Behandelter Abschnitt Lk 24,13-35
Als Nächstes schildert uns unser Evangelist ausführlich und mit den ergreifendsten Einzelheiten jene Erscheinung des auferstandenen Herrn, die das Markusevangelium in einem einzigen Vers zusammenfasst: „Danach aber offenbarte er sich zweien von ihnen in einer anderen Gestalt, während sie unterwegs waren, als sie aufs Land gingen“ (Mk 16,12).
Ich kann nicht daran zweifeln, dass es sich hier um ein Zeugnis für den Glaubensweg handelt, zu dem der Herr, der nicht mehr dem Fleisch nach bekannt war, allein führen würde. Es ist unerheblich, wer der Ungenannte gewesen sein mag. Es waren Jünger, die von der Kreuzigung des Messias erschüttert waren, die durch die Gnade getröstet wurden, die ihren Glauben auf das Wort gründeten und den Gläubigen gaben, Jesus ungesehen zu sehen, den sie nicht kannten, während sie Ihn mit natürlichen Augen ansahen. Einer der Alten, Epiphanius, vermutete, dass der Begleiter des Kleopas Nathanael war; unter den Modernen ist der gelehrte Lightfoot überzeugt, dass es Petrus war. Wir können sicher sein, dass beide sich geirrt haben und dass es kein Apostel gewesen sein konnte; denn als die beiden nach Jerusalem zurückkehrten, fanden sie „die Elf“ unter den Versammelten (V. 33). Der große Punkt des Augenblicks ist die Gnade des Herrn, der sie aus den menschlichen Gedanken heraus zu sich selbst als dem Gegenstand der ganzen Schrift führt, und das auch noch, als Er zuerst leidet und dann in seine Herrlichkeit eingeht. „Und siehe, zwei von ihnen gingen an demselben Tag in ein Dorf, mit Namen Emmaus, sechzig Stadien von Jerusalem entfernt. Und sie unterhielten sich miteinander über dies alles, was sich zugetragen hatte. Und es geschah, während sie sich unterhielten und sich miteinander besprachen, dass Jesus selbst sich näherte und mit ihnen ging; aber ihre Augen wurden gehalten, so dass sie ihn nicht erkannten. Er sprach aber zu ihnen: Was sind das für Reden, die ihr im Gehen miteinander wechselt? Und sie blieben niedergeschlagen stehen. Einer aber, mit Namen Kleopas, antwortete und sprach zu ihm: Bist du der Einzige, der in Jerusalem weilt und nicht erfahren hat, was in ihr geschehen ist in diesen Tagen? Und er sprach zu ihnen: Was denn? Sie aber sprachen zu ihm: Das von Jesus, dem Nazarener, der ein Prophet war, mächtig in Werk und Wort vor Gott und dem ganzen Volk; und wie ihn die Hohenpriester und unsere Obersten zur Verurteilung zum Tod überlieferten und ihn kreuzigten. Wir aber hofften, dass er der sei, der Israel erlösen solle. Doch auch bei all dem ist dies heute der dritte Tag, seitdem dies geschehen ist. Aber auch einige Frauen von uns haben uns außer uns gebracht: Am frühen Morgen sind sie bei der Gruft gewesen, und als sie seinen Leib nicht fanden, kamen sie und sagten, dass sie auch eine Erscheinung von Engeln gesehen hätten, die sagen, dass er lebe. Und einige von denen, die mit uns sind, gingen zu der Gruft und fanden es so, wie auch die Frauen gesagt hatten; ihn aber sahen sie nicht“ (V. 13–24).
Wie gesegnet sehen wir den Weg des Herrn Jesus, der die Herzen der Menschen Gottes mit den Stricken eines Menschen zieht! In der Auferstehung ist Er noch wahrhaftig Mensch, „derselbe gestern, heute und in Ewigkeit“, und passt sich den Herzen an, obwohl ihnen, wie Markus uns in dem bereits zitierten Vers wissen lässt, die Augen gehalten wurden, damit sie ihren Meister nicht erkennten: Er war „in einer anderen Gestalt“ erschienen.
Aber Er lockte ihre Gedanken hervor, um sie in die Wahrheit einzuführen, damit gerade die Schmerzen seiner Verwerfung, die ihnen so unerklärlich und mit ihren Erwartungen unvereinbar erschienen, als vom Wort Gottes gefordert gesehen würden und so eine Bestätigung, nicht eine Gefahr, für ihren Glauben sein könnten. Sie hatten die Erlösung durch Macht erwartet; nun erfahren sie in seinem Leiden bis zum Äußersten, der Gerechte für die Ungerechten, Erlösung durch das Blut; und nicht nur dies, sondern ein neues Leben aus dem Tod und darüber hinaus, bezeugt und begründet und uns gegeben in Ihm, wobei die Macht Satans in der Sünde und ihre Folgen für immer besiegt sind, wenn auch vorläufig nur eine Sache des Zeugnisses für die Welt und des Genusses durch den Heiligen Geist für den Gläubigen. „Und er sprach zu ihnen: O ihr Unverständigen und trägen Herzens, an alles zu glauben, was die Propheten geredet haben! Musste nicht der Christus dies leiden und in seine Herrlichkeit eingehen? Und von Mose und von allen Propheten anfangend, erklärte er ihnen in allen Schriften das, was ihn selbst betraf“ (V. 25–27).
Das ist das wahre Geheimnis des Unglaubens bei Gläubigen. Sie versagen, weil sie nicht alles glauben. Da sie nur eine unvollständige Sicht der göttlichen Wahrheit haben, übertreiben sie leicht hier oder dort; und da sie Christus nicht in der ganzen Schrift begegnen, sind sie eher geneigt, sich vor der Verwerfung seitens der Welt zu drücken, die die Jünger jetzt hinnehmen oder zumindest erfahren müssen, wenn sie dem Meister nachfolgen, so sicher, wie sie einst seine Herrlichkeit teilen werden. In der Welt, wie sie ist, konnte Christus nicht anders als leiden; und jeder, der vollendet wird, wird sein wie Er. Es ist moralisch unvermeidlich, da es der göttlichen Natur entspricht und auch vom Wort gefordert wird. Es konnte nicht anders sein, denn Gott ist, was Er ist, und der Mensch ist ein Sünder, der dem Feind unterworfen ist.
Doch jetzt war Er gestorben und auferstanden; und sie mussten Ihn so erkennen, nicht mehr nach ihren alten und jüdischen Vorstellungen. Wir haben Christi eigenes Wort dafür, dass Er im Sinn des Geistes in allen Schriften war; und sie sind blind oder verblendet, die Ihn nicht in jedem Teil der Bibel sehen. Er ist die Wahrheit, aber nur durch den Heiligen Geist können wir Ihn auch dort finden.
Eine große Lektion wurde auf dem Weg nach Emmaus gelehrt. Die Genauigkeit und das Licht der Heiligen Schrift zeigten, wo Menschen, und sogar Gläubige, vieles übersehen hatten. Die Juden hatten sich mit ihrem allgemeinen Zeugnis über die Hoffnungen der Nation und die Herrlichkeit des Reiches begnügt; aber sie hatten, wie der Herr bewies, das übersehen, was wirklich tiefer und jetzt von der wesentlichsten Bedeutung war – die Leiden Christi, nicht weniger als der höhere und himmlische Teil jedenfalls der Herrlichkeiten, die folgen sollten. Der Herr ließ sich herab, den Beweis aus dem geschriebenen Wort des Alten Testaments zu ziehen, anstatt sich allein auf gegenwärtige Tatsachen oder seine eigenen neuen Offenbarungen zu stützen. Aber es war mehr nötig als der so bewiesene Wert der Schrift, und das stellt Er vor. „Und sie näherten sich dem Dorf, wohin sie gingen; und er stellte sich, als wolle er weitergehen. Und sie nötigten ihn und sagten: Bleibe bei uns, denn es ist gegen Abend, und der Tag hat sich schon geneigt. Und er ging hinein, um bei ihnen zu bleiben. Und es geschah, als er mit ihnen zu Tisch lag, dass er das Brot nahm und segnete; und als er es gebrochen hatte, reichte er es ihnen. Ihre Augen aber wurden aufgetan, und sie erkannten ihn; und er wurde ihnen unsichtbar“ (V. 28–31).
Nicht, dass der Anlass die Eucharistie18 war, sondern dass Er die Handlung des Brotbrechens, die Er zuvor zum Symbol seines Todes für uns gemacht hatte, als Moment und Mittel wählte, um sich den beiden Jüngern bekanntzumachen. So sollte Er künftig erkannt werden, nicht mehr nach dem Fleisch, sondern gestorben und auferstanden. Das Alte ist vergangen; siehe, es ist alles neu geworden, und alles ist von Gott, der uns mit sich selbst versöhnt hat durch Jesus Christus.
Daher wird Er auch in dem Augenblick, in dem Er erkannt wurde, für sie unsichtbar. Er ist kein sichtbarer Messias mehr, ebenso wenig wie jemand lebendig ist nach dem Fleisch. Er wird von dem Christen nur dann richtig gesehen, wenn Er unsichtbar ist, doch muss Er zuerst gekommen sein und das mächtige Werk der Erlösung vollbracht haben. Zu diesem Zweck war Er gestorben, nachdem Er seinen Vater auf der Erde verherrlicht und das Ihm aufgetragene Werk vollendet hatte. Aber nachdem dies geschehen ist, nimmt Er noch nicht seinen alten und vorhergesagten Platz auf dem Thron Davids ein. Dieser wartet auf den Tag, an dem Israel reumütig und gesegnet in sein eigenes Land zurückgebracht sein wird, unter seiner herrlichen Herrschaft, und die ganze Erde wird die Früchte ernten zum Lob und zur Ehre Gottes, des Vaters. Aber in der Gegenwart sind neue Dinge eingetreten. Der Erlöser ist zum Himmel eingegangen und nicht nach Zion gekommen, und auf der Erde wird Er von seinen eigenen Jüngern im Brechen des Brotes erkannt, wobei seine Gegenwart ausschließlich dem Glauben bekannt ist. „Und sie sprachen zueinander: Brannte nicht unser Herz in uns, als er auf dem Weg zu uns redete und als er uns die Schriften öffnete? Und sie standen zu derselben Stunde auf und kehrten nach Jerusalem zurück. Und sie fanden die Elf und die, die mit ihnen waren, versammelt, welche sagten: Der Herr ist wirklich auferweckt worden und dem Simon erschienen. Und sie erzählten, was auf dem Weg geschehen war und wie er von ihnen erkannt worden war an dem Brechen des Brotes“ (V. 32–35). Wie der Engel ausdrücklich gesagt hatte: „Aber geht hin, sagt seinen Jüngern und Petrus …“ (Mk 16,7), so erschien Er Kephas (1Kor 15,5), dann den Zwölfen.
18 Danksagung, Segnung. In der Katholischen Kirche eine Bezeichnung für die Verwandlung von Brot und Wein in den tatsächlich Leib und das Blut Christi (WM).↩︎