Behandelter Abschnitt Mt 20,1-2
Das letzte Kapitel schloss mit der wichtigen Lehre, dass der Herr im Reich Gottes aller Leiden und Dienste hier um seines Namens willen gedenken wird. Aber es ist offensichtlich, dass, obwohl dies eine unzweifelhafte Wahrheit der Schrift ist, auf die in den Briefen des Paulus und anderswo im Neuen Testament Bezug genommen wird, sie eine Wahrheit ist, die das Herz bereit wäre, zur Selbstgerechtigkeit zu missbrauchen. Auch könnte eine Person vergessen, dass alles aus Gnade ist, und geneigt sein, einen Anspruch auf Gott zu erheben wegen irgendetwas, das Er ihr ermöglicht hat zu tun. Daher wird ein Gleichnis mit einem völlig anderen Grundsatz hinzugefügt, in dem der hervorstechende Gedanke die Souveränität Gottes ist, zu dem ausdrücklichen Zweck, denke ich, sich vor solchen Auswirkungen zu schützen. „Denn Gott ist nicht ungerecht, euer Werk zu vergessen und die Liebe, die ihr für seinen Namen bewiesen habt“ (Heb 6,10). Aber es liegt eine Gefahr für uns darin. Weil Gott nicht vergisst, was sein Volk für Ihn tut, folgt daraus nicht, dass sein Volk es selbst in Erinnerung rufen soll. Wir haben nur eine Sache, auf die wir uns ausrichten können: Auf Christus selbst; wie der Apostel sagte: „eins aber tue ich: Vergessend, was dahinten, und mich ausstreckend nach dem, was vorn ist“ (Phil 3,13) – nicht vergessen, was wir falsch gemacht haben: Das genaue Gegenteil davon wird sogar in der Herrlichkeit sein. Wenn es keine Notwendigkeit der Demütigung mehr gibt, werden wir dennoch ein lebendigeres Empfinden als je zuvor für unsere mannigfaltigen Versäumnisse haben; aber nicht so, dass ein Gefühl des Zweifels oder der Angst oder der Unzufriedenheit entsteht. Solche Gedanken wären der Gegenwart Gottes entgegen. Es ist eine gute Sache für den Gläubigen, während er seinen völligen Segen festhält, an das zu denken, was er ist – sich Tag für Tag vor Gott zu demütigen. Es ist gut, immer daran zu denken, dass wahre Demütigung für uns als Kinder Gottes angebracht ist. Jemand, der ein Amt bei der Königin innehatte und ihr die gebührende Achtung entgegenbrachte, würde an sie denken und nicht an sich selbst. Wie viel mehr, wenn wir in der Gegenwart Gottes sind! Das sollte uns mit Freude bei der Anbetung des Herrn erfüllen. Was für den Gläubigen ansehnlich ist, was Gott am meisten gefällt, ist nicht, dass wir ständig auf uns selbst in der einen oder andere Weise achten, so richtig das in gewissem Sinne in unserem Kämmerlein auch sein mag. Aber das Lob Gottes für das, was Er ist – vor allem in der Erkenntnis seines Sohnes und seines Werkes – ist das große Ziel allen Handelns Gottes mit seinen Kindern. Das Bewusstsein unserer Nichtigkeit zeigt wirklich die tiefste und echteste Demut. Wo es gewohnheitsmäßige Nachlässigkeit und mangelnde Abhängigkeit gibt, mit ihren traurigen Folgen, wird es keine Bereitschaft des Herzens zur Anbetung geben. Der richtige Gedanke, der mit dem Tisch des Herrn verbunden ist, ist, dass ich zu Christus gehe, um Ihn zusammen mit seinen Erlösten zu preisen; und dies – das Wissen, in seiner Gegenwart zu sein – hält unseren Geist im Zaum.
Um uns in diesem Empfinden der Gnade zu halten, zeigt uns der Geist Gottes in diesem Kapitel die Souveränität Gottes, die das Gegenmittel zur Selbstgerechtigkeit ist, die sogar im Herzen eines Jüngers zu finden ist. Petrus sagt: „Wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt“, und der Herr versichert ihm, dass Er das nicht vergessen würde. Doch dann fügt Er sofort das Gleichnis vom Hausherrn hinzu. Hier finden wir nicht den Grundsatz des Lohns oder der gerechten Anerkennung des Dienstes seines Volkes, sondern Gottes eigene Rechte, seine eigene Souveränität. Daher gibt es hier keine Unterschiede – niemand wird besonders in Erinnerung bleiben, weil er Menschen für Christus gewonnen oder alles für Christus verlassen hat. Der Grundsatz ist, dass Gott zwar unfehlbar jeden Dienst und jeden Verlust um Christi willen anerkennt, aber dennoch sein eigenes Recht aufrechterhält, zu tun, was Er will. Ein armer Mensch mag am Tag seines Todes zur Erkenntnis Christi gebracht werden. Gott behält sich das Recht vor, das zu geben, was Ihm gefällt, und zwar denen, die überhaupt nichts geleistet haben – wie wir vielleicht denken –, nur das zu geben, was in seinen eigenen Augen gut ist. Das ist ein ganz anderer Grundsatz als der, den wir im letzten Kapitel hatten, und es ist dem menschlichen Verstand zutiefst zuwider.
Denn das Reich der Himmel ist gleich einem Hausherrn, der frühmorgens ausging, um Arbeiter für seinen Weinberg anzuwerben. Nachdem er aber mit den Arbeitern über einen Denar den Tag einig geworden war, sandte er sie in seinen Weinberg (20,1.2).