Behandelter Abschnitt Jes 17,1-2
Wenn wir davon ausgehen, dass diese Prophezeiungen, welche Erfüllung sie auch immer in der Vergangenheit gehabt haben mögen, den Tag des Herrn zum Mittelpunkt haben, wie sollen wir dann der Schwierigkeit mit den verschiedenen Völkern und Städten begegnen, die Israel einst beunruhigten? Wie sollen wir diese Prophezeiungen erklären, die auf einen zukünftigen Tag hinweisen, da die Völker und Städte nicht mehr oder nur noch sehr schwach existieren? Die Antwort ist, dass dieselbe Schwierigkeit auch für Israel gilt. Niemand weiß klar oder sicher, wo die zehn Stämme sind; es scheint auch niemandes Sache zu sein, im Voraus zu suchen. Wir können sie in der Unklarheit lassen, in die Gott sie gestellt hat. Wir wissen, wenn wir seinem Wort glauben, dass Er die Nachkommen der zehn Stämme aus ihrem Versteck hervorholen wird, so sicher wie Er den zerstreuten Überrest der zwei Stämme bewahrt hat. Wir wissen, dass nicht nur die Juden selbst wiederhergestellt werden, sondern auch die gesamte Nationalität Israels. Darauf hofft das Zwölfstämmevolk (δωδεχάφυλον); die ganzen zwölf Stämme werden eine Nation im Land bilden, und ein König wird über sie alle herrschen: „und sie sollen nicht mehr zu zwei Nationen werden und sollen sich fortan nicht mehr in zwei Königreiche teilen“ (Hes 37,22). Jeder Buchstabe der Verheißungen wird in Erfüllung gehen. Die Heilige Schrift kann nicht aufgelöst werden.
Sogar wenn wir keine Zeichen sähen, warum sollten wir zweifeln? Brauchen wir solche Anzeichen? Es ist ein Beweis für die Schwäche des Glaubens, wenn wir um ein Zeichen bitten. Gottes Wort ist die beste Gewissheit; darauf sollten wir uns berufen. Wenn Gott gesagt hat, dass es so sein soll, dann haben wir ein Recht zu erwarten, dass Er die zehn Stämme aus ihrem Versteck holt und sie aus all ihren Wohnorten, in denen sie gesündigt haben, errettet und sie reinigt. Wir sind weit davon entfernt, selbst die kleine Welt, in der wir leben, vollständig zu kennen. Vor langer Zeit gab es Teile der Welt, die besser bekannt waren, als sie es bis vor kurzem waren. So sind zum Beispiel die frühen Berichte über Afrika und Zentralasien durch neuere Forschungen weitgehend bestätigt worden. Gott mag die zehn Stämme in einigen der wenig erforschten Regionen der Erde haben; oder sie mögen unerwartet aus einer Nation auftauchen, mit der sie lange Zeit verwechselt wurden. Aber wir sind nicht verpflichtet, zu zeigen, wo sie sind. Gott hat erklärt, dass Er sie in ihr eigenes Land bringen wird, und das auf eine besondere Weise; denn das Haus Israel soll wieder durch die Wüste ziehen und dort von den Übertretern in ihrer Mitte gereinigt werden, die so nie das Land erreichen, sondern darin vernichtet werden wie die abgefallenen Juden (Hes 20,36-38). Es gibt also ein völlig anderes Schicksal für die zehn Stämme im Vergleich zu den beiden. Wenn Gott beides vollbringt, wird nichts leichter sein, als wenn derselbe Gott die Nachkommen ihrer alten heidnischen Feinde bestimmt, egal ob in der Nähe oder in weiter Ferne. Die Wahrheit ist, dass das gleiche Prinzip des Glaubens beides akzeptiert und erklärt, da es bloßer Unglaube ist, der in beidem eine Schwierigkeit findet. Diese Bemerkungen gelten für fast alle diese Kapitel.
Wiederum missverstehen einige seltsamerweise die kühnen Bilder der Propheten, als ob sie dazu dienten, ihre Themen in eine rätselhafte, wenn nicht zweideutige Form zu gießen. Das ist ein großer Irrtum. Denn sie sind nicht so sehr dazu gedacht, eine Wolke über die Dinge zu werfen, sondern um Nachdruck und Energie zu verleihen. Viele, deren Ziel es ist, die Christen vom Lesen der Prophezeiungen abzuhalten, reden viel von diesen Tropen, als ob ihr Vorhandensein Beweis genug wäre, um zu zeigen, dass die Bedeutung zweifelhaft ist. Nichts kann den Tatsachen mehr widersprechen; denn in den inspirierten Schriften, wie auch in anderen, werden Bilder mit einer Art verstandener Lizenz verwendet, um den Sinn zu illustrieren, zu schmücken und zu verstärken, und auf keinen Fall, um zu mystifizieren. Bilder und sogar Symbole sind genauso eindeutig wie einfache oder wörtliche Ausdrücke, und sie sollen nur eindringlicher sein. Die Sprache des gewöhnlichen Lebens ist reich an sprachlichen Bildern und Gleichnissen; aber natürlich gibt die poetische Sprache der Prophezeiungen Anlass zu deren häufigerem Gebrauch.
Außerdem liegt die Schwierigkeit der Schrift nicht so sehr in ihrem bildhaften Stil als in der Tiefe ihrer Gedanken. Im Wort Gottes gibt es vielleicht nichts Tiefgründigeres als das erste Kapitel des vierten Evangeliums. Doch was dort als erstes auffällt, ist die äußerste Einfachheit dieser Schrift in Bezug auf die Sprache. Es war und ist vielleicht auch heute noch die Gewohnheit derer, die in einigen Teilen des Landes die griechische Sprache lehren, dieses Evangelium zu einer Art Einführungsübung zu gebrauchen. Dennoch findest du in der ganzen Bibel keine Offenbarung oder Handhabung der Wahrheit, die tiefer ist, keine, die den wirklich geistlichen Menschen mehr in Erstaunen versetzt, wie attraktiv auch immer die Gnade ist, die sie in Christus zeigt. Das wird zeigen, wie völlig unbegründet die Vorstellung derer ist, die meinen, es handle sich um eine einfache Frage von Worten.
Die göttliche Tiefe der Schrift ist in der nüchternen Tatsache die Schwierigkeit, nicht ihre eigenartige Sprache. Sie ist schwierig wegen unserer moralischen Finsternis, wegen unserer mangelnden Bekanntschaft mit dem Geist Gottes, weil wir die Erscheinungen mit den natürlichen Sinnen oder dem Verstand beurteilen, anstatt die Dinge von Gott zu empfangen und seine Worte im Licht Christi zu lesen. So weit davon entfernt, dass die prophetischen Schriften der schwierigste Teil sind, sind sie viel einfacher, als man sich im Allgemeinen vorstellt. Es ist eine großartige Sache, mit dem Glauben an sie zu beginnen; die Einsicht folgt und wächst mit der Zeit. Wenn wir die verschiedenen Teile der Schrift vergleichen dürfen, ist das Neue Testament ohne Zweifel die tiefste der Mitteilungen Gottes; und vom Neuen Testament übertrifft keine die Schriften des Apostels Johannes an Eindringlichkeit in die Erkenntnis dessen, was Gott ist. Wer würde von seinen Schriften die Briefe und das Evangelium als weniger tiefgründig betrachten als die Offenbarung? Keiner, davon bin ich überzeugt, außer solchen, die mit irgendeiner von ihnen zu oberflächlich vertraut sind, um ein Urteil darüber zu fällen.
Das mag einige ermutigen, die Prophezeiungen mit einem kindlicheren Gemüt aufzunehmen, immer mit dem Gedanken, dass Gott auf die zukünftige Krise schaut, die den „Tag des Herrn“ einleitet. Er denkt an seinen geliebten Sohn und an seine Herrlichkeit hier auf der Erde. Das gibt den Prophezeiungen Bedeutung; sie entfalten den Schauplatz, die Ziele und die Wege seiner Interessen. Die Juden sind das Volk, von dem der Herr Jesus sich herabließ, dem Fleisch nach geboren zu werden. Sie haben bewiesen, was sie für Ihn waren; nun wird Er beweisen, was Er für sie sein wird. Er will sowohl ein irdisches Volk (Israel) als auch ein himmlisches (die Versammlung) zu seiner Herrlichkeit haben. Das Wort Gottes versagt da nicht. Wenn es nicht erfüllt wird, so ist es doch in der sicheren Obhut Gottes, der bereits eine teilweise Erfüllung gegeben hat. Daraus lernen wir das Prinzip für die Auslegung der Prophetie; sie dient in ihrer Gesamtheit der Herrlichkeit des Herrn Jesus in Verbindung mit Israel und den Nationen auf der Erde. Wir sprechen jetzt von alttestamentlicher Prophetie. Das Neue Testament nimmt einen anderen Charakter an – der Herr Jesus in Verbindung mit der Christenheit auch, neben der Bestätigung der Aussprüche über Israel. Die Versammlung ist also auch außerhalb und vor allem in Verbindung mit ihrem verherrlichten Haupt im Himmel, seinem Leib bereits jetzt auf der Erde.
Dies mag auch zeigen, warum der Herr einem kleinen Ort oder Volk auf dem prophetischen Feld Bedeutung beimisst. Israel war viel in seinen Augen, wegen des Messias; und seine eigenen Ratschlüsse sind nicht vergangen, wenn sie auch schlafen. Daher werden ebenso, wenn Gott den Schleier von seinem alten Volk Israel abnimmt, seine alten Widersacher anfangen zu erscheinen. Dies ist mit Sicherheit sehr interessant. Für jede einzelne Person gibt es eine Auferstehung. Der Körper wird auferweckt werden, um all das zu offenbaren, was im Körper getan wurde, denn durch den Körper handelt die Seele. So wird es auch mit diesen Völkern sein. Es gibt bei ihnen ein ähnliches Schicksal. Wie uns die Schrift das sagt, werden sie wieder zum Vorschein kommen, wenn Israel erscheint, damit der Herr Jesus das Königreich in Empfang nehmen kann; und Gott wird sie nach ihren früheren Namen unterscheiden, nicht nach denen, die sie im Verlauf der menschlichen Geschichte tragen mögen. Der Herr wird, wie Er allein es kann, zu den Quellen vordringen. Daher haben wir ihr Gericht in Verbindung mit den letzten Tagen, und nicht nur das, was vor langer Zeit über sie hereinbrach. Seine Worte gehen bis zum Ende zurück. Einige mögen in der Vergangenheit vollständiger vollendet worden sein als andere, aber mit diesem Unterschied blicken sie alle in die Zukunft.
Die letzte Generation wird so handeln wie ihre Väter, nur mit einer zusätzlichen Offenbarung des Bösen nach und nach; dann wird das Gericht sie treffen. So wird Gott mit den Nationen handeln. Sie werden die gleiche Feindschaft gegenüber Israel und den gleichen Stolz gegen Gott an den Tag legen wie früher. Dies mag manchen als ein hartes Prinzip erscheinen, aber es ist höchst gerecht. Wenn ein Kind aufgewachsen ist und die Schande seines Vaters kennt, von seiner Schmach und Bestrafung hört, wäre diese Sünde dann nicht besonders abscheulich in seinen Augen, wenn ein rechtes Gefühl vorhanden wäre? Das öffentliche Beispiel des schlechten Verhaltens seines Vaters würde ihm immer vor Augen stehen. Aber wenn der Sohn damit herumspielte und es als Ermutigung benutzte, den gleichen Weg zu gehen, ist es dann nicht gerecht, dass eine noch härtere Strafe diesem Sohn zuteilwird? Er hatte nicht nur das allgemeine Gewissen der Menschen, sondern auch ein besonderes Zeugnis in seiner eigenen Familie, das das Herz eines Kindes hätte empfinden und tief abwägen müssen, um jede Wiederholung seines Übels zu vermeiden.
Dies ist genau das Prinzip des Weges Gottes in der Regierung. Der Mensch sollte die Vergangenheit umso ernster nehmen; und Gott, der gerecht handelt, wird nach dem richten, woran der Mensch sich hätte erinnern sollen. Denn er hätte das Zeugnis der Vergangenheit als eine Warnung für die Zukunft nutzen sollen. Diese Völker werden dann wieder auftauchen, und anstatt sich zu ihrer eigenen Warnung und zu ihrem eigenen Nutzen an die Wege ihrer Väter zu erinnern, werden sie genau denselben Weg der Ungerechtigkeit einschlagen; und wieder werden sie auch danach trachten, das Volk Gottes auszurotten und zu verderben.
So steht es in Kapitel 17. Damaskus, das nördlich des Heiligen Landes lag, war die sehr alte und berühmteste Stadt des alten Syriens (siehe 1Mo 15,2). Sie sollte zu einem Trümmerhaufen gemacht werden – die Städte von Aroer zu einem Ort für Herden:
Ausspruch über Damaskus. Siehe, Damaskus hört auf, eine Stadt zu sein, und wird ein Trümmerhaufen. Verlassen sind die Städte von Aroer, sie werden den Herden preisgegeben; und diese lagern, und niemand schreckt sie auf (17,1.2).