Behandelter Abschnitt Lk 14,15-24
Es war ein ungewohnter Klang für den Menschen. Die offensichtliche göttliche Gnade des Herrn wirkte auf den Geist eines derer, die mit Ihm zu Tisch lagen, der, als er das hörte, was dem Himmel weit angemessener war, als je auf der Erde ausgeführt wurde, sagte: „Glückselig, wer Brot essen wird im Reich Gottes!“ (V. 15). Unser Herr beweist dann, dass dies ein großer Irrtum ist, was die Bereitschaft des Menschen betrifft, auf die Gnade Gottes zu antworten. Daher stellt Er den Fall in dem folgenden Gleichnis dar: „Ein gewisser Mensch machte ein großes Gastmahl und lud viele“ (V. 16).
An Herablassung und Güte, den Menschen zu gewinnen, mangelte es Gott nicht. Sein Herz schlug für jeden. Er lud nach seiner eigenen Größe der Barmherzigkeit und Gnade ein. „Und er sandte seinen Knecht zur Stunde des Gastmahls aus, um den Geladenen zu sagen: Kommt, denn schon ist alles bereit“ (V. 17). Dieses Evangelium, wie auch die Paulusbriefe, zeigt, dass Gott selbst in seiner Gnade die vorgeschriebene Ordnung nicht von vornherein aufgibt. So ging Paulus, wenn er zu irgendeinen Ort kam, zuerst in die Synagoge; und bei der Erklärung des Evangeliums im Römerbrief sagt er: „dem Juden zuerst als auch dem Griechen“ (Röm 2,10).
Obwohl Gott keine Rücksicht auf Personen nimmt, achtet Er doch auf die Wege, die Er selbst festgelegt hat. Das macht den mangelnden Glauben des Juden umso weniger entschuldbar. Gott versagt nie – der Mensch immer. Der begnadete Mensch stellt seinen eigenen Unglauben nur umso mehr bloß. Hier lautete die Botschaft an die Geladenen: „Kommt, denn schon ist alles bereit.“ So lautet die Einladung der Gnade. Das Gesetz macht den Menschen zum herausragenden und verantwortlichen Handelnden; es ist der Mensch, der dies tun soll, und, mehr noch, der Mensch, der das nicht tun darf.
Der Mensch wird darin aufgefordert, Gott aus ganzem Herzen, aus ganzem Verständnis, aus ganzer Kraft und aus ganzem Gemüt zu lieben. Aber das Gebot, so wie es ist, ist völlig vergeblich, weil der Mensch in diesem Fall ein Sünder und lieblos ist. Kein Gesetz hat jemals Liebe erzeugt oder hervorgerufen. Es kann Liebe fordern, aber nicht erzeugen; es liegt nicht in der Natur oder Macht des Gesetzes, dies zu tun. Gott wusste das genau; und im Evangelium wird Er selbst zum großen Vermittler. Er ist es, der liebt und der gemäß der Kraft dieser Liebe gibt, indem er seinen eingeborenen Sohn mit dem ewigen Leben in sich sendet – ja, auch um zur Sühnung für die Sünde zu sterben.
Das Gesetz zeigte, dass der Mensch zwar verantwortlich war, aber keine Kraft hatte, etwas zu tun. Er war wegen der Sünde unfähig, Gottes Willen zu tun; aber sein Stolz war so groß, dass er seine eigene Unfähigkeit oder deren Ursache nicht empfand und nicht empfinden wollte. Wäre er bereit gewesen, es zu bekennen, hätte Gott ihm Gnade erwiesen. Aber der Mensch fühlte kein Bedürfnis nach Gnade, ebenso wenig wie seine eigene Schuld und Unfähigkeit, dem Gesetz zu entsprechen. So verschmäht er den Ruf zu kommen, obwohl nun alles bereit ist.
Weiter sagt der Herr: „Und sie fingen alle ohne Ausnahme an, sich zu entschuldigen“ (V. 18a). Zweifellos waren das die Juden – die Personen, die gerufen wurden. „Der erste sprach zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft und muss hinausgehen und ihn mir ansehen; ich bitte dich, halte mich für entschuldigt. Und ein anderer sprach: Ich habe fünf Joch Ochsen gekauft, und ich gehe hin, um sie zu erproben; ich bitte dich, halte mich für entschuldigt“ (V. 18b.19). Nicht, dass diese Dinge an sich falsch wären; sie sind die gewöhnlichen Pflichten der Menschen. Es ist kein Mensch, der zu betrunken ist, um zu kommen, oder einer, der in Folge seiner Grobheit im Elend lebt, wie der verlorene Sohn; aber diese könnten anständige, respektable Männer sein. Sie waren in ihre eigenen Dinge vertieft, sie hatten keine Zeit für das Gastmahl der Gnade. Gott lud sie ein, da Er alles für sie vorbereitet hatte; aber sie waren alle so beschäftigt, dass keiner ein Herz oder eine Sorge für Gottes Einladung hatte.
Ist dies nicht ein wahres Bild für den Zustand des Menschen – ja, des Menschen, der die Bibel hat, der Christenheit nicht weniger als Judäa? Es ist eine ungläubige Ausrede, die sich auf angebliche Pflichten gründet, sicherlich auf gegenwärtige materielle Interessen. Aber welche Blindheit! Stellt die Ewigkeit keine Fragen? Ist der Himmel in den Augen des Menschen uninteressant, ganz zu schweigen vom Gericht und seinen furchtbaren Folgen? Wenn Christus oder Gott nichts sind, ist es dann nichts, verlorenzugehen oder gerettet zu werden?
Das sind offensichtlich ernste Fragen, aber der Mensch geht davon, ohne den moralischen Mut, eine Antwort von Gott zu bekommen. Hier verachteten die Eingeladenen seine Barmherzigkeit und Gnade, da sie sie für sich selbst nicht für nötig erachteten. Sie lebten nur für die Gegenwart. Sie löschten alles aus, was nach Gottes Gnade wirklich bewundernswert am Menschen ist. Sie lebten nur für die Natur in ihren niedrigsten Bedürfnissen – die Bereitstellung dessen, was zur Nahrung oder zum Vergnügen notwendig ist. Das gewöhnlichste Geschöpf Gottes, ein Vogel oder eine Fliege, tut so viel; das gewöhnlichste Insekt sorgt nicht nur für Nahrung, sondern vergnügt sich auch. Erniedrigt sich der prahlerische Mensch durch seine Sünde dazu, im Beruf nicht besser zu sein als ein Schmetterling, in der Praxis aber viel schlimmer?
Ein anderer sagte: „Ich habe eine Frau geheiratet, und darum kann ich nicht kommen“ (V. 20). Er sagte nicht einmal: Ich bitte dich, halte mich für entschuldigt. Seine Frau war in seinen Augen ein hervorragender Grund, Gottes Einladung abzulehnen. Es ging um eine Familie in dieser Welt, nicht um Gott im Jenseits. Es ist klar, dass die eigentliche Wurzel allen Unglaubens eine Leugnung der Sünde ist, und dass Gott keine Ehre gegeben wird. Es gibt keinen Sinn dafür, was Gott ist, weder in seinen Ansprüchen noch in seiner Gnade. „Und der Knecht kam herbei und berichtete dies seinem Herrn. Da wurde der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und bring die Armen und Krüppel und Blinden und Lahmen hier herein“ (V. 21). Das ist die dringende Botschaft der Gnade, wenn die Stolzen sich weigern und Gott sie den Verachtetsten anbietet. Noch haben wir die Straßen und Gassen der Stadt vor uns. Ich denke, der Herr hatte Jerusalem schon im Blick, wenn auch nicht deutlich ausgesprochen. Jedenfalls war es das, was in der Welt geordnet und geregelt war: Nur die Verachteten und Elenden werden jetzt ausdrücklich eingeladen. Die vielbeschäftigten Großen hatten sich darüber hinweggesetzt; die Gesetzgelehrten und Schriftgelehrten, die Lehrer und Pharisäer waren gleichgültig, wenn nicht gar dagegen. Von nun an ging es um Zöllner und Sünder, oder um jeden, der willig war, wie erbärmlich auch immer. „Und der Knecht sprach: Herr, es ist geschehen, was du befohlen hast, und es ist noch Raum“ (V. 22).
Dann kommt eine dritte Botschaft. „Und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh hinaus auf die Wege und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, damit mein Haus voll werde“ (V. 23). So haben wir den klaren Fortschritt des Evangeliums unter den Heiden; und dies auch mit dem starken Ernst der göttlichen Barmherzigkeit: „denn ich sage euch, dass keiner jener Männer, die geladen waren, mein Gastmahl schmecken wird“ (V. 24), also keiner von denen, die die Verheißungen hatten, aber mit ihnen zu tun hatten.
So wird uns der ganze Fall vorgestellt, aber mit bemerkenswerten Unterschieden zu der Sicht, die wir in Matthäus 22 finden. Dort ist es viel mehr dispensational. Da heißt es: „Das Reich der Himmel ist einem König gleich geworden, der seinem Sohn die Hochzeit ausrichtete“ (Mt 22,2). Alles deutet darauf hin: der König, der Königssohn, das Hochzeitsmahl – nicht nur ein Festmahl, und wieder bezeugen es die Botschaften und sein Handeln. Die erste Sendung dort stellt die Berufung während des Dienstes Christi auf der Erde dar; die zweite war, als die gemästeten Tiere geschlachtet wurden – das heißt, das Werk war vollbracht.
Darauf folgt das Gericht, das auf die fiel, die die Botschaft des Evangeliums verachteten und die Diener über misshandelten. „Der König aber wurde zornig und sandte seine Heere aus, brachte jene Mörder um und setzte ihre Stadt in Brand“ (Mt 22,7). Darüber steht kein Wort bei Lukas. Es war gut, dass es in dem Evangelium vorgestellt wurde, das sowohl zur Warnung als auch zur Einladung der Juden gedacht war. Und nur dort wurde es geschrieben. Die Zerstörung Jerusalems widerfuhr den Juden, weil sie Christus und den Heiligen Geist in der Verkündigung der Apostel schließlich verwarfen. Wiederum haben wir nur bei Matthäus den Fall des Mannes, der ohne ein Hochzeitskleid anwesend war, um den Vorteil vorzustellen, den ein ungläubiger Mensch aus dem Evangelium in der Christenheit ziehen würde, wo wir die Verderbnis derer haben, die den Namen des Herrn tragen, und ihre anmaßende Behauptung, Christen zu sein, ohne die geringste Realität, ohne ein wirkliches Anziehen Christi. Muss ich sagen, wie verbreitet das in der Christenheit ist? All das wird bei Lukas weggelassen, der sich auf das moralische Handeln Gottes beschränkt.