Behandelter Abschnitt Lk 16,19-31
Wir haben den Abschluss des irdischen Zustandes gesehen; der Jude, der die Güter seines Herrn vergeudet hatte, verlor seine Verwalterschaft; den Charakter derer, die himmlische Dinge empfangen; das Ende aller irdischen Zeugnisse und die Notwendigkeit eines neuen; das Reich Gottes, das gepredigt wurde, das allein Gewinn war (das oder nichts); der Versuch, das Alte zu behalten, wurde als ganz und gar böse in den Augen Gottes entlarvt.
Darauf folgen der reiche Mann und Lazarus – ich wollte sagen, durch das Gleichnis, aber der Herr sagt es nicht so, obwohl es diesen Charakter hat, wie es mir scheint. Es stellt in sehr anschaulicher Weise den Zustand der Seele im Licht der Zukunft vor, noch nicht der Hölle (gehenna), aber der Qualen im Hades. Das ist also das Licht der Zukunft, noch bevor das Gericht auf die gegenwärtigen Dinge fallen kann, um sie zu beurteilen: „Es war aber ein gewisser reicher Mann, und er kleidete sich in Purpur und feine Leinwand und lebte alle Tage fröhlich und in Prunk“ (V. 19).
Nach der Vorstellung der Juden war ein gutes Vermögen, wie man sagt, ein Glück. Die Juden betrachteten solchen Wohlstand als ein Zeichen der Gunst Gottes. Der Name des Reichen war für den Herrn nicht aufzeichnungswürdig, der des Bettlers schon. Der reiche Mann hatte alles, was das Herz, oder besser gesagt, das Fleisch, begehren konnte; und er befriedigte es. Aber es war alles selbstsüchtiges Vergnügen: Gott war nicht dabei, noch gab es auch nur eine Sorge für andere Menschen. Alles drehte sich um das eigene Ich.
Dies wurde auf die Probe gestellt und deutlich gemacht: „Ein gewisser Armer aber, mit Namen Lazarus, lag an dessen Tor, voller Geschwüre, und er begehrte sich von dem zu sättigen, was von dem Tisch des Reichen fiel“ (V. 20.21). Für ihn war es kaum mehr als ein Begehren. Der reiche Mann kümmerte sich nicht um ihn, sondern um sich selbst; die Hunde waren rücksichtsvoller und erwiesen ihm eine größere Gunst als ihrem Herrn. Sie kamen und leckten seine Wunden.
So war der Mensch, so der Jude im gegenwärtigen Leben, nach seinen Gedanken des irdischen Gutes; aber wenn der Tod kommt, wenn das offenbart wird, was jenseits des Grabes war, erscheint der Unterschied sofort in seinem ganzen Ernst. Dann haben wir die Dinge in ihrem wahren Licht. „Es geschah aber, dass der Arme starb und von den Engeln in den Schoß Abrahams getragen wurde. Es starb aber auch der Reiche und wurde begraben“ (V. 22). Und wie anders der Arme! Wir hören kein Wort von seinem Begräbnis; vielleicht wurde er tatsächlich nicht begraben, sondern er wurde „von den Engeln in den Schoß Abrahams getragen“, dem Ort besonderer Glückseligkeit nach jüdischer Auffassung, in der unsichtbaren Welt, wo die ehrwürdigsten Diener Gottes auf ihn warten. „Es starb aber auch der Reiche starb und wurde begraben.“ Hier mochte die Pracht des Gefolges und die reichliche Darstellung der Trauer in den Augen der Menschen sein. „Und in dem Hades seine Augen aufschlagend, als er in Qualen war, sieht er Abraham von weitem und Lazarus in seinem Schoß“ (V. 23). Dies ist kein Bild für den endgültigen Zustand des Gerichts, sondern für einen bestimmten Zustand nach dem Tod. Dies ist von großer Bedeutung. Lukas gibt uns beides, indem er bestätigt, was im Alten Testament14 zu sehen ist, und es sogar noch ergänzt. An anderer Stelle gibt er der Auferstehung die volle Bedeutung; aber hier war es von Bedeutung, zu wissen, was schon jetzt für den Menschen hier auf der Erde von Nutzen sein würde. Im Hades also „seine Augen aufschlagend, als er in Qualen war, sieht er Abraham von weitem“. Wir sind keine Richter, außer soweit die Schrift spricht und wir ihr unterworfen sind, über das, was völlig außerhalb unserer Erfahrung liegt. Inwieweit die Verlorenen den Zustand der Erlösten kennen können, steht uns nicht zu, darüber zu urteilen. Die Heilige Schrift ist eindeutig, was den Abstand zwischen ihnen betrifft. Es gibt keine Vermischung der beiden miteinander. Aber was für den auf der Erde lebenden Menschen unglaublich weit entfernt wäre, kann für die im getrennten Zustand einfach weit weg sein, und der Unterschied zwischen ihnen ist gegenseitig bekannt. Lazarus wurde also nach dem Wort von dem, der in Qualen war, in Abrahams Schoß gesehen. „Und er rief und sprach: Vater Abraham, erbarme dich meiner und sende Lazarus, dass er die Spitze seines Fingers ins Wasser tauche und meine Zunge kühle; denn ich leide Pein in dieser Flamme“ (V. 24). So haben wir einen klaren Beweis dafür, dass der böse Mensch schon vor dem Gericht in Qualen ist. Zweifellos werden Bilder verwendet, aber diese beruhen auf dem, was für uns am verständlichsten ist. Durch den Körper empfinden wir die Welt. Daraus nimmt der Herr Bilder, um von denen, die Er anspricht, verstanden zu werden, indem Er nach seiner eigenen Weisheit den Fall der unsichtbaren Welt darstellt. Dort hat zumindest der verstorbene reiche Mann ein Bewusstsein für die Notwendigkeit der Barmherzigkeit.
Es ist gut zu sehen, dass dieser Mann in keiner Weise den Platz eines Ungläubigen einnimmt. Es ist sicher kein Glaube in ihm, aber dennoch spricht er von Vater Abraham; und wenn er auch nie von Gott Erbarmen ersucht hat, so sieht er doch, dass dort jedenfalls die reichste Barmherzigkeit in Abrahams Schoß genossen wurde. Deshalb bittet er ihn, Lazarus zu schicken, damit er die Spitze seines Fingers ins Wasser tauchen und seine Zunge kühlen möge. Was für eine kleine Gunst war das einst gewesen! Völlig verachtenswert – ein Tropfen Wasser, und vor allem von einem solchen wie Lazarus gesandt! Das wäre ihm auf der Erde zuwider gewesen. Aber die Wahrheit erscheint, wenn der Mensch dieses Leben verlassen hat. Hören wir denn, während wir auf der Erde sind, was der Herr sagt? „Denn ich leide Pein in dieser Flamme.“ Es ist Jesus, der uns das sagt; und wir wissen, dass Er die Wahrheit ist und dass dies wahre Aussprüche Gottes sind. Auch die Antwort Abrahams ist höchst bemerkenswert: „Kind [sagt er, denn er lehnt die Verbindung nach dem Fleisch nicht ab], denke, dass du15 dein Gutes empfangen hast in deinem Leben und Lazarus ebenso das Böse; jetzt aber wird er hier getröstet, du aber leidest Pein“ (V. 25). Wer vom Satan war, hatte Gutes auf der Erde; wer von Gott geboren war, empfing hier Böses. Die Erde, wie sie ist, gibt kein Maß für die Gerichte Gottes; wenn Jesus kommt und das Reich Gottes aufgerichtet wird, wird es anders sein. Aber der Jude und die Menschen im Allgemeinen müssen lernen, dass es jetzt nicht so ist, und dass es, bevor Er kommt, noch die ernste Wahrheit gibt, dass die Menschen durch ihre Wege hier zeigen, wie wenig sie solchen Worten Gottes wie diesen glauben. Aber wenn sie sterben, werden sie sicher die Wahrheit dessen beweisen, was sie in dieser Welt nicht hören wollten: „jetzt aber wird er hier getröstet, du aber leidest Pein.“
Es ist nicht der Tag des öffentlichen Reiches des Messias. Lukas lässt uns sehen, was noch tiefer ist als das, sowohl im Guten als auch im Bösen, nämlich der unsichtbare Teil der Gerechten wie auch der der Ungerechten. „Und bei all diesem ist zwischen uns und euch eine große Kluft befestigt, damit die, die von hier zu euch hinübergehen wollen, nicht können und sie nicht von dort zu uns herüberkommen können“ (V. 26). Die Kluft zwischen dem Guten und dem Bösen im Zwischenzustand ist unermesslich groß und fest. Es gibt keinen Übergang vom einen zum anderen. Die Vorstellung einer möglichen Gnade im getrennten Zustand wird von der Schrift absolut ausgeschlossen. Es ist der bloße Traum von Menschen, die sich so lange wie möglich an das Böse klammern oder sich wenigstens in dieser Welt vergnügen wollen, die deshalb die Warnungen Gottes verachten, weil sie darauf bedacht sind, die guten Dinge hier festzuhalten oder zu erwerben, und denen die ernste Lektion, die der reiche Mann und Lazarus erteilt haben, völlig egal ist. „Zwischen uns und euch eine große Kluft“, sagt Abraham – zwischen den entschlafenen Gerechten und denen, die in ihren Sünden sterben, ist die Trennung vollständig – „damit die, die von hier zu euch hinübergehen wollen, nicht können.“ Noch weniger kann jemand zu Abraham hinübergehen, der von jenseits der Kluft käme. In jeder Hinsicht ist ein solcher Wechsel unmöglich.
Da also für ihn selbst keine Möglichkeit der Veränderung bleibt, wendet er sich seiner Familie zu: „Er sprach aber: Ich bitte dich nun, Vater, dass du ihn in das Haus meines Vaters sendest, denn ich habe fünf Brüder, damit er sie dringend warne, damit nicht auch sie an diesen Ort der Qual kommen“ (V. 27.28). Aber die Antwort Abrahams bringt eine andere große Wahrheit des Geistes des Herrn ans Licht – die umfassende Bedeutung des Wortes Gottes, und dies auch in seinen niederen Formen. Das Neue Testament hat zweifellos ein volleres und vollkommeneres Licht; aber das Alte ist nicht weniger inspiriert. „Abraham aber spricht zu ihm: Sie haben Mose und die Propheten; mögen sie auf diese hören“ (V. 29). Dennoch bittet er weiter: „Nein, Vater Abraham, sondern wenn jemand von den Toten zu ihnen geht, werden sie Buße tun“ (V. 30). Die Antwort Abrahams ist entscheidend: „Wenn sie nicht auf Mose und die Propheten hören, werden sie auch nicht überzeugt werden, wenn jemand aus den Toten aufersteht“ (V. 31).
Es gibt keinen Beweis, der für die Ewigkeit gelingen kann, wo das Wort Gottes abgelehnt wird. Das ist das Zeugnis der unsichtbaren Welt. Ich leugne nicht, dass es für diese Welt eine Überzeugung geben kann, die durch vernichtende Urteile Gottes erzwungen wird; aber die Erzählung, die wir vor uns haben, bezieht sich auf die gegenwärtigen Dinge, bevor das Königreich kommt, und während dieses Zustands der Dinge gibt es keine so tiefe Überzeugung, keinen so tiefen Beweis, als den, der durch das Wort Gottes erbracht wird. In der Tat besiegelt auch die eigene Auferstehung unseres Herrn die Wahrheit seiner Worte. Denn was ist ein so offensichtlicher Beweis für das völlige Versagen aller anderen Mittel, den Menschen zu erwecken? Obwohl Er von den Toten auferstand, inmitten einer Schar bewaffneter Männer, die, wie wir wissen, zur Wache aufgestellt waren, ließen sich die Menschen nicht überzeugen, am wenigsten die jüdischen Priester und Ältesten, die sich nur noch mehr verhärteten. So wie sich ein Teil des Volkes gegen den Herrn während seines Lebens auflehnte, so wurde der Rest durch die Wahrheit seiner Auferstehung in gleicher Weise verärgert. So offenbarte das ganze Volk seinen Unglauben. Es war schlimm, ihre mangelnde Sympathie mit dem einzigen Gerechten hier auf der Erde zu beweisen; es war, wenn möglich, noch schlimmer, das Zeugnis der Gnade abzulehnen, die Ihn von den Toten auferweckt und die Botschaft der Erlösung in seinem Namen gesandt hatte. Dies tat Israel.
Aber es gab noch mehr als das, und zwar früher. Lazarus stand nicht lange danach auf den Ruf Jesu hin von den Toten auf, und viele der Brüder des reichen Mannes kamen, um ihn zu sehen, als er auferweckt war. Aber weit davon entfernt, Buße zu tun, berieten sich zumindest die Obersten, ja die Hohenpriester, um auch Lazarus in den Tod zu treiben, wie auch Ihn, dessen Auferstehungskraft nur ihren tödlichen Hass erregte, anstatt sie zu überreden, Mose und die Propheten zu hören.
Der reiche Mann, der abgeschieden war und sich während seines Lebens nicht um die Wahrheit gekümmert hatte, hatte also zweifellos den gebührenden Lohn für seine Taten bekommen; aber die, die das Zeugnis des auferstandenen Christus verwarfen, fallen in eine noch größere Kluft. So wird das ganze Volk gerichtet. Das einzige Licht für die erleuchtete Seele, das einzige Zeugnis, das dem toten Sünder ewiges Leben bringt, ist das Wort Gottes, das im Glauben empfangen wird.
14 Ich lege die Betonung nicht auf die bloße Tatsache oder Aussage, dass der Mensch eine lebendige Seele wurde, sondern auf den bedeutenden Unterschied der Art und Weise, in der allein der Mensch nach der Schrift dazu wurde. Welche Absicht hatte Jahwe Elohim, als Er dem Menschen den Lebensatem in die Nasenlöcher hauchte? Zu sagen, dass das gefallene Kind Adams die Unsterblichkeit seiner Seele von Christus im Unterschied zu diesem oder auf irgendeine andere Weise ableitet, scheint mir keine gesunde Lehre zu sein; sie nähert sich eher der Häkelei des gelehrten, aber exzentrischen H. Dodwell (B. T.).↩︎
15 Dean Alford gibt hier wie anderswo ὅπως so wieder, als ob es genau wie damit wäre. Ich halte das in der Tat für einen Fehler; und philologisch ist es ein falscher Grundsatz, dass zwei völlig unterschiedliche Wörter in derselben Sprache jemals genau dasselbe bedeuten (B. T.).↩︎