Behandelter Abschnitt Mt 25,31-32
So ist es auch mit unserem Dienst: Ob wir zwei oder fünf Talente haben und sie für Ihn gebrauchen, der Herr wird sie uns wieder zurückgeben und uns an dem kommenden Tag jene gesegneten Worte hören lassen: „Wohl, du guter und treuer Knecht! Über weniges warst du treu, über vieles werde ich dich setzen; geh ein in die Freude deines Herrn“ (V. 23).
Wenn aber der Sohn des Menschen kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er auf seinem Thron der Herrlichkeit sitzen; und alle Nationen werden vor ihm versammelt werden, und er wird sie voneinander scheiden, so wie der Hirte die Schafe von den Böcken scheidet (25,31.32).
Wir kommen nun zu einem Thema, das, wie ich befürchte, von vielen mit vielen Vorurteilen betrachtet wird. Es ist leider verdreht worden, sogar von denen, die den Heiland lieben und sowohl die allgemeine Glückseligkeit derer, die Ihm angehören, als auch den sicheren Untergang derer, die Ihn verachten, anerkennen. Aber obwohl sich alle Christen im Wesentlichen über diese grundlegenden Wahrheiten einig sein müssen, stoßen wir auf die unterschiedlichsten Meinungen, wenn wir uns fragen, was der Herr uns von seinem Sitzen auf dem Thron seiner Herrlichkeit zu sagen gedenkt; wenn wir feststellen wollen, wer die Parteien sind, die der Herr in dieser Begebenheit vor sich hat und was das besondere Schicksal der Gesegneten ist. Die Wurzel der Schwierigkeit kann im Allgemeinen auf einen Gedanken zurückgeführt werden –auf die Besorgnis, auch der Christen, das zu finden, was ihr eigenes Los betrifft. Da sie nicht ganz sicher sind, ob sie bei Gott angenommen sind, neigen sie gewöhnlich dazu, die Schrift zu verdrehen, teils um dem zu entgehen, was sie fürchten, teils um Trost für ihre aufgewühlten Seelen zu finden. Der größte Teil der Kinder Gottes ist mehr oder weniger in der geistigen Haltung unter dem Gesetz; und wo immer solche in diesem Zustand ehrlich sind, müssen sie unglücklich sein. Vergleichsweise wenige kennen die völlige Befreiung in Christus; wenige wissen, was es heißt, dem Gesetz gestorben zu sein und mit einem anderen verheiratet, sogar mit dem, der von den Toten auferstanden ist. Sie mögen die Worte der Schrift hören und wiederholen und denken, dass sie etwas Gutes bedeuten; aber die wirkliche Bedeutung und den Segen, dem Gesetz gestorben zu sein und mit einem auferstandenen Erlöser vereint zu sein, wissen nur sehr wenige zu schätzen.
Das ist der Grund, warum so viele nicht in der Lage sind, das Wort Gottes zu verstehen. Da sie ihre eigene Stellung in Christus nicht in Ruhe genießen können, greifen sie nach jeder Verheißung, ohne auf die Ziele zu achten, die Gott im Auge hatte. So suchen sie nach Sicherheit für ihre eigene Seele. Wenn der Herr von bestimmten Heiden als „Schafen“ spricht, denken sie, dass er uns meint, weil wir an anderer Stelle so genannt werden, wie in Johannes 10. Sie finden, dass diese vom Vater gesegnet sind, und schließen daraus, dass es um nichts anderes gehen kann als unsere Hoffnung. Wiederum wird hier von einigen als „Brüdern“ des Königs gesprochen; und sie halten es für selbstverständlich, dass damit wir – die Christen – gemeint sind. Auf diese oberflächliche Weise wird die Schrift missverstanden, und genau der Trost, den sie so sehr suchen, entgeht ihnen. Wo immer wir den Rahmen des Wortes Gottes beiseiteschieben und uns wahllos aneignen, was von Personen gesagt wird, die sich in einer ganz anderen Stellung befinden, gibt es einen Verlust. Gott hat alles so eingerichtet, dass das Beste für uns das ist, was Gott gegeben hat. Wir können die Ratschlüsse Gottes nicht ändern, noch dem Reichtum seiner Gnade etwas hinzufügen. Wenn wir die Liebe kennen, die Gott zu uns in Christus hat, kennen wir das Beste, was wir auf der Erde oder im Himmel finden können. In dem Augenblick, in dem wir dies festhalten und sehen, wie sehr wir gesegnet sind, hören wir auf, uns zu sorgen, dass jedes gute Wort Gottes sich auf uns selbst bezieht. Dann sehen wir das unendlich größere Thema, nämlich Christus, und wir können uns daran erfreuen, dass andere gesegnet sind, auch in dem, was wir nicht haben. Das ist praktisch am wichtigsten – dass wir mit Gottes Liebe zu uns und dem Anteil, den Er uns in Christus gegeben hat, so zufrieden sind, dass wir uns über alles freuen, was er anderen geben möchte. Sind wir nicht sicher, dass unser Vater uns nichts vorenthält, was unseren Segen beeinträchtigen würde? Wenn wir also dieses Gleichnis oder diese prophetische Beschreibung lesen, stehen wir unter keiner Einschränkung. Wir können es mit anderen Schriftstellen vergleichen und sehen, wen der Herr im Blick hat, und fragen, was ihr Anteil sein wird.
Hier gibt es genug Beweise dafür, um welche Zeit und Umstände es geht, von denen unser Herr spricht. Er nimmt seinen Sitz auf seinem eigenen Thron als der Sohn des Menschen ein. Er versammelt alle Nationen vor sich. Wann wird das sein? Zumindest hier soll nicht behauptet werden, dass es sich um etwas Vergangenes handelt. Der Herr Jesus sitzt noch nicht einmal auf seinem eigenen Thron. Als Er auf der Erde war, hatte Er keinen Thron; als Er in den Himmel auffuhr, setzte Er sich auf den Thron seines Vaters, wie es in Offenbarung 3,21 heißt: „Wer überwindet, dem werde ich geben, mit mir auf meinem Thron zu sitzen, wie auch ich überwunden und mich mit meinem Vater gesetzt habe auf seinen Thron.“ Nach dieser Verheißung muss Er, wenn sie erfüllt sein wird, den Thron seines Vaters verlassen und sich auf seinen eigenen Thron gesetzt haben. Das ist eine zukünftige Sache. Jede Schriftstelle, die sich auf den tatsächlichen Platz unseres Herrn bezieht, zeigt, dass Er jetzt auf dem Thron seines Vaters sitzt. Aber die Schrift zeigt auch, dass Er auf seinem eigenen Thron sitzen wird; und das ist es, was wir hier haben. Alle Dinge im Himmel und auf der Erde werden unter die Regierung des Herrn Jesus gestellt werden. Er wird das Haupt aller Herrlichkeit sein, himmlisch und irdisch. Wovon spricht dieser Teil? Gibt es irgendwelche Umstände, mit denen unser Herr seinen Thron umgibt, die die Antwort deutlich machen? „Und alle Nationen werden vor ihm versammelt werden“ (V. 32). Sind die Nationen im Himmel? Offensichtlich nicht. Wer kann sich so etwas Falsches vorstellen? Wenn die Grenze überschritten ist, die das Gesehene vom Ungesehenen trennt, kann kein solcher irdischer Anblick die Anbetung oben herabsetzen oder ablenken. Wenn die Menschen von den Toten auferstehen, werden sie nicht mehr als Engländer oder Franzosen bekannt sein: Diese nationalen Unterscheidungen enden für sie. Ihr zukünftiges Los entscheidet sich danach, ob sie Jesus im jetzigen Leben angenommen oder abgelehnt haben. Dieser zukünftige Thron des Sohnes des Menschen ist also mit einem Zeitzustand auf der Erde verbunden. Je mehr man jedes Wort abwägt, desto mehr wird dies dem Unvoreingenommenen einleuchten.
Wenn wir sie dann mit einer Auferstehungsszene vergleichen, werden ihre Unterschiede deutlich. In Offenbarung 20,11: „Und ich sah einen großen weißen Thron und den, der darauf saß, vor dessen Angesicht die Erde entfloh und der Himmel, und keine Stätte wurde für sie gefunden.“Es gibt keinen Zweifel im Blick auf diesen Thron. Er kann nichts mit der Erde zu tun haben, denn der Text selbst sagt uns, dass die Erde und der Himmel entflohen sind. Ich sehe sofort den deutlichen Gegensatz zwischen Matthäus und der Offenbarung. In der Offenbarung hören wir nur ein Wort darüber, dass Himmel und Erde entflohen sind; im Matthäusevangelium haben wir sehr deutliche Hinweise darauf, dass der Herr seinen Thron in der Regierung der Erde und der darauf lebenden Menschen einnimmt – nicht im Richten der Toten, wenn das Reich zu Ende kommt. Die, die hier vor Ihm versammelt sind, sind „alle Nationen“– ein Begriff, der nie für die Toten oder die Auferstandenen verwendet wird, sondern nur auf die Menschen hier auf der Erde angewendet wird, und zwar nur auf die Heiden im Unterschied zu den Juden. Denn wir hatten bereits die Juden in Matthäus 24, und jetzt sehen wir die Heiden; zwischen diesen beiden sind die Gleichnisse, die sich auf die Berufung der Christen beziehen.
So kann nichts geordneter sein als der ganze Zusammenhang dieser Prophetie auf dem Berg. Zuerst ging es um die Juden, wie ja auch die Jünger selbst noch solche waren; dann die Gleichnisse von dem Hausknecht, den Jungfrauen und den Talenten, die die christliche Stellung beschreiben, die sich bald entwickeln würde, wenn die Juden das Zeugnis des Heiligen Geistes ablehnen würden. Schließlich rundet ein weiterer Abschnitt alles ab: weder Juden noch Christen, sondern „alle Nationen“ oder Heiden, zu denen das Zeugnis des Reiches ausgesandt werden soll18 und unter denen der Heilige Geist wirken wird (auch Satan wirkt, damit sie nicht aus der Finsternis in Gottes wunderbares Licht gebracht werden). In Offenbarung 20 finden wir einen großen weißen Thron. „Und ich sah die Toten, die Großen und die Kleinen, vor dem Thron stehen“ (V. 12a). So sieht man sofort den Charakter dieses Thrones. Kein einziger lebender Mensch ist dort im natürlichen Leben, sondern die dann auferweckten Toten werden zum Gericht vor den großen weißen Thron gerufen. In Matthäus 25 ist von keinem einzigen Toten die Rede, in Offenbarung 20 von keinem einzigen Lebenden. In Matthäus sind die vor den Thron gerufenen Personen alle Nationen; in der Offenbarung niemand außer den Toten. „Und Bücher wurden geöffnet; und ein anderes Buch wurde geöffnet, welches das des Lebens ist. Und die Toten wurden gerichtet nach dem, was in den Büchern geschrieben war, nach ihren Werken“ (V. 12b). Wenn wir Matthäus 25 genauer betrachten, wird nicht nach den Werken im Allgemeinen gerichtet, sondern nur eine bestimmte Prüfung durchgeführt– die Treue oder Untreue gegenüber den Brüdern des Königs. „Und das Meer gab die Toten, die in ihm waren, und der Tod und der Hades gaben die Toten, die in ihnen waren, und sie wurden gerichtet, jeder nach seinen Werken“ (V. 13). Davon steht in Matthäus 25 kein Wort; und in der Tat beinhaltet der Ausdruck Nationen ohne Frage die Schlussfolgerung, dass sie nicht von den Toten auferstanden sind. Es ist das Gericht über die, die gemeinhin „die Lebenden“ genannt werden – die, die zu jener Zeit auf der Erde leben – und sie werden entsprechend ihrem Verhalten gegenüber den Boten des Evangeliums des Reiches behandelt. Das wird zeigen, dass es ein großer Irrtum ist, anzunehmen, dass alle Gerichte im Wort Gottes ein und dasselbe bedeuten. Wir müssen hier wie anderswo Raum für Unterschiede lassen. Gott ist in der Tat in der Lage, jeder Schwierigkeit zu begegnen und seine eigenen Vollkommenheiten im Umgang mit allem, was vor Ihn kommt, zur Geltung zu bringen.
18 Dies stimmt auch mit den letzten drei Gleichnissen von Matthäus 13 überein, wie wir gesehen haben. – [Ed].↩︎