Behandelter Abschnitt Jes 15,5-9
Der Prophet, oder wer auch immer von ihm verkörpert wird, kann nicht anders, als mit den Katastrophen Moabs mitzufühlen; und die anschauliche Beschreibung der Verwüstung und der Not und des Gemetzel wird bis zum Ende des Kapitels fortgesetzt.
Mein Herz schreit über Moab – seine Flüchtlinge fliehen bis Zoar, bis Eglat-Schelischija. Denn die Anhöhe von Luchit steigt man mit Weinen hinauf; denn auf dem Weg nach Horonaim erhebt man Jammergeschrei. Denn die Wasser von Nimrim sollen zu Wüsten werden. Denn verdorrt ist das Gras, verschmachtet das Kraut; das Grün ist nicht mehr. Darum tragen sie über den Weidenbach, was sie erübrigt haben, und ihr Aufbewahrtes. Denn das Wehgeschrei hat die Runde gemacht in den Grenzen von Moab: Bis Eglaim dringt sein Jammern und bis Beer-Elim sein Jammern. Denn die Wasser Dimons sind voll Blut; denn ich verhänge noch mehr Unheil über Dimon: einen Löwen über die Entronnenen Moabs und über den Überrest des Landes (15,5–9).
Sogar die Entronnenen sollten vom Herrn neues Unheil und Zerstörung erfahren. Extreme Demütigung ist die Züchtigung des übermäßigen Stolzes. Aber das intensive Empfinden des Propheten, das bei Jeremia sicher nicht geringer war, ist die vollständigste Widerlegung der Herzlosigkeit, die ungläubige Kritiker Jesaja oder zumindest diesen ihm zugewiesenen „Aussprüche“ zuschreiben. Ewald hatte zu viel Geschmackssinn, um dies zu übersehen. Es besteht zweifellos ein ebenso deutlicher Unterschied im Ton zwischen dem tiefen Pathos über den Fall Moabs und der Ode des Triumphs vor dem babylonischen Machthaber. Das ist so, wie es sein sollte; aber rachsüchtig und sarkastisch in einem bösen Sinn ist es nicht. Auch der Christ, der himmlisch ist, ist aufgerufen, das Böse zu verabscheuen und sich an das Gute zu klammern. Und der Himmel erklingt mit Halleluja über Gottes wahres und gerechtes Urteil über die große Hure, obwohl ihr Rauch bis in alle Ewigkeit aufsteigt (Off 19,1-6). Wie passend für einen jüdischen Propheten, über den letzten Inhaber der gottlosen Macht zu triumphieren, der sich erheben durfte, als Juda weggefegt wurde, und dessen Sturz schließlich die Befreiung Israels für immer einleitet! Hier in den Kapiteln 15 und 16 kann er den leidenschaftlichsten Gefühlen über ein verwandtes, aber stolzes Moab nachgeben, das zu Fall gebracht wurde.
Wir können unter den genannten Orten, die an der nationalen Trauer teilhaben, bemerken, dass das Dibon von Vers 2 in Vers 9 Dimon zu heißen scheint, ein Wortspiel mit dem Wort in Vers 9 genannt wird, ein Wortspiel, um es mit dem hebräischen Wort für „Blut“ in Verbindung zu bringen, das sein Anteil sein sollte. Hieronymus berichtet, dass der Ort zu seiner Zeit mit beide Namen genannt wurde. Tod und Unheil drohten noch mehr. Welch ein Gegensatz war Beer-Elim zu Moab und Israel! Dort sollte Moabs Heulen ankommen; dort sang Israel sein Triumphlied, als es sich dem Ende seiner Reise näherte, wo zur Erquickung aller der Brunnen unter den Stäben der Fürsten und Edlen entsprang (4Mo 21,16-18). So wartet das wahre Ende mit anhaltender Freude noch auf das Volk nach einer viel längeren Wanderschaft. Aber Gerichte begleiten und kennzeichnen jenen Tag, Gerichte über alle kleinen und großen Feinde Israels; Gerichte, die mit dem alten Volk Gottes beginnen, und zuallererst mit Juda. Denn es gibt keine Ungerechtigkeit bei Gott. Und wenn es ein Tag der Sichtung für alle Völker der Erde ist, muss Er bei seinem Haus beginnen, bevor Israel in Wahrheit des Herzens sagen kann: Seine Barmherzigkeit ist für immer da!