Behandelter Abschnitt Joh 5,45-47
Meint nicht, dass ich euch bei dem Vater verklagen werde; da ist einer, der euch verklagt, Mose, auf den ihr eure Hoffnung gesetzt habt. Denn wenn ihr Mose glaubtet, so würdet ihr mir glauben, denn er hat von mir geschrieben. Wenn ihr aber seinen Schriften nicht glaubt, wie werdet ihr meinen Worten glauben? (5,45–47).
Nie wurde dem geschriebenen Wort eine solche Ehre zuteil. Jesus hatte, wenn überhaupt, das Wort Gottes in sich wohnen. Niemand hatte jemals die Worte des Vaters und sein Wort wie Er; niemand stellte sie unveränderlich und zu allen Zeiten vor wie Er; und doch stellte Er die Schriften der Bibel über seine eigenen Aussprüche, als Zeugnis für das jüdische Gewissen. Es war keine Frage des höheren Anspruchs in sich selbst oder im Charakter der vermittelten Wahrheit; denn keine der alten Schriften konnte sich mit den Worten Christi vergleichen. Der Vater auf dem heiligen Berg hatte selbst auf die törichten Worte des Petrus geantwortet, der Mose, Elias und den Herrn in drei Hütten und in eine gemeinsame Herrlichkeit gesetzt hätte. Dem war nicht so. „Dies ist mein geliebter Sohn; ihn hört“ (Mk 9,7). Der Gesetzgeber und der Prophet, müssen sich vor Jesus verneigen. Sie hatten ihren Platz als Diener: Er ist der Sohn und Herr von allen. Sie ziehen sich zurück und überlassen Ihm den Platz als der einzige Gegenstand des Wohlgefallens des Vaters und unserer Gemeinschaft mit dem Vater durch das Hören des Sohnes Jesus Christus, unseres Herrn.
Dennoch ist es der Sohn selbst, der hier den Schriften Moses einen Platz im Zeugnis einräumt, der über seine eigenen Worte hinausgeht; nicht weil der Knecht sich dem Meister näherte oder die Zehn Gebote der Predigt, sondern weil die Schrift als solche einen Charakter der Beständigkeit im Zeugnis hat, der nur dem geschriebenen Wort zukommen kann. Und Mose schrieb von Christus – notwendigerweise also durch die Macht Gottes – als Prophet von dem Propheten, „der in die Welt kommen soll“ (Joh 6,14), von dem Propheten, der unvergleichlich mehr ist als ein Prophet, dem Sohn Gottes, der jedem Gläubigen Leben gibt und jeden Verächter richten wird, indem Er diese zur Auferstehung des Gerichts aus dem Grab auferweckt, wie jene zur Auferstehung des Lebens. Hätten also die Juden Mose geglaubt, so hätten sie auch Christus geglaubt: Worte, die uns lehren, dass der Glaube keine so unnütze Übung ist, wozu manche ihn machen wollen; denn die Juden zweifelten in keiner Weise, sondern nahmen seine Schriften als göttlich an. Aber nicht zu zweifeln ist weit davon entfernt, zu glauben; und sie sahen in keinem seiner Bücher den großen Gegenstand des Zeugnisses in allem, Jesus, den Messias, einen Menschen, doch weit mehr als einen Menschen, einen göttlichen Retter der Sünder und das Opfer für die Sünden, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt. Hätten sie Mose geglaubt, so hätten sie Ihm geglaubt, denn er hat von Ihm geschrieben. Aber wenn sie seinen Schriften nicht glaubten, erwartete der Heiland nicht, dass sie seinen eigenen Worten glauben würden.
Welch eine Einschätzung der Autorität eben jener Schriften, die selbstgenügsame Menschen als unglaubwürdig angegriffen haben! Sie wagen es, uns zu sagen, dass sie weder mosaischen Ursprungs noch messianischen Zeugnisses sind, sondern eine Menge von Legenden, die nicht einmal in ihren armseligen und menschlichen Berichten über die frühen Tage einen Zusammenhang bilden. Dagegen erklärt der Richter der Lebenden und der Toten, dass die Schrift von Ihm zeugt und dass Mose von Ihm geschrieben hat. Auch stellt Er das geschriebene Wort in Bezug auf die Autorität sogar über seine Worte. Da der Heiland und der Rationalismus also in direktem Gegensatz zueinanderstehen, kann der Christ nicht zögern, was er annehmen und was er ablehnen soll, denn man kann nicht beiden Herren dienen. „Entweder wird er den einen hassen und den anderen lieben, oder er wird einem anhangen und den anderen verachten“ (Mt 6,24). So ist es, und so muss es sein, und so sollte es sein; denn Christus und der Rationalismus sind unversöhnlich. Diejenigen, die vorgeben, beiden zu dienen, haben in Bezug auf keines von beiden ein Prinzip und sind die verderblichsten Dogmatiker unter allen Menschen. Sie sind nicht nur nicht im Besitz der Wahrheit, sondern machen die Liebe zu ihr unmöglich, sie sind Feinde Gottes und der Menschen gleichermaßen.