Behandelter Abschnitt Jes 63,1-6
Diese Verse schließen sich an das Ende von Kapitel 62 an, indem sie das Kommen des Messias (als der Befreier Zions, das nicht mehr verlassen, sondern gesucht wird, und alle ihre zerstreuten Kinder nun versammelt) mit einem höchst lebendigen Anblick gleichsam seiner Rückkehr von der Rache an ihren heidnischen Feinden verbinden. Der Schauplatz des Gemetzels liegt im Land Edom und in der Stadt Bozra. Horsley scheint inkonsequent zu sein, indem er jede Erwähnung dieser Orte hier leugnet, während er sie in Kapitel 34,5.6 für gut befindet. Er würde die Eigennamen als Appellativa so übersetzen: „Wer [ist] dieser, der sich ganz in Scharlach nähert, mit Gewändern, die von der Weinlese befleckt sind? Dieser [der] herrlich ist“ und so weiter. Aber dieser fähige Mann hatte das eben erwähnte Kapitel übersehen, wo das Ereignis die Eigennamen verlangt. Diese Überlegung gibt meiner Meinung nach der gewöhnlichen Übersetzung schlüssige Unterstützung.
Aber die Kommentatoren widersprechen sich im Allgemeinen, ohne das göttliche Licht in den Worten des Propheten zu erkennen. So mögen Origenes und Theodoret, Tertullian und Hieronymus Ansichten illustrieren, die zu lange vorherrschten, so weit, dass sie die Zusammensteller des englischen Common Prayer Book dazu veranlassten, es für die Epistel am Montag vor Ostern zu lesen. Sie betrachten die Szene tatsächlich als Prophezeiung des für unsere Sünden leidenden Erlösers, anstatt darin den Rächer seines lange unterdrückten Israels zu sehen; als Unterpfand der Barmherzigkeit, nicht als Androhung des Gerichts. Daher meint der gute Bischof von Cyrrhus, der Prophet weise hier auf die Himmelfahrt des Herrn hin, betone Edom als das rote Land, verbinde die durchbohrte Seite und Blut und Wasser mit den blutbefleckten Kleidern und sehe die Vernichtung des Teufels und all seiner Heerscharen im Zertreten der Kelter.
Calvin wendet sich mit Recht gegen eine solche Verdrehung der Prophezeiung; aber er ist so weit vom wahren Ziel entfernt wie jeder andere, wenn er fortfährt, sie nicht auf Christus anzuwenden, sondern einfach auf Gott selbst in seinem Umgang mit den Edomitern und anderen Feinden seines Volkes, als Er sie durch die Assyrer von einst zerbrach. Das bedeutet, das Wort zu einer eigenen oder isolierten Interpretation zu machen, die es von seinem wahren Ziel und Umfang in der Veranschaulichung der Herrlichkeit des Herrn Jesus, nicht bei seiner ersten Ankunft, sondern wenn Er wiederkommt, ablenkt.
Luthers Auffassung ist seltsam genug: Er sieht es als eine Vorhersage der Strafe der Juden oder der Synagoge, nicht als eine Verurteilung ihrer Feinde zu ihrer Rettung am letzten Tag. Der Jude versteht bekanntlich den göttlichen Zorn, der über Rom droht, als die volle Bedeutung des Feindes, der hier Edom genannt wird, als den eigentlichen Gedanken. Bischof Lowth bekämpft zu Recht die Hypothese von Grotius, dass Judas Makkabäus und seine Siege den Gegenstand bilden; oder die untergeordneten Heldentaten von Johannes Hyreanus, dem Sohn seines Bruders Simon. „Es kann gefragt werden [fügt er hinzu], auf wen und auf welches Ereignis bezieht es sich? Ich kann nur antworten, dass ich kein Ereignis in der Geschichte kenne, auf das es von seiner Bedeutung und den Umständen her angewandt werden kann, außer vielleicht auf die Zerstörung Jerusalems und des jüdischen Gemeinwesens, die im Evangelium als das Kommen Christi und die Tage der Rache bezeichnet wird [Mt 16,28; Lk 21,22].“
Dies genügt, um die Verwirrung der christlichen Schriftsteller bis in unsere Zeit zu beweisen, die von einigen, wie dem letzten, noch mehr zugegeben wird, indem sie zugeben, dass „es keine Notwendigkeit gibt, anzunehmen, dass es bereits vollbracht worden ist.“
Vitringa ist, wie üblich, gelehrter als die Masse; aber es scheint keinen guten Grund zu geben, wie er es tut, die lokalen Bezüge als mystisch zu behandeln. Denn wenn der große Tag kommt, wird die Welt ein wundervolles Wiedererscheinen sehen, nicht nur Israels, sondern auch seiner alten Rivalen und Feinde, die, wie die zehn Stämme, von den Menschen der Welt als für immer ausgelöscht angenommen werden. Es wird der Tag der Abrechnung für die Nationen sein, und das Ende wird dem Anfang gerecht werden. Jedenfalls ist nichts stichhaltig genug, um die schlichte Erwähnung dieser Orte beiseitezuschieben, ebenso wenig wie die Tatsache, dass die heidnischen Feinde Israels dort völlig besiegt werden.
Aber die große Tatsache, die von fast allen übersehen wird, ist, dass es hier nicht um die himmlische Versammlung geht, sondern um das irdische Volk Israel. Die Versammlung wird durch die Gnade vom Schauplatz entfernt, um dem Herrn zu begegnen und mit Ihm im Haus des Vaters zu sein, aber sicherlich auch, um mit Ihm in Herrlichkeit zu erscheinen und mit Ihm über die Erde zu herrschen. Aber das ist nicht der Charakter der Befreiung Israels; und davon handelt Jesaja, wie das Alte Testament im Allgemeinen. Sie erfolgt durch die Vollstreckung der Gerichte auf der Erde, die die Rettung der Juden und die Vernichtung ihrer Feinde zum Ziel haben. Dieser Zweck erklärt demnach Begriffe, die in der Tat schwer zu erklären sind, wenn man in diesen Versen an die Versammlung denkt. Glaube einfach, dass Israel dort gemeint ist, und was wäre passender als eine solche Beschreibung ihres Erlösers, wie „Ich bin es, der in Gerechtigkeit redet, der mächtig ist zu retten“, oder „der Tag der Rache war in meinem Herzen“? Ist das die Art und Weise, wie wir uns seine Liebe zu uns vorstellen, oder seine Haltung sogar gegenüber der Welt, während wir durch sie hindurchgehen? Wie können die Verse 5 und 6 sich auf Ihn als das Haupt der Versammlung beziehen? Beziehe die Frage auf Israel, das für sein Reich hier auf der Erde befreit wird, und alles stimmt und ist klar.
Es ist also der Herr, Jahwe-Messias, der hier in der prophetischen Vision gesehen wird, wie Er siegreich von dem Ort zurückkehrt, den mehr als eine Prophezeiung zum Schauplatz des Zorns erklärt, der schonungslos über die Feinde seines Volkes ausgegossen werden soll.
Der Prophet fragt, indem er sich mit dem Volk identifiziert:
Wer ist dieser, der von Edom kommt, von Bozra in hochroten Kleidern, dieser, prächtig in seinem Gewand, der einherzieht in der Größe seiner Kraft? (63,1a), seine Antwort, die die Form eines Dialogs annimmt, lautet:
Ich bin es, der in Gerechtigkeit redet, der mächtig ist zu retten (63,1b).
Jesaja fragt weiter:
Warum ist Rot an deinem Gewand und sind deine Kleider wie die eines Keltertreters? (63,2).
Er antwortet:
Ich habe die Kelter allein getreten, und von den Völkern war niemand bei mir; und ich zertrat sie in meinem Zorn und zerstampfte sie in meinem Grimm; und ihr Saft spritzte auf meine Kleider, und ich besudelte mein ganzes Gewand. Denn der Tag der Rache war in meinem Herzen, und das Jahr meiner Erlösung war gekommen. Und ich blickte umher, und da war kein Helfer; und ich staunte, und da war kein Unterstützer. Da hat mein Arm mir geholfen, und mein Grimm, er hat mich unterstützt. Und ich trat die Völker nieder in meinem Zorn und machte sie trunken in meinem Grimm, und ich ließ ihren Saft zur Erde rinnen (63,1–6).
Offensichtlich ist das kein Bild von Christus, der von Gott verlassen oder gar von den Menschen verworfen wurde, sondern davon, dass Er die widerstrebenden Völker zertritt, wie Trauben in einer Weinkelter. Es ist nicht die unendliche Liebe, die unendlich leidet, damit die Sünde gerichtet und Gott im Blick darauf verherrlicht wird, wodurch Er die Gläubigen von allem rechtfertigen kann. Es ist jemand, der im Zorn niedertrampelt, und das Blut seiner Feinde besprengt seine Kleider, nicht sein Blut, das die Sünden in göttlicher Gnade abwäscht. Es ist nicht der Tag der Gnade, sondern der Rache, obwohl mit ihm das Jahr seiner Erlösten kommt, wenn das zerstreute und verirrte Volk mit ewiger Freude auf dem Haupt nach Zion gebracht werden soll. Jetzt ist der Tag des Heils für die gläubigen Heiden, während der Zorn bis zum Äußersten über die ungläubigen Juden kommt.
Die Anlehnung an Kapitel 61,2 ist eindeutig, mit dem bemerkenswerten Unterschied, dass hier „der Tag der Rache“ dem „Jahr meiner Erlösung“ vorausgeht; während im vorigen Kapitel „das Jahr des Wohlgefallens des Herrn“ dem „Tag der Rache unseres Gottes“ vorausgeht. Und diese letztere Reihenfolge hatte eine schöne Angemessenheit in der eigenen Anwendung des Herrn nur für den Teil, der sein erstes Kommen beschrieb. Denn wenn wir Augen haben, um gottgemäß zu sehen, werden wir nicht versäumen, die bewundernswerte Art und Weise zu erkennen, in der der Heilige Geist, während Er auf den Tag der offenbarten Herrlichkeit sogar für Israel und die Erde vorausschaut, es nicht unterlässt, die Gnade und Erniedrigung vorzubereiten, auf der diese Herrlichkeit beruht, damit sie die tiefsten moralischen Gründe hat, nicht bloße Macht oder gar Weisheit. Gott muss eingreifen, damit das Herz Ihn erkennen kann; und der Mensch, der gläubige Mensch, muss von jeder Sünde und aller Ungerechtigkeit gereinigt werden.
Hier aber ist es der Jahwe-Messias, der ein schonungsloses Gericht auf der Erde vollzieht, der die Völker in seinem Zorn zertritt und sie in seinem Grimm zermalmt. Diejenigen, die dies als unvereinbar mit seiner heiligen Güte beanstanden, verraten ihre eigene Aufsässigkeit und das schlechte Gewissen, das sich vor seinem Tag fürchtet, wenn Er die Ungerechtigkeit, die die Erde so lange zerstört hat, kurzerhand niederschlägt. Wenn die göttliche Rache ihr notwendiges und gerechtes Werk an den Völkern und Feinden Israels getan hat, haben die Wege Gottes in ihrer Güte Erfolg, und der gottesfürchtige Überrest, sein Volk, bezeugt sie mit Lob, wie wir als nächstes hören werden.
Ganz anders ist die Zeit des Evangeliums. Es ist wirklich eine Zeit der Annahme und ein Tag des Heils, ganz unabhängig von Gerichten über Juden oder Nationen. Es beruht auf einem unvergleichlich tieferen und geheimnisvolleren Gericht, als Gott sich die Verwerfung des Messias durch Juden und Heiden zunutze machte und das erstaunliche Werk seiner Gnade an gottlosen und verlorenen Menschen im Opfer seines Sohnes, des Herrn Jesus, für unsere Sünden und für die Erlösung aller, die glauben, vollbrachte. Im Evangelium gibt es keinen Unterschied: Alle haben gesündigt; und derselbe Herr aller ist reich für alle, die ihn anrufen (Röm 3,23; 10,12). Im Königreich wird es einen Unterschied geben, zumindest in der Ehre; Zion und Israel werden unter ihrem König, dem Herrn der Heerscharen, eine Stellung einnehmen, die alle anderen Orte und Völker übertrifft. Die verherrlichte Versammlung hat zu jener Zeit eine noch höhere und nähere Beziehung, die außer Frage steht; denn wir sind jetzt aufgerufen, im Glauben und in der Hoffnung zu wandeln. Denn es ist immer die besondere und richtige Offenbarung für eine gegebene Zeit, die von Gott beabsichtigt ist, auf die Menschen zu wirken, nicht bloß die allgemeinen Grundsätze der göttlichen Wahrheit, die notwendigerweise vom Ersten zum Letzten gelten. Das Kommen unseres Herrn brachte dies am deutlichsten zum Vorschein, da Er persönlich die Wahrheit in ihrer ganzen Fülle war, sein vollendetes Werk alle Hindernisse beseitigte und zur Offenbarung des Lichts der Herrlichkeit Gottes in seinem Angesicht führte, und der Heilige Geist daraufhin ausgesandt wurde, um in den Gläubigen und in der Versammlung ein Geist der Gemeinschaft zu sein, wie er nie zuvor sein konnte und nie mehr sein wird und sein kann.