Der Ausdruck „und zwar Gnade um Gnade“ hat viele verwirrt, aber ohne viel Grund; denn eine ähnliche Formulierung kommt sogar bei weltlichen Autoren nicht selten vor, die jeden Fragesteller davon überzeugen sollte, dass sie einfach Gnade auf Gnade bedeutet, eine, die ohne Einschränkung oder Versagen auf die andere folgt – eine Überfülle an Gnade und nicht eine bloße wörtliche Vorstellung von Gnade in uns als Antwort auf Gnade in Ihm. Es wird weiter auffallen, dass die Schrift von Gnade um Gnade spricht, nicht von Wahrheit um Wahrheit – Letzteres wäre völlig unpassend; denn die Wahrheit ist eins und kann nicht so bezeichnet werden. Derselbe Apostel schrieb auch an die Unmündigen, nicht weil sie die Wahrheit nicht wussten, sondern weil sie sie wissen, und dass keine Lüge aus der Wahrheit ist. Die Salbung, die sie in der Tat von Ihm empfangen haben, belehrt sie über alle Dinge und ist wahr und ist keine Lüge. Aber wie die Gnade die Wahrheit bringt, so wirkt die Wahrheit in Gnade. Wie gesegnet ist es, dass wir aus seiner Fülle alles empfangen haben, und zwar Gnade um Gnade!
Ganz anders war es am Sinai:
Denn das Gesetz wurde durch Mose gegeben; die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden (1,17).
Nicht, dass das Gesetz Sünde ist. Weit gefehlt. Es ist heilig und das Gebot heilig und gerecht und gut (Röm 7,12). Aber es ist ganz und gar unfähig, den Menschen zu befreien oder Gott zu offenbaren. Es hat weder Leben zu geben noch ein Ziel zu offenbaren. Es verlangt vom Menschen, was er Gott und seinen Mitmenschen zu leisten hat; aber vergeblich wird es vom Menschen verlangt, der schon ein Sünder war, ehe das Gesetz gegeben wurde. Denn die Sünde ist nicht weniger sicher durch Adam in die Welt gekommen, als das Gesetz durch Mose gegeben worden ist. Der Mensch fiel und war verloren; niemand konnte das ewige Leben bringen als Jesus Christus, der Herr. Auch das stand dem Menschen ohne den Tod Christi zur Sühnung der Sünde nicht zur Verfügung. Hier sind wir aber noch nicht bei dem Werk Christi angelangt, auch nicht bei der darauf beruhenden Botschaft der Gnade, die im Evangelium in die Welt hinausgeht, sondern bei seiner Person in der Welt; und von dieser heißt es: „die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden [ἐγένετο]“ (V. 17). Dort, und nur dort, war die göttliche Liebe dem Bösen des Menschen überlegen; dort, und nur dort, war alles offenbart, und zwar in seiner gebührenden Beziehung zu Gott, denn das ist die Wahrheit. Wahrlich, Jesus ist ein göttlicher Erlöser.