Behandelter Abschnitt Mt 3,1-3
Wir werden nun von der Rückkehr unseres Herrn in das Heilige Land zu den Tagen geführt, als Johannes der Täufer auftrat und auf der großen und wichtigen Wahrheit der Buße bestand. Doch hier wird der Dienst Johannes des Täufers völlig im Zusammenhang mit der Beziehung des Herrn zu Israel gesehen. Es ist interessant, die verschiedenen Wege zu vergleichen, in denen die Evangelien Johannes selbst darstellen, um die Art und Weise zu veranschaulichen, in der der Heilige Geist sein göttliches Recht nutzt, um die Ereignisse der Geschichte unseres Herrn zu formen und zu gruppieren, je nach dem genauen Ziel, das er im Auge hat. Ein gelegentlicher Leser wird kaum erkennen, dass Johannes der Täufer im letzten Evangelium der Täufer des ersten ist. Die Art und Weise, in der Johannes beschrieben wird, und die Reden, die aufgezeichnet werden, nehmen die Form des jeweiligen Buches an, wie der Heilige Geist sie gegeben hat.
Das ist, weit davon entfernt, unvollkommen zu sein, ein Teil jener bewundernswerten Methode, mit der Gott die Eigenart einprägt, die er im Auge hat, und die dem Platz entspricht, den jeder Teil der Schrift auszufüllen hat. Was kann von größerem Interesse sein oder den Glauben mehr stärken, als zu sehen, dass gerade die Stellen, auf die der Unglaube seinen Finger als angebliche Beweise für die Unvollkommenheit der Schrift legt (für den menschlichen Verstand unüberwindliche unterschiedliche Aussagen), im Gegenteil, wenn man sie als Teil des Planes Gottes sieht, seinen geliebten Sohn vorzustellen, alle ihren eigenen Platz in diesem großen Plan einnehmen, der zur Ehre Christi dient. Dies ist der wahre Schlüssel zur gesamten Schrift. Und wenn dieser Schlüssel vom ersten Buch Mose bis zur Offenbarung von großem Wert ist, gibt es vielleicht keinen Platz, an dem sein Wert so auffällig ist wie in den Evangelien.
Wenn man vier verschiedene Berichte über unseren Herrn findet, von denen jeder die Dinge auf eine andere Weise beschreibt, ist der erste Gedanke des menschlichen Herzens, dass jedes nachfolgende Evangelium etwas hinzufügen oder korrigieren muss, was zuvor war. Doch solche Gedanken beweisen nur, dass die Wahrheit entweder nie bekannt war oder dass sie vergessen wurde. Ist es hinreichend bedacht worden, dass Gott der Autor der Evangelien ist? Wenn man einmal diese einfache Wahrheit zugibt, so wäre es offensichtlich lästerlich, anzunehmen, dass Er Fehler macht.
Schauen wir uns die unbedeutendste Sache an, die Gott gemacht hat, das kleinste Insekt, das das Mikroskop auf dem kleinsten Grashalm entdecken kann – was füllt nicht die besondere Nische aus, für die Gott es geschaffen hat? Ich leugne nicht, dass die Sünde alle Arten von Störungen sowohl in die natürliche als auch in die moralische Welt gebracht hat. Ich gebe zu, dass die Schwächen des Menschen sogar im Wort Gottes auftauchen können: erstens, indem er den heiligen Schatz nicht frei von jeglicher Korruption hält; und zweitens, indem er dieses Wort durch irgendein schwaches eigenes Mittel auslegt und so auf die eine oder andere Weise das reine, offenbarte Licht Gottes behindert. Doch das lässt keinen Zweifel an der ursprünglichen Vollkommenheit.
Ich habe diese wenigen Bemerkungen gemacht, weil vielleicht nicht alle Leser gleichermaßen mit der großen Wahrheit der unterschiedlichen Zielsetzung in den Evangelien vertraut sind, und deshalb scheue ich mich nicht, die Aufmerksamkeit auf die unermessliche Hilfe zu lenken, die sie für das Verständnis der Schrift und besonders ihrer scheinbaren Widersprüche bietet.
Im Kapitel vor uns wird Johannes der Täufer als die Erfüllung der Prophezeiung Jesajas beschrieben:
In jenen Tagen aber kommt Johannes der Täufer und predigt in der Wüste von Judäa und spricht: Tut Buße, denn das Reich der Himmel ist nahegekommen. Denn dieser ist der, von dem durch Jesaja, den Propheten, geredet ist, der spricht: „Stimme eines Rufenden in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, macht gerade seine Pfade“ (3,1‒3).
Im Lukasevangelium finden wir, dass die Prophezeiung weiter ausgeführt wird. Es wird uns mehr mitgeteilt als die Worte, die wir hier haben. „Jedes Tal wird ausgefüllt und jeder Berg und Hügel erniedrigt werden, und das Krumme wird zu einem geraden Weg und die unebenen werden zu ebenen Wegen werden; und alles Fleisch wird das Heil Gottes sehen“ (Lk 3,5.6). Bei Lukas ist die Bandbreite größer. „Jedes Tal wird ausgefüllt“ und so weiter. „Alles Fleisch wird ... sehen“ und so weiter. Ich frage: Warum wird dieses Zitat dort weitergeführt? Es ist umso bemerkenswerter, weil Lukas normalerweise im Vergleich zu Matthäus nicht viel aus dem Alten Testament zitiert. Wie kommt es, dass Lukas in diesem besonderen Fall von seiner Gewohnheit abweicht? Der Grund ist offensichtlich. Seine Aufgabe war es, die Gnade Gottes zu zeigen, die das Heil bringt, und die allen Menschen erschienen ist. Der Heilige Geist führt ihn daher, sich auf die Worte zu konzentrieren, die die universelle Reichweite der Güte Gottes gegenüber den Menschen zeigen.
Aber es gibt noch einen anderen Ausdruck, der kurz unsere Aufmerksamkeit erfordert:„das Reich der Himmel“. Wir alle sind mit diesem Ausdruck vertraut, da er oft in der Schrift verwendet wird; aber möglicherweise sind nicht viele ebenso mit seiner Bedeutung vertraut. In der Tat wird er sogar von den meisten Christen sehr vage verstanden. Für viele vermittelt er die Vorstellung von der Kirche – manchmal die sichtbare, manchmal die unsichtbare Kirche. Für andere ist er gleichbedeutend mit dem Evangelium oder dem Himmel, sogar am Ende. Der Ausdruck stammt aus dem Alten Testament, und das ist der Grund, warum er nur bei Matthäus auftaucht. Wie wir schon gesehen haben, schreibt unser Evangelist mit Blick auf Israel und greift deshalb zu einer Formulierung, die dem Alten Testament entnommen ist, und zwar der Prophezeiung Daniels, der von den zukünftigen kommenden Tagen spricht, in denen der Himmel regieren wird: „... sobald du erkannt haben wirst, dass die Himmel herrschen“ (Dan 4,23). In Kapitel 2 hören wir, dass der Gott des Himmels ein Reich errichten würde, das niemals zerstört werden sollte– das Reich der Himmel.
Dann hören wir wieder in Daniel 7 vom Kommen des Sohnes des Menschen und von einem universalen Reich, das Ihm gegeben wird. Kapitel 2 nennt uns nicht die Person, sondern die Sache selbst: so dass es auch ohne die Offenbarung der Person, in deren Händen es sich befinden würde, ein Königreich gegeben haben könnte. Aber Kapitel 7 schließt den Kreis und zeigt uns, dass es sich nicht nur um die Herrschaft des Himmels in der Zukunft handelt, noch um ein Reich, das mit dem Gericht auf der Erde beginnt, sondern dass es darüber hinaus einen verherrlichten Menschen geben wird, dem die Herrschaft des Himmels anvertraut wird. Der Sohn des Menschen wird nicht einfach niederwerfen, was sich Gott widersetzt, sondern Er wird ein universales Reich einführen.
Dieses Reich hat Johannes der Täufer gepredigt. Ich glaube nicht, dass er sich überhaupt der besonderen Form bewusst war, die es zuerst annehmen sollte. Er predigte einfach, dass das Reich des Himmels nahe bevorstand. Er war der öffentliche und unmittelbare Vorläufer des Hirten Israels. Er hatte die Gedanken eines gottesfürchtigen Juden und ein besonderes Zeugnis, dass der Messias da sei und im Begriff stand, offenbart zu werden. Er predigte ebenfalls, dass dieser das Böse richten und das Gute in der Kraft Gottes einführen und die den Vätern verheißene Herrlichkeit bringen würde. Das alles war im Begriff, in der Person Christi hier auf der Erde feierlich eingeführt und errichtet zu werden.
Das war zweifellos der allgemeine Gedanke. Doch wir werden später sehen, dass Johannes auf die Verwerfung Jesu seitens der Juden überhaupt nicht vorbereitet war. Dies war es auch, was zu der zweifachen Form des Reiches der Himmel führte. Während die alte beziehungsweise jüdische Auffassung eines durch Macht und Herrlichkeit errichteten Reiches als sichtbare Herrschaft über die Erde zurückgestellt wird, führen die Verwerfung Jesu auf der Erde und seine Himmelfahrt und sein Sitzen zur Rechten Gottes zur Einführung des Reiches der Himmel in einer geheimnisvollen Form, die sich tatsächlich in dieser Zeit vollzieht. Das hat also zwei Seiten. Als Christus in den Himmel auffuhr, nachdem Er seinen Platz als der Verworfene hier eingenommen hatte, nahm Er ihn dort als der Verherrlichte ein, da begann das Reich der Himmel.
Das ist eine Sicht auf das Reich, die wir im Alten Testament nicht finden. Dazu gehören die Geheimnisse des Reiches der Himmel, die erst bekannt gemacht wurden, als der Herr offenkundig von Israel verworfen wurde (ab Mt 13). So sehen wir in Matthäus 11, wie Johannes zwei seiner Jünger aussendet, um zu fragen, ob Jesus wirklich der Messias sei oder ob sie auf einen anderen warten sollen. Ob er selbst schwankte oder seine Jünger, oder ob beide schwankten, spielt keine Rolle –das war das Ergebnis.
Es klingt wie eine ungläubige Frage an den Herrn. Johannes mag erstaunt gewesen sein, dass Jesus die Juden nicht erlöste und die Herrlichkeit nicht einführte, auf die die Patriarchen gewartet und die die Propheten vorhergesagt hatten. Merkwürdig, dass stattdessen sein Bote im Gefängnis saß und Er selbst und seine Jünger abgelehnt wurden! Unser Herr bezog sich sofort auf die Taten der Macht und Gnade, die die Gegenwart Gottes verdeutlichten, der auf eine neue Art und Weise handelte und in Macht offensichtlich Gnade einführte – indem Er völlig neue Gedanken brachte, die über die Gewohnheiten oder Hoffnungen des gottesfürchtigsten Juden hinausgingen. Das sollten sie Johannes berichten. Aber Er geht noch weiter und sagt: „und glückselig ist, wer irgend nicht Anstoß an mir nimmt“ (Mt 11,6). Das ist offenbar eine Zurechtweisung für Johannes und deutet an, dass er mehr oder weniger wankend geworden war.
Dennoch ist es schön zu sehen, wie unser Herr, nachdem die Boten weggegangen waren, den Täufer sofort vor der Menge rechtfertigte. Und nachdem Er Johannes als den am meisten Gesegneten unter den von Frauen Geborenen bezeichnet hat, macht er plötzlich eine höchst erstaunliche Wahrheit bekannt, dass nämlich der Geringste im Reich der Himmel ‒ so groß Johannes auch war ‒ größer sei als er. Das bezieht sich nicht auf das Reich, das in Macht und Herrlichkeit kommen wird, denn wenn dieser Tag kommt, müssen alle Heiligen des Alten und Neuen Testaments auferweckt oder verwandelt werden, um daran teilzuhaben. So wird es von denen gesagt, die jetzt berufen werden, dass sie „mit Abraham und Isaak und Jakob zu Tisch liegen werden in dem Reich der Himmel“ (Mt 8,11).
Was meint unser Herr damit? Bezieht Er sich nicht auf eine Form des Reiches, von der Johannes nicht gesprochen hatte? Und was war das? Er geht noch weiter und sagt: „Aber von den Tagen Johannes’ des Täufers an bis jetzt wird dem Reich der Himmel Gewalt angetan, und Gewalttuende reißen es an sich“ (Mt 11,12). Was für eine außergewöhnliche Aussage muss das für die gewesen sein, die das damals hörten! Der Herr stellt das Reich der Himmel in einer öffentlichen, offenkundigen Form diesem Reich gegenüber, wie es sich dem Glauben zeigt – nur gesegneter, da durch den Glauben begriffen wird, nicht durch das Sehen. So sagte der Herr später zu Thomas: „Weil du mich gesehen hast, hast du geglaubt. Glückselig sind, die nicht gesehen und doch geglaubt haben!“ (Joh 20,29).
Das gilt für jedes Handeln Gottes. Abraham war gesegneter, als er zwar im Land war, es aber nicht besaß, als hätte es ihm tatsächlich gehört. Er erlangte einen besseren Platz in den Wegen Gottes durch die Tatsache, dass er nicht einen Fuß des Landes besaß. So auch bei David: Seine Herrschaft war moralisch viel herrlicher als die Salomos. Sein Erbe hatte den Platz der Macht. Aber David hatte das, was unsichtbar war, und dadurch war er Gott näher. Wir finden nie, dass Salomo auf das eingeht, was durch die Bundeslade gelehrt wurde, während sie immer solch eine große Anziehungskraft für das Herz Davids hatte. Salomo befand sich vor dem großen Altar, den die ganze Welt sehen konnte. Die Bundeslade befand sich im Allerheiligsten, wo Gott wohnte. Sie war der Thron seiner Majestät in der Mitte Israels. Das Herz David wandte sich ihr immer wieder zu. Der Segen des Glaubens ist immer besser als der Segen des Sehens hier auf der Erde, wie groß dieser auch immer sein mag.
Es gab keine Zeit in den Wegen Gottes, die so gesegnet war für einen Gläubigen wie die Wege Gottes jetzt. Im Friedensreich geboren zu werden, kann damit überhaupt nicht verglichen werden. Es ist wahr, dass dann alles Christus unterworfen sein wird, und jemandes Herz könnte sagen: Wären wir doch zu der Zeit geboren! Aber auch die Gläubigen, die sich zu der Zeit auf der Erde befinden, werden nicht wissen, was es heißt, durch den Vorhang hineinzugehen oder die Gemeinschaft der Leiden Christi zu haben. Sie werden auch nicht im vollen Sinn die Freude des Heiligen Geistes kennen, verbunden mit dem Vorrecht, um Christi willen von der Welt ausgestoßen und verachtet zu werden. So wird in der Frage des Leidens, des Genusses dessen, was Christus für uns durchgemacht hat als auch seiner gegenwärtigen Herrlichkeit im Himmel, unser gegenwärtiger Platz weit über die Vorrechte im Friedensreich hinausgehen. Für die, die jetzt leiden, wird es die besten der himmlischen Segnungen geben.
Die Besonderheit der gegenwärtigen Zeit ist die, dass wir, während wir auf der Erde sind, bewusst im Himmel wohnen. Wir sind nicht von der Welt, wie Christus nicht von der Welt ist (Joh 15,19; 17,14.16). Unser Leben gehört nicht zur Welt. Unser Segen geht nicht von ihr aus. Unser Teil ist völlig außerhalb dieser Welt. Und das wird uns mitgeteilt, während wir in der Welt sind, damit wir über die Welt erhoben werden. Wir gehen nicht wie Johannes hier in die Wüste – ein sehr passender und schöner Ausdruck dafür, was Gott von der Stadt der Heiligkeit, Jerusalem, dachte, wo sogar die Priester dienten. Johannes zieht sich von alledem zurück. Er befindet sich außerhalb davon, was seine Sympathie betrifft. Schon die Handlung an sich erklärt, dass die Wüste besser ist als die Stadt, obwohl sie den Tempel Gottes enthält. Was ist das für eine ernste Erklärung des Verfalls, nicht nur der Welt, sondern auch des bevorrechtigten Volkes, das das große Bindeglied zwischen Gott und den Menschen im Allgemeinen war!
In dieser Begebenheit sehen wir noch etwas ganz anderes. Es ist nicht der Mensch, der gesegnet wird, und die Erde, die auch unter der persönlichen Herrschaft Christi in den Segen eingeführt wird, sondern hier öffneten sich die Himmel über dem Herrn Jesus. Niemals zuvor öffneten sie sich über irgendjemand auf der Erde, lediglich als Zeichen des Gerichts Gottes (Hes 1). Aber hier richtet sich zunächst das Auge des Himmels, des Vaters im Himmel, auf den Geliebten. Nach und nach nimmt Er seinen Platz im Himmel als der Mensch ein, der für Sünden gelitten und die offenbarte Gerechtigkeit Gottes entfaltet hatte.
Dann begann das Reich der Himmel. Von der Zeit, als Jesus in den Himmel auffuhr, bis zu seiner Wiederkunft, dauert die neutestamentliche Sicht auf das Reich der Himmel an. Und in diesem Sinn übersteigt das Vorrecht des schwächsten Gläubigen, der jetzt zur Erkenntnis Christi gebracht wird, alles, was jemals in das Herz oder den Verstand von Menschen oder sogar von Heiligen eingedrungen ist, bevor der Herr starb und auferstand. Man mag über den gottesfürchtigen Wandel Henochs und den strahlenden Glauben Abrahams nachdenken, dennoch bleibt wahr: „Unter den von Frauen Geborenen ist kein Größerer aufgestanden als Johannes der Täufer; der Kleinste aber im Reich der Himmel ist größer als er“ (Mt 11,11). Es gibt kein ehrliches Argument gegen diese Schlussfolgerung. Wenn Personen die Frage stellen: Ist ein kleines Kind, das jetzt an Jesus glaubt, heiliger und gerechter als die gesegneten Heiligen früherer Zeiten, so antworte ich: Das ist eine ganz andere Sache. Er sollte es sein. Aber das ist nicht das, was gesagt wird. Der Herr stellt fest, dass „der Kleinste aber im Reich der Himmel ist größer als er.“
Mit einem Wort, es geht nicht darum, was die Menschen sind, sondern Gott verherrlicht Christus. Auf Ihn legt Gott die Ehre, und deshalb gibt er dem Kleinsten, der an Ihn glaubt, solche Vorrechte. Seit seinem Tod und seiner Auferstehung haben die Anbeter, die einmalgereinigt sind, „kein Gewissen von Sünden mehr“ (Heb 10,2).
Bedenke, was so etwas für einen alttestamentlichen Heiligen gewesen wäre! Gab es jemanden, der solch eine Stellung wie diese kannte? Das war nicht möglich. Sie konnten sich vielleicht darauf freuen, aber sie konnten nicht sagen, dass es eine vollendete Tatsache war. Allein der Gedanke daran wäre im Gegensatz zur Heiligkeit Gottes und eine eindeutige Anmaßung für einen Menschen gewesen. Das war nicht möglich, bis Christus kam und das Werk vollbrachte, das die Sünden vollständig auslöschte.3
In dieser Zeit ist es eine Anmaßung, wenn man nicht im Vertrauen das annimmt, was Christus getan hat. Die Vergebung der Sünden war niemals früher bekannt, das war nicht möglich. Wenn wir in die Stellung eintreten, in die wir durch das Werk Christi versetzt sind, dann haben wir nicht nur Vergebung: Wir werden zur Gerechtigkeit Gottes in Christus gemacht (2Kor 5,21). Wir haben ein neues Leben, das Auferstehungsleben Christi selbst; und wir empfangen den Geist der Sohnschaft und die Macht, diese Dinge zu wissen und uns daran zu erfreuen. Wir stehen daher in der Beziehung von Söhnen Gottes und sind durch Christus selbst berechtigt zu sagen, dass sein Gott unser Gott ist, sein Vater unser Vater ist (Joh 20,17). Wir sind bevorzugt zu wissen, dass wir eins sind mit Christus, und dass die Herrlichkeit, die Gott seinem geliebten Sohn verliehen hat, dass der Sohn sie mit uns teilt. Die verliehene Herrlichkeit, sage ich, denn natürlich gibt es seine wesentliche göttliche Herrlichkeit, an der niemand teilhaben kann.
Gott hat Christus nie gegeben, Gott zu sein. Die Gottheit war von aller Ewigkeit her sein eigenes Recht. Ihm konnte die Gottheit nicht verliehen werden. Doch Christus wurde Mensch, und als Mensch war er der Sohn Gottes (Lk 1).Er war nicht nur der eingeborene Sohn und das Wort Gottes. Er war der Sohn Gottes, als Er in diese Welt geboren wurde, und als solcher ist Er von den Toten auferweckt worden. Dadurch ist Er erwiesen „als Sohn Gottes in Kraft dem Geist der Heiligkeit nach durch Toten-Auferstehung“ (Röm 1,4). Kraft dessen bringt Er uns in dieselbe Stellung vor Gott, die Er selbst erworben hat. Er hat uns völlig von dem Platzbefreit, den Er für uns eingenommen hat, indem Er das ganze Gericht Gottes getragen hat. Er bringt uns an den Platz, zu dem Er nicht nur selbst berechtigt ist, sondern den Er für uns erworben hat.
Doch Johannes hatte keine Vorstellung von einem solchen Umfang des Segens. Gott zu nahen und Jesus sagen zu hören: „Mein Gott und euer Gott, mein Vater und euer Vater“ konnte ihm nicht in den Sinn kommen, da er nur ein Gläubiger war in Verbindung mit dem, was damals offenbart war. So jemand wäre über das Wort Gottes hinausgegangen, bevor Christus das aussprach. Die Juden betrachteten das Reich als den Zustand, in dem Israel als Nation von Gott gesegnet sein würde; und selbst die, die es vielleicht besser verstanden hatten, erwarteten immer noch, dass die ganze Macht des Reiches eingeführt werden würde, völlig unabhängig von irgendetwas auf ihrer Seite. „Aber ... dem Reich der Himmel wird Gewalt angetan, und Gewalttuende reißen es an sich.“ Der Herr zeigt, dass jetzt ein Handeln des Glaubens nötig ist. Das Reich der Himmel wird hier so vorgestellt, dass es verlangt, dass natürliche Beziehungen abgebrochen und frühere Verbindungen aufgegeben werden. Im Sinn von Macht und Herrlichkeit, die durch einen persönlichen Messias auf der Erde eingeführt werden, hatte Johannes bereits auf die Gewissen eingewirkt, dass es sich nicht um eine Sache bloßer Verordnungen oder das Vorrecht durch eine Geburt handelt. Gott würde sich nicht begnügen, außer mit moralischen Veränderungen.
Erlaube mir zu sagen, dass es in der Tat eine sehr ernste Sache ist, die Vorrechte der Gnade für das zu beanspruchen, was der Natur Gottes widerspricht. Ich spreche jetzt nicht von dem Verlorenen, der durch die Gnade gefunden wird, dem Gott ein neues Leben frisch aus sich selbst gibt. Doch die Wirkung dessen, dass ein Gläubiger das Leben in der Person Christi empfängt, ist, dass Gefühle, Gedanken, Urteile und Wege hervorgebracht werden, die für Gott annehmbar sind und seiner Natur entsprechen. Wenn jemand ein Kind Gottes ist, ist er wie sein Vater. Er hat eine Natur, die Gott entspricht, ein Leben, das die Sünde verabscheut und das ihn schmerzt, was bei anderen, aber vor allem bei ihm selbst ungerecht ist. Viele schlechte Menschen sind streng gegenüber dem Bösen, das sie bei anderen sehen. Sie sind schwach, wo es sie selbst betrifft. Aber ein Gläubiger, ein Christ, beginnt immer mit dem Selbstgericht.
3 In 1. Mose 7,1 und 15,6 und Psalm 32,1.2.5 und so weiter sehen wir, dass einige Gläubigen der früheren Zeit, als sie von Gott gelehrt wurden, den Segen über die Haushaltung hinaus, in der sie lebten, vorweggenommen haben mögen (Anm. des Herausgebers).↩︎