Behandelter Abschnitt Apg 2,12-21
Sie gerieten aber alle außer sich und waren in Verlegenheit und sagten einer zum anderen: Was mag dies wohl sein? Andere aber sagten spottend: Sie sind voll von süßem Wein.
Petrus aber stand auf mit den Elfen, erhob seine Stimme und redete zu ihnen: Männer von Judäa und ihr alle, die ihr in Jerusalem wohnt, dies sei euch kund, und nehmt zu Ohren meine Worte! Denn diese sind nicht betrunken, wie ihr meint, denn es ist die dritte Stunde des Tages; sondern dies ist es, was durch den Propheten Joel gesagt ist: „Und es wird geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, dass ich von meinem Geist ausgießen werde auf alles Fleisch, und eure Söhne und eure Töchter werden weissagen, und eure Jünglinge werden Gesichte sehen, und eure alten Männer werden Träume haben. Und sogar auf meine Knechte und auf meine Mägde werde ich in jenen Tagen von meinem Geist ausgießen, und sie werden weissagen. Und ich werde Wunder geben in dem Himmel oben und Zeichen auf der Erde unten: Blut und Feuer und Rauchdampf; die Sonne wird in Finsternis verwandelt werden und der Mond in Blut, ehe der große und herrliche Tag des Herrn kommt. Und es wird geschehen: Jeder, der irgend den Namen des Herrn anruft, wird errettet werden (2,12–21).
Wie üblich kann man die Menschen in mehrere Klassen einordnen, einige staunend, andere feindselig und verächtlich. Petrus übernimmt die Führung und erklärt das Geschehen mit Ernst und Deutlichkeit. Er verneint ausdrücklich den unwürdigen Gedanken der Trunkenheit, den die frühe Stunde selbst gegenüber gottesfürchtigen Menschen hätte zum Schweigen bringen müssen. Es war wirklich das, wovon Joel sprach: natürlich nicht die Erfüllung, wie sie in den letzten Tagen geschehen wird, aber ein Ereignis dieser Art. In der Tat gingen die Worte des Propheten darin über das hinaus, was an jenem zukünftigen Tag vollbracht wird; denn „alles Fleisch“ kann nicht auf Israel beschränkt werden, und Gott, der bald Heiden in den Namen Christi einführen wird, wird die Nationen im zukünftigen Königreich segnen, wenn alle Enden der Welt sich an den Herrn erinnern und sich zu Ihm bekehren werden, und alle Angehörigen der Nationen werden vor Ihm anbeten. Das Evangelium verdeutlicht jetzt die unterschiedslose Gnade Gottes noch tiefergehend, als es unter seiner zukünftigen Regierung der Fall sein wird, wenn Er zeigen wird, dass das Königreich dem Herrn gehört und dass Er der Herrscher unter den Nationen ist.
Am letzten Tag, wenn Joels Worte als Ganzes erfüllt sein werden, wird der Geist ausgegossen werden, und wenn Israel den Segen frei genießen kann, wird er weit über seine engen Grenzen hinaus fließen. Gottes Wege werden dann auf der Erde bekannt sein, seine rettende Gesundung unter allen Völkern. Zeitlicher Segen wird Israel dann zuteilwerden (Joel 2,19-27), und ihr großer Feind aus dem Norden wird für immer beseitigt werden, denn der Herr wird große Dinge für sein Volk und sein Land tun, was immer der Feind auch vorhat. „Und mein Volk“, sagt Er mit Nachdruck, „soll nie mehr beschämt werden.“ Dann präsentiert der Prophet als deutlichen Hinweis zwei Ankündigungen: die erste, die Ausgießung des Heiligen Geistes (Joel 2,28.29); die zweite, äußere Zeichen des Gerichts, die die Tage des Herrn einläuten, deren Umstände in Kapitel 3 in Einzelheiten beschrieben werden, bis wir wieder zum abschließenden Bericht über ihre Segnungen kommen. Wie die Wunder oben und unten jenem Tag vorausgehen, so bereitet die Umkehr Israels ihre Befreiung und ihren Segen vor, und besonders die Gabe des Geistes. Wir sehen das gleiche Prinzip auch hier.
Denn indem Gott jetzt seinen Geist ausgießt, verbindet Er dadurch die Gläubigen mit dem erhöhten Christus. Der Heilige Geist, der kraft der Erlösung gegeben wird, gießt die Liebe Gottes in ihre Herzen, versiegelt sie für den Tag der Erlösung und ist das Unterpfand ihres Erbes. Er wohnt jetzt in ihnen und wird ihre sterblichen Leiber bald bei der Wiederkunft Christi verwandeln. Außerdem ist Er das gesegnete und göttliche Band, das sie zum Leib Christi und zum Haus Gottes macht. Und hier mag es für nicht wenige von Interesse sein, wenn ich ihnen das Urteil des berühmten Kirchenhistorikers Neander vorlege, der natürlich von seinen lutherischen Ansichten her keine Voreingenommenheit gegenüber der Wahrheit der Versammlung hatte. Es wird nicht als ausnahmslos richtig oder in irgendeiner Hinsicht maßgebend zitiert, sondern als ein ernsthaftes Zeugnis eines fähigen und gut informierten Christen in direktem Gegensatz zum gegenwärtigen Zustand der Kirche, ob protestantisch oder katholisch, orientalisch oder griechisch. Es ist daher, soweit es geht, eine starke unwillkürliche Huldigung an die offenbarte Wahrheit zu diesem Thema.
Was Mose als Wunsch ausdrückte (4Mo 11,29), dass der Geist Gottes auf allen ruhen und alle Propheten sein mögen, scheint mir eine Voraussage dessen zu sein, was durch Christus verwirklicht werden sollte. Durch Ihn würde eine Gemeinschaft göttlichen Lebens gestiftet werden, die, ausgehend von der gleichen und gleich unmittelbaren Beziehung aller zu dem einen Gott, als der göttlichen Quelle des Lebens für alle, die Grenzen aufheben sollte, innerhalb derer nach alttestamentlicher Auffassung die Entfaltung des höheren Lebens noch beschränkt war, und daher würde sich die so entstandene Gemeinschaft wesentlich von der Verfassung aller bisher bestehenden religiösen Gesellschaften unterscheiden. Es konnte in einer solchen Gesellschaft kein priesterliches oder prophetisches Amt mehr geben, das als Mittel zur Ausbreitung und Entfaltung des Reiches Gottes dienen sollte, von dem das religiöse Bewusstsein der Gemeinschaft abhängig sein würde. Eine solche Priesterzunft, wie sie in den früheren Religionssystemen bestand, die befugt war, andere Menschen zu leiten, die gleichsam in einem Zustand religiöser Schülerschaft verharrten, und die die ausschließliche Sorge hatte, für ihre religiösen Bedürfnisse zu sorgen, und die als Vermittler diente, durch die alle anderen Menschen erst mit Gott und göttlichen Dingen in Verbindung gebracht werden mussten – eine solche Priesterkaste konnte im Christentum keinen Platz finden. Indem Christus das beseitigte, was die Menschen von Gott trennte, indem er allen dieselbe Gemeinschaft mit Gott vermittelte, beseitigte er auch die Schranke, die die Menschen bis dahin voneinander getrennt hatte.
Christus, der Prophet und Hohepriester für die ganze Menschheit, war das Ende des prophetischen Amtes und des Priestertums. Es gab nun denselben Hohenpriester und Mittler für alle, durch den alle Menschen,3 die mit Gott versöhnt und vereint sind selbst zu einem priesterlichen und geistlichen Geschlecht gemacht werden; einen himmlischen König, Führer und Lehrer, durch den alle von Gott gelehrt werden; einen Glauben, eine Hoffnung, einen Geist, der alle beleben würde, ein Ursprung in den Herzen aller, die Stimme des Geistes, die vom Vater ausgeht, alle sollten Bürger eines himmlischen Reiches sein, mit dessen himmlischen Kräften sie schon als Fremde in der Welt ausgestattet werden.
Wenn die Apostel die alttestamentliche Vorstellung vom Priestertum auf das Christentum übertrugen, so scheint mir dies stets zu dem einfachen Zweck geschehen zu sein, zu zeigen, dass in der neuen Gemeinschaft kein solches sichtbares Sonderpriestertum Platz finden konnte; dass, da der freie Zugang zu Gott und zum Himmel durch den einen Hohenpriester, nämlich Christus, den Gläubigen ein für alle Malgeöffnet worden war, sie kraft ihrer Verbindung mit Ihm selbst ein geistliches, Gott geweihtes Volk geworden waren, dessen Berufung keine andere ist, als ihr ganzes Leben als Dankopfer für die Gnade der Erlösung Gott zu weihen, die Macht und Gnade dessen zu verkünden, der sie aus dem Reich der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat, ihr Leben zu einem fortwährenden Priestertum zu machen, zu einem geistlichen Gottesdienst, der aus dem Temperament des durch die Liebe wirkenden Glaubens entspringt; ein beständiges Zeugnis für ihren Erlöser (vgl. 1Pet 2,9; Röm 12,1; und der Geist und der ganze Gedankengang, der sich durch den Hebräerbrief zieht). So sollte auch die Förderung des Reiches Gottes im Allgemeinen und im Besonderen, die Verbreitung des Christentums unter den Heiden und das Wohl jeder einzelnen Versammlung nicht mehr nur die Aufgabe einer ausgewählten Klasse von Christen sein, sondern die unmittelbare Sorge jedes Einzelnen.“4
Wir brauchen nicht mehr zu tun, als die vage Ungenauigkeit der „ganzen Menschheit“ auf der einen Seite und des „Königs“ auf der anderen Seite zu bemerken, denn wir dürfen von einem Lutheraner niemals erwarten, dass er das völlige Verderben des Menschen oder die neuen Beziehungen Christi kennt. Dass Er für alle Menschen den Tod geschmeckt hat, ist wahr; aber Er ist König Israels und der Nationen, auch Haupt der Versammlung, nicht der Menschheit als solcher. Er hat Autorität über alles Fleisch, um ewiges Leben zu geben, all denen, wie der Vater ihm gegeben hat. Aber diese und andere Stellen zeigen, dass dieser moderne Geschichtsschreiber trotz schwerwiegender Mängel den besonderen Charakter des Neuen, das Gott am Pfingsttag zu seiner Ehre gebildet hatte, besser als die meisten anderen verstand; ein Charakter, der keineswegs zufällig oder vorübergehend war, sondern es wesentlich von dem Ersten bis zum Letzten unterschied, und so verschieden von dem, was Gott in Israel errichtet hatte, wie von den Erfindungen Satans unter den Heiden. Das Neue war die Behausung Gottes im Geist.
Das war die Vorrede der Predigt des Apostels, eine Verleugnung der fleischlichen, um nicht zu sagen unmoralischen, Aufregung, die ihm unterstellt wurde, und eine Bejahung der Kraft des Geistes, die sich damals in der Gabe der Sprachen und in der Weissagung nach dem Propheten Joel offenbarte.
3 Es sollte Gläubige heißen, nicht Menschen; vereint mit Christus, nicht mit Gott.↩︎
4 Dr. August Neander (1789–1650),Allgemeine Geschichte der christlichen Religion und Kirche in §2, S. 248–250, Bohns Ausgabe.↩︎