Der Herr wird hier also so dargestellt, als rufe Er sein Volk auf, zu sehen, was Er tun würde. Große Veränderungen geschahen, noch größere standen bevor. Der Fall des assyrischen Königreichs war ein schwerwiegendes und alarmierendes Ereignis: So sollte es auch Ägypten und allen anderen ergehen, die sich stolz dem Willen und dem Wort des Herrn widersetzten. Das zeigte sich umso deutlicher, als sein eigenes Volk neben all den anderen niedergeworfen werden sollte. Umso schlimmer war es für den Juden, wenn er nicht glaubte, was Gott ihm über die ganze Welt hinaus offenbart hatte.
Seht unter den Nationen und schaut und erstaunt, staunt; denn ich wirke ein Werk in euren Tagen – ihr würdet es nicht glauben, wenn es erzählt würde (V. 5).
Wir sehen, dass jedes Kapitel in der gesamten Prophezeiung die Torheit des Unglaubens und den Wert des Glaubens zum Kern hat. Dies zitierte der Apostel Paulus, und das auch unter den Juden, als sie in Gefahr standen, dass ihnen der Segen wegen seiner Größe entglitt: So vollkommen wendet der Geist Gottes das Wort immer an, auch unter Umständen, die anders zu sein scheinen.
In Apostelgeschichte 13,38.39 wendet der Apostel die Stelle auf die versammelten Juden an: „So sei es euch nun kund, Brüder, dass durch diesen euch Vergebung der Sünden verkündigt wird; und von allem, wovon ihr durch das Gesetz Moses nicht gerechtfertigt werden konntet, wird durch diesen jeder Glaubende gerechtfertigt.“ Das war der besondere Punkt, um den es ging: Zuerst geht es um den Mann, der durch sein Werk den Segen gewirkt hat, die Vergebung der Sünden, die Gnade der Barmherzigkeit Gottes für den bedürftigen Sünder, wenn ihm dies bewusst wird: Durch diesen wird „jeder Glaubende gerechtfertigt“ (Apg 13,39) – ein genauer und umfassender Ausdruck, wenn auch in den einfachsten Grundwahrheiten des Evangeliums. Es geht nicht nur um die Vergebung der Sünden, sondern darum, „gerechtfertigt“ zu sein, was das natürlich beinhaltet, doch es geht noch weiter. Durch diesen „wird jeder Glaubende gerechtfertigt.“ Es gibt also die Gnade, die dem schwächsten Glauben diesen reichen Segen verleiht, denn es ist keine Frage der Tiefe oder der Macht, sondern der Realität. Gott ist real, und durch seine Gnade gibt Er denen unbegrenzten Segen, die einfach und ehrlich sind. Dies wird durch den Glauben bewiesen, der Ihn trotz allem Sichtbaren ehrt. Er ist für „alle, die glauben“, sagt Paulus, allerdings bewirkt „durch diesen“. Der ganze Wert der Erlösung gründet sich auf Christus und dreht sich um sein Werk: „durch diesen“ für jeden Glaubenden. Und doch ist die Erlösung untrennbar mit dem Glauben verbunden. Obwohl der Glaube an sich kein Anrecht auf die Segnung hat, so ist es doch „ohne Glauben ... unmöglich“, Gott wohlzugefallen (Heb 11,6). Gnade und Gerechtigkeit stehen nicht in Widerspruch zueinander, sondern durch das Kreuz Christi in Harmonie. Wie könnte sonst ein Mensch, der vor Gott ein Sünder ist, auf gerechte Weise gesegnet werden? Der Glaube befreit ihn von sich selbst und bringt den ganzen Segen über ihn, der durch einen anderen kommt, nämlich durch Christus, unseren Herrn: „… wird durch diesen jeder Glaubende gerechtfertigt“. Hier ist alles, wie es sein sollte, in Fülle – „von allem, wovon ihr durch das Gesetz Moses nicht gerechtfertigt werden konntet“.
Der Zustand Israels war eindeutig ein Zustand der Ungerechtigkeit; das Gesetz konnte nur verurteilen. Die Gnade konnte durch den Glauben an den Messias retten, und zwar auf eine tiefere Art und Weise, als es Habakuk zu sehen erlaubt war; denn der Prophet betrachtete zweifellos, wie es im Alten Testament üblich ist, die Errettung weitgehend, wenn auch sicher nicht ausschließlich, als eine Befreiung aus äußerem Elend und Gefahr durch das gnädige Eingreifen Gottes, und nicht so sehr auf jene noch wunderbarere Befreiung, die erst durch den Glauben an einen gestorbenen und auferstandenen Christus eingetreten ist. Alle Dinge um uns her bleiben unverändert; die Macht des Bösen besteht immer noch weiter. Betrug und Unterdrückung sind nicht gerichtet und aus der Welt verschwunden. Doch es gibt den, der selbst die Macht des Bösen durchbrochen hat und denen, die an Ihn glauben, einen Weg in den Himmel geschaffen hat. Das ist das Christentum, und davon ist der Apostel erfüllt, obwohl er, wie wir sehen werden, keine Bedenken hat, die Prophezeiung auf die Macht des Bösen anzuwenden, nach dem Prinzip des Glaubens und nach der göttlichen Tiefe des geschriebenen Wortes. „Gebt nun Acht“, sagt er, indem er sich an die wendet, die das Zeugnis ablehnen, „dass nicht das über euch komme, was in den Propheten gesagt ist: ,Seht, ihr Verächter, und verwundert euch und verschwindet; denn ich wirke ein Werk in euren Tagen, ein Werk, das ihr nicht glauben werdet, wenn es euch jemand erzählt‘“ (Apg 13,40.41).
Nun ist es sehr offensichtlich, dass dies einen Bezug zu Habakuk hat, obwohl ich denke, dass es nicht nur auf Habakuk bezogen ist. Wir können leicht die Genauigkeit erkennen: „... was in den Propheten gesagt ist“. Es scheint, dass sowohl Jesaja als auch Habakuk gemeint sind, obwohl man auf die Gründe für diesen Gedanken jetzt nicht näher eingehen muss.
Aber es gibt auch eine Weisheit in der Auslassung; denn die Prophezeiung sagt: „Seht unter den Nationen.“ Das hätte zweideutig erscheinen und von dem Juden umgedreht werden können, der sagen würde: „Das ist genau unsere Überzeugung: Wir alle wissen, dass die Heiden in einem gefährlichen Zustand sind; aber warum übersehen wir die Gunst des Volkes Gottes?“ Deshalb wird in der Anwendung der direkte Bezug auf die Heiden fallengelassen, und alles wird auf das Volk selbst bezogen und ist persönlich; denn zweifellos wird Er die Anwendung, wenn Gott die Missachtung seiner Wahrheit und Gerechtigkeit unter den Heiden übelnimmt, unter seinem eigenen Volk noch viel mehr richten. Man kann sich nicht mit Recht darauf berufen, dass die Juden vor den Folgen der Geringschätzung und Lästerung Gottes und seiner Gnade bewahrt werden. Im Gegenteil, nirgends ist das Gericht so unerträglich streng wie bei denen, die den Platz des Volkes Gottes einnehmen und trotzdem Jesus geringschätzen. Wenn es in Israel schlimm ist, so ist es in der Christenheit und in einem Land2 der Bibeln und der freien Predigt unvergleichlich schlimmer.
Ich behaupte nicht, wie man sehen wird, dass der Tod und die Auferstehung Christi in unserem Propheten ausdrücklich genannt werden. Vielmehr wird ein Prinzip festgelegt, das das Werk des Erlösers umfasst. Die besondere Anwendung wird völlig offengelassen. Wir wissen, was das Werk ist, das allein die Not des schuldigen Menschen vor Gott stillen kann. Oberflächlich betrachtet ist es eher das Werk des Gerichts, das der Herr damals in der Hand hatte, indem Er die Chaldäer zur höchsten Macht erhob und dadurch sowohl Assyrien vernichtete als auch den Juden schwer züchtigte. Dieses Zeugnis stellte den Juden damals auf die Probe. Was ist nun ein solches Thema des Zeugnisses wie die Erlösung? Es zu verachten, so lehrt unser Herr (Mt 22,7), würde ein schlimmeres Urteil von den Römern nach sich ziehen. Aber ich bin geneigt zu denken, dass der Apostel den Grundsatz auf das anwendet, was Gott damals in seiner Gnade tat, im Hinblick auf ein Gericht, das der Herr bei seinem Kommen ausführen wird. Denn keine Prophezeiung der Schrift ist von eigener Auslegung (2Pet 1,20). Wir dürfen sie nicht auf die Vergangenheit beschränken. Alles ist Teil eines organischen Ganzen mit Christus und seinem Reich als Zentrum. Wenn das so ist, dann war es Gott, der in Christus gewirkt hat und durch den Geist sein Werk weiterführt und ausführt, das, wie wir wissen, auf dem mächtigen Werk der Erlösung beruht.
Der letzte Satz von Apostelgeschichte 13,41 bezieht sich auf den willentlichen Widerstand: „... denn ich wirkte ein Werk in euren Tagen, ein Werk, dass ihr nicht glauben werdet, wenn es euch jemand erzählt.“ Es geht hier nicht um ein Urteil Gottes, sondern um den Willen des Volkes gegen Ihn, von diesem Willen gibt Er ihnen reichlich Kenntnis. Ich würde bezweifeln, dass es sich um ein Gerichtsurteil handelt, sondern um eine Prophezeiung, die als ernste Warnung vor dem dient, was der Unglaube unumgänglich machen würde. Der gerichtliche Aspekt folgt erst in Apostelgeschichte 28, wo er verkündet wird. Das heißt, wir haben das umfassende Zeugnis, das beharrlich und geduldig verkündigt wird; und je geduldiger Gott mit seinem Zeugnis sein kann, desto schonungsloser wird das Gericht sein. Doch Er ist langsam zum Zorn, wie wir wissen, und das Gericht ist ein fremdes Werk für Ihn (Jes 28,21); dennoch, wenn es kommt, muss es sicher seinen Lauf nehmen, entsprechend seiner heiligen Natur und Majestät. Aber es scheint mir nur im letzten Kapitel der Apostelgeschichte gerichtlich ausgesprochen worden zu sein. Hier entwickelte es sich, als die Juden auf die letzte Probe gestellt wurden. Es gab eine höchst bedeutende Handlung, die dort am Ende von Kapitel 13 aufgezeichnet wurde – das Abschütteln des Staubes von den Füßen der Jünger (V. 51). Das zeigt, dass, obwohl das Urteil vielleicht nicht formell ausgesprochen wurde, es dennoch ein lautes Zeugnis dafür gab, und eine Andeutung, dass sie sich besser in Acht nehmen sollten, denn ihre Gefahr war so extrem wie ihr Unglaube.
2 Das heißt in England oder Europa.↩︎