Behandelter Abschnitt Jes 56,9-12
Der zweite Teil (von Kap. 56,9‒57,21) hebt sich auf den ersten Blick in einem erschreckenden Gegensatz ab; aber er kommt ohne Zweifel aus demselben Prinzip wie der erste hervor. Die Gnade, die so aktiv zu den Elendesten hinausgeht, ist von allen Dingen am unduldsamsten gegenüber dem Bösen; und ihr Umgang ist immer am zartesten und eifersüchtigsten mit denen, die nahe genug sind, um umso mehr dafür verantwortlich zu sein, den Herrn deutlich widerzuspiegeln.
Kommt her, um zu fressen, alle ihr Tiere des Feldes, alle ihr Tiere im Wald! Seine Wächter sind blind, alle ohne Erkenntnis; sie alle sind stumme Hunde, die nicht bellen können; sie träumen, liegen da, lieben den Schlummer. Und die Hunde sind gefräßig, kennen keine Sättigung; und das sind Hirten! Sie haben kein Verständnis; sie alle wenden sich auf ihren eigenen Weg, jeder seinem Vorteil nach bis hin zum Letzten: „Kommt her, ich will Wein holen, und lasst uns starkes Getränk saufen; und der morgige Tag soll wie dieser sein, herrlich über alle Maßen!“ (56,9–12).
Die heidnischen Unterdrücker werden zuerst zur Verwüstung eingeladen (V. 9). Diejenigen, die die schöne Herde des Herrn hätten bewachen und hüten sollen, schliefen nicht nur, sondern sie erwachten zu ihrer eigenen Gewinnsucht und Liebe zur gegenwärtigen Bequemlichkeit, gleichgültig gegenüber Gott wie gegenüber seinem Volk (V. 10–12). Es ist ein anschauliches Bild jenes Lebens für sich selbst und die Dinge, die man sieht, das später die Sadduzäer charakterisierte, die nicht nur die Auferstehung, sondern auch Engel oder den Geist leugneten. Der Ursprung ihres Namens ist von geringer Bedeutung, ihr Materialismus war ruinös. Wenn sie, wie es heißt, ihren Titel aus dem Anspruch auf Rechtschaffenheit ableiteten oder sogar behaupteten, eine sakrale Aristokratie zu sein, die sich auf den bedeutenden Priester berief, der in frühen Tagen Abjathar ablöste, spielt beides keine Rolle. Hochtrabende Darstellungen werden bei den Juden, wie auch anderswo, gewöhnlich vorgebracht, um Gottlosigkeit und Sinnlichkeit zu verdecken. Und dieser schrecklich böse Zustand wird hier erklärt; er war unter den Wächtern und Hirten des auserwählten Volkes auffällig. Solche Verderbnis öffnete das Volk und seine Führer, wie wir im folgenden Kapitel sehen werden, für Schlimmeres, unter dem es keine größere Tiefe gibt, wobei der Götzendienst den Weg anführt.