtut, wie Er über die Seinen auf der Erde zu seiner Ehre wacht. Da war die Offenbarung der Gegenwart des Geistes, wo sie alle versammelt und von Ihm erfüllt waren (Apg 4,31), Lichter in der Welt, die das Wort des Lebens verkündeten und bis zur Vergessenheit aller selbstsüchtigen Interessen lebten, während die Apostel mit großer Kraft die Auferstehung des Herrn bezeugten (Apg 4,32-37). Dann folgt die Entfaltung der Kraft des Heiligen Geistes im Gericht über den heuchlerischen Betrug und die Begehrlichkeit im Innern (Apg 5,1-11), aber damit einhergehend die erneute Wirksamkeit der Wunderkraft durch die Apostel in der Gnade (V. 12–16). Dann widersetzen sich die Juden zunehmend dem Zeugnis Christi, aber ihre Maßnahmen werden offensichtlich durch die göttliche Macht durch den Engel vereitelt, der die Gefangenen in ihrer Mission der Gnade und Wahrheit befreit (V. 17–25). Schließlich, als der aufgebrachte Wille der Menschen zu Bluttaten übergehen wollte, greift Gott auf die übliche Weise seiner Vorsehung ein, um seine treuen Diener durch einen ernsten und weisen Mann sogar im Lager des Feindes zu schützen. Die Stimme der Mäßigung und der Weisheit, obwohl nur natürlich, siegte über die unüberlegten Impulse des Stolzes und der Leidenschaft, die sich mit der Angst vermischten. Gott würde der Wahrheit noch einen weiteren Raum geben, um die Gewissen aufzuwecken und die Herzen seines alten Volkes zu gewinnen, so schuldig sie auch waren. Es war der Tag der Gnade, an dem Er zum Lob des Herrn Jesus retten würde. „Männer von Israel, seht euch vor wegen dieser Menschen, was ihr tun wollt“ (V. 35).
Von Theudas, den Gamaliel in erster Instanz nennt, wissen wir nicht mehr, als Lukas berichtet. „Denn vor diesen Tagen stand Theudas auf und sagte, dass er selbst jemand sei, dem sich eine Anzahl von etwa vierhundert Männern anschloss; der ist getötet worden, und alle, so viele ihm Gehör gaben, sind zerstreut und zunichtegeworden“ (V. 36). Was ist unwahrscheinlicher, als dass dieser Theudas, der laut Josephus mindestens ein Dutzend Jahre nach Gamaliels Rede im vierten Jahr des Claudius (44 n. Chr.) auftrat, selbst von einem Historiker, der vor Ungenauigkeiten nur so strotzt, wie alle kompetenten Männer zugeben, so ernsthaft verlegt worden sein kann? Wenn Lukas nur ein gewöhnlicher, gottesfürchtiger Christ gewesen wäre, ist es dann denkbar, dass er einem prominenten und angesehenen Juden wie Gamaliel eine so ungeheuerliche Unwahrheit in den Mund legen würde, wie die Geschichte von Theudas vor zu datieren? Wenn er ein inspirierter Schriftsteller ist, ist es unnötig, seine makellose Genauigkeit zu behaupten.
Gott, der alles weiß und nicht lügen kann, ist die wahre Quelle der Inspiration, wer auch immer das Instrument sein mag. Tatsache ist, dass einerseits die historische Genauigkeit, geprüft durch die kleinsten Nuancen des Wissens in den verschiedenen Bedingungen und Umständen, von denen Lukas in seinem Evangelium frei schreibt, und noch reichlicher in dieser Apostelgeschichte, allgemein zu gut bekannt ist, als dass es hier eines Beweises bedürfte; und andererseits war der Name Theudas11 zu gewöhnlich (vgl. Cicero Ad Fam. vi. 10, ed. Orell. iii. 41; Galeni Opp. xiii. 925, ed. Kühn), um auch nur die geringste begründete Überraschung hervorzurufen, dass sich unter den vielen aufständischen Führern, die die Juden entweder vor oder nach dem Tod von Herodes dem Großen in Aufruhr versetzten, mehr als einer mit diesem Namen erheben konnte. Josephus selbst spielt auf viele an, von denen er nur drei nennt, der Theudas, dessen Niederlage durch Fadus er ein Dutzend Jahre später ansetzt, scheint eine weitaus größere Anhängerschaft gehabt zu haben als die 400 Männer, von denen unser Evangelist schreibt.
Für den Gläubigen ist es sicher, dass der Aufstand des Judas von Galiläa nach dem des Theudas war, von dem Gamaliel sprach. Josephus stimmt mit der Apostelgeschichte völlig überein, dass es in der Zeit der Volkszählung unter Quirinus, 6 n. Chr., war (Antt. xviii. sub. init.). Und es ist bemerkenswert, dass der jüdische Geschichtsschreiber, obwohl er ihn dort als einen Gauloniten aus der Stadt Gamala beschreibt, später (6) von ihm spricht, genau wie Gamaliel in unserem Kapitel, als „der galiläische Judas“. Wäre diese spätere Erwähnung unterschlagen worden, so wären die Gegner der Offenbarung laut geworden, Lukas zu verunglimpfen, wie sie absurderweise Josephus als unfehlbar behandeln wollen. Aber so kurz der inspirierte Bericht von Gamaliels Rede auch ist, wir haben auffallend genaue Informationen über den Untergang des Judas, über den der Historiker schweigt, und über die bloße, aber gründliche Zerstreuung seiner zahlreichsten Anhänger, die nicht wie Theudas zugrunde gingen, sondern immer wieder auftauchten, bis die letzte und zeitweise erfolgreiche Anstrengung mit dem Tod seines jüngeren Sohnes Menahem im Jahre 66 n. Chr. endete. „Danach stand Judas der Galiläer auf, in den Tagen der Einschreibung, und machte das Volk abtrünnig sich nach; auch der kam um, und alle, so viele ihm Gehör gaben, wurden zerstreut“ (V. 37). Ob Origenes (Homil. in Luc. xxv.) die Autorität hatte, zu sagen, dass dieser Judas wirklich vorgab, Messias zu sein, mag zweifelhaft sein; aber er zog seine große Menge mit dem Ruf an: „Wir haben Gott als unseren einzigen Führer und Herrn.“ Der Aufstand war sowohl fanatisch als auch revolutionär. Aber wie endete er? plädierte Gamaliel: eine Frage, die nicht zu beantworten ist.
Dann folgt sein Rat, geduldig auf die Ergebnisse zu warten. „Und jetzt sage ich euch: Steht ab von diesen Menschen und lasst sie (denn wenn dieser Rat oder dieses Werk aus Menschen ist, wird es zugrunde gehen; wenn es aber aus Gott ist, werdet ihr sie nicht zugrunde richten können), damit ihr nicht gar als solche befunden werdet, die gegen Gott kämpfen. Sie hörten aber auf ihn“ (V. 38.39). Es war die Form der Duldung, die ein ernsthafter Jude empfinden konnte, beeindruckt von den jüngsten Tatsachen, dem Charakter des Angeklagten und dem Zustand der öffentlichen Meinung. Aber es gibt weit mehr Bezug zur Sache unter Gott als in der modernen Lehre von der Duldung, die im Allgemeinen eine bloße Huldigung der Rechte des Menschen ist und Gott und die Wahrheit ignoriert. Er mag gefühlt haben, dass Verfolgung ein trauriges Mittel ist, um den Irrtum zu untergraben oder die Wahrheit zu erhalten. Was auch immer der Wert oder die Motive seines Urteils sein mögen, es empfahl sich dem Synedrium und bewahrte die Apostel vor einem Tod, der unmittelbar bevorzustehen schien.
Vielleicht ist es nicht verfehlt, hier ein Beispiel für die Geschicklichkeit des berühmten Johannes Calvin im Umgang mit dem Wort Gottes zugeben. In seinem Kommentar zu der Stelle zeigt er zunächst wenig Wohlwollen für die nüchterne Rede, mit der Gamaliel den Rat besänftigte und den feurigen Eifer der zu Extremen Neigenden auslöschte. „Wenn aber jemand alles ordnungsgemäß abwägt, ist seine Meinung eines klugen Mannes unwürdig. Ich weiß zwar, dass es von vielen für ein Orakel gehalten wird; aber dass sie schlecht urteilen, geht schon daraus mit genügender Deutlichkeit hervor, denn so muss man sich aller Strafen enthalten, auch sollte keine Bosheit mehr korrigiert werden: ja, man muss alle Lebenshilfen ablehnen, die zu verlängern nicht einmal für einen Augenblick in unserer Verfügung steht. Beides ist wahrhaftig gesagt: Was von Gott ist, kann durch keine menschliche Anstrengung zerstört werden; was von Menschen ist, ist zu schwach, um zu bestehen. Aber es ist ein schlechter Schluss, dass wir indessen nichts tun dürfen. Vielmehr sollten wir sehen, was Gott gebietet: Und sein Wille ist, dass die Bosheit von uns zurückgehalten wird“ (I. Calvani Opp. vi. in loc. Amstel. 1667).
Hier bricht die unnachgiebige Strenge aus, die auf der Verbrennung des unglücklichen Servetus und der übermäßigen Bestrafung anderer bestand. Ihre bösen Lehren werden nicht in Frage gestellt; aber was haben Diener Christi mit Maßnahmen dieser Art zu tun? Wir haben Ihn nicht so gelernt. Die Kirche hat ohne Zweifel ihre eigene Verantwortung im geistlichen Bereich; wie die Welt in dem, was zu diesem Leben gehört. Calvin hat all dies in der Meinung verwechselt, die Gamaliel tadelt, der nichts weniger meinte, als die Pflicht der Mächte zu leugnen, aber mit Recht darauf drängte, dass die Menschen die Offenbarung dessen abwarten sollten, was zweifelhaft ist, anstatt den voreiligen Maßnahmen der Leidenschaft und des Vorurteilsnachzugeben. Von extremer Gewalt abzuraten, wo sich das Werk als göttlich erweisen könnte, war sicherlich klüger, als bis zum Äußersten zu strafen, wo man keinen ausreichenden Grund kannte. Calvins Logik scheint so prekär, wie seine Verwechslung von geistlichen und weltlichen Dingen offensichtlich ist. Aber das ist nicht so außergewöhnlich wie sein Urteil, dass, wenn Lukas sagt: „Nach ihm [Theudas] erhob sich Judas“, er die zeitliche Reihenfolge nicht kennzeichnet, als ob Judas der letzte wäre, dass Gamaliel seine beiden Beispiele promiskuitiv „ohne Rücksicht auf die Zeit“ einbrachte, und dass „nach“ nicht mehr bedeutet als „außerdem“ oder „fernerhin“!12 Er hatte zuvor gesagt: „Wenn wir Josephus Glauben schenken, kehrt Gamaliel hier die wahre Reihenfolge der Geschichte um. Nicht so; es sei denn, wir nehmen an, dass es nur einen aufständischen Theudas geben konnte. Nun erzählt uns Josephus von vier Männern namens Judas in zehn Jahren, die in den Aufstand ausbrachen, und von drei namens Simon in vierzig Jahren, und er behauptet keineswegs, alle zu nennen, sondern deutet im Gegenteil viele weitere als ungenannt an. Die Annahme Calvins ist alles andere als rational und scheitert sicherlich an der Pietät.
Wie üblich, führt ein falscher Schritt zu vielen anderen. Denn Calvin wird dadurch zu der wahrhaft absurden Konsequenz geführt, dass, wenn wir die Zeit nachrechnen, wir feststellen werden, dass es mindestens zwölf Jahre seit dem Tod Christi waren, bevor die Apostel geschlagen wurden! Diese stümperhafte Berechnung beruht ganz und gar auf der Verwechslung des Theudas aus Gamaliels Rede mit dem, der, wie Josephus berichtet, von Cuspius Fadus in der Regierungszeit des Claudius behandelt wurde. Daher ist die Zeitspanne, von der ich sprach, vollständig, und umso vortrefflicher ist die Beständigkeit der Apostel, die, obwohl sie für die langen Mühen, die sie erduldet haben, nicht entmutigt sind, noch aufhören, den gleichmäßigen Tenor ihres Weges zu halten. Calvin war ein großer und guter Mann, das bezweifle ich nicht; aber umso auffälliger und lehrreicher ist die Lektion von Kühnheit und Torheit, wenn ein Mensch, egal wer, den sicheren Sinn des geschriebenen Wortes für seine eigene Argumentation aufgibt, die in einem solchen Fall immer ihren schwachen und wertlosen, um nicht zu sagen anmaßenden Charakter verraten wird. Denn was ist der Mensch, wenn er seine Stimme gegen Gott erhebt? Auf andere Bemerkungen des Kommentators, die eine eigentümliche Ungerechtigkeit gegenüber Gamaliel erkennen lassen, brauchen wir nicht einzugehen, da wir weder den letzteren verteidigen noch den ersteren über das Maß hinaus bloßstellen wollen, das dem Leser nützlich zu sein scheint. Ich gebe aber seine eigentlichen Worte wieder: „Ergo conficitur illud quod dixi temporis spatium. Quo praestantior fuit Apostolorum constantia, qui quum post diuturnos labores obitos tam indignam mercedem reportent, non tamen franguntur, neque desinunt cursum suum persequi.“
11 Abp. Ussher (Works x. 484) identifiziert den Theudas von Kapitel 5,36 mit einem derjenigen, die in den Tagen des Archelaus Judas genannt wurden. „Cum vero Hebraeorum Yehudah fuerit Syrorum Thudah. indeque Judas et Thaddaeus, multoque magis Theudas idem plane nomen extiterit: non alius videtur fuisse Judas hic quam Theudas ille de quo Gamaliel dixit ...“↩︎
12 Es ist wahr, dass Calvin das Beispiel des Eusebius (H.E. i. 5; ii. 11) für dieselbe schlechte Bevorzugung eines weltlichen gegenüber einem inspirierten Historiker hätte anführen können: So früh, so unverbesserlich ist das Wirken des bösen Herzens des Unglaubens, und dies bei Männern von Ansehen. Sogar Th. de Bèze scheint sich all dessen zu schämen und hält die Ansicht seines Vorgängers sicher für unbegründet, obwohl er eher von Eusebius als von Calvin spricht.↩︎