Behandelter Abschnitt Joh 19,28-30
Danach, da Jesus wusste, dass alles schon vollbracht war, spricht er – damit die Schrift erfüllt würde –: Mich dürstet! Es stand nun ein Gefäß voll Essig da. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und legten ihn um einen Ysop und brachten ihn an seinen Mund. Als nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht! Und er neigte das Haupt und übergab den Geist (19,28‒30).
Es ist nicht nur so, dass Er in menschlicher Zärtlichkeit für alle Zurückgebliebenen in diesem bedeutenden Augenblick sorgt, sondern Er denkt an die Schrift im Geist oder in Begriffen, die noch nicht erfüllt sind. Zweifelsohne kommt hier die quälende körperliche Auswirkung all dessen zum Ausdruck, was Geist, Herz und Körper bis dahin ertragen hatten; aber seine letzte Bitte ist hier verbunden, nicht nur mit seinem Mangel, sondern mit seinem unvergänglichen Eifer für das Wort, wenn auch nur eine Sache fehlte, um es ehrenvoll auszuführen. Jedes Wort, das aus dem Mund Gottes ausgeht, muss erfüllt werden; und hatte Er nicht vom Messias gesagt: „meine Zunge klebt an meinem Gaumen“ (Ps 22,16), und „in meinem Durst gaben sie mir Essig zu trinken“? (Ps 69,22). Dann, nachdem Er getrunken hat, sagt der Heiland: „Es ist vollbracht“, mit einer göttlichen Ruhe, die hier so vollkommen ist, wie sie an anderer Stelle von seinem unergründlichen Leiden zum Ausdruck kommt.
Von niemandem außer Jesus wird oder könnte gesagt werden, dass Er den Geist aufgab (παρέδωκεν), was sich völlig von dem „verschied“ (ἐξέπνευσεν) des Markus und Lukas unterscheidet, das unsere Übersetzer mit dem ersteren verwechseln. Verscheiden kann sich auf den Tod jedes Menschen beziehen, da der gepriesene Herr so wahrhaftig Mensch war wie jeder andere; den Geist aufzugeben, wie es bei Johannes heißt, drückt seine göttliche Herrlichkeit aus, obwohl Er ein Sterbender war, als derjenige, der das Recht hatte, sein Leben nicht weniger hinzugeben als es wiederzunehmen. So deutet Matthäus in „und gab den Geist auf“ (ἂφῆκε τὸ πνεῦμα) an, wer der sterbende Messias war. Keine Worte können charakteristischer für Lukas sein als „Vater, in deine Hände übergebe ich meinen Geist“, und für Johannes als „Es ist vollbracht.“ Er war Mensch, obwohl Gott; Er war Gott, obwohl Mensch; und beides in einer Person.
Der Leser wird bemerken, wie vollkommen der Bericht über den Tod des Herrn zum allgemeinen Charakter und zum besonderen Thema des Johannesevangeliums passt und zu keinem anderen. Hier ist Jesus der bewusste Sohn, die göttliche Person, die alles geschaffen hat, aber Fleisch wurde, um nicht nur ewiges Leben zu geben, sondern auch als Sühnung für unsere Sünden zu sterben. Und hier, also nur hier, sagte Er: „Es ist vollbracht! Und er neigte das Haupt und übergab den Geist“ (V. 30). Es gibt Zeugen, wie wir sehen werden, aber sie sind von Gott, nicht von Menschen oder dem Geschöpf, und sie fließen innig aus seiner eigenen Person. Es wird keine Finsternis erwähnt, kein Schrei, dass sein Gott Ihn verlassen habe, kein Zerreißen des Vorhangs, kein Erdbeben, kein Bekenntnis des Hauptmanns; all das trifft zusammen, um den verworfenen Messias zu verkünden (Mt 27). So im Wesentlichen, außer dem Erdbeben, der dienende Sohn Gottes, gehorsam bis zum Tod in Markus 15. Lukas 23 fügt das Zeugnis seiner Gnade in dem gekreuzigten Räuber, seines Erstlings im Paradies und das Zeugnis des Hauptmanns über „Jesus Christus, den Gerechten“ hinzu, nachdem Er seinen Geist in die Hände seines Vaters übergeben hatte.
Es war Johannes vorbehalten, seinen Tod darzulegen, der nicht weniger sicher Gott als Mensch war. Der Schöpfer, aber der von der Erde erhobene Mensch konnte, als Er für die Sünde zur Ehre Gottes starb, sagen: „Es ist vollbracht.“ Das Werk, das unendliche Werk, wurde für die Tilgung der Sünde durch sein Opfer ausgeführt. Daran hängt nicht nur der Segen für jeden Menschen, der durch den Glauben gerechtfertigt werden würde, sondern auch ein neuer Himmel und eine neue Erde, in denen die Gerechtigkeit wohnt. „Es ist vollbracht“ (τετέλεσται): ein Wort! Doch welches Wort enthielt je so viel Bedeutung?
Aber keine Heiden waren verblendeter und verstockter als Gottes altes Volk, das sich in einer ungläubigen Religiosität ohne wahre Gottesfurcht gegen Jesus auflehnte und daher nicht sah, dass sie in ihrer schuldhaften Verwerfung seines und ihres Messias nur sein Wort erfüllten.