Behandelter Abschnitt Mal 1,2-3
Das Buch beginnt mit Worten, die ebenso passend sind wie die, mit denen es schließt. „Ich habe dich geliebt, spricht der Herr.“ Es ist der Ausdruck der Trauer, aber sicherlich auch der Zuneigung.
Ich habe euch geliebt, spricht der Herr; aber ihr sprecht: „Worin hast du uns geliebt?“ (1,2a).
Ich wollte es eine enttäuschte Zuneigung nennen; und in einem Sinne ist das wahr. Aber wir müssen bedenken, dass es in einem anderen Sinn nichts gibt, worin Gott versagt. Er führt beständig das aus, was am weisesten und besten ist, auch wenn es für den Menschen noch so demütigend sein mag. Er erzwingt seine Absichten nicht, noch nimmt Er auf seinen Wegen vorweg, was dem gegenwärtigen Zustand seines Volkes und seines Zeugnisses angemessen ist. Aber in einem sehr realen Sinn können wir sagen, dass, wenn es an der Oberfläche fortwährende Enttäuschungen gibt, es immer die fortschreitende Vollendung dessen gibt, was zu seiner eigenen Herrlichkeit dienst, und das wird nirgendwo mehr bestätigt als dort, wo alles äußerlich verworren erscheint. Es ist nötig, dass das Geschöpf beschämt wird, da es sich jetzt in einem gefallenen Zustand befindet und sein ganzer Zustand eine große Lüge gegen Gott ist – ja, eine große Lüge gegen sich selbst, falsch gegenüber seiner eigenen Natur, falsch gegenüber dem Gesetz seines Seins als von Gott erschaffen oder von Gott berufen, wie es der Fall sein mag.
Wie unpassend ist in diesem Fall die Sprache Israels: „Worin hast du uns geliebt?“ (1,2).
Was war es für Israel, eine solche Frage an den Herrn zu richten? Und doch lässt Er sich herab, in Gnade zu antworten. Der Herr geht, wie üblich, zum Ursprung der Dinge zurück.
War nicht Esau der Bruder Jakobs?, spricht der Herr. Und ich habe Jakob, Esau aber habe ich gehasst, und ich habe seine Berge zur Wüste gemacht und sein Erbteil für die Schakale der Steppe (1,2b.3).
Ich glaube nicht, dass es richtig wäre, diese Schlussfolgerung am Anfang ihrer Geschichte zu ziehen. Aber es ist nur ein Beispiel dafür, was die besten Menschen in ihrer Eile tun. Gott hält das Urteil des Hasses so lange zurück, bis es durch das Verhalten und die Wege Esaus, insbesondere gegenüber Jakob, aber auch gegenüber sich selbst, offensichtlich gerechtfertigt ist. Kurz gesagt, es wäre ganz richtig zu sagen, dass Gott Jakob von Anfang an geliebt hat, aber dass Er niemals Hass ausspricht, bis das offenkundig wird, was Ihn selbst mit Verachtung abstößt und zurückweist, indem es vorsätzlich seinen eigenen Weg und Willen verfolgt und Gott verachtet. Erst dann sagt Er: „Ich habe Esau gehasst.“ Damit verbunden macht Er darauf aufmerksam, dass Er sein Land verwüstet hat.
Wenn Gott also, abgesehen von solcher Profanität, „keinen verachtet“, können wir ganz sicher sein, dass Er niemanden hasst. Ein solcher Gedanke könnte nicht in einen Geist eindringen, der im Wort Gottes genährt wurde, abgesehen von den Überlegungen der Menschen. Ich sage dies nicht wegen der geringsten Verbundenheit zu dem, was gemeinhin Arminianismus genannt wird; denn ich habe ebenso wenig Verbundenheit zum Calvinismus. Ich glaube, dass das eine die Herrlichkeit Gottes ebenso herabwürdigt wie das andere, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise – das eine, indem es den Menschen höchst ungebührlich erhöht, und das andere, indem es Gott vorschreibt und daher nicht das sagt, was in Bezug auf Ihn richtig ist.
Hiob und seine Freunde
Die abstrakte Argumentation gleicht der der Freunde Hiobs, die vor Calvin keine schlechten Calvinisten waren, aber sie sagten gewiss nicht das, was in Bezug auf den Herrn recht ist, wie Hiob es tat. Der Grund dafür war, dass Hiob sich nicht in Theorien über Gott und seine Regierung erging, wie sie es taten. Hiob hielt sich an das, was er wusste. Nicht, dass er nicht auch seine Fehler gehabt hätte; denn er zeigte sich, wie wir wissen, auf Dauer frech und widersprach Gottes Wegen. Aber er hatte Recht, wenn er ihre Bemühungen zurückwies, ihren Standpunkt durch menschliche Überlegungen zu vertreten, die, da sie Gottes Gnade ebenso wenig kannten wie seine Regierung, behaupteten, der versuchte Heilige sei doch nur ein Heuchler. Er war wirklich weiter davon entfernt als irgendeiner von ihnen; und er sehnte sich zu Recht nach dem Herrn, ganz gleich, was sie auch drängen mochten: Es könnten Herzmuscheln anstelle von Gerste wachsen, bevor er seine Integrität aufgeben würde. Er würde weder der Gnade Gottes noch seinem eigenen Glauben abschwören. Die Dinge müssten ihre Natur verlieren und die Geschöpfe Gottes ihr Wesen verändern, bevor Hiob dem Menschen in dem, was seine Beziehung zu Gott berührte, nachgeben würde. Zweifellos rechtfertigte er sich zu sehr, und da hatte er Unrecht; aber er hatte Recht in Bezug auf Gott. Er war ganz sicher, dass Gott Er selbst war und Hiob nicht verleugnen würde, und hielt an beidem fest. Er war ganz sicher, dass keiner seiner Inquisitoren Gott mehr liebte, und auch das war wahr. Das Buch ist eine feine Entfaltung des Menschen mit Gott und Gottes mit dem Menschen: Nichts ist im gesamten Alten Testament Schrift auf diese Weise feiner. Das ist der Wert einer wirklichen Erkenntnis Gott; sie mag unvollkommen sein, und sie mag der Korrektur bedürfen, aber es ist eine wirkliche Erkenntnis Gottes, und das auch im Angesicht menschlicher Überlegungen, die von frommen Menschen kommen mögen, aber deswegen nicht besser sind. Ich sehe wenig Unterschied zwischen den Überlegungen der Frommen und der anderen, wenn sie nach dem Schein urteilen und außerhalb der offenbarten Wahrheit Gottes sprechen. Niemand kann für Gott antworten oder empfinden. Niemand kann Ihn durch Suchen herausfinden; noch weniger kann jemand durch Nachdenken seine Wege erahnen. Und hier zeigt sich die Glückseligkeit des Strebens. Denn die Erkenntnis Gottes steht dem Einfachsten offen, und doch ist sie die einzige Freude und Kraft des größten Heiligen oder Dieners, den Gott je geschaffen hat. Es gibt diesbezüglich keinen prinzipiellen Unterschied: Der Reifste ist dem Wort Gottes ebenso verpflichtet wie der Geringste; und was den Geringsten erhebt, ist das Einzige, was dem Stärksten wirkliche Wahrheit oder Festigkeit gibt.
Erwählung – Calvinismus
Dies ist eine ernste praktische Lektion, und Maleachi ist, wie ich finde, in dieser Hinsicht sehr interessant. Am Anfang der Geschichte von Jakob und Esau finden wir die Absicht Gottes, bevor die Kinder geboren wurden. In der Tat, die Erwählung zu einer Frage des Verdienstes der beiden Parteien zu machen, bedeutet einfach, ihr Wesen zu zerstören, wenn man es im Wort zulässt. Die Erwählung kommt notwendigerweise von Gott, völlig unabhängig von denen, die Gegenstand der Erwählung sind, da sie die Ausübung seiner souveränen Wahl bedeutet. Wenn es den geringsten Grund in der ausgewählten Partei gibt, weswegen Gott erwählt, so ist es nicht seine Wahl, sondern ein moralisches Urteil, das, weit davon entfernt, souverän zu sein, nur eine Einschätzung ist, ob die Person verdient oder nicht. Man mag also so stark wie der strengste Calvinist an der freien souveränen Wahl Gottes festhalten, aber die Verwerfung der Bösen, die der Calvinist daraus als ebenso souveräne Entscheidung ableitet, ist nach meinem Urteil ein schwerer Irrtum. Ich scheue mich daher nicht, jetzt ein Wort darüber zu sagen, da es sowohl in der Lehre als auch in der Praxis eine wichtige Sache ist. Die Idee, dass, wenn Gott jemanden erwählt, er einen anderen verwerfen muss, den Er nicht erwählt, ist ein Irrtum und ohne, ja, gegen die Schrift. Das ist genau der Punkt, an dem der menschliche Einfluss ins Spiel kommt, nämlich das kleinliche Selbstvertrauen des menschlichen Geistes. Nun sehe ich nicht, warum wir als Gläubige kleinlich sein sollten. Es gibt jeden Grund, warum wir sammeln sollten, was für Gott groß ist. Einfach zu sein, ist gut; aber auch das ist etwas ganz anderes als kleinlich zu sein, und kein Grund, warum wir uns auf uns selbst beschränken sollten. Denn wozu offenbart Gott sein Sinnen? Sicherlich, dass wir Ihn erkennen und Ihn nachahmen sollen.
So ist es für mich von tiefstem Interesse, dass Gott zwar vor der Geburt der Kinder auserwählt und bestimmt hat, was das Los des einen im Verhältnis zum anderen sein soll, dass Er aber niemals einen Menschen zum Sünder gemacht hat. Zweifellos sind die Kinder Adams in Sünde gezeugt und in Ungerechtigkeit gebildet worden; die Menschheit wird in diesem Zustand geboren. Ihr ganzes Wesen ist darin verloren. Es geht also nicht darum, den Menschen zum Sünder zu machen, weil er seit dem Sündenfall von Gott abgewichen ist und das Geschlecht ohne Ausnahme böse ist. Der Mensch gehört zu einem Stamm, der jetzt völlig verdorben ist – das Böse ist das traurige und universale Erbteil. Gottes Erwählung ist völlig unabhängig von dem, was Er vorfindet, und trotz allem Bösen. Er erwählt zweifellos Engel, die nie gefallen sind: Auch sie haben nichts mit der Bestimmung der übrigen zu tun, die nicht so bewahrt wurden. In jedem Fall ist es einfach eine Frage der Auswahl Gottes. Aber der gefallene Zustand des Menschen gibt der Erwählung Gottes, bei der Sünder die einzig möglichen Objekte sind, eine außerordentliche Schönheit und ein sehr tiefes Moment. Er erwählt völlig unabhängig von allem, was es verdient, angesichts all dessen, was nicht in Einklang mit Ihm selbst ist. Es ist nicht so, wo Er richtet und verwirft.
Esau habe ich gehasst
Wenn Er sagt: „Esau habe ich gehasst“, wartet Er bis zum letzten Moment, bis Esau gezeigt hat, was er ist. Das erste Buch der Bibel lässt uns seine Auswahl Jakobs sehen. Erst das letzte Buch erzählt uns von seinem Hass gegenüber Esau. Ich sage nicht, dass wir seine moralische Verurteilung von Esaus Geist nicht schon lange vorher finden, aber Er ist geduldig bei der Ausführung des Gerichts. Langmut gehört zu Gott und ist untrennbar mit seiner moralischen Natur verbunden, während Er mit der Vollstreckung des Urteils über das Böse zögert. Allmächtig und gut, ist Er doch gerade deshalb vollkommen in der Geduld. Nun kommt das Urteil von seinen Lippen und kann durchaus als eine ernste Angelegenheit betrachtet werden.
Doch Esaus schlechtes Verhalten gegenüber Jakob war nicht das einzige oder das schlimmste Element des Bösen, das ins Gericht kommt. Er war ungöttlich und verachtete alles, was Gott seinerseits tan, außer dem, was ihm die größere Güte, zu der sein Bruder befördert wurde, deutlich vor Augen führte. Der, der ihn in der Stunde der Not für einen Bissen Fleisch verkauft hat, fühlt und ärgert sich sehr über den Verlust seines Platzes und seiner Ehre, obwohl er einer jener Charaktere zu sein schien, die sich nur dem widmen, was der Mensch in diesem gegenwärtigen Leben tun kann. Er hatte kein Vertrauen in Gott: Über dieses Leben hinaus gab es bei ihm keinen Gedanke, keinen Wunsch. Wenn er in Leichtigkeit und Ehre leben konnte, nicht ohne Energie und Tatkraft, war das genug für Esau. Warum sollte er nach mehr streben, als das gegenwärtige Leben zu genießen, oder, wenn nötig, seinen Standpunkt mit Gewalt durchzusetzen? Aber das ist praktisch eine Verleugnung Gottes, insbesondere seiner Güte und seiner souveränen Wahl. Es ist auch eine Leugnung der eigenen Sünde, der wirklichen Bedeutung des Todes, der Auferstehung und der Herrlichkeit. Es gab zweifellos viel Unbefriedigendes in Jakob, so wie es leider auch in den meisten von uns ist. Es gibt zweifellos vieles, das beweist, wie spröde und gebrochen wir als Menschen sind. Jakob zeigt uns den Unterschied durch den Vergleich mit jemandem, der mit Gott wandelte und deshalb mit einzigartiger Schönheit als Freund Gottes bezeichnet wurde. Jakob steht in vielerlei Hinsicht in schmerzlichem Kontrast zu Abraham. Obwohl Abraham, wie wir wissen, hin und wieder schwer versagte, war Versagen nicht das, was ihn in der gleichen Weise charakterisierte, wie es sich bei Jakob abwechselte (wir sagen nicht charakterisierte). Der Umgang mit Gott prägte seinen anziehenden, erweichenden, veredelnden Einfluss mit einer wunderbaren Uneigennützigkeit auf Abrahams Leben und Wege; wohingegen Jakob die Schwäche hat, die zu jemandem gehört, der nicht wusste, wie er im Glauben mit Gott wandeln sollte. Kunstfertigkeit, oder ein Verstand, der immer versucht, seine Ziele zu verwalten und so zu erreichen, gehört zu solchen wie ihm. Zwar befleckt, aber Gott nicht ausschließend, mit nichts als dem Willen zu regieren: Das ist eher das, was wir in Esau sehen. Jakob war wirklich ein anderer Mensch. Selbst wenn er mit seinen Machenschaften fortfuhr, um sich selbst zu nützen, schaute er auf Gott, um einen Segen zu erhalten, dessen Notwendigkeit er erkannte. Es war also keineswegs die glücklichste Form des Glaubenslebens – bei weitem nicht; daher nimmt vieles bei Jakob wie bei den meisten die Form einer Warnung für uns an, aber der echte Glaube war trotz allem da. Da er kein gutes Gewissen hatte, verfiel er zunächst in eine Art Betrug an seinem Bruder Esau, und es wurde nicht viel besser, als wir zuletzt von der Begegnung der Brüder hören. Wir müssen uns daran erinnern, dass er ein von Natur aus ängstlicher Mensch war: Nur die Abhängigkeit von Gott findet sich nicht bei uns, sie macht uns aber zu dem, was wir sein sollten.