Behandelter Abschnitt Lk 3,1-14
Die Zeitangaben werden bei Lukas von den Jahren des Römischen Reiches an gerechnet. Judäa ist nur eine römische Provinz, die Dynastie der Herodes sind an der Macht. All dies war ein sehr demütigender und bedeutender Umstand für Israel – unmöglich, wenn das Volk Gott treu gewesen wäre. Aber Gott verbirgt die Schande seines Volkes nicht, im Gegenteil, Er macht sie gerade dadurch offenbar – Er gibt ihr einen Bericht in seinem eigenen ewigen Wort, dem Wort, das lebendig ist und ewig bleibt. „Aber im fünfzehnten Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius, als Pontius Pilatus Statthalter von Judäa war und Herodes Vierfürst von Galiläa, sein Bruder Philippus aber Vierfürst von Ituräa und der Landschaft Trachonitis, und Lysanias Vierfürst von Abilene, unter dem Hohenpriestertum von Annas und Kajaphas“ (3,1.2a). Daraus sehen wir, dass, obwohl die Hohenpriester da waren, sogar dieses heilige Amt durch die neuen Umstände Israels seltsam beeinflusst wurde. Es gab nicht einen Hohenpriester, sondern zwei; es herrschte Unordnung, die das Volk nicht nur politisch durcheinanderbrachte, sondern auch seine religiösen Beziehungen befleckte. Doch Gott war treu und sein Wort erging „an Johannes, den Sohn des Zacharias, in der Wüste“ (V. 2b) – sogar trotz dieser Umstände, aber in der Wüste. Es geht jetzt nicht um die Stadt des großen Königs, sondern um die Wüste; und dass Johannes der Täufer in der Wüste wohnte und das Wort Gottes dort zu ihm kam, spricht Bände über den wahren Zustand der heiligen Stadt. Das Wort richtete sich nicht an Zion.
Demnach kam Johannes „in die ganze Umgebung des Jordan und predigte die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden“ (V. 3). Buße war das, was die Predigt des Johannes kennzeichnete; nicht aber, dass Buße immer eine Wahrheit war und bleibt, die für jeden sündigen Menschen, der zur Erkenntnis Gottes kommt, verpflichtend ist. Im Christentum ist die Buße, so weit davon entfernt, in ihrem Charakter gemindert zu werden, vertieft: Man könnte dennoch nicht sagen, dass sie charakteristisch ist für das Christentum – vielmehr ist es der Glaube. Deshalb spricht der Apostel im Galaterbrief davon, dass „der Glaube gekommen“ war (Gal 3,23-25). „Als die Buße gekommen war“ wäre keine Beschreibung des Neuen, während es bei der Verkündigung Johannes des Täufers das mitfühlende Wort war, das den Charakter seiner Botschaft beschrieb. Johannes kam also „und predigte die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden“ (V. 3). Er hatte in der Tat eine eigentümliche Stellung. Er war nicht einfach ein Gesetz oder gar ein Prophet, obwohl er in Wahrheit der größte aller Propheten war; keiner war größer als Johannes der Täufer. Aber er war jemand, der der Herold des Messias war, den er verkündete, dass Er gerade vor den Türen stehe – ja, mitten unter ihnen, wie er sagt – und im Hinblick auf sein unmittelbares Kommen rief er die Menschen zur Buße auf.
Es war das Bekenntnis des völligen Versagens gegenüber dem Gesetz und der Verachtung der Propheten, aber es war auch das Bekenntnis ihrer Sünden im Hinblick auf den gerade Kommenden, der ihnen ihre Sünden vergeben konnte und auch würde. Deshalb predigte er „die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden“. Dies geschah nicht willkürlich, sondern mit göttlicher Autorität: „der mich gesandt hat, mit Wasser zu taufen, der sprach zu mir: Auf wen du den Geist herniederfahren und auf ihm bleiben siehst, dieser ist es, der mit Heiligem Geist tauft“ (Joh 1,33). Er wurde wirklich gesandt, um mit Wasser zu taufen; aber gleichzeitig wurde ihm eine Andeutung gegeben, dass er den Geist auf eine besondere Person herabkommen sehen würde – auf den Messias; und dass der Messias jemand seine würde, der (nicht mit Wasser, sondern), sondern mit dem Heiligen Geist taufen würde. Dies war sein besonderer Auftrag. Christus, und Er allein, tauft mit dem Heiligen Geist, und das tat der Herr Jesus, als Er in den Himmel auffuhr. Aber Johannes taufte auf der Erde mit Wasser. Zweifellos hat die Wassertaufe im Christentum noch immer Bestand und eine sehr wichtige Bedeutung – ich zweifle nicht daran, dass sie viel tiefer ist als die des Johannes. Es ist nicht nur die Taufe zur Buße, damit sie an den glauben, der nach ihm kommen würde.
Nun aber gründet sich die Taufe auf den Glauben an den, der bereits gekommen und gestorben ist; folglich ist der große Punkt der christlichen Taufe das Begräbnis (natürlich nicht im Leben Christi, sondern) auf seinen Tod. Johannes konnte dies nicht sagen; er sah einen lebendigen Christus, obwohl er durch den Heiligen Geist davon sprach, dass Er das Lamm Gottes ist, „das die Sünde der Welt wegnimmt“ (Joh 1,29). Inwieweit er die Bedeutung dessen verstand, was er sagte, ist eine andere Sache. Wir wissen mit Sicherheit, dass er, als er danach selbst ins Gefängnis geworfen wurde, etwas irritiert war oder stolperte und einige seiner Jünger sandte, um zu fragen: „Bist du der Kommende oder sollen wir einen anderen erwarten?“ (Lk 7,19).
Es ist also klar, dass er einen Christus erwartete, der in der Lage war, die Ketten der Unterdrückten zu zerreißen und die Gefangenen zu befreien, sowie den Armen das Evangelium zu verkünden. Aber einen Heiland zu sehen, der mehr und mehr verachtet und verworfen wird, und sich selbst, seinen Vorläufer, in einem Gefängnis ermattet zu sehen, das waren für Johannes den Täufer ganz neue und fremde Gedanken. Dennoch hatte Gott dafür gesorgt, dass seine Lippen das mächtige Werk Christi in seinen beiden Teilen verkünden sollten, als das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt, und als den, der mit dem Heiligen Geist tauft.
Nun haben wir hier Johannes den Täufer, der nach dem Propheten Jesaja handelt: „Stimme eines Rufenden: In der Wüste bahnt den Weg des Herrn; ebnet in der Steppe eine Straße für unseren Gott! Jedes Tal soll erhöht und jeder Berg und Hügel erniedrigt werden; und das Höckerige soll zur Ebene werden und das Hügelige zur Talebene! Und die Herrlichkeit des Herrn wird sich offenbaren, und alles Fleisch miteinander wird sie sehen; denn der Mund des Herrn hat geredet (Jes 40,3‒5). Im Lukasevangelium sorgt der Geist Gottes dafür, dass es so weit wie möglich geht. Das haben wir anderswo nicht. Bei Matthäus, Markus und Johannes bleibt das Zitat kurz davorstehen. Aber Lukas, obwohl er mit dem Juden beginnt, endet nicht mit ihm, sondern erstreckt sich ganz entschieden zu allen Völkern aus. Daher werden hier vom Geist besonders Ausdrücke gebraucht, die Größe und Umfang hinzufügen würden.
Aber auch eine andere Eigenart des Lukas wird hier beispielhaft beschrieben. Es wird nicht nur den Wegen Gottes eine übergroße Weite gegeben, sondern auch das Wort Gottes in seiner moralischen Kraft ständig verstärkt. Als Johannes der Täufer zu den Scharen spricht, die kommen, um sich von ihm taufen zu lassen, warnt er sie, wie es auch die anderen Evangelisten tun, vor dem kommenden Zorn zu fliehen und sich nicht auf ihr Vorrecht der Geburt zu berufen, indem er sagt: „Wir haben Abraham zum Vater; denn ich sage euch, dass Gott dem Abraham aus diesen Steinen Kinder zu erwecken vermag“ (V. 8).
Außerdem war bereits „die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt [das Gericht stand vor der Tür]; jeder Baum nun, der keine gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen“ (V. 9). Dieser Prozess war das, was sich jetzt ereignete. So finden also wir das, was Lukas mit Matthäus gemeinsam haben. Aber wir sehen danach das, was ihm eigentümlich ist. „Und die Volksmengen fragten ihn und sprachen: Was sollen wir denn tun?“ (V. 10).
Dann haben wir die ausführliche Ermahnung Johannes des Täufers an verschiedene Klassen von Menschen. „Er aber antwortete und sprach zu ihnen: Wer zwei Unterkleider hat, gebe eins davon dem, der keins hat; und wer zu essen hat, tue ebenso“ (V. 11). Obwohl Johannes zur Buße aufruft, ist es eine armselige und oberflächliche Reue über Sünden, die einfach die Vergangenheit anerkennt und das Böse, das bisher in unseren Wegen ausgebrochen ist, beurteilt, wie stark auch immer. Johannes legt ein angemessenes Verhalten für diejenigen fest, die sich zur Umkehr bekennen. Gott handelte selbst zu seiner eigenen Ehre im Geist eben dieser Gnade. Die Buße bereitet den Weg für die Gnade; sie wird natürlich durch die Gnade hervorgebracht, aber gleichzeitig führt sie in einen Weg der Gnade.
So auch, als die Zöllner kamen, um sich taufen zu lassen, anstatt sie verächtlich abzutun, wie es ein einfacher Jude getan hätte, antwortet er auf ihre Frage: „Lehrer, was sollen wir tun? Er aber sprach zu ihnen: Fordert nicht mehr [Geld], als euch festgesetzt ist“ (V. 12.13). Sie waren notorische Wucherer, ihre Raffgier war sprichwörtlich; sie plünderten das Volk aus, dessen offizielle Steuereintreiber sie waren. Auch die Soldaten fragten ihn und sprachen: „Und wir, was sollen wir tun? Und er sprach zu ihnen: Misshandelt und erpresst niemand, und begnügt euch mit eurem Sold“ (V. 14). Es ist klar, dass wir hier vor Gewalt und Korruption gewarnt werden, den beiden großen Merkmalen von Menschen, die sich selbst überlassen sind. Aber auch die Zufriedenheit mit ihrem Lohn wird ihnen eingeschärft. Es ist bemerkenswert, wie viel der Geist der Zufriedenheit nicht nur mit dem Glück eines Menschen, sondern auch mit ihrer Heiligkeit zu tun hat. Es gibt kaum etwas, das so sehr dazu neigt, unsere Beziehung zu Gott und den Menschen zu stören, wie die Unzufriedenheit. Sie macht einen Menschen reif für jedes Übel. Im großen Maßstab trägt sie zu den Revolutionen der Nationen und anderen sozialen Brüchen bei. In kleinerem Maßstab untergräbt sie das Gleichgewicht von Familien und die rechte Einstellung des Einzelnen wie nichts anderes. So lesen wir von „Undankbaren, Unheiligen“, die vom Geist Gottes in eine Reihe gestellt werden.
Wir finden auch, dass Undankbarkeit in den Götzendienst führt. Die Heiden verherrlichten Gott nicht nur nicht als Gott, sondern sie waren undankbar und fielen in alle Arten von moralischer Verderbtheit. Es gibt nichts Wichtigeres, als Dankbarkeit des Herzens zu pflegen, Christus, den Herrn, in unserem Herzen zu heiligen, Vertrauen in seine Güte zu haben und auch in der Gewissheit, dass Er uns individuell genau das gegeben hat, was für uns das Beste ist. Aber der einzige Weg, so zufrieden zu sein, was auch immer unser Los sein mag, ist der, dass wir Gott so betrachten, wie Er mit uns in Christus für die Ewigkeit handelt.
Es gibt also, unter den einfachsten Worten Johannes des Täufers, echte moralische Weisheit von Gott, die zu den Umständen der Menschen hier auf der Erde passt. Wir haben hier nicht die himmlischen Dinge; diese sind die Frucht der Erlösung durch Christus. Dennoch ist der Überblick, der uns von der Lehre Johannes des Täufers gegeben wird, überaus praktisch und geeignet, auf das Gewissen und das Herzen einzuwirken. Und wir werden feststellen, dass dies immer der Fall sein wird, wenn wir in unserem Evangelium weiter fortschreiten. „Als aber das Volk voll Erwartung war und alle in ihren Herzen wegen Johannes überlegten, ob er nicht etwa der Christus sei, antwortete Johannes allen und sprach: Ich zwar taufe euch mit Wasser; es kommt aber einer der stärker ist als ich, dem den Riemen seiner Sandalen zu lösen ich nicht wert bin; er wird euch mit Heiligem Geist und mit Feuer taufen; dessen Worfschaufel in seiner Hand ist, um seine Tenne durch und durch zu reinigen und den Weizen in seine Scheune zu sammeln; die Spreu aber wird er verbrennen mit unauslöschlichem Feuer. Indem er nun auch mit vielen anderen Worten ermahnte, verkündigte er dem Volk gute Botschaft“ (V. 15–18).