Einleitung
In diesem Kapitel sehen wir, dass Gott die Nachbarvölker richtet, die Juda und Israel umgeben. Er tut dies wegen ihrer feindlichen Haltung gegenüber seinem Volk und auch wegen ihrem grausamen Charakter, der im Grunde das Gegenteil von Gefühlen der Menschlichkeit ist. Nicht nur Israel, sondern alle Nationen stehen unter der Vorherrschaft Gottes, denn Er ist der Gott der ganzen Erde und aller Nationen (Röm 3,29).
Der Untergang der von Amos erwähnten Nationen, ist das Werk Gottes. Er richtet sich an Syrien im Nordosten, an die Philister im Westen, an Tyrus im Norden, an Edom im Süden und an Ammon und Moab im Osten.
Das Mittel, mit dem die Gerichte kommen, wird nicht erwähnt. Der Grund für das Gericht wird jedoch – immer mit dem Wort „weil“ eingeleitet – genannt, damit das Gewissen angesprochen wird. Alle fallen unter das gleiche Gericht.
Verse 1 | Die Worte, die Amos gesehen hat
Worte des Amos, der unter den Hirten von Tekoa war, die er über Israel geschaut hat in den Tagen Ussijas, des Königs von Juda, und in den Tagen Jerobeams, des Sohnes Joas’, des Königs von Israel, zwei Jahre vor dem Erdbeben.
Amos hat nicht nur die Worte Gottes gehört, sondern sie auch „geschaut“. Auf diese Weise deutet er an, dass es sich nicht um seine eigenen Worte handelt, sondern um Worte, die er von Gott erhalten hat. „Worte schauen“ bedeutet letztendlich, Worte durch prophetische Offenbarung zu empfangen. Er hört nicht nur die Worte, er bekommt auch Einsicht in deren Inhalt und Bedeutung. Das Wort Gottes ist für ihn lebendig. Es sind nicht nur tote Buchstaben, sondern das, was Gott sagt, entfaltet sich vor den Augen seines Geistes in ein Bild. So will der alte Apostel Johannes auf Patmos die Stimme sehen, die zu ihm spricht (Off 1,12).
Amos hat gesehen, was er hört. Das gilt primär für die Visionen, von denen er in Kapitel 7 spricht. Diese hat er buchstäblich gesehen. Aber es gilt im
Weiteren für alles, was er vom HERRN hört, um es weiterzugeben. So sehr ist er in seine Botschaft einbezogen. Es ist die Kraft eines jeden, der das Wort weitergibt. Diejenigen, die sprechen und vor sich sehen, wovon sie sprechen, sprechen mit großem Engagement. Eine solche Predigt macht bei den Zuhörern den größten Eindruck. Wenn der Sprecher selbst die Kraft des Wortes erlebt, kann kein Zuhörer es ignorieren. Er kann es ablehnen, sich darüber lustig machen, eine feindliche Haltung einnehmen, aber es nie machtlos machen.
Was Amos gesehen hat, und dem Volk präsentiert, soll das Volk zur Umkehr bringen. Er warnt vor dem Gericht, das Gott ausüben muss, wenn das Volk sich nichts sagen lässt und sich nicht bekehrt. Nicht umsonst kommt Amos aus Tekoa. Es gibt dort einen Aussichtsund Warnposten (Jer 6,1; 2Chr 11,5.6; 20,20). Er ist damit vertraut, eine Position einzunehmen, von der aus er die Umgebung im Auge behalten und vor drohenden Gefahren warnen kann. Mit seinen geistlichen Augen sieht er den Zustand des Volkes und die Gefahr, der es dadurch ausgesetzt ist.
Das gepredigte Wort wird umso kraftvoller, je weniger die Person des Sprechers im Vordergrund steht Ein „attraktiver“ Prediger beeindruckt lediglich Menschen, die „auf das Äußere sehen (1Sam 16,7)“. Das können wir bei Amos gut sehen, er schämt sich nicht seiner einfachen Herkunft. Er ist zwar nur ein Hirte, aber Gott nimmt ihn von seinen Herden und seinem Werk weg, wie Er David hinter den Schafen und Elisa bei den Pflugrindern wegnahm (Ps 78,70.71; 1Kön 19,19-21). Er spricht über sich selbst als „Viehhirt“ und als jemand, der „Maulbeerfeigen“ las (Amos 7,14).
Gott hat kein Problem damit, einen einfachen Hirten in seinen Dienst zu stellen. Er gibt dem sogar den Vorzug, solange sein Herz treu und gottesfürchtig ist. Gott kann einen Rinderstachel (Ri 3,31) oder eine Schleuder und einen Stein (1Sam 17,50) gebrauchen. Es geht nicht darum, wer der Mensch ist oder was dieser besitzt, sondern darum, wer Er ist und was Er hat.
Amos ist ein Beispiel dafür, das Gott ruft, wen Er will. Jede Überheblichkeit, auf der Grundlage von Bildung, Herkunft oder Status zu dienen, wird damit verurteilt. Von den Jüngern des Herrn Jesus, die nach der Ausgießung des Heiligen Geistes mit unwiderstehlicher Kraft predigen, stellen Außenstehende verwundert fest, „dass es ungelehrte und ungebildete Leute waren“ (Apg 4,13).
Die Trennung zwischen dem Zehnstämmereich und dem Zweistämmereich ist für Amos keine Entschuldigung, sich auf sein „Heimatreich“ Juda zu beschränken. Wie in der Einleitung erwähnt, ist die Zeit, in der Amos lebt, eine Zeit großen Wohlstands. Es ist die Zeit von Jerobeam II., dem König von Israel von 793-753 v. Chr., und Ussija, oder Asarja, König von Juda von 790-740 v. Chr. Es gibt aber auch eine schändliche Rechtsbeugung und Unterdrückung der Armen. Deshalb spricht Amos von dem großen Reichtum und Luxus der Reichen, ihrer Arroganz, ihrem Stolz, ihrem Selbstvertrauen und von der Unterdrückung der Armen.
Wohlstand birgt die große Gefahr in sich, dass es keinen Platz mehr für Gott gibt. Die Abhängigkeit von Ihm scheint nicht mehr notwendig zu sein, da es keinen Mangel gibt. Dort ertönt die Stimme des Amos inmitten all der Genusssucht: „Wo ist Gott in all dem? Ihr habt Ihn an den Rand eures Lebens gedrängt. In Kurzem wird Er völlig über Bord geworfen und aus eurem Leben entfernt werden!“
Unter der Oberfläche verbirgt sich die moralische Verdorbenheit, basierend auf einem formalen und deshalb untauglichen Gottesdienst. In dieser Situation denken die Menschen nicht an eine wie auch immer geartete Katastrophe. Gott warnt sein Volk zuerst durch die Worte von Amos und dann durch das Erdbeben. Dieses Erdbeben ereignet sich kurz nach den Worten von Amos, während diese Worte gewissermaßen noch nachklingen.
Das Erdbeben ist nicht nur ein lokales Ereignis, sondern trifft ein großes Gebiet und zwingt viele zur Flucht. Die Erwähnung des Erdbebens soll nicht den Zeitpunkt seines Auftretens angeben, sondern auf den Zusammenhang zwischen dem Erdbeben und seinem Dienst hinweisen. Amos ist der Prophet des Erdbebens (Amos 8,8; 9,5). Sacharja weist in seinem Buch auf dieses Erdbeben hin im Zusammenhang mit dem Kommen Christi in diese Welt zum Gericht (Sach 14,5).
Gericht ist daher der große Inhalt der Prophezeiung von Amos. Die von Amos angekündigten Gerichte liegen nicht in ferner Zukunft, sondern stehen kurz bevor. Sie sind zum größten Teil erfüllt. In gleicher Weise betrachten wir die Geschehnisse unserer Tage, wenn es um Katastrophen und Kriege geht. Sie sind nicht das Ende, sondern zeigen den Charakter dessen, was in den Gerichten der Endzeit umfassend und abschließend geschehen wird (vgl. Mt 24,6.8).