Behandelter Abschnitt Jes 14,28-32
Die Einteilung der Kapitel ist hier besonders unglücklich, denn Kapitel 14,24–27 hat einen eigenen Platz, um das zukünftige Gericht über die Assyrer im Verhältnis zum „Ausspruch“ über Babylons zu markieren, das die Umkehrung der Geschichte sein soll. Auch die letzten fünf Verse des Kapitels bilden einen Unterabschnitt für sich, obwohl das Ganze zusammenhängend zu sein scheint. Die beiden folgenden Kapitel (15 und 16) haben nur ein Thema, und zwar ein neues. Was die Verwirrung noch vergrößert, ist die Einfügung des Zeichens des neuen Abschnitts in Kapitel 14,29; während Kapitel 14,28 sich wirklich auf den neue „Ausspruch“ bezieht – nicht auf Babylon oder auf die Assyrer, sondern auf Gottes Gericht an den Philistern.
Im Todesjahr des Königs Ahas geschah dieser Ausspruch:
Freue dich nicht, ganz Philistäa, dass der Stock zerbrochen ist, der dich schlug! Denn aus der Wurzel der Schlange wird eine Otter hervorkommen, und ihre Frucht wird eine fliegende, feurige Schlange sein. Und die Erstgeborenen der Geringen werden weiden, und die Armen sich in Sicherheit lagern; aber deine Wurzel werde ich durch Hunger töten, und deinen Überrest wird er umbringen. Heule, Tor! Schreie, Stadt! Schmilz hin, ganz Philistäa! Denn von Norden her kommt Rauch, und kein Vereinzelter ist unter seinen Scharen. Und was antwortet man den Boten der Nationen? Dass der Herr Zion gegründet hat und dass die Elenden seines Volkes darin Zuflucht finden (14,28–32).
Der Tod Ahasʼ könnte natürlich die Hoffnungen seiner Nachbarn, der Philister, wecken, die durch die starke Hand seines Großvaters Ussija niedergeschlagen worden waren. Von ihm steht in 2. Chronika geschrieben, dass „er tat, was recht war in den Augen des Herrn, nach allem, was sein Vater Amazja getan hatte. Und er suchte Gott in den Tagen Sekarjas, der kundig war in den Gesichten Gottes; und in den Tagen, als er den Herrn suchte, gab Gott ihm Gelingen. Und er zog aus und kämpfte gegen die Philister und riss die Mauer von Gat und die Mauer von Jabne und die Mauer von Asdod nieder; und er baute Städte um Asdod her und unter den Philistern. Und Gott half ihm gegen die Philister und gegen die Araber, die in Gur-Baal wohnten, und gegen die Meuniter. Und die Ammoniter entrichteten Ussija Tribut, und sein Name drang bis nach Ägypten hin; denn er war überaus stark geworden“ (2Chr 26,4-8).
Und nun war nicht nur Ussija, sondern auch Ahas verschwunden, die Rute dessen, der das Land der Philister schlug, war zerbrochen. Der Feind hatte in den Tagen des unwürdigen Ahas gelernt, Juda zu verachten. „Denn der Herr demütigte Juda, um Ahas’, des Königs von Israel, willen, weil er in Juda zügellos gehandelt und sich ganz treulos gegen den Herrn erwiesen hatte“ (2Chr 28,19). Wer war sein Sohn, dass sie ihn fürchten sollten? Aber sie sollten sich nicht freuen, denn „aus der Wurzel der Schlange wird eine Otter hervorkommen, und ihre Frucht wird eine fliegende, feurige Schlange sein“ (Jes 14,29). Dies geschah vor allem unter Hiskia, von dem berichtet wird, dass er die Philister bis Gaza schlug und dessen Gebiet verheerte, vom Turm der Wächter an bis zur festen Stadt (2Kön 18,8).
Aber gibt es irgendeinen Grund, anzunehmen, dass dieser „Ausspruch“ eine Ausnahme von den übrigen ist? Vor allem deutet die kräftige Sprache auf eine mächtigere Zerstörung hin als die, die von jenem frommen König von Juda angerichtet wurde. Seine eigentliche Erfüllung wartet daher auf den letzten Tag. Und dann wird die zweifache Anwendung der göttlichen Macht in vollem Umfang sichtbar werden, wenn einerseits „die Erstgeborenen der Geringen weiden werden, und die Armen sich in Sicherheit lagern“; und andererseits: „aber deine Wurzel werde ich durch Hunger töten, und deinen Überrest wird er umbringen“ (Jes 14,30). Im nächsten Vers fordert der Prophet das Tor und die Stadt auf: „Heule, Tor! Schreie, Stadt! Schmilz hin, ganz Philistäa! Denn von Norden her kommt Rauch, und kein Vereinzelter ist unter seinen Scharen [d. h. in seinen Truppen]“ (V. 31). Es droht also eine überwältigende und energisch durchhaltende Kraft, die alles vor sich her fegen wird, was die Philister betrifft. Auch hier ist das Ende die Erlösung für sein Volk, das erprobt wird. „Und was antwortet man den Boten der Nationen? Dass der Herr Zion gegründet hat und dass die Elenden seines Volkes darin Zuflucht finden“ (V. 32).
Dies bildet einen hinreichend deutlichen Unterabschnitt: Babylon wurde gerichtet; die Assyrer wurden im Land des Herrn niedergestreckt; Philistäa schmolz dahin und Zion wurde von dem Herrn als Zuflucht für die Bedrängten seines Volkes gegründet.
Es ist lehrreich zu beobachten, dass der Herr an dem kommenden Tag mit vergleichsweise kleinen Mächten ebenso verfahren wird wie mit den größten, je nach ihrem Verhalten gegenüber Israel. So haben wir nach Babylon und Assyrien nun Philistäa, wie wir an ihrer Stelle Moab und Syrien haben werden, die Völker und Länder, die das auserwählte Volk umgaben. Es ist vergeblich, zu behaupten, dass sie jetzt unbekannt sind, oder anzunehmen, dass sie ausgestorben sind. Was auch immer in der Vergangenheit gewesen sein mag, diese Kapitel blicken in die Zukunft; und Er, der vor aller Welt Israel im Vergleich zu Juda deutlich hervortreten lässt, wird es nicht versäumen, die lange verborgenen Überreste ihrer Nachbarn für seine Vergeltung am Ende des Zeitalters hervorzubringen.
Es gibt auch keinen offensichtlicheren Beweis für die göttliche Voraussicht, die dem Volk Gottes vermittelt wurde, als dass Babylon vor Assyrien, das sich damals in seiner Herrlichkeit befand, den Vorrang haben sollte, während Babylon keine Anzeichen für seine spätere Vorherrschaft erkennen ließ; es sei denn, wir fügen hinzu, dass wir im Gegensatz zur Geschichte, die bezeugt, dass der Fall Assyriens dem Aufstieg Babylons den Weg ebnete, in der Prophezeiung lesen, dass Assyrien auf den Bergen des Herrn zertreten werden wird, nachdem die Verwüstung Babylons bis zum Äußersten dargelegt worden ist: eine Prophezeiung, die ihrer Erfüllung harrt.
Dies wurde von der Masse der Ausleger in alter und neuer Zeit nur schwach oder gar nicht gesehen. Bischof Lowth bringt deren Unklarheit zum Ausdruck, wenn er zu Vers 25 bemerkt, dass „die Assyrer und die Babylonier dasselbe Volk sind“; doch er verweist auf seinen Vater, W. Lowth, der, nachdem er einen ähnlich unsicheren Ton anschlägt, sagt: „Ich bin geneigt zu denken, dass mit den Assyrern einige bemerkenswerte Feinde der Kirche Gottes gemeint sein könnten (siehe Anmerkung zu Jes 11,14; 32,16), und besonders die, die durch Gog und Magog (Hes 38) ausgedrückt werden, die, wie der Prophet dort sagt (V. 17), unter verschiedenen Namen von den Propheten Israels geredet‘ wurden; und es wird besonders von ihnen gesagt, dass sie ,auf die Berge Israels fallen werden.“ Dies ist zumindest besser als die Bemerkung seines Sohnes und hätte die Verwechslung von Assyrien mit Babylon sofort ausräumen müssen. Es hätte auch ohne Zweifel zeigen müssen, dass unser Prophet von einem Gericht spricht, das der Zorn des Herrn gegen Israel (denn die Kirche kommt natürlich nicht in Frage) mit der Vernichtung des letzten ihrer Feinde abschließt, wenn sein ganzes Werk auf dem Berg Zion und in Jerusalem vollbracht ist. Sogar Dr. Driver bekennt (Lit. of the Old Testament, S. 202): „Die Prophezeiung hat keinen Zusammenhang mit dem, was vorausgeht. Sie richtet sich gegen Assyrien, nicht gegen Babylon; und sie nimmt nicht die Einnahme der Stadt Babylon vorweg, sondern den Sturz der Heere Assyriens in Juda.“ Dieses Zeugnis ist wahr; aber wenn es wahr ist, deutet es auf ein gewaltiges Eingreifen Gottes am Ende des Zeitalters hin, denn ein solcher Umsturz hat in der Vergangenheit nie stattgefunden, was auch immer das damalige Pfand dafür war.