Behandelter Abschnitt Lk 12,54-59
Er sprach aber auch zu den Volksmengen: Wenn ihr eine Wolke von Westen aufsteigen seht, sagt ihr sogleich: Ein Regenguss kommt; und es geschieht so. Und wenn ihr den Südwind wehen seht, sagt ihr: Es wird Hitze geben; und es geschieht. Ihr Heuchler! Das Aussehen der Erde und des Himmels wisst ihr zu beurteilen; wie aber kommt es, dass ihr diese Zeit nicht beurteilt? Warum richtet ihr aber auch von euch selbst aus nicht, was recht ist?“ (V. 54–57). Die Menschen waren gut genug, um die Zeichen des Wetters zu beurteilen; sie waren scharfsinnig genug, um sich in dem, was sie sahen, ein Urteil über die Gegenwart zu bilden; aber sie versagten völlig in dem, was den Menschen am meisten ausmacht – im Urteil über das, was moralisch über ihm steht, im Urteil über das, was ihn in seinem Verhältnis zu Gott am meisten betrifft, im Urteil über das, was seine ewige Zukunft betrifft. In diesen Dingen haben sie völlig versagt, sie waren Heuchler. Ihre Liebe zum Bösen, umhüllt von einem Schleier des schönen religiösen Scheins, machte sie blind. Ihre Liebe zu ihren eigenen Interessen machte sie scharf in der Unterscheidung und geübt im Streben nach den gegenwärtigen Dingen. Sie versagten völlig im Gewissen; und so fährt der Herr fort, sie zu tadeln. Nicht nur, dass sie blind waren für die Zeichen, die Gott außerhalb ihrer selbst gab; sondern warum haben sie nicht einmal von sich aus, wie es hier heißt, beurteilt, was richtig war? Das ist eine Besonderheit bei Lukas. Matthäus spricht von den äußeren Zeichen, die Gott ihnen geben wollte, aber sie hatten dafür keinen Blick. Nur Lukas spricht von der Verantwortung, aus sich selbst heraus zu urteilen, und nicht nur aus dem, was ihnen von außen geboten wurde. Die Wahrheit ist, dass es innerlich mit ihnen selbst überhaupt nicht stimmte: deshalb urteilten sie nicht, was richtig war.
Der Herr schließt daher diesen Teil seiner Rede mit einer Warnung vor ihrer tatsächlichen Lage ab: „Denn wenn du mit deinem Widersacher vor die Obrigkeit gehst, so gib dir auf dem Weg Mühe, von ihm loszukommen, damit er dich nicht etwa zu dem Richter hinschleppt; und der Richter wird dich dem Gerichtsdiener überliefern und der Gerichtsdiener dich ins Gefängnis werfen. Ich sage dir: Du wirst nicht von dort herauskommen, bis du auch den letzten Cent bezahlt hast“ (V. 58.59). Israel stand nun vor Gericht, sie waren auf dem Weg dorthin. Es gab eine Gelegenheit, erlöst zu werden: Würden sie sich weigern? Würden sie alles wegwerfen? Sie konnten sich darauf verlassen, dass, wenn sie nicht fleißig von dem Gebrauch machten, was Gott ihnen jetzt in der Gegenwart Jesu anbot, die Gerechtigkeit ihren Lauf nehmen musste; und wenn das der Fall war, mussten sie vor den Richter geschleppt werden, und der Richter würde sie ganz sicher dem Gerichtsdiener übergeben, und der Gerichtsdiener würde sie ins Gefängnis werfen. Das Ergebnis wäre, dass sie auf keinen Fall von dort herauskommen würden, bis sie den allerletzte Cent bezahlt hätten. Und so ist die Geschichte der Juden in der Tat verlaufen. Sie sind immer noch im Gefängnis, und aus diesem Zustand werden sie nicht herauskommen, bis die ganze Schuld in der Vergeltungsaktion Gottes bezahlt ist, wenn der Herr sagen wird, dass Jerusalem von seiner Hand das Doppelte für alle ihre Sünden empfangen hat. Er wird ihr daher nicht erlauben, noch mehr zu leiden (Jes 40,2). Seine Barmherzigkeit wird sich ihrer Sache am letzten Tag annehmen, und seine Hand wird endlich vollenden, was sein Mund von Anfang an verheißen hat.