Behandelter Abschnitt Lk 20,41-44
Da die verschiedenen Parteien, die Führer des religiösen Denkens in Israel, es nicht mehr wagten, den Herrn etwas zu fragen, stellte Er ihnen die entscheidende Frage; natürlich nicht, um sie in Versuchung zu führen, sondern um sie davon zu überzeugen, dass die Pharisäer nicht mehr wahren Glauben hatten als die Sadduzäer und dass die Schriftgelehrten nicht mehr Verständnis für das göttliche Wort hatten als die Menge, die das Gesetz nicht kannte. Es war in der Tat eine Gewissenserforschung und ein Appell an die Heilige Schrift, ob sie vielleicht hören und leben könnten. Sie hatten leider Ohren, hörten aber nicht, und die höchste Herrlichkeit ihres eigenen Messias verleugneten sie, zu ihrem eigenen Verderben und zur Schmach Gottes.
Dies ist keine Besonderheit der Juden in jener Zeit; es gilt genauso wirklich jetzt, und sogar noch auffälliger unter Protestanten als unter Katholiken. Im Grunde genommen verunglimpft die irdische Religion trotz allen gegenteiligen Anscheins Christus: manchmal durch offenen Gegensatz, wie wenn seine Gottheit bekämpft und sein Opfer beiseitegeschoben wird; zu anderen Zeiten durch das Aufstellen von rivalisierenden Vermittlern, der Jungfrau, Heiligen, Engeln, Priestern und so weiter, die sich das aneignen, was ausschließlich Ihm gehört. Für uns also gibt es nur einen Herrn, nämlich Jesus Christus; und wie wir nicht zwei Herren dienen können, so können wir auch nicht zwei Erlöser haben; denn entweder hassen die Menschen den einen und lieben den anderen, oder sie halten an dem einen fest und verachten den anderen. „Er aber sprach zu ihnen: Wie sagen sie, dass der Christus Davids Sohn sei? Denn David selbst sagt im Buch der Psalmen: ,Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde hinlege als Schemel deiner Füße.‘ David also nennt ihn Herr, und wie ist er sein Sohn?“ (V. 41–44).
Es gibt und konnte nur eine Antwort geben. Der Messias, Davids Sohn, muss eine göttliche Person gewesen sein, um Davids Herr zu sein, das ewige Rätsel des Unglaubens, jetzt wie damals der Stolperstein für den Juden. Und doch wird sie im Alten Testament ebenso sicher, wenn nicht sogar deutlicher und beständiger dargestellt als im Neuen; und wie sie wesentlich zu seiner eigenen Würde gehört und die Gnade Gottes unermesslich steigert, so ist es unabdingbar, dass es einen unumstößlichen Felsen des Heils gibt, sei es für einen Israeliten oder für jeden anderen. Ohne die Gottheit Jesu, so wahrhaftig er auch Mensch ist, ist das Christentum eine Täuschung, eine Betrügerei und eine Unmöglichkeit, so wie das Judentum ein unbedeutendes Kinderspiel war. Von Ihm, Gott und Mensch in einer Person, legen das Gesetz und die Propheten ihr unzweideutiges Zeugnis ab, nicht mehr von der Gerechtigkeit Gottes ohne Gesetz als von der Herrlichkeit Christi über dem Gesetz, wie sehr Er sich auch herablassen mochte, von einer Frau geboren zu werden, geboren unter dem Gesetz, um die zu erlösen, die in dieser Stellung waren (Gal 4).
Aber der Mensch scheut sich, der Wahrheit ins Auge zu sehen, bis er von neuem geboren ist. Sie vernichtet seinen Stolz, sie entlarvt seine Eitelkeit in jeder Hinsicht, ebenso wie seine Schuld und sein Verderben; sie macht Gott zur einzigen Hoffnung und zum einzigen Retter. Der Mensch mag nicht, was seine Selbstherrlichkeit zu Pulver zermalmt, und wird, wenn nicht die Gnade rettend eingreift, eher ewige Zerstörung riskieren, als sich dem Zeugnis Gottes zu beugen. Aber die Wahrheit errichtet einen Richterstuhl im Gewissen jedes Gläubigen, der sich jetzt als verloren bezeichnet, um gerettet zu werden, und der ausschließlich durch seine Gnade gerettet wird, die zu ihrem endlosen Elend und ihrer Schande der Richter über alle sein wird, die jetzt seine Herrlichkeit und seine Barmherzigkeit verschmähen.
Für den Gläubigen ist keine Wahrheit einfacher, keine kostbarer als die, dass Christus ein Mensch und doch Gott ist, der Sohn Davids und doch Davids Herr, die Wurzel und der Nachkomme Davids, der kam, um zu sterben, aber zugleich der lebendige und ewige Gott. An der eigentlichen Würde seiner Person hängen die Gnade seiner Erniedrigung und der Wert seines Sühnopfers und die Herrlichkeit des Reiches, das Er als Sohn des Menschen antreten und entfalten wird. Er ist jetzt der Mittelpunkt des Glaubens aller, die durch das Blut seines Kreuzes versöhnt zu Gott gebracht werden, wie Er es auch von allem sein wird, was im Himmel und auf der Erde ist und durch Ihn versöhnt wird; aber wenn Er nicht Gott ist, gleicherweise mit dem Vater, so muss ein solcher Platz als Mittelpunkt der Gnade oder der Herrlichkeit ein tödlicher Schlag gegen die Ehre sein, die dem einzigen Gott gebührt, weil es bedeuten würde, einem Geschöpf, wie erhaben es auch sein mag, die Huldigung zu geben, die Ihm allein zusteht.
Seine Gottheit ist daher wesentlich für seinen Charakter des vorbildlichen Menschen; die Leugnung derselben schließt logischerweise die schreckliche Verleumdung und Lüge in sich, dass Er nicht besser sei als der betrügerischste und erfolgreichste aller Betrüger. Dies mag als Beweis dienen, was die Schuld der Diskreditierung des Sohnes Gottes wirklich ist; dies erklärt, warum der, der den Sohn leugnet, den Vater nicht hat, während der, der den Sohn bekennt, auch den Vater hat. Wer den Sohn nicht ehrt, ehrt nicht den Vater, der ihn gesandt hat.
Darum ist das Gericht nur dem Sohn gegeben; denn Er allein hat sich in unendlicher Liebe herabgelassen, Mensch zu werden und für Menschen zu sterben, ja für die schuldigsten Sünder, die leider seine Liebe mit der tiefsten Schmach vergolten haben, indem sie Ihn verwarfen, als Er in Gnade kam, wie sie Ihn auch jetzt noch verwerfen, wenn Er in der Gnade gepredigt wird, der sie als Sohn des Menschen in jener Natur richten wird, wegen deren Annahme sie Ihn verachtet und seine Gottheit geleugnet haben. So wird Gott alle, auch die stolzesten Ungläubigen, zwingen, den Sohn zu ehren, wie sie den Vater ehren. Aber das wird zu ihrem Gericht sein, nicht zu ihrer Errettung. Das ewige Leben besteht darin, jetzt das Wort Christi zu hören und dem zu glauben, der seinen Sohn in Liebe gesandt hat; andernfalls bleibt nichts als eine Auferstehung zum Gericht, um seinen verletzten Namen zu rechtfertigen, die Verwerfung des Vaters im Sohn.
Wir brauchen uns nicht mit anderen Wahrheiten aufzuhalten, die in dem Zitat aus Psalm 110 verpackt sind, obwohl sie von tiefstem Interesse sind und an anderer Stelle im Neuen Testament angewendet werden. Hier ist der Gegenstand so einfach wie grundlegend, ein unlösbares Rätsel für die Ungläubigen, Juden oder Heiden. Aber es sind vor allem die ersteren, die dort immer stehengeblieben sind, zum Schweigen gebracht, aber nicht unterworfen. Was solche Heiden betrifft, die sich dazu bekennen, die einzige Lösung in seiner Person zu empfangen, so findet der Feind andere Wege, um die Wahrheit zunichtezumachen, wo immer sie nicht durch die Gnade erneuert sind. Falsche Freunde sind nicht besser als offene Feinde, sondern eher schlimmer – gottlose Menschen, die die Gnade Gottes in Ausschweifung verkehren und den alleinigen Gebieter und unseren Herrn Jesus Christus verleugnen, dessen Gericht gerecht und sicher ist, wie wir in dem ernsten Brief des Judas sehen.