Behandelter Abschnitt Lk 12,22-34
Dann werden die Jünger angesprochen, und der Herr steigert seine Aufforderung entsprechend dem Charakter. Das andere war eine Warnung an die Menschen im Allgemeinen, aber für die Jünger öffnete sich ein neuer Weg: „Er sprach aber zu seinen Jüngern: Deshalb sage ich euch: Seid nicht besorgt für das Leben, was ihr essen, noch für den Leib, was ihr anziehen sollt, denn das Leben ist mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung“ (V. 22.23) Das war ein großer Fortschritt in der Belehrung der Jünger – ein Schutz gegen die Angst, die vom Glauben an Gott abhängt. Der Herr gibt ihnen ein Beispiel der Vögeln um sie herum. „Betrachtet die Raben, dass sie nicht säen noch ernten, die weder Vorratskammer noch Scheune haben, und Gott ernährt sie; um wie viel vorzüglicher seid ihr als die Vögel!“ (V. 24). Gottes Fürsorge hat sich herabgelassen, sogar über einen unreinen Vogel wie einen Raben zu wachen.
Aber wir haben mehr als das: Die völlige Ohnmacht des Menschen, in dem, was ihn am meisten betrifft, wird mit unvergleichlicher Schönheit und Wahrheit vorgestellt: „Wer aber unter euch vermag mit Sorgen seiner Größe eine Elle zuzufügen? Wenn ihr nun auch das Geringste nicht vermögt, warum seid ihr um das Übrige besorgt?“ (V. 25.26). Das Geringste ist das, was den Körper betrifft. Warum sollten sie besorgt sein?
Dann wird uns ein noch anschaulicheres Beispiel der Blumen des Feldes gegeben. „Betrachtet die Lilien, wie sie wachsen; sie mühen sich nicht und spinnen auch nicht“ (V. 27a). Gottes Fürsorge für die Pflanzenwelt, nicht weniger als für die Tierwelt, bietet eindrucksvolle und vertraute Beweise, die nicht widerlegt werden können. Die Raben scheinen vielleicht etwas zu tun; aber was die Lilien angeht, was sollen sie tun? „Ich sage euch aber: Selbst nicht Salomo in all seiner Herrlichkeit war bekleidet wie eine von diesen“ (V. 27b). Das wurde nicht über die Raben gesagt. „Wenn aber Gott das Gras, das heute auf dem Feld ist und morgen in den Ofen geworfen wird, so kleidet“ – gleichsam das Bedeutungsloseste, was Er im Pflanzenreich geschaffen hat, das Gewöhnliche und Vergängliche – „wie viel mehr euch, ihr Kleingläubigen!“ (V. 28). Die einen also, die Raben, sorgen sich nicht um ihre Nahrung und die Lilien nicht um ihre Kleidung. Daher sollten die Jünger sich davor hüten, den Völkern der Welt zu gleichen, die Gott nicht kennen. „Und ihr, trachtet nicht danach, was ihr essen oder was ihr trinken sollt, und seid nicht in Unruhe; denn nach all diesem trachten die Nationen der Welt“. Sie waren ohne Gott. „Euer Vater aber weiß, dass ihr dies nötig habt“ (V. 29.30). Er fährt nun fort, bis er die Jünger in den Genuss ihrer eigenen Beziehung zu einem Vater bringt, der sich vollkommen um sie kümmerte und im Blick auf sie in nichts versagen konnte. Der Gott, der über die Raben und die Lilien wachte – ihr Vater – würde sicher für sie sorgen. Er weiß, dass wir diese Dinge brauchen, und wir sollten uns Ihm anvertrauen.
Die zuvor gegebene Anweisung war eher negativ – Motive, die Wege und Interessen der Heiden zu meiden, weil sie sich der Fürsorge ihres Vaters anvertrauen konnten. Jetzt haben wir eine direktere positive Unterweisung. „Trachtet jedoch nach seinem Reich, und dies wird euch hinzugefügt werden“ (V. 31). Wie üblich gibt uns Lukas die moralische Kraft der Dinge. „Denn das Reich Gottes ist nicht Speise und Trank“, wie der Apostel sagt, „sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geist“ (Röm 14,17). Sie sollten danach suchen und das verfolgen, was Gott selbst herbeiführen wollte, das, was seine Macht im Gegensatz zur Schwäche des Menschen offenbart. Und so sollten sie danach streben, alles andere – alles, was für dieses Leben nötig ist – all die Dinge, die der Mensch für so wichtig hält, würden ihnen hinzugefügt werden. Gott kümmert sich gewisslich um die Seinen. Wenn wir seine Dinge suchen, vergisst Er die unseren nicht; Er könnte und würde unsere Not nicht übersehen, Tag für Tag. „Fürchte dich nicht, du kleine Herde, denn es hat eurem Vater wohlgefallen, euch das Reich zu geben“ (V. 32). Sie sollen sich nicht fürchten, obwohl sie eine kleine Herde sind. Ihre Stärke beruhte keineswegs auf Zahlen oder Hilfsquellen irdischer Art, sondern auf einem höchst einfachen und gesegneten Prinzip: Es war das Wohlgefallen ihres Vaters, ihnen das Reich zu geben. Er hatte seine Freude daran, es war sein Wohlgefallen. Das konnte nicht scheitern: Warum sollten sie sich fürchten? Weit gefehlt, sie wurden aufgefordert, zu verkaufen, was sie hatten: „Verkauft eure Habe und gebt Almosen; macht euch Geldbeutel, die nicht veralten, einen Schatz, unvergänglich, in den Himmeln, wo kein Dieb sich nähert und keine Motte verdirbt“ (V. 33).
Alles, was die Liebe zeigen würde, die zu den Bedürftigen fließt, wurde ihnen zuteil. Es war der Weg ihres Vaters mit ihnen, die einst wirklich arm waren, und sie sollten den Familiencharakter aufrechterhalten. Sie durften zwar Taschen zur Verfügung stellen; aber die Schätze sollten solche sein, die nicht veralten, was auf den himmlischen Schatz zutrifft. Sie sollten nicht von irdischer Art sein, sondern reich in Bezug auf Gott, „einen Schatz, unvergänglich, in den Himmeln, wo kein Dieb sich nähert und keine Motte verdirbt“. Es wird nichts vergessen: „Denn Gott ist nicht ungerecht, euer Werk zu vergessen und die Liebe“ (Heb 6,10); und was auch wichtig ist, es gibt keine Enttäuschung über den Schatz: Kein Dieb nähert sich ihm einerseits, keine Motte verdirbt ihn andererseits: „Denn wo euer Schatz ist, da wird auch euer Herz sein“ (V. 34). Es geht darum, dass ihr Herz auf die Dinge droben gerichtet ist, und das wird so sein, wenn ihr Schatz dort ist. Ein Mensch wird immer von dem bestimmt, was er sucht, von seinen Zielen. Setzt er sein Herz auf einen geringwertigen Gegenstand, so wird er geringwertig; setzt er es auf das, was edel und großherzig ist, so wird sein Charakter moralisch erhoben. Wenn er also von Christus angezogen wird, der zur Rechten Gottes ist, wenn der himmlische Schatz vor seinen Augen ist, sein Herz seinem Schatz folgt, wird er völlig über die Macht der gegenwärtigen Dinge erhoben, die ihn nicht mehr herunterziehen können.
Ist es zu viel gesagt, dass es für den Jünger nichts von solcher Bedeutung gibt? Wenn er Christus hat, ist es von großer Bedeutung, dass er Christus dort sieht, wo Er ist, und die Dinge Christi, wo Er zur Rechten Gottes sitzt. Nur auf Christus auf der Erde zu schauen, würde einen Christen verfälschen. Gewiss, Er ist und muss ein unendlich gesegneter Gegenstand sein, wo immer Er ist, und es ist auch nicht so, dass es keine würdige Wirkung hätte, Christus auf diese Weise zu betrachten. Aber wir müssen bedenken, dass Christus hier auf der Erde unter dem Gesetz stand und mit dem Judentum verbunden war, mit seinem Tempel, seinen Riten und seiner Priesterschaft; dass die große Frage der Erlösung noch nicht entschieden, die Sünde noch nicht gerichtet, das Böse noch nicht weggetan war. Die Welt war noch nicht als hoffnungslos schlecht aufgegeben, und folglich auch nicht der Mensch. Wer also Christus nur so ansieht, wie Er hier auf der Erde war, der verschließt sich der großen Wahrheit, dass alle diese Dinge bereits entschiedene Fragen sind; dass die Welt vor Gott gerichtet, die Erde verurteilt, der Himmel geöffnet, die Erlösung vollbracht und die Sünde weggetan ist. Wer nur auf Christus auf der Erde schaut, ist nicht nur von allen unterscheidenden Wahrheiten des Christentums ausgeschlossen, sondern wird in einen Zustand der Ungewissheit gestürzt, während alles unter dem Evangelium klar gesehen und entschieden werden sollte. Das gewaltige Werk der Erlösung bleibt nicht unvollendet. Das ist ein Grund, warum die Masse der Christen, die so auf Christus schaut, notwendigerweise von zweifelhaftem Geist sind und Gewissheit für Anmaßung halten. Der geistliche Charakter wird entsprechend geformt. Aber unser Herr selbst sagt uns, wir sollen „einen Schatz, unvergänglich, in den Himmeln“ haben, „denn wo euer Schatz ist, da wird auch euer Herz sein.“ Er wollte, dass sie himmlisch gesinnt seien; und in der Praxis gibt es keinen anderen Weg, als unseren Schatz im Himmel zu sehen, zu kennen und zu besitzen, im wahren Sinn des Wortes. Wenn das so ist, ist auch das Herz dort.