Behandelter Abschnitt Lk 16,14-18
Als nächstes kommen nicht die Jünger, sondern die Pharisäer vor uns. Sie werden hier als begehrlich charakterisiert. Es sind nicht ihre Formen oder ihre Gesetzlichkeit, sondern ihre Geldliebe, die durch die Lehre des Herrn an die Jünger angestachelt wurde; denn nachdem sie „dies alles gehörten“, „verhöhnten sie ihn“ (V. 14). Das Übel, vor dem die Jünger gewarnt wurden, war bei den Pharisäern ungebremst am Werk. Dieser Zustand war nicht weniger verdorben als hochmütig. „Und er sprach zu ihnen: Ihr seid es, die sich selbst vor den Menschen als gerecht hinstellen, Gott aber kennt eure Herzen; denn was unter Menschen hoch ist, ist ein Gräuel vor Gott“ (V. 15). Nicht so die, die durch den Glauben vor Gott gerechtfertigt sind. Solche rechtfertigen sich nicht mehr vor den Menschen als vor Gott, es sei denn, sie lassen die Natur gewähren und weichen von ihrem eigenen Glaubensgrund ab. Dennoch sind sie nicht frei von der Schlinge der Begierde; soweit sie sich von den Gedanken der Menschen beeinflussen lassen, sind sie ihr ausgesetzt. „Und man wird dich loben, wenn du dir selbst Gutes tust“ (Ps 49,19). Die starke Selbstsucht des Herzens zieht natürlich die eigene Sorge der Sorge für Gott vor; daher kommt die Verbindung mit den Menschen dieses Zeitalters in der Welt. Hüten wir uns also, „denn was unter den Menschen hoch ist, ist ein Gräuel vor Gott“ (V. 15). Kein Übel ist in der religiösen Welt unserer Zeit so verbreitet wie in der unseres Herrn. Bequemlichkeit, Ehre, Einfluss und Stellung werden so hochgeschätzt wie immer, zur unendlichen Verunglimpfung der Wahrheit. Jeder kann sehen, wie stark das Wort Gottes all diese Zustände des gefallenen Adam ablehnt und wie unvereinbar sie mit dem Kreuz Christi sind. Und sie sind nur noch ein schlimmerer Gräuel, wo Menschen versuchen, solche Weltlichkeit mit der himmlischen Wahrheit zu verbinden.
Als nächstes besteht der Herr auf der Krise, die gekommen ist. Denn auch dies verleiht seiner Zurechtweisung Nachdruck. Was sittlich wahr ist, kann immer dringender zur Pflicht werden, und so ist es auch in dem vorliegenden Fall. Die Religion der Welt nimmt immer den Boden des Pharisäertums ein; sie geht mehr oder weniger von der gegenwärtigen Gunst Gottes aus, und dass weltlicher Rang und Wohlstand als das entsprechende Zeichen zu sehen sind. Der Glaube sieht von den gegenwärtigen Dingen ab, seit die Sünde in die Welt gekommen ist, und jeder nachfolgende Schritt auf Gottes Wegen ist nur eine erneute Bestätigung des Glaubens. „Das Gesetz und die Propheten waren bis auf Johannes; von da an wird das Evangelium des Reiches Gottes verkündigt, und jeder dringt mit Gewalt hinein“ (V. 16). Es war also vergeblich, sich ganz auf das Gesetz und seine Belohnungen für die Treue zu stützen. In der Tat hatten sie das Gesetz gebrochen; und deshalb wurden ihnen die Propheten gegeben, die ihre Missetaten anprangerten, den tatsächlichen Zustand des Verderbens aufdeckten und von einem völlig neuen Zustand Zeugnis ablegten, der den gegenwärtigen durch ein Gericht beenden und einen neuen Zustand einführen würde, der niemals vergehen würde. Johannes der Täufer, als der unmittelbare Vorbote des Messias, bestand auf Umkehr im Hinblick auf die unmittelbare Ankunft Christi. Das fegt alle Selbstgerechtigkeit des Menschen weg.
Es ist nicht so, dass das Gesetz nicht gut wäre; der Fehler lag nicht dort, sondern bei denen, die, da sie sündig waren, es nicht empfanden, sondern sich anmaßten, eine eigene Gerechtigkeit unter dem Gesetz zu erfinden. Seit der Zeit des Johannes, sagt unser Herr, würde die frohe Botschaft vom Reich Gottes verkündigt“. Es heißt hier nicht wie in Matthäus 11,12: „wird dem Reich der Himmel Gewalt angetan, und Gewalttuende reißen es an sich.“ Dort geht es um die wahre Hoffnung Israels und um die Notwendigkeit, alles zu durchbrechen, was sich dem Glauben widersetzt. Aber hier ist es viel mehr Boden, der dem Menschen eröffnet wird, wenn er glaubt. „das Evangelium des Reiches Gottes [wird] verkündigt, und jeder dringt mit Gewalt hinein“ (V. 16). „Oder ist Gott der Gott der Juden allein? Nicht auch der Nationen? Ja, auch der Nationen, denn es ist der eine Gott, der die Beschneidung aus Glauben und die Vorhaut durch den Glauben rechtfertigen wird. Heben wir nun das Gesetz auf durch den Glauben? Das sei ferne! Sondern wir bestätigen das Gesetz“ (Röm 3,29-31). So der große Apostel. Und hier sagt der Herr: „Bis der Himmel und die Erde vergehen, soll auch nicht ein Jota oder ein Strichlein von dem Gesetz vergehen“ (Mt 5,18). Weder die Wahrheit noch der Glaube entkräftet das Gesetz; vielmehr erhalten sie seine Autorität über alle, die unter ihm stehen, sowie seine innere Gerechtigkeit. Gewiss, unser Herr hat es nicht nur in höchstem Maß geehrt, sondern ihm auch die wichtigste Bestätigung gegeben; denn Er hat es in seinem Leben vollkommen erfüllt und wurde in seinem Tod zum Fluch gemacht.
Die aber, die unter ihm hoffen, auf diesem Boden vor Gott zu stehen, zerstören in Wirklichkeit seine Autorität, ohne das zu beabsichtigen oder gar zu wissen. Denn sie hoffen, unter dem Gesetz gerettet zu werden, obwohl sie wissen, dass sie es gebrochen haben und dass es ihre Verurteilung fordert. Und selbst die, die „durch den Glauben gerechtfertigt“ sind und das Gesetz als Lebensregel haben, beeinträchtigen zumindest seine Autorität und bringen es so in Verruf. Denn was prangert das Gesetz an denen an, die nicht tun, was es verlangt? Droht es nicht mit dem Tod von Seiten Gottes? Und haben sie nicht versagt, es zu halten? Es ist also vergeblich, sich darauf zu berufen, dass sie gerechtfertigt sind: Das Gesetz kennt keinen solchen Unterschied. Ob sie gerechtfertigt sind oder nicht, wenn sie versagen, entkräften sie dann nicht seine feierlichen Drohungen?
Wie also stellt die Wahrheit die Befreiung dar und bewirkt den heiligen Wandel des Gläubigen? Nicht durch die Vorstellung, die am fälschlichsten in dem gewöhnlichen Text von Römer 7,6 gelehrt wird: „Jetzt aber sind wir von dem Gesetz losgemacht, da wir dem gestorben sind, in dem wir festgehalten wurden“. Denn das Gesetz ist nicht tot. Wenn dem so wäre, wären die Worte unseres Herrn verfälscht; und nicht nur ein Strichlein des Gesetzes, sondern das ganze Gesetz hätte versagt, bevor Himmel und Erde vergehen. Aber dies ist höchst ungenau, nicht nur in der Authorised Version, sondern auch im erhaltenen griechischen Text, wo ein Buchstabe den Unterschied zwischen Wahrheit und Irrtum ausmacht. Die Anmerkung in der englische Ausgabe ist richtig.
Wir sind es, die dem Gesetz gestorben sind, nicht das Gesetz irgendjemandem. In Römer 6 wird gezeigt, dass der Gläubige mit Christus der Sünde gestorben ist und in Römer 7 dem, „so dass wir in dem Neuen des Geistes dienen und nicht in dem Alten des Buchstabens“ (V. 6). „Also seid auch ihr, meine Brüder, dem Gesetz getötet worden durch den Leib des Christus, um eines anderen zu werden, des aus den Toten Auferweckten, damit wir Gott Frucht brächten“ (V. 4). Die Wahrheit ist also, dass wir, sogar wenn wir Juden wären, durch den Leib Christi dem Gesetz gestorben sind, anstatt unter ihm als unserer Regel zu leben. Und das Argument des Apostels beruht auf dem Prinzip, dass man nicht gleichzeitig zwei Ehemännern angehören kann, ohne Ehebruch zu begehen, oder wird zumindest dadurch veranschaulicht: „Also wird sie denn, während der Mann lebt, eine Ehebrecherin genannt, wenn sie eines anderen Mannes wird“ (V. 3); wenn der Tod eintritt, ist sie keine Ehebrecherin, obwohl sie einem anderen Mann angehört. Und so ist es mit dem Christen, denn wir gehören jetzt dem an, der von den Toten auferweckt ist, damit wir Gott Frucht bringen. Die Befreiung vom Gesetz ist wesentlich für die wahre christliche Heiligkeit. So vortrefflich das Gesetz auch ist, es ist dazu bestimmt, die Gesetzlosen und Ungehorsamen zu verfluchen; es ist nicht für einen Gerechten bestimmt (1Tim 1,9), der jeder Gläubige ist; es ist eine Regel des Todes für die Bösen, nicht des Lebens für die Guten. Christus allein ist Leben und das Licht des Lebens für den Gläubigen.
Und ist es nicht höchst auffällig, dass unser Herr gleich im nächsten Vers dieselbe Anspielung verwendet, die der Apostel am Anfang von Römer 7 als Argument gebraucht? „Wer irgend seine Frau entlässt und eine andere heiratet, begeht Ehebruch ihr gegenüber. Und wenn sie ihren Mann entlässt und einen anderen heiratet, begeht sie Ehebruch“ (Mk 10,11.12; vgl. Mt 5,32; 19,9). Zweifellos treffen beide Grundsätze auf den buchstäblichen Sachverhalt voll und ganz zu. Aber kann man an dem Zusammenhang mit dem vorhergehenden Vers und dem Kontext zweifeln? Wenn es so zusammenhängt, ist es ein offensichtliches Beispiel für den einen Geist in der ganzen Schrift; wenn nicht, ist es äußerst schwer zu verstehen, warum eine solche Aussage die Worte des Herrn zu diesem Thema abschließen sollte. Zweifellos erlaubten die Juden die Ehescheidung aus leichtfertigen Gründen und die Heirat nach einer solchen Scheidung und ermutigten in beiden Fällen zum Ehebruch. Ich kann nicht anders, als zu glauben, dass hier mehr im Zusammenhang steht.