„Worte des Amos, der unter den Hirten von Tekoa war, die er über Israel geschaut hat in den Tagen Ussijas, des Königs von Juda, und in den Tagen Jerobeams, des Sohnes Joas’, des Königs von Israel, zwei Jahre vor dem Erdbeben.“ Wenn der Prophet Amos also ein Zeitgenosse Hoseas während eines Teils seines Dienstes war, gibt es, wie wir natürlich erwarten, einen beträchtlichen Unterschied im Charakter und im Ziel der beiden Propheten; denn Gott schreibt nicht nur, um zu bestätigen. Für Ihn muss es genügen, einmal zu sprechen. In der Gnade mag es Ihm gefallen, ein bestätigendes Zeugnis zu geben, aber es ist niemals notwendig. Daher hat Gott, auch wenn es noch so große Ähnlichkeiten in den Berichten über dieselben Vorgänge und während derselben Epoche geben mag, im Wesentlichen immer ein besonderes Ziel vor Augen in dem Werk, das er jedem zuweist. So wird man finden, dass Amos, insofern er auch aus Juda war, seine eigenen Besonderheiten und eine eigene Linie von Gott hat.
Der allgemeine Ton der Prophezeiung unterscheidet sich von dem des Hosea dadurch, dass Letzterer mit viel mehr Gefühl spricht und mit stärkeren Ausdrücken leidenschaftlichen Kummers über den Zustand Israels. Aber es gab auch diesen Unterschied, dass Amos die Heiden unvergleichlich mehr einbezieht als Hosea, der fast ausschließlich jüdisch ist. Daher finden wir gleich am Anfang unseres Propheten die Gerichte, die über die verschiedenen Nationen, die das Land Israel umgeben, kommen würden. Wir werden weiter feststellen, dass die Prophezeiung auch in dem, was über Israel und Juda gesagt wird, einen unterschiedlichen Charakter hat; aber das werden wir uns näher ansehen, wenn wir sie im Einzelnen untersuchen.
Zunächst können wir feststellen, dass die Prophezeiung, obwohl sie bemerkenswert zusammenhängend ist, dennoch aus verschiedenen Abschnitten besteht. Die ersten beiden Kapitel stellen eine regelmäßig aufgebaute Reihe von Gerichten dar, beginnend mit Damaskus, dann mit Gaza, Tyrus, Edom, Moab, Ammon, Juda und Israel. Ab dem Anfang von Kapitel 3 werden beide Familien aufgegriffen, die Kinder Israels, die ganze Familie, wie es heißt, die er aus dem Land Ägypten heraufgeführt hat. Von diesem Punkt an bildet jedes Kapitel einen Abschnitt der Prophezeiung; so deutlich, dass selbst die, die Hosea wegen des gebrochenen und unzusammenhängenden Charakters seiner Prophezeiungen ablehnen, die geordnete Reihe des Amos anerkennen. Es wurde bereits gezeigt, wie unbegründet der Einwand gegen Hosea ist; aber im Fall von Amos ist es umso bemerkenswerter, dass die Verbindung so eindrucksvoll und offensichtlich ist, da die Teile seiner Prophezeiung in sich selbst klar getrennt waren.
Die Wahrheit ist, dass der Mensch ein gleichgültiges Urteil über das Wort Gottes hat; und es ist ein großer Fehler, dass er sich anmaßt oder anderen erlaubt, es überhaupt zu beurteilen. Es ist genau richtig, es zur Beurteilung anderer zu benutzen, wäre es auch ein Apostel, der predigt. Der sichere und einzige Weg, um vollen Nutzen daraus zu ziehen, ist zunächst, es vorbehaltlos anzunehmen. Wenn wir auf diese Weise unseren Willen vor Gott und seinem Wort beugen, lernen wir; es kann nicht anders sicher sein, wie auch immer die Gnade uns schließlich retten mag. Daher ist die moralische Verfassung immer wesentlich für das Verständnis des Wortes Gottes. Wenn der Wille sich nicht unterordnet, ist geistliche Erkenntnis unmöglich. „Wenn nun dein Auge einfältig ist, so wird dein ganzer Leib licht sein“ (Mt 6,22). Das ist gewiss Gottes würdig und, mehr noch, es ist heilsam für den Menschen. Es kann nichts Gefährlicheres geben als den Anschein hoher Intelligenz, wo das Herz fern von Gott ist. Deshalb ist es die größte Gnade, dass geistige Einsicht in der Regel untrennbar mit einer rechten Beziehung zum Herrn verbunden ist. Es ist sehr gut möglich, dass der Mensch gescheite Gedanken hat, wie es ja auch häufig beim Feind der Fall ist, der positive Irrlehre ersinnt und sie zu verwechseln weiß mit dem, was plausibel ist und wie die Wahrheit klingt. Es kann sogar die Aufmerksamkeit auf eine vernachlässigte Wahrheit gelenkt werden; aber dann ist es nicht eine Wahrheit, die heiligt, sondern die Wahrheit. Eine missbrauchte Wahrheit kann das Mittel der größten Verletzung und Gefahr für die Seele sein. Die Wahrheit ist nur in Christus zu finden, und deshalb ist es allein die Tatsache, dass wir Christus besitzen und Ihn vor uns haben, der sowohl die Ehre Gottes als auch den Segen des Menschen garantiert.
In unserer Prophezeiung stellt sich der Prophet also entsprechend seiner geringen Herkunft und seinem Zustand vor. Da ist keine Prahlerei noch Aufblähen. Da war Liebe im Geist, und Liebe verhält sich nicht ungebührlich. Da war Kühnheit, wie wir finden werden; da war eine mutige, kompromisslose Bereitschaft, solchen entgegenzutreten, die Böses verübten, und sei es der König von Israel. Auch verschwieg er nicht, dass er selbst zu den Hirten von Tekoa gehörte. Außerdem spricht er vom König von Israel, nicht nur von Juda. Es gab keine Engstirnigkeit des Gefühls; noch gab es ein unwürdiges Nachgeben gegenüber dem Zustand, in dem Israel war. Es gab keine Entschuldigung, die aus dem Umstand der Zerrissenheit zwischen den zehn Stämmen und den beiden Stämmen gezogen wurde, als ob jemand, der durch die Vorsehung Gottes zu den beiden Stämmen gehörte, deshalb von aller schmerzlichen Pflicht gegenüber den zehn Stämmen entbunden werden sollte.
Nichtsdestoweniger war die Mission des Amos als Ganzes an Israel gerichtet. Er nimmt Juda zur Kenntnis; aber die Aufgabe, die ihm gegeben wurde, war das Königreich Jerobeams, weit mehr als Juda. Kurz gesagt, da sein Herz mit Gott fühlte, liebte er sein Volk als solches; er liebte daher das ganze Volk und konnte dem Feind nicht nachgeben, dass ein Prophet, wenn die Sünde eine Spaltung erzwungen hatte und dies der Anlass für tieferes Unheil war, das Gott entehrte, sein Zeugnis für seinen Namen aufgeben und vergessen musste, dass alle Söhne Israels Verheißungen hatten, die dazu bestimmt waren, noch die rettende Gnade zu schmecken, so sicher wie sie jetzt auf dem Boden des Gesetzes standen und die bitteren Folgen ihrer Untreue ernteten. Er konnte auf den Tag warten, an dem Gott alle Stolpersteine aus dem Weg räumen und das Band, das zerrissen war, erneuern würde, um es nie wieder zu zerreißen, unter seinem einzigen rechtmäßigen Haupt, dem wahren Sohn Davids, dem Herrn Christus. Dies werden wir in seiner Prophezeiung finden, bevor diese Ankündigung abgeschlossen ist.
Da Amos außerdem nicht verbirgt, dass er von geringem Stand war, noch seine Verbindung mit dem Süden Judas, enthält er sich auch nicht, den Ernst der Äußerung des Herrn durch ihn zu betonen. Seine Worte waren das, was „er über Israel geschaut hat in den Tagen Ussijas, des Königs von Juda, und in den Tagen Jerobeams, des Sohnes Joas’, des Königs von Israel, zwei Jahre vor dem Erdbeben“ (V. 1). Das waren Warnungen zuerst in Worten, danach in Taten.