Der Herr wendet sich nicht von der Schrift ab, weil der Satan sie missbraucht. Er zeigt uns auf äußerst lehrreiche Weise, dass wir uns nicht von unserem Bollwerk entfernen sollen, weil sie gegen uns gerichtet werden könnte. Unser Herr lässt sich nicht auf nette Unterscheidungen ein und analysiert auch nicht, was Satan gesagt hatte, sondern Er hat uns das gegeben, was, wenn ich so sagen darf, der Standard-Modus für jeden Christen sein sollte. Es gibt einige, die wohl ein geistliches Unterscheidungsvermögen haben, um zu sehen, dass Satan die von ihm zitierte Schriftstelle verdreht hat; aber viele vielleicht nicht. Der Herr gebraucht eine breite Basis im Umgang mit dem Widersacher: Er stützt sich auf das, was jeder Christ wissen und empfinden sollte, und das ist:
Jesus sprach zu ihm: Wiederum steht geschrieben: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen“ (4,7).
Er zitiert ein klares positives Wort Gottes, das Satan durch den Gebrauch von Psalm 91 zerstörte. Das ist das Bollwerk eines Gläubigen, der es mit jemandem zu tun haben kann, der schlau aus der Schrift argumentiert: „Es steht wieder geschrieben.“ Er kann sich auf das berufen, was greifbar und klar ist. Es wird sich herausstellen, dass dort, wo eine Person die Schrift systematisch falsch anwendet, sie irgendeinen wichtigen Grundsatz des Wortes Gottes zerstört. Was auch immer falsch ist, es steht im Widerspruch zu einer eindeutigen Stelle der Heiligen Schrift. Dies ist nun eine große Gnade. Der Gläubige hält an dem fest, was sicher ist. Er wird das, was er versteht, nicht für das aufgeben, was er nicht versteht. Er mag verwirrt sein durch das, was der Widersacher vorbringt, und er mag nur einen wachsenden Verdacht haben, dass er falsch liegt. Aber er kann zu sich selbst sagen: Ich kann niemals das, was über jeden Zweifel erhaben ist, für das aufgeben, was ich nicht weiß. Mit anderen Worten: Er hält das Licht fest und lehnt die Dunkelheit ab.
Ich habe den Eindruck, dass unser Herr so mit Satan umgeht. Er hätte ihn sofort aufgrund von Argumenten beiseiteschieben und zeigen können, zu welchem verdrehten Zweck Satan die Schrift anwendet. Doch Er geht mit ihm vielmehr auf der Grundlage der Moral um, die jeder Christ zu beurteilen vermag. Finde ich eine Schriftstelle, die zu dem Zweck benutzt wird, dass ich Gott misstraue? Sofort kann ich erwidern:„Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.“ Was ist damit gemeint? Ich soll nie daran zweifeln, dass der Herr für mich da ist. Wenn ich irgendetwas tue, um ihn zu prüfen, um zu sehen, ob er für mich sein wird, ist das zugleich Unglaube und Ungehorsam. Es ist wieder eine Anspielung auf die Geschichte Israels und ein weiteres Zitat aus dem fünften Buch Mose. In der Tat zitiert unser Herr jede Antwort auf die Versuchungen, wie schon viele bemerkt haben, aus dem fünften Buch Mose, das Buch, das charakteristisch zeigt, wie Israel unter dem Gesetz versagte. Doch wir finden in diesem Buch auch die Einführung der Gnade, nachdem alles ruiniert ist, und in Verbindung damit die Gerechtigkeit des Glaubens in solch einer Zeit.
Du wirst in 2. Mose 17,7 finden, dass die Israeliten den Herrn mit der Frage versuchten: „Ist der Herr in unserer Mitte oder nicht?“ Das bedeutet nicht, dass sie Ihn durch Götzendienst oder die Weigerung, seinen Willen zu tun, provozierten. Es geht dort nicht um offene Sünde, sondern um den Unglauben an seine Güte und Gegenwart – mit einem Wort, um den Unglauben daran, dass Gott für uns ist. Das ist genau das, was unser Herr erbittet. ,Ich werfe mich nieder, um zu erfahren, dass die Schrift wahr ist und dass die Engel mich auf Händen tragen werden! Ich habe es nicht nötig, so etwas zu tun; ich bin sehr sicher, dass, wenn ich niedergeworfen würde, die Engel da wären, um mich zu stützen.‘
Wenn du einen Menschen in deinem Haus hast, den du der Unehrlichkeit verdächtigest, bist du vielleicht geneigt, ihn auf die eine oder andere Weise zu prüfen. Aber wer würde auf die Idee kommen, jemanden zu prüfen, zu dem er volles Vertrauen hat? Und genau das ist die Bedeutung der Antwort unseres Herrn: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen“ (V. 7). Seine Seele sträubte sich gegen die Idee, Gott zu versuchen, um zu sehen, ob Er seinen Sohn unterstützen würde. Gott möge Ihn versuchen; Satan möge Ihn auf die Probe stellen. Doch den Herrn zu versuchen, als ob der Herr, sein Gott, es nötig hätte, auf die Probe gestellt zu werden, ob Er seinem Wort treu sein würde – weg mit einem solchen Gedanken! Der Herr bleibt bei seinem vollkommenen Vertrauen auf Gott. Das ist der völlige Ausdruck seiner Antwort.
Die Versuchung, die bei Matthäus an zweiter Stelle steht, führt Lukas als dritte an. Warum ist das so? Sicherlich sollten wir die Schrift nicht so lesen, als würden solche Unterschiede nicht zum Nachfragen anregen. Wir müssen aufpassen, dass wir die Schrift nicht falsch auslegen; aber die Schrift ist dazu da, verstanden zu werden. Ich sage von diesen verschiedenen Anordnungen, in die die Versuchungen gestellt sind, beide sind richtig, beide sind von Gott inspiriert. Wenn sie beide dazu beabsichtigt waren, die Versuchung genauso zu berichten, wie sie stattgefunden hat, ist es klar, dass sie nicht richtig sind; doch Gott hatte ein viel höheres Ziel.
Gott schrieb zu unserer Belehrung, und es hat Ihm gefallen, in den verschiedenen Evangelien die Fakten so darzustellen, wie es am lehrreichsten ist. Matthäus nennt die Versuchung einfach historisch, so wie sie stattgefunden hat. Deshalb haben wir bei Matthäus Angaben zur Zeit: „Dann nimmt ihn der Teufel mit“, und so weiter. Bei Lukas gibt es keinen solchen Gedanken; es heißt einfach: „Er führte ihn aber“ und so weiter. Dieses Wort bereitet uns sogleich darauf vor. Es ist klar, dass es diese verschiedenen Versuchungen gab, aber Lukas ordnet sie so an, dass er uns nicht die Reihenfolge sagt, in der sie stattfanden.
Dies ist eine allgemeine Bemerkung, die für das ganze Lukasevangelium gilt, dass er allgemein von der bloßen Reihenfolge der Tatsachen abweicht, um eine Anordnung zu geben, die dem Charakterseines Evangeliums entspricht, den er vor Augen hatte. Insgesamt zeichnet sich das Lukasevangelium dadurch aus, dass es die Tatsachen aus dem Leben unseres Herrn in eine Reihenfolge bringt, die zu der von ihm vorgestellten Lehre passt. So finden wir bei Lukas, dass sogar das Geschlechtsregister unseres Herrn nicht an seinem üblichen Platz steht. Es gibt ein Abweichen von der rein natürlichen Reihe; stattdessen gibt es eine moralische Ordnung.
Nehmen wir den Fall des Gebetes des Herrn: Lukas setzt es an eine ganz andere Stelle als Matthäus, der es in der bewunderungswürdigen Rede, die allgemein die Bergpredigt genannt wird, wiedergibt. Als Gebet bildete es einen sehr wichtigen Teil der neuen Grundsätze, die der Herr darlegte. Dort ist es eines der Hauptthemen der Rede des Herrn. Lukas hält dieses Gebet bis Lukas 11 zurück, weil unser Herr dort das große Mittel des geistlichen Lebens vorstellt ‒ wie es vom Gläubigen aufrechterhalten und geübt werden soll. Und das zeigt er uns anhand der Begebenheit von Martha und Maria (Lk 10). Warum hat Jesus den Weg und den Wandel der Maria eher geschätzt als den der Martha? Es ist nicht so, dass Er sie nicht alle liebte, und es war auch nicht so, dass Martha keine wirkliche persönliche Liebe zum Heiland hatte und dass ihr Herz nicht treu zu Ihm stand. Aber es gab einen großen Unterschied zwischen ihnen. Was und warum war das so? Lukas gibt uns den moralischen Unterschied. Während Martha ganz damit beschäftigt war, was sie für den Herrn tun konnte, um Ihm ihre Liebe zu zeigen, war Maria mit dem Herrn selbst beschäftigt – saß zu seinen Füßen und hörte seinem Wort zu.